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Der Natur abgeschaut: Nützlinge statt Chemie
Biologischer Pflanzenschutz ► Schädlingsbekämpfung heißt längst nicht mehr, dass sofort zu Insektiziden gegriffen wird. Es geht oft auch auf natürlichem Wege: Heerscharen von Insekten und Milben – allesamt Nützlinge – werden ausgesandt, um Blattläuse, Spinnmilben etc. auszurotten oder wenigstens in Schach zu halten. Unternehmen wie die Katz Biotech AG in Baruth, die vor Kurzem ihr 30-jähriges Bestehen feierte, stellen diese Kämpfer für den biologischen Pflanzenschutz bereit.
Marlis Heinz
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Dr. Peter Katz ist Inhaber und Geschäftsführer der Firma Katz Biotech AG.
Die großen hellgrünen Blätter der Tabakpflanzen hängen schlaff herab. Zur Freude der Mitarbeiter. Heißt das doch, dass die Schädlinge in gehöriger Anzahl am Werk sind und die demnächst eintreffenden Nützlinge – bevor es ans große Vermehren geht – einen reich gedeckten Tisch vorfinden.
Nachhaltigkeit am Anfang der Wertschöpfungskette
Darüber, wie der Mensch im Laufe der Jahrtausende Schädlinge mit Nützlingen bekämpfte, kann Dr. Peter Katz, Inhaber und Geschäftsführer der Firma Katz Biotech AG, viel erzählen. Heutzutage ist es fast überall, aber vor allem in Gewächshäusern üblich, biologische Wege zu gehen und Schädlinge ihrem ärgsten Feind auszusetzen. Als die entscheidenden Vorteile, die übrigens nicht nur im Bioanbau genutzt werden, nennt Katz die Vermeidung von Rückständen, von Anwendergefährdung, von Resistenzen und von Grundwasserverunreinigung; nur äußerst selten treten Pflanzenschäden auf und die Ausbringung ist in der Regel einfach. „Dabei verwundert mich“, so Katz, „dass die Erzeuger und der Handel den bereits oft stattfindenden Einsatz von Nützlingen – und damit die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln – kaum kommunizieren. Der ist ja schließlich ein Beleg für nachhaltiges Handeln am Anfang der Wertschöpfungskette.“ Gleichzeitig verschweigt der Experte nicht, dass die Methode auch Probleme birgt und damit Grenzen hat: „Insgesamt ist dieser Weg schwieriger, denn die Erfassung eines Schädlingsbefalls kann nur früh erfolgen. Der Schädling muss, damit der Gärtner den passenden Nützling findet, präzise bestimmt werden, und es muss die ausreichende Menge an Nützlingen bereitstehen.“ Schon vor 30 Jahren begann ein kleines Team um den Agrarwissenschaftler Peter Katz, der zu Insekten promoviert hatte, in einem Keller in Baden-Württemberg diese zu züchten. 2003 fielen seine Bestrebungen in Baruth auf fruchtbaren Boden, denn die großen gartenbaulichen Genossenschaften Brandenburgs waren diesbezüglich schon in den 1980ern unterwegs, aber durch die Wirren der 1990er ausgebremst worden. Katz‘ Firma betreibt zugleich in Berlin ein Forschungslabor, „in dem es u.a. um Ersatznahrung geht, die den heranwachsenden Nützlingen zwar schmeckt, sie aber nicht zu ‚Weicheiern‘ werden lässt, die sich später für die echten Schädlinge nicht mehr interessieren.“ Was also passiert in den gläsernen Gewächshäusern am Rande des Gewerbegebietes von Baruth? Zuerst einmal säen die Nützlingsproduzenten Tabakpflanzen aus. Die dürfen
Fotos: Heinz
Bohnenpflanzen werden herangezogen und mit Läusen infiziert. Fertig ist die Zuchtbox für Marienkäfer.
Zur biologischen Bekämpfung werden auch sogenannte Räuber eingesetzt. Der Marienkäfer gehört dazu.
nicht mit Pflanzenschutzmitteln behandelt sein und schon gar nicht – wie normalerweise angestrebt – resistent gegen Schaderreger.
Zuerst einmal: Schädlinge züchten
Wenn die herangewachsen sind, werden rund zwei Dutzend mit einem Netz umhüllt und per Fön mit Schädlingen infiziert, bspw. mit Weißen Fliegen. Für die Pflanze beginnt damit ihr „Leidensweg“. Die winzigen Fliegen jedoch glauben sich im Paradies und legen an die Unterseite der Blätter zahllose Eier, aus denen die Larven schlüpfen. Bis ihre Gegenspieler, die Schlupfwespen, ins Spiel kommen. Auch die sind nur einen halben Millimeter groß, beginnen aber Larven und Eier der Weißen Fliege zu parasitieren. Diese Schlupfwespen legen ihre Eier in die Fliegenlarven, die dadurch absterben, sich schwarz färben – aber eine künftige Wespe in sich bergen. Nun gilt es, behutsam diese von der toten Fliegenlarve umhüllten Eier des Nützlings-Wespe vom Blatt zu entfernen und sozusagen zu ernten. Zur biologischen Bekämpfung werden auch sogenannte Räuber eingesetzt, der Marienkäfer gehört dazu. Auch hier muss zunächst Futter, in diesem Fall Blattläuse, bereitgestellt werden. Dazu werden Bohnenpflanzen herangezogen und mit Läusen infiziert. Erst wenn sie sich dort in großen Massen vermehrt haben, ist das Stadium erreicht, an dem Marienkäfer zugegeben werden, um später deren Eier ernten zu können. Im Lagerraum von Katz Biotech stehen dann, in Regalen und Kühlschränken, in Dosen und Schachteln die meist noch im Ei schlafenden Nützlinge, rund 17 Arten Insekten und Milben.
Es herrschen paradiesische Zustände für die Weißen Fliegen, bis ihre Gegenspieler, die Schlupfwespen, ins Spiel kommen. So sehen die Puppen der Schwebefliege aus.
Nützlinge als Eier am Start
Wie ein mit Mohnkörnern gefüllter Joghurtbecher sehen zum Beispiel die 600.000 Eier der Schlupfwespe aus. Um die für den gartenbaulichen Betrieb handhabbar zu machen, werden sie in einem speziell konstruierten Verpackungsroboter zu jeweils 60 Stück auf einen Leimpunkt geklebt. Andere kommen in Tütchen oder Dosen. Dann heißt es, auf Kalender und Thermometer zu schauen, denn ehe die Winzlinge nach ein paar Tagen schlüpfen können, müssen sie in ihrem neuen Zuhause angekommen sein, wo der Tisch schon mit Schädlingen gedeckt ist.
Wie ein mit Mohnkörnern gefüllter Joghurtbecher sehen 600.000 Eier der Schlupfwespe aus.
Umdenken beim Anbauen: rückstandsfrei & made in Italy
Produktion ► Immer mehr italienische Unternehmen stellen auf eine rückstandsfreie Erzeugung ihres O+GSortiments um. So auch die aus der Emilia-Romagna stammende Firma Flli Romagnoli, die rückstandsfreie Kartoffeln und Zwiebeln produziert, sowie die zur Orsero-Gruppe gehörende Fruttital aus dem ligurischen Albenga, die O+G importieren und vertreiben.
Emanuela Stifano, Ncx Drahorad
Für Roberto Chiesa, dem kaufmännischen Leiter von F.lli Romagnoli, könnten rückstandsfreie Produkte ein „interessanter kommerzieller Hebel” in einer für die Lieferkette schwierigen Zeit sein. „Die Landwirtschaftsbetriebe sind zwar widerstandsfähig, stehen aber vor einigen Herausforderungen aufgrund steigender Produktionskosten und der Lieferkette, die den Wert der Produktion nicht immer anerkennt“, erklärt er. Positiven Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der Branche könnten Elemente wie Innovation, Mehrwert oder höhere Bezahlung haben, und auch Rückstandsfreiheit der Erzeugnisse ist für Chiesa in dieser Liste einzuordnen. „Wir haben an rückstandsfreie Produkte geglaubt und investiert“, berichtet Paolo Piccinni, Filial-Verkaufsleiter bei Fruttital in Orsero. „Dabei haben wir mit Ananas begonnen, dann das Tomaten- und Gurkensortiment entwickelt. Aufgrund der positiven Resonanz der Verbraucher bieten wir in diesem Jahr auch Radicchio, Zuckerhut, Spargel und Kaktusfeigen an, während Trauben und Aprikosen in der Prüfung sind. Unser Ziel ist es, dem Verbraucher ein immer breiteres Sortiment anbieten zu können”, so Piccinni. In einem Punkt sind sich die beiden Manager einig: Um sich dem Thema „Rückstandsfreiheit” anzunähern, muss man bei den Sorten ansetzen und solche auswählen, die widerstandsfähig gegenüber Pflanzenkrankheiten sind. Nur auf diese Weise könnten die Behandlungen drastisch reduziert werden. „Für die Aufnahme von rückstandsfreien
Nickel- und rückstandsfrei – aber trotzdem nicht Bio. Verstärkte Kundenkommunikation kann Missverständnissen vorbeugen, ist Carmelo Sigliuzzo überzeugt.
Produkten in der Abteilung sprechen einige Aspekte: die Erzeugnisse haben einen Neuheits- und hohen Unterscheidungswert und eine gute Gewinnspanne”, fügt Chiesa hinzu. „Wir arbeiten seit Jahren an dieser Norm und können heute sagen, dass wir bereits eine ‚Version 2.0’ erreicht haben – das bedeutet, dass wir chemische Produkte verboten haben.”
Einheitliche Standards und Zertifizierungen
Was dem Konzept des rückstandsfreien Anbaus fehlt, ist ein gemeinsamer Standard – und eine Zertifizierung, welche die Einhaltung des Standards bestätigt. „In Italien und in Europa gibt es keinen expliziten Standard, und daher hat jede Zertifizierungsstelle ihre eigenen Richtlinien aufgestellt. Da man sich aber der Notwendigkeit gemeinsamer Standards bewusst ist, wird gemeinsam ein Dokument erstellt”, erklärt Carmelo Sigliuzzo. Er ist Leiter des Produktzertifizierungsprogramms bei Check Fruit, einem Unterneh-
Foto: Orsero
men aus Bologna, das sich mit Zertifizierungen und Weiterbildungen beschäftigt. „Deshalb ist es wichtig, dass rückstandsfreie Produkte von einer dritten Partei zertifiziert werden”, fügt Sigliuzzo hinzu. Und erläutert, dass ein Unternehmen, das die Rückstandsfrei-Zertifizierung erhalten möchte, nicht nur durch Analysen nachweisen muss, dass es die vorgegebenen Parameter (0,01 mg/ kg) einhält, sondern auch, dass es die Produktionsmethode der integrierten Landwirtschaft anwendet und über ein internes Kontrollsystem verfügt. Es sei zudem nötig, Missverständnissen auf Verbraucherseite vorzubeugen. Dieser könnte glauben, dass es sich um Produkte handelt, bei deren Erzeugung keine Chemikalien verwendet wurden. Sigliuzzo empfiehlt unter anderem, hier durch verstärkte Kommunikation am PoS entgegenzuwirken, z.B. durch besondere Regale oder Verkaufsinseln. Auch solle der Unterschied zu Bio-Produkten klar betont werden: „Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, die nicht einfach zusammengefasst werden können“, so Sigliuzzo abschließend.