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Produktanbieter – Kein Selbstläufer
Kein Selbstläufer
Jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland ist nicht im Besitz einer betrieblichen Altersversorgung (bAV). Besonders in kleinen und mittleren Betrieben ist die Lage fast schon katastrophal zu nennen. Die Politik versucht mit allen Mitteln gegenzusteuern, zuletzt mit dem 2018 eingeführten BRSG. Doch wie beurteilen die Produktanbieter selbst die Situation, welche Erwartungen und auch Wünsche treiben sie um?
Heribert Karch, Geschäftsführer der MetallRente gilt hinsichtlich der Zukunft der bAV eher als optimistischer Mensch. Doch so ganz ohne Zweifel ist er nicht: „Risiken sehe ich für die bAV auch, aber von ganz anderer Seite, nämlich von der zunehmend zur Unterstützung der Rentenkommission in die Debatte eingreifenden deutschen Rentenversicherung, die sich für eine verpflichtende private Altersvorsorge mit Riesterförderung ausspricht und zwar mit abgeschwächten Garantien. Damit würde der soziale Deal von Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus der Sache herausgenommen und alleine der Einzelne belastet. Das halten viele Haushalte gar nicht durch.“ Immerhin lässt er sich nicht von Umfrageergebnissen verunsichern. Etwa dem letzten ‚Trendmonitor Finanzdienstleistungen‘ des Marktforschungsinstituts Nordlight Research. „Das BRSG soll die Verbreitung der bAV stufenweise vorantreiben. In der Praxis hapert es damit aber noch deutlich“, steht dort z. B. 71 % der Erwerbstätigen würden die neuen Regelungen überhaupt nicht kennen, und die Mehrheit der Arbeitnehmer zeige sich vom Engagement und von den Angeboten ihrer Arbeitgeber zur bAV nur wenig begeistert. Daran habe auch der Anfang 2019 für Neuverträge verpflichtend eingeführte ArbeitgeberZuschuss von mindestens 15 % des umgewandelten Entgelts (bei Sozialversicherungsersparnis) bislang wenig geändert. Viele Arbeitgeber – insbesondere kleinere und mittlere Betriebe, die den Großteil der Beschäftigungsverhältnisse ausmachten – verhielten sich in punkto bAV weiterhin passiv, motivierten ihre Mitarbeiter nur wenig zum Abschluss. Aktuell habe nur etwa jeder zweite sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Deutschland eine bAV abgeschlossen; Tendenz: stagnierend…
Weit und breit nicht in Sicht
Höchste Zeit also, mal bei den Anbietern der bAV nach dem Stand der Dinge zu fragen. Claudia Andersch, Vorstandsvorsitzende der R+V Lebensversicherung AG, beobachtet jedenfalls keine desaströse Lage, im Gegenteil: „Trotz der Corona-Pandemie sehen wir unverändert eine Nachfrage im Markt.“ Die im Zuge der Corona-Pandemie den R+V-Firmenkunden angebotenen flexiblen Lösungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu Beitragsaussetzungen seien dagegen nur auf einem sehr niedrigen Niveau nachgefragt worden. Das sage viel über die starke Bedeutung der bAV in den Unternehmen aus. Jan Niebuhr, Vorstand der ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG, zeigt sich sogar ausgesprochen optimistisch: „Der bAVMarkt bietet aus unserer Sicht große Wachstumsmöglichkeiten, insbesondere die investmentbasierte Auslagerung und Ausfinanzierung bestehender Pensionsverpflichtungen ist hoch attraktiv und nimmt seit 2014 deutlich zu.“ 2018 sei durch das BRSG nochmals ein deutliches politisches Signal für eine weitere Stärkung der bAV gesetzt worden. Die SIGNAL IDUNA beobachtet eine zwar positive, aber dennoch sehr verhaltene Marktentwicklung in der Zeit nach Einführung des BRSG. Bei der arbeitgeberfinanzierten bAV sei durch die Geringverdienerförderung ein leichter Anstieg zu verzeichnen – ebenso bei den Modellen mit Arbeitgeberbeteiligung. Die reine Entgeltumwandlung stagniere allerdings weitgehend. Und das neu eingeführte Sozialpartnermodell? Laut SIGNAL IDUNA weit und breit keines
Claudia Andersch
Vorstandsvorsitzende R+V Lebensversicherung AG
Jan Niebuhr
Vorstand ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG
Clemens Vatter
Vorstand SIGNAL IDUNA Konzern
in Sicht. Clemens Vatter, Konzernvorstand des Unternehmens und dort zuständig für die Lebensversicherung AG, sagt klipp und klar: „Das Potenzial der bAV ist in Deutschland längst noch nicht ausgeschöpft.“ So spüre man zwar bei Unternehmen mit zehn bis 100 Mitarbeitern eine steigende Nachfrage. Ein Selbstläufer sei die bAV aber auch nach wie vor nicht. Das Betriebsrentenstärkungsgesetz habe gute und starke Impulse gesetzt, in der Umsetzung ist die betriebliche Altersversorgung aber nicht einfacher geworden. Jetzt heißt es, Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf diese Reise mitzunehmen. Doch wie soll diese aussehen? Wegen Corona andere Sorgen Andersch sagt: „In Anbetracht der seit Jahren bestehenden Kapitalmarktsituation würden wir gerne unseren Kunden einen ausgewogenen und attraktiven Mix aus Garantien und chancenorientierten Bestandteilen anbieten.“ Um die bAV weiterhin attraktiv gestalten zu können und gleichzeitig den Wünschen der Versorgungsberechtigten Rechnung zu tragen, wäre eine gesetzliche Flexibilisierung der Beitragsgarantien im Betriebsrentengesetz sehr wünschenswert. Laut Vatter stellen die Corona-Krise und ihre dramatischen Auswirkungen auf bestimmte Wirtschaftszweige und die Lebenssituation vieler Menschen aktuell die bAV vor große Herausforderungen. Dass viele Betriebe und ihre Beschäftigten zurzeit andere Sorgen umtrieben, als ihre betriebliche Altersversorgung auszuweiten – darüber müsse man nicht sprechen. Dies werde wohl auch noch eine Weile so bleiben. Dennoch ist und bleibe die bAV für die SIGNAL IDUNA ein zentrales Zukunftsthema. Sie biete Wachstumspotenziale, die in der Lebensversicherung sonst nicht in diesem Maße zu finden seien. „Die betriebliche Altersversorgung hat einen sehr hohen Stellenwert bei den Arbeitnehmern, aber auch bei den Arbeitgebern“, sagt der Manager. Dennoch seien insbesondere bei den KMU – der Kernzielgruppe des Unternehmens – noch lange nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Vatter: „Unsere Aufgabe ist, Arbeitnehmer noch mehr als bisher in der Breite für das Thema bAV zu mobilisieren. Von der Politik wünschen wir uns weitere Impulse, die die betriebliche Altersversorgung noch attraktiver und weniger komplex machen.“ Die Einführung der Geringverdienerförderung sei ein erstes wichtiges Signal gewesen, um Arbeitgeber zu einem nötigen Ausbau der arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung zu motivieren. Hier zeigten sich auch erste Erfolge – insbesondere im Tarifvertragsgeschäft. So sei beispielsweise Ende letzten Jahres im Hotel- und Gaststättengewerbe der erste neue Tarifvertrag abgeschlos
sen worden, der insbesondere auch das Thema der Geringverdienerförderung berücksichtige. Für einen weiteren Ausbau seien allerdings eine Erhöhung der Fördergrenzen und eine dynamische Regelung wünschenswert. Klare Vorstellungen hat auch Niebuhr: „Der rechtliche Rahmen sollte zeitgemäße Versicherungs-/Versorgungslösungen erlauben, um Arbeitgebern eine verwaltungsarme und haftungsfreie Durchführung zu ermöglichen.“ Außerdem könnte eine Harmonisierung der aktuell noch sehr unterschiedlichen Regelungen zu Informationspflichten oder im Steuer- und Sozialversicherungsrecht die Komplexität verringern und durch Einsatz digitaler Prozesse die bAV für Mitarbeiter einfacher verständlich, flexibel und noch attraktiver gemacht werden. (hdm)
Eine Rakete im Trudelflug
Gut zweieinhalb Jahre währt mittlerweile die Geschichte des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG). Nach dem Willen von Politik und bAV-Anbietern sollte es eine Erfolgsgeschichte werden. Doch die Zeit seit Anfang 2018 zeigt, dass es für die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung mehr braucht als nur guten Willen. Vor allem eine deutlich bessere Kommunikation.
Eine betriebliche Altersversorgung durch Mitarbeiterbeiträge gehört zum Standardangebot von Unternehmen: In 88 % der Firmen sind Regelungen für die Umwandlung von Entgelt in Altersvorsorgeansprüche etabliert. Weitere 8 % übernehmen entsprechende Vorschläge ihrer Mitarbeiter. Dennoch greifen nur wenige Beschäftigte zu. Lediglich in einem Drittel der Unternehmen nehmen mehr als 50 % von ihnen dieses Angebot wahr, wie eine Umfrage der Unternehmensberatung Willis Towers Watson zeigt. Die herbe Enttäuschung: Daran hat auch das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) nichts geändert, wie 83 % der Unternehmen sagen. „Die Unternehmen packen die Entgeltumwandlung aktiv an und kommen den Wünschen der Arbeitnehmer nach einer sicheren und bedarfsgerechten bAV weitgehend nach – das ist gut“, sagt Dr. Heinke Conrads, Leiterin Retirement Deutschland und Österreich bei Willis Towers Watson. „Dennoch zeigt sich, dass Mitarbeiter ihren Vorsorgebedarf offenbar nicht gut genug einschätzen können und die bisherigen Informationen der Unternehmen diese Lücke wohl nicht wirksam füllen.“ Wenn das Ziel des BRSG – die weitere Verbreitung der bAV und der Ausbau ihrer Finanzierungsgrundlage – erreicht werden soll, bleibt also noch viel zu tun“, resümiert die Expertin. Vier Fünftel der Firmen bieten für die Eigenvorsorge der Mitarbeiter mehr als einen Durchführungsweg an. Die durch das BRSG überarbeitete Riester-Förderung wird nur selten genutzt: Lediglich 13 % der Unternehmen sind dabei. Dabei können die Mitarbeiter in 75 % der Unternehmen ihre bAV an ihren individuellen Bedarf anpassen – meist im Hinblick auf einmalige oder laufende Beiträge und die Auszahlung als Rente oder Einmal
betrag, aber auch bezüglich zusätzlicher Absicherungsoptionen für den Invaliditäts- oder Todesfall. Schließlich bezuschussen 63 % der Firmenchefs die Beiträge der Mitarbeiter, mehrheitlich über das gesetzlich geforderte Maß hinaus. Heiko Gradehandt, Director bei Willis Towers Watson, erklärt aber auch: „Die Unternehmen haben auch schon vor dem BRSG die bestehenden Möglichkeiten genutzt, um ihren Mitarbeitern durchdachte Vorsorgemöglichkeiten anzubieten. Das BRSG hat die Notwendigkeit einer betrieblichen Altersversorgung nun noch einmal stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.“ Allerdings ließen die Beschäftigten darauf noch keine Taten folge“. 83 % der Unternehmen registrieren keine Veränderung. Bei nur 15 % ist die Nachfrage nach Eigenvorsorgemöglichkeiten deutlich gestiegen. Woran hakt es also? Mitarbeiter kennen ihren Versorgungsbedarf nicht. Diesen Grund führen die befragten Unternehmen am häufigsten an. Auf Platz 2 folgt: Sie haben nicht genügend freies Einkommen zur Vorsorge zur Verfügung. Mitarbeiter verstünden die Angebote nicht oder seien grundsätzlich skeptisch gegenüber Versicherungsangeboten – diese Argumente werden ebenfalls genannt. Resümee der Analysten: Wenn die Angebote bei den Mitarbeitern aber nicht oder nicht verständlich ankämen, werden sie die Angebote auch nicht wahrnehmen.
Hier und da Luft nach oben
Doch was sagen die bAV-Anbieter selbst zur mangelhaften Nutzung? Fabian von Löbbecke, Vorstandsvorsitzender von HDI Pensionsmanagement und im Vorstand der HDI Lebensversicherung AG für bAV verantwortlich und mitverantwortlich für ‚Die Deutsche Betriebsrente‘, die Konsortiallösung von Talanx und Zurich für das Sozialpartnermodell, erklärt: „Das BRSG hat der bewährten bAV eine Vielzahl von Verbesserungen gebracht, die bisher unterschiedlich stark genutzt werden.“ Er nennt zwei Beispiele: Der obligatorische 15 %ige Arbeitgeberzuschuss habe einen So
Robert Dickner
Abteilungsleiter Produktmanagement VOLKSWOHL BUND Lebensversicherung a. G.
forteffekt erzielt. Er mache die bAV für Arbeitnehmer mit einem Schlag noch viel lohnender, als sie zuvor ohnehin schon gewesen sei. Wenn man alle Ertragsquellen inklusive Arbeitgeberzuschuss addiere, seien jetzt Gesamtrenditen von mehr als 7 % drin. Bei der Förderung von Geringverdienern sei hingegen noch Luft nach oben. Robert Dickner, Experte für Vertriebsunterstützung bAV und Kollektive der VOLKSWOHL BUND Lebensversicherung a. G., sieht die Angelegenheit weniger euphorisch: „Neben weiterer Aufklärungsarbeit ist sicherlich auch die ein oder andere Stellschraube im System zu begutachten und gegebenenfalls zu optimieren.“ Dies führe zwangsläufig zu einer Zurückhaltung bei der Nachfrage. Dominik Stadelbauer, Leiter Leben Marktmanagement Firmen der Nürnberger Lebensversicherung AG, weist auf einen speziellen Punkt hin: „Das BRSG ist sicherlich mehr als nur das Sozialpartnermodell. Wir haben deshalb im vergangenen Jahr einen deutlichen Zuwachs auf die ‚alte bAV-Welt‘ erlebt, der deutlich die Attraktivität der staatlich geförderten Altersversorgung zeigt.“ Beim Sozialpartnermodell handele es sich um etwas komplett Neues, so dass hier entsprechende Vorlaufzeiten für die technische Infrastruktur sowie die Verhandlungen der Vertriebspartner notwendig gewesen seien.
Riester am bAV-Markt unterrepräsentiert
Uneingeschränkten Beifall spendet von Löbbecke der Reform in einem Punkt: „Die bAV mit Riester-Förderung ist, neben dem obligatorischen Arbeitgeberzuschuss, die zweite große Erfolgsgeschichte, die sich aus dem BRSG
Dominik Stadelbauer
Leiter Leben Marktmanagement Firmen Nürnberger Lebensversicherung AG
entwickelt hat.“ Denn der Gesetzgeber habe endlich mit der Doppelverbeitragung von riestergeförderten bAV-Renten Schluss gemacht. Bei HDI könnten Arbeitnehmer in den Direktversicherungen TwoTrust Selekt und TwoTrust Kompakt sowohl die steuerfreie Entgeltumwandlung als auch die RiesterFörderung nutzen – je nachdem, was sich gerade mehr lohne. Sie könnten sogar ihren laufenden monatlichen Beitrag auf beide Förderarten verteilen. Diese Möglichkeit biete nur HDI. Für Arbeitnehmer habe das zwei Vorteile: Einerseits könnten sie sich jederzeit die höchstmögliche staatliche Förderung sichern. Andererseits löse das sogenannte Förder-Hopping viele typische Störfälle der bAV: Erziele ein Arbeitnehmer vorübergehend kein Arbeitsentgelt könne er seinen Vertrag privat mit Riester-Förderung weiter besparen. Und in der Tat war das nur ungefördert möglich.
Auch für Vermittler ist diese Regelung ein Fortschritt, weil häufige Storno-Gründe in der bAV wegfallen. Stadelbauer schränkt allerdings ein: „Die Riester-Förderung ist im Rahmen der bAV auch weiterhin sehr stark unterrepräsentiert.“ Obwohl der Gesetzgeber mit dem BRSG die doppelte Beitragspflicht abgeschafft habe, seien hohe administrative Verpflichtungen für den Arbeitgeber etwa bei der Zulagenbeantragung geblieben. Und überhaupt sei Riester aktuell weiterhin eher ein Nischenprodukt in der bAV. Dem stimmt Dickner zu: „Aus meiner Sicht spielt die Möglichkeit der Riester-Förderung bei der bAV im Marktgeschehen keine bedeutende Rolle. Das wird sich vermutlich auch in der Zukunft nicht signifikant ändern.“ (hdm)