Hokuspokus - KünstlerInnen als Schamanen

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zwischen „artfremden” Dingen herstellt – wie die Verbin­ dung Verbindung einer Zitrone mit einer Glühbirne6 – oder durch die Verwendung besonderer Materialien, die wie in Kindertagen der Sphäre des Archaischen zuzuordnen sind und die die Zeichen ihrer Vergänglichkeit, den Geruch des Todes unmittelbar an sich tragen. und damit auf das Leben verweisen.7 Die Rätsel, die er stellt, weisen auf die verbor­ gene Kraft der Dinge, sie erinnern daran, dass sie in einem elementaren, lebendigen Zusammenhang stehen.

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Hokuspokus – Schamanistisches in der Galerie Kremers Auch wenn die Künstler und Künstlerinnen dieser Aus­ stellung sich nicht als Schamanen bezeichnen würden, haben ihre Werke, ihre Bildsprache und ihre Motive viel mit den genannten schamanistischen Praktiken zu tun. Sammler unscheinbarer oder auch weggeworfener Dinge8 sind sie alle, und damit kreieren sie magische Objekte wie Adolfo Schlosser oder Reiner Zitta, erzeugen extreme Gegensätze und Widersprüche in ihren Kompositionen wie Taylor A. White, und erwecken mythologische und archaische Ge­ stalten zu neuem Leben wie Natascha Mann9 oder Adébayo Bolaji10. Sie zeigen in surrealen Landschaften und Gestal­ ten, wie sich Lebendiges aus der Materie entwickelt wie Paul Schwietzke oder provozieren wie die Skulpturen Jude

Gregor Hiltner, Fundamentalistisches Bild mit World Trade Center, 1994 Acryl auf Leinwand, 140 x 275 cm

Griebels.11 Gerade weil die Dinge und die Zeichen, die sie verwenden, ob natürlich oder nicht, nicht direkt gedeutet werden können, vermögen sie Chiffren für unsichtbare Zusammenhänge zu sein. Ein gutes Beispiel sind auch die Arbeiten Juan Logans, dem es gelingt, Symbole und Zeichen­ systeme auf eine hoch ästhetische Weise zu einander in Beziehung zu setzen, um auf diese Weise Macht- und Herr­ schaftssysteme abzubilden. Solcherart verfremdet und abstrahiert aus ihrem kulturellen Kontext, vermögen sie einer­ seits zu erschrecken, wenn man das Rätsel gelöst hat, und der historische Kontext, in dem sie stehen, wieder zu Be­ wusstsein kommt. Es gelingt ihnen aber auch, tiefere Schich­ ten des Erinnerns aufzurufen.12 Etwas von allem finden wir bei Gregor Hiltner, dem wir die Auswahl zu verdanken haben. Lassen Sie sich provozie­ ren, verstören und anregen, vor allem aber: Lassen Sie sich verzaubern. Christine Kremers Dieses Multiple in der Auflage 200, die Capri-Batterie, die durch Farbe und Titel eine Analogie zwischen Batterie und Zitrone herstellt, schuf Beuys im Jahre 1985. 7 So künden die legendären Fett- und Filzinstallationen Joseph Beuys‘ nicht nur visuell, sondern auch olfaktorisch von Vergänglichkeit. 8 Taylor A. White liebt die Referenz zu den Konsum‑ gütern seiner Kindertage (s. ausgestelltes Bild mit „Wendy”). Gregor Hiltner ist es sogar gelungen, Ordnungsund Sauberkeitsliebende Freunde dazu zu animieren, Weggeworfenes zu sammeln, damit er es in einer seiner Kompositionen verwenden kann. 9 Wie wir sehen, sind Natascha Manns Bildwelten voll von biblischen und mythologischen Figuren, die aber, befreit von den Rollenerwartungen der Götter, ihre eigenen höchst lustvollen Wege gehen und vielleicht sogar einmal spielerisch die Rollen tauschen. 10 In seiner Einzelausstellung „Between Two Worlds” in der Galerie Kremers hat Adébayo Bolaji den Zusammenhang zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt zum Thema gemacht. Mit der Skulptur „Woli” (Prophet), die hier gezeigt wird, hat er ein magisches Objekt von enormer Ausstrahlung geschaffen. 11 Jude Griebels groteske Skulpturen zeigen, wie der vom Menschen produzierte Müll, den weder Mensch noch Natur abzubauen imstande ist, als Antinatur ein eigenes Leben entfaltet. 12 Juan Logan schafft seine Bilder aus einem historischen Kontext, nicht zuletzt aus der Geschichte der Sklaverei und des Rassismus in den USA. 6

Jude Griebel – Der apokalyptische Reiter

Der kanadische Künstler Jude Griebel ist kein Prophet Ich gehe behutsam an diese Arbeiten heran, und ihre ver­ der heilen Welt, mit anderen Worten der Antagonist seines spielten und sehr kleinen Details stellen einen Kontrast zu Großvaters Phillip Griebel, dem Erfinder des Gartenzwergs. den zentralen Themen hyperaktiver Produktion und stets Ungewollt wurde Phillip heimlicher Sektenführer, vielleicht abrufbarer Lieferungen dar. Mühselig aus Holz geschnitzt sogar hoher Priester eines Millionenheers von Spießern, die oder geschnitten und bemalt sind sie das Ergebnis stunden­ sich in ihren Gärten eine heimelige und gleichzeitig gruse­ langer Beschäftigung damit, was es bedeutet, in dieser Welt lig unheimliche Welt erschaffen haben. ein aktiver Konsument zu sein und sich Der Enkel Jude erfährt diesen Planeten gleichzeitig um Lebensentwürfe zu bemü­ als Dystopie. Seine Gartenzwerge sind hen, die darüber hinaus gehen. apokalyptische Reiter, Boten des Nieder­ gangs, verzweifelte Mahner, Allegorien Ich verwende Erfindungen, Humor einer Welt, die dank ihrer menschlichen und Spekulation, um in den Arbeiten neue Bewohner am Abgrund steht. Griebel ist Wege zur Sichtbarmachung unseres Ver­ leidenschaftlicher Sammler wie die meis­ haltens und dem daraus resultierenden ten Künstler dieser Schau. Vor vier Jahren globalen Dilemma zu zeigen. Das zugrun­ hat er sein „Museum of Fear and Won­ deliegende Thema all meiner Arbeiten ist der” in Alberta, Canada eröffnet, wo er der Ablauf von Konsum, dabei lenke ich die skurrilsten Äußerungen menschlicher die Aufmerksamkeit besonders auf fabrik‑ Zukunftsangst in Skulptur und Malerei zu­ betriebene Nahrungsmittelversorgung sammengetragen hat. „Highlighting the und ihre Auswirkung auf Raubbau und narrative and psychological qualities of Klimawandel. Diese Muster zeigen sich an objects ” ist das Motto des Hauses. Für der Oberfläche der Skulpturen, um den seine eigenen Arbeiten sammelt und ver­ physischen und psychologischen Fallout wertet er, ähnlich wie Reiner Zitta, Zivilisa­ auszudrücken. tionsmüll, den er zu Fetischen oder mah­ nenden Dämonen der Umweltzerstörung Indem ich menschliche Formen mit zusammenbastelt. Seine sehr handwerk­ denen von Tieren, Insekten, Architektur lichen Skulpturen von hybriden Körpern und der natürlichen Umwelt verschmelze, beschäftigen sich mit Transformation und werden meine Skulpturen zu verzwickten dem psychologischen Kampf zwischen den Kosmologien realer und erfundener Orte. Verschiedenheiten der Elemente, schluss­ Diese komplexen hybriden Formen er­ endlich dem Kampf des Menschen gegen Jude Griebel, Modern Grotesque 3, 2017 zeugen ihrerseits eigenwillige Narrative, die Natur, mit anderen Worten seine Holz, Stoff, Harz, Acryl, 81 x 45,7 x 29,2 cm die neue und fantastische Einsichten in Botschaften sind politisch. Ängste um die Umwelt spiegeln und über Möglichkeiten spekulieren, wie ein plane­ Gregor Hiltner tarer Kollaps verhindert werden kann. Mit Jude Griebel schreibt selbst zu seinen Arbeiten: einem sehr dehnbaren Herangehen an Anatomie und Maß­ Ich schaffe Skulpturen, die sich mit dem Einfluss der Mensch­ stab mache ich die hemmungslosen Zyklen menschlichen heit auf die Welt beschäftigen, indem ich belebte und un­ Konsums und die daraus resultierende Zerstörung sowohl der belebte Formen zu einzelnen Identitäten verschmelze. Menschen als auch der sie umgebenden Welt sichtbar.

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