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nach Sankt OswaldZehn lange Tage von Hatzfeld

Horst Philipp:

Zehn lange Tage von Hatzfeld nach Sankt Oswald

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Horst Philipp, geboren am 25. Januar 1940 in Kreuzstätten, und Michael Zimmermann, geboren in Sanktanna, gelingt die Flucht nach Serbien nach einer harten Nacht. Sie endet nach 10 Kilometer Robben und Gehen im Morgengrauen. Doch damit sind die Strapazen noch lange nicht zu Ende. Es folgen zehn Tage der Irrungen und Wirrungen durch Jugoslawien: von Hatzfeld auf der rumänischen Seite über Klari auf der serbischen Seite nach Sankt Oswald in Österreich. Doch mit Geschick und ein wenig Glück schlagen sich die beiden 800 Kilometer durch Jugoslawien, immer auf der Hut, von Grenzern oder Polizei gefasst oder von gierigen und feindseligen Serben verraten Horst Philipp zu werden. Horst Philipp und Michael Zimmermann lernen sich Ende der 1960er Jahre als Arbeitskollegen in einem Reparaturbetrieb für Landmaschinen in Arad kennen. Sie vertrauen einander; beide haben die Absicht, auszuwandern. Im September 1970 erhält Philipp erneut eine Absage auf seinen Ausreiseantrag. Schon seit zehn Jahren versucht er mit seiner Familie Rumänien auf legalem Weg zu verlassen. Er sieht den Augenblick gekommen, die Sache auf eigene Art zu lösen. Philipp ist für die Flucht gut vorbereitet. Er weiß von einem ehemaligen Soldaten, der an der Grenze bei Hatzfeld gedient hat, dass Spürhunde nur bei Alarm eingesetzt werden. Trotzdem werden sich die beiden vor der Flucht mit Pfeffer einreiben, damit die Hunde sie nicht wittern können. Philipp hat während seiner Militärzeit an der bulgarischen Grenze beobachtet, wie die Wachwechsel erfolgen, wie die Soldaten patrouillieren. Eine Woche vor der Flucht fahren Philipp und Zimmermann die Grenzgegend um Hatzfeld mit dem Motorrad ab, um möglichst in keine Falle zu tappen. Sie fertigen sich Stelzen an, die wie Schneeschuhe aussehen und auf vier 15 Zentimeter langen Bolzen ruhen, um möglichst keine Spuren im Grenzstreifen zu hinterlassen. Sie ziehen los, ausgerüstet mit Kompass, Fernglas, Rasierapparat, Arbeitskleidung und einem Stock mit Schnur, an deren Ende eine Schraube baumelt, mit der sie die mit Leuchtraketen verbundenen Drähte über dem Boden orten wollen. Am 24. September 1971, einem Freitag, ist es soweit: Ein Bekannter fährt

Horst Philipp und Michael Zimmermann mit dem Wagen in Richtung Grenze. Sie starten am Nachmittag nach Dienstende. Etwa 10 Kilometer vor Hatzfeld springen die beiden auf einem Feldweg aus dem langsam fahrenden Auto und verschwinden in einem Maisfeld. Am Montag, dem 27. September, wollen sie in Österreich sein. Doch daraus wird nichts.

Fluchtausrüstung: Mit auf Stelzen montierten Schuhen wollten Horst Philipp und Michael Zimmermann die Grenze überschreiten, um keine Spuren zu hinterlassen. Mit einer peitschenähnlichen Vorrichtung haben sie Stolperdrähte ertastet. Mitgenommen hatten sie ferner Kompaß, Fernglas, Karte und Taschenmesser.

Die beiden Flüchtlinge ziehen die Schuhe aus, weil sie festgestellt haben, dass sie mit Schuhen an den Füßen schon von weitem zu hören sind: Sie nehmen die Schritte der Grenzsoldaten wahr, also müssen die auch ihre hören. Sie haben im Gepäck je ein weiteres Paar Schuhe. Bis zum Morgengrauen arbeiten sich die beiden bis in Grenznähe vor. Ein Soldat entdeckt die beiden etwa 150 Meter vor dem Grenzstreifen und fordert sie auf, stehen zu bleiben. Es fallen Warnschüsse; Leuchtraketen steigen hoch, doch sie weichen in ein Maisfeld aus und laufen über die Grenze. Ihr Plan, den geharkten Grenzstreifen auf Stelzen zu überqueren, um keine Spuren zu hinterlassen, ist gescheitert. Beinahe geraten sie wieder nach Rumänien zurück, denn die Grenze schiebt sich wie eine Ausstülpung in rumänisches Gebiet, um Klari zu umklammern. Doch sie meistern auch diese Situation. Philipp und Zimmermann laufen ständig auf serbischer Seite entlang der Grenze Richtung Süden - bis zum Umfallen. Sie bleiben liegen und schlafen abwechselnd bis zum Abend. Einer hält stets Wache. Vor Deutsch-Zerne stoßen sie auf einen mit Wasser gefüllten Kanal. Am anderen Ufer sehen sie serbische Soldaten. Sie verbringen die Nacht im Maisfeld und brechen am nächsten Morgen in Richtung Großbetschkerek auf. Ihr erstes Fernziel ist Belgrad. Der Weg dorthin führt fast schnurgerade über Großbetschkerek. Ein Autofahrer nimmt sie ein Stück Weges mit, dann marschieren sie weiter. Ein Serbe spricht beim ersten Anblick sofort von Milicija, Polizei. Das reicht den beiden. Sie ergreifen sofort die Flucht und suchen Schutz

in einem Maisfeld. Sie haben Angst, gefasst zu werden, denn die Serben schicken noch immer alle Flüchtlinge nach Rumänien zurück. Erst kurz vor ihrer Flucht haben sie vier junge Männer aus Neuarad ausgeliefert. Das wissen die beiden, was sie sehr vorsichtig macht. Kaum sind sie im Mais verschwunden, taucht ein Polizist mit Moped auf, doch der sucht sie lediglich auf Straßen und Wegen, im Maisfeld aber nicht. Nachdem der Polizist weg ist, setzen Philipp und Zimmermann den Weg fort. Ein Lastwagenfahrer nimmt sie mit nach Belgrad. Sie suchen einen Bekannten auf, den Zimmermann auf einem Flohmarkt in Rumänien kennen gelernt hat. Der fährt sie für 5000 Lei bis kurz vor Marburg an der Drau. Sie verbringen die nächste Nacht bei Kälte und Regen in einem Wald. Am nächsten Morgen gehen sie in die Stadt, um sich neu zu orientieren. Am Abend geht es weiter; Philipp und Zimmermann halten sich stets in Deckung parallel zur Hauptstraße. Sie erreichen den Stadtrand und tappen am letzten Haus in eine Falle der Grenzer: eine mit Blech abgedeckte Grube. Das Geräusch des Blechs alarmiert die Grenzer. Aber Philipp und Zimmermann geben nicht auf. Sie laufen in ein Waldstück, wechseln auf eine Wiese im Tal. Plötzlich strahlen auf einem Geländewagen montierte Scheinwerfer sie an. Sie haben Glück, weil die Soldaten die Verfolgung nicht zu Fuß aufnehmen, sondern mit dem Wagen. Philipp und Zimmermann laufen den Hügel hinauf und entkommen ihren Verfolgern, rennen den anderen Hügelhang hinunter und springen auf einen langsam fahrenden Güterzug auf und gelangen nach Laibach. Sie wissen, dass in Personenzügen im Dach ein Hohlraum ist, in den man aus dem Toilettenraum hineinkriechen kann. Sie versuchen es in einem Zug vergebens und fahren wieder zurück nach Marburg. Inzwischen sind die beiden schon seit einer Woche unterwegs und fragen einen österreichischen Busfahrer um Rat. Der rät, sie sollten es in Unterdrauburg versuchen, nach Österreich zu gelangen. Er nimmt die beiden mit dem Bus mit bis vor die Tore Unterdrauburgs. Sie gehen auf die Grenze zu und erleben, dass hier wie auch an der rumänischen Grenze Drähte gespannt sind. Philipp und Zimmermann arbeiten sich die ganze Nacht hindurch vor. Am nächsten Abend geht es weiter. Der Kompass zeigt ihnen die Richtung. Sie müssen nordwärts, dort liegt Österreich. Sie marschieren auch die zweite Nacht durch. Dann meldet sich Michael Zimmermann zu Wort: Er will nicht mehr weiter, weil er erschöpft ist. Da sieht Horst Philipp in einer Entfernung von etwa 30 Metern einen Grenzstein. Nach näherem Hinsehen weiß er, sie sind noch in Jugoslawien. Doch diese Nachricht verleiht Zimmermann neue Kraft. Sie gehen weiter den Berg hinauf und gelangen nach Sankt Oswald in Österreich. Es ist der 4. Oktober 1971. Auf einem Feldweg nimmt ein junger Mann die beiden mit seinem VW Käfer mit bis zur Dorfgaststätte. Die Wirtin ist bereit, ihnen Würstchen zu wärmen, die die beiden mit den mitgebrachten Dinar bezahlen dürfen.

Ihr rumänisches Geld haben sie in Belgrad auf der Straße eingetauscht. Gestärkt, machen sich die Flüchtlinge auf nach Eibiswald, wo sie sich Fahrkarten kaufen und den Zug in Richtung Wien nehmen. Noch am selben Tag kommen sie dort an und besuchen Philipps Schwägerin. Philipp, mit Einreisegenehmigung für Deutschland, trifft am 12. Oktober in Nürnberg ein. Michael Zimmermann, der keine Einreiseerlaubnis hat, muss sich noch gedulden. Bis zur Lösung seines Falles wohnt er noch eine Weile bei Philipps Schwägerin. In den zehn Fluchttagen haben sich die beiden Flüchtlinge von dem ernährt, was sie auf Feldern gefunden haben: von Beeren und Kürbissen oder auch schon einmal mit einem Würstchen mit Brot, das sie an einer Bude kaufen konnten. Auf der Flucht verliert Philipp zwölf Kilogramm Körpergewicht. Die Rumänen erlauben Philipps Frau und Sohn 1973 auszureisen, nachdem er 20000 Mark Kopfgeld bezahlt hat, das sein schon in der Bundesrepublik Deutschland lebender Schwiegervater nach Rumänien gebracht hat, weil Philipp nicht nach Rumänien einreisen kann: Er ist zu anderthalb Jahren Gefängnis wegen Flucht verurteilt worden. Die Philipps lassen sich in München nieder. Michael Zimmermann findet in Darmstadt ein neues Zuhause.

Am 8. Oktober in Wien von der deutschen Botschaft ausgestellt: der Ersatzpaß für Horst Philipp

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