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Ich habe den Ekel nicht mehr ertragen
Von Dorel Uşvad
Ich wurde am 16. Juni 1949 geboren, und mein Schicksal war anscheinend immer schon eng verbunden mit dem lateinischen Spruch: „Mein Land ist jenes, in dem ich Arbeit finde.“ Ich bin rumänischer Staatsbürger, aber mein Wohnsitz ist Wien. Ich stamme aus der Gegend von Bihor. Mein Vater wurde vor dem Krieg auf dem sogenannten Knechtemarkt von Banaler Schwaben als Arbeitskraft für die Landwirtschaft ausgewählt. Wenn du damals gesunde Zähne hattest und schnell laufen konntest, warst du gleich eingestellt. Dann kam der Krieg. Mein Vater wurde an die Front geschickt, zu den Gebirgsjägern. Er war Kriegsgefangener in der Tschechoslowakei, die Deutschen brachten ihn nach Hamburg. Als er ins Land zurückkehrt war, bekam er vom König gemäß einem Versprechen fünf Hektar Feld, genau an der Grenze. Morgens standen wir um zwei Uhr auf, und um sieben waren wir schon auf Vaters Feld. Wir haben auch den berühmten Tito-Zaun an der serbischen Grenze erlebt. Das erste Mal bin ich 1966, am 25. Mai, geflohen. Die Serben haben uns zurückgeschickt, wir wurden zur Polizei in Temeswar gebracht. Dort hat das Verhör begonnen, das jeder kennt, mit Brillen und der ganzen Ausrüstung. Wir waren aber minderjährig, so dass wir nicht allzu schlecht behandelt wurden. Ich war damals 16 Jahre alt. Es hing sehr viel von den Fluchtgründen ab. Manche flüchteten aus politischen Gründen, andere, Strafgefangene, um den Scherereien zu entgehen. Doch die meisten flohen vor den Kommunisten. Der Grund war psychischer Natur: Die Menschen waren von Ekel ergriffen. Das Gefängnis in Straßburg am Mieresch war zweigeteilt: In einem waren die Straftäter und im anderen die Konterrevolutionäre untergebracht. Es stimmt nicht, was damals in der Presse stand, dass ein Teil der politischen Gefangenen bei der Begnadigung von 1964 freigelassen wurde. Es waren damals fünf Minderjährige aus dem ganzen Land in Straßburg am Mieresch. Einer von uns, ein ungarischer Junge aus Zizin, ist wahnsinnig geworden, der Arme. Er konnte es nicht mehr ertragen und ist gestorben... Wir, die anderen, leben alle noch. Drei sind ins Ausland ausgewandert. Auf unseren Sträflingsanzügen war ein großer Stempelabdruck mit der Aufschrift CR (Konterrevolutionäre). Ich wurde 14 Tage lang in einem zwei mal drei Meter großen Raum isoliert, weil ich - das habe ich aus meiner Akte im Archiv des Militärgerichts Temeswar erfahren - angeblich Bonbons gegessen hatte. Glauben Sie mir, ich weiß heute immer noch nicht, was das heißen soll... Dort, in der Isolierung, war ich mit einer Kette und einem Schloss an einen großen Ring inmitten des Zimmers gebunden, und meine Hände waren auf dem Rücken gefesselt, mit sogenannten Zigeunerfesseln. Einen Tag bekam man Essen, zwei nicht. Die Notdurft erledigte man einmal pro
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Tag. Man wurde stündlich kontrolliert und musste die Position stillgestanden einnehmen. Aus dem Trank, den ich bekam, machte ich Kügelchen, die ich durch einen Spalt aufs Fensterbrett legte, damit die Spatzen sie fressen. Das war meine einzige Beschäftigung. Ich galt als ein gefährlicher Häftling. Ich erinnere mich, dass die Untersuchung bei der Securitate etwa drei Monate lang gedauert hat. Danach wurden wir ins Gefängnis verlegt. Ich erinnere mich, dass im Gefängnis viele Würdenträger waren. Dazu gehörten, glaube ich, Angelo Kingsbruner aus dem Ministerium für Außenhandel, Benjamin Schwartz, Direktor der Kugellagerfabrik in Kronstadt, Alexandru Costin, einer aus einem hohen Amt in einem Ministerium, Alexandru Orban, anscheinend der Schwiegersohn des früheren Präsidenten Brasiliens, Getulios Vargas. Bei der zweiten Begnadigung, im Jahr 1968, wurde das Strafgesetzbuch geändert, so dass unser Fluchtversuch zum einfachen Vergehen wurde. Ich gedenke, ein Buch zu schreiben über all das, was ich erlebt habe, über mein Leben in einer anderen Welt, mit anderen wie mir. Wie erwartet, war ich als Vorbestrafter allerlei Schikanen ausgesetzt, weshalb ich mich zu fliehen entschlossen habe. Ich hatte Frau und Kinder, einen Sohn und eine 19-jährige Tochter. Es hatte keinen Sinn, zu bleiben. Ich habe meine Familie versammelt und ausgerufen: „Mutti, ich gehe!“ Meine Tochter hat sich entschlossen, mitzukommen. Wir beide und ein Ingenieur haben die Flucht geplant. Es war am Abend des 7. Dezember 1989. Der Zug ist aus Gottlob abgefahren, die Leute vom Bahnhof sind auch schnell verschwunden, Nebel fiel, und ich habe mir gedacht: „Gabi kommt bestimmt nicht.“ Doch im nächsten Augenblick ist die Kleine aus dem Nebel aufgetaucht. Wir hatten keine Zeit zu verlieren. Wir haben planmäßig gehandelt. Nur mit dem Nötigsten, Kleidung und viele Vitamine, haben wir den nächtlichen Marsch durch die Wälder angetreten, die Ortschaften meidend. Wir haben die Grenze passiert. Die Schwierigkeiten haben bei Marburg, in Slowenien, an der Grenze zu Österreich, begonnen. Wir waren erschöpft. Ich trug Gabi mehr als 20 Kilometer auf dem Rücken. Der Marsch auf gefrorenem Boden war schwierig, meine Füßen waren voller Wunden. Grenzer haben uns gestellt. Ich konnte meine Tochter nicht aufgeben. Wir wurden verurteilt, doch während der Untersuchung fanden wir bei einem Oberst Verständnis. Wir hatten einen versteckten Mikrofilm mit meinem Strafregister mitgenommen, ich habe dem Offizier erklärt, welchen Gefahren ich ausgesetzt wäre, wenn man mich wieder den Rumänen ausliefern würde. Es ging mir nicht um mich, sondern um meine Tochter. Der Ingenieur, mit dem wir geflohen sind, wurde zurückgeschickt, weil er Parteimitglied war. Die Untersuchungshaft hat nicht lange gedauert, weil einige Bekannte aus Deutschland mit Geld gekommen sind. Was kann man nicht alles mit Geld auf dieser Welt erreichen? Also sind wir von dort, wo wir festgehalten wurden, ausgebrochen. Am 19. Dezember 1989 sind wir in Traiskirchen angekommen.
Am 20. Dezember haben wir einen Ausweis bekommen Es folgte die Zeit im Lager, die überhaupt nicht leicht war. Danach bekamen wir die Erlaubnis, uns frei in ganz Österreich zu bewegen. Über Stiftungen konnte man sich für eine Ausreise in die USA, Kanada oder Australien bewerben. Wir sind aber in Wien geblieben. Inzwischen hat sich unsere Lage dank der Ereignisse in Rumänien im Dezember 1989 geändert. Es gibt noch viel zu erzählen. Ich hatte Glück mit den Fremdsprachen, die ich beherrsche: Deutsch, Englisch, Italienisch und Serbisch. Eigentlich habe ich uns von den Schüssen der Serben gerettet, indem ich ihnen in ihrer Sprache gesagt habe, wer wir sind. Aber, um darauf zurückzukommen, Sie fragten mich, wie die Leute aus dem Land geflüchtet sind. Die Rumänen flohen, wie sie eben konnten: mit dem Zug, mit dem Flugzeug, mit dem Fallschirm, durch Tunnel, mit dem Paragleiter, schwimmend oder in Fässern über die Donau. Die Menschen waren verzweifelt. Eigentlich flohen sie nicht vor den Rumänen, sondern vor Rumänien. Sie versuchten dem Kommunismus zu entkommen. Der Kommunismus hat nichts mit Rumänien, mit den Rumänen gemeinsam. Er wurde uns mit Gewalt aufgedrängt. Wir konnten diesen Ekel nicht mehr ertragen und sind fortgelaufen. Viele haben es riskiert. Viele sind für immer verschwunden. Es gab auch tragisch-komische Situationen. Ein Mann hat um die Erlaubnis gebeten, nach London fahren zu dürfen, um das Grab von Karl Marx zu besichtigen... Die Menschen haben sich im Namen einer Wahrheit geopfert: Sie waren unfähig, es in diesem schrecklichen kommunistischen Gefängnis auszuhalten. Viele sind gestorben, Schlepper waren meist bezahlte Zigeuner. Das galt vor allem für das Gebiet um Tschanad. In Maisfeldern in Grenznähe sind angeblich viele Leichen mit Stichwunden gefunden worden. In Raum Bihor liefen die Leute nach der Arbeit, dem Rübenernten, samt Pferden und Wagen hinüber. Die Verzweiflung war groß.
Dorel Uşvad lebt heute in Wien und arbeitet am Empfang des Hotels „Bellevue“. Aufgezeichnet von Doina Magheţi im Mai 1995 in Temeswar; Übersetzung aus dem Rumänischen: Linda Munteanu. Der Text ist dem Buch „Die Grenze“ mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen.
Anmerkung der Herausgeber:
Vor Drucklegung ist bekannt geworden, dass Aurel Constantin Ritter von Onciul am 25. Mai 2008 nach einem Schlaganfall in Breaza gestorben ist.