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Vier in einem Schlauchboot
Christine Bolean:
Als Christine Bolean aus Ferdinandsberg am 26. Mai 1989 an der deutschen Botschaft in Belgrad anlangt, stehen die Flüchtlinge aus Rumänien Schlage. Die Flucht aus dem Reich des Diktators Ceauşescu hat unvorstellbare Ausmaße erreicht. Christine Bolean hat Glück. Ein deutscher Journalist, der der Hilflosen mit seinen Serbischkenntnissen in einer Bank in Belgrad eben zur Seite gestanden hat, führt sie an der langen Schlange vorbei ins Botschaftsgebäude. Sie erfährt wie so viele andere Flüchtlinge, dass die Zeiten vorbei sind, als jeder Deutsche aus Rumänien, der nicht jugoslawischen Grenzern oder Polizisten in die Hände gefallen ist, sofort einen Ersatzpass erhält. Auf Druck der Jugoslawen müssen sich alle im eigens für Flüchtlinge aus Rumänien eingerichteten UNO-Büro und bei der Polizei melden. Die Polizei führt sie einem Richter vor, der sie wegen illegalen Grenzübertritts verurteilt. Anschließend müssen sie die Gefängnisstrafe absitzen. Der jugoslawische Staat hat längst erkannt, dass mit den Flüchtlingen Geschäfte zu machen sind. Die UNO bezahlt für Unterkunft und Verpflegung im Gefängnis je Flüchtling und Tag 90 Dollar. Christine Bolean kommt ins Flüchtlingslager Mila Ruže, ihr Mann wird zwei Wochen im Gefängnis von Padinska Skela nördlich von Belgrad verbringen und kommt anschließend zwei Wochen in ein Arbeitslager. In Mila Ruže sind 1989 hauptsächlich Rumänen untergebracht, einige auch mit kleinen Kindern - anständige Leute, aber auch Früchtchen. Die meisten warten darauf, eine Einreisegenehmigung in die USA, nach Kanada oder Australien zu erhalten. Flucht war eine Sache, auf die Christine Bolean eigentlich nie gern angesprochen werden wollte, schon wegen ihrer alten Eltern nicht, die noch im Heimatstädtchen Ferdinandsberg im Banater Bergland lebten. Doch 1989 werden die materielle Not und die Angst vor dem Bespitzeltwerden immer größer, aber entscheidend für den Entschluss, aus Rumänien zu fliehen, ist etwas ganz anderes: Christine Bolean ist in anderen Umständen. Sie will auf keinen Fall, dass ihr Kind in jenem Elend geboren wird. Sie stimmt der Idee ihres Mannes zu, das Land zu verlassen. Am 25. Mai 1989 ist ein Fußballspiel angesetzt, das jeder rumänische Fußballanhänger im Fernsehen sehen will. Die Boleans und eine befreundete rumänische Familie wählen dieses Datum als Fluchttag aus, weil sie hoffen, dass vielleicht weniger Grenzer wachen als sonst. Ein Bekannter fährt die beiden Ehepaare mit dem Wagen auf Schleichwegen zur Donau. Der Bekannte lässt sie aussteigen; die vier verstecken sich im Gebüsch. Im Schutz der Dunkelheit blasen sie das Schlauchboot auf, schleichen über die Straße, die sie noch von der
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Donau trennt, und paddeln los. Die Wolken lichten sich allmählich, der Mond ist zu sehen. Alles läuft reibungslos, da tauchen vor ihnen Scheinwerfer auf. Sie meinen schon, eine Patrouille hätte sie entdeckt. Christine Bolean und ihre Freundin springen in Panik ins Wasser. Die Freundin kann nicht schwimmen. Sie hält sich am Boot fest, Christine Bolean hilft mit Schwimmbewegungen, das Boot weiter vorwärts zu bringen. Inzwischen hat sich herausgestellt: Die Scheinwerfer gehören zu einem Auto, das auf dem serbischen Ufer unterwegs ist. Die vier Flüchtlinge erreichen das Ufer, ziehen das Boot ins Gebüsch und marschieren bis zum Morgengrauen. Sie treffen zwei Männer und haben Angst, verraten zu werden. Doch die Männer beruhigen sie, führen sie ins Dorf, nehmen sie bei sich auf, um sie zum Bus zu bringen, mit dem sie nach Kučevo zur Bahn fahren. Als Dank schenken sie den Gastgebern ihren Schmuck. Mit dem Zug geht es weiter nach Belgrad. Das nächste Ziel der vier Flüchtlinge ist die österreichische Grenze, die sie illegal überschreiten wollen. Doch davon bringt sie ein Rumäne ab, der sie in einem Park davon sprechen hört. Er warnt sie, dass viele Rumänen dort gefasst und in Marburg an der Drau inhaftiert werden. Sie verwerfen den Plan. Sie wollen die Flucht über Ungarn fortsetzen. Christine Bolean geht in die Bank, um Geld zu wechseln und trifft den deutschen Journalisten, der ihr den Weg zur deutschen Botschaft zeigt. Weil das befreundete rumänische Ehepaar von der deutschen Botschaft keine Ersatzpässe bekommen wird, trennen sie sich. Die beiden Freunde gelangen über Ungarn nach Österreich. Über Nürnberg kommen die Boleans nach Esslingen am Neckar. Sie arbeiten anfangs schwarz, um das Geld zusammenzubekommen, das sie für die Entlassung aus der rumänischen Staatsbürgerschaft bezahlen müssen. Auf 820 Mark je Person haben die Rumänen den Preis inzwischen angehoben. Anfang der 1980er Jahre war diese Bescheinigung noch für 25 Mark zu haben. An einen Umsturz in Rumänien denkt Mitte 1989 noch keiner, sonst hätten sich die Boleans das Geld gespart.
Recht bald findet Christine Bolean eine Beschäftigung in ihrem erlernten Beruf als technische Zeichnerin über eine Zeitarbeitsfirma. Nach der Niederkunft will sie pausieren. Doch die Firma, in der sie beschäftigt war, meldet sich, um sie einzustellen, weil eine Kollegin in Rente gegangen ist. Sie sagt zu und steigt wieder ein. Christine Bolean ist der Firma bis heute treu geblieben.