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Zwei Schnäpse als Muntermacher
Klaus Kappel:
Wir schreiben das Jahr 1978. Viele Albrechtsflorer haben ihr Heimatdorf schon für immer verlassen. Sie sind nach Deutschland ausgewandert. Die meisten anderen wollen ihnen folgen, auch Klaus Kappel (Jahrgang 1951). Er lässt sich wie viele seiner Landsleute nicht abschrecken von dem, was ihn an Folter erwarten würde, sollte er beim Grenzübertritt erwischt werden. Auch er kennt die Beispiele der gefassten Grenzgänger, die die Soldaten als abschreckendes Beispiel durchs Dorf getrieben haben. Sie waren gefesselt, die Folterspuren waren deutlich zu erkennen. Aus dem nur vier Kilometer von der serbischen Grenze entfernten Albrechtsflor haben 25 Personen bis zum Fall des Eisernen Vorhangs die Flucht als Weg in die Freiheit gewählt. Zu ihnen gehört auch Klaus Kappel. „Meine Situation war hoffnungslos. Wir hatten keine Verwandten in Deutschland, und als letzter wollte ich auch nicht im Dorf zurückbleiben. So fasste ich eines Tages den Entschluss, das große Risiko einzugehen, und machte einen oberflächlichen Plan. Es musste alles gründlich durchdacht werden. Ich brauchte viele Informationen, bis der Plan endlich konkret wurde, musste mir serbisches Geld besorgen, um nach Belgrad fahren zu können. Bei Besuchen in Albrechtsflor spähte ich die Gegend aus. Ich fand heraus, dass die Beobachtungstürme an der Grenze 2,5 Kilometer voneinander entfernt waren und mein Fluchtweg nur zwischen den Türmen liegen kann. Der Entschluss reifte. Ohne meiner Fa-
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Eine Woche vor der Flucht: Klaus Kappel mit Frau Helmine und Sohn Kunibert milie etwas zu sagen, wagte ich es eines Tages. Es war der 5. Juni 1978. Ich fuhr mit dem Motorrad von Nero über Marienfeld nach Albrechtsflor durch die „Hirrescht Gass“ in Richtung Valkan. Ich kam nicht weit, und ein Grenzsoldat verlangte meine Papiere. Er fragte mich, wohin ich fahre. Geistesgegenwärtig antwortete ich: Ich besuche Verwandte, und er ließ mich fahren. Jetzt, wo der Grenzer auf mich aufmerksam geworden war, konnte ich meinen Plan nicht verwirklichen. Die Situation erschien mir lebens-
gefährlich. Deshalb fuhr ich zuerst in den Nachbarort Valkan und ging ins Wirtshaus. Dort habe ich mir mit zwei Schnäpsen Mut angetrunken. Ich fuhr auf demselben Weg zurück in Richtung Albrechtsflor. Ich beobachtete die Türme genau. An einem Beobachtungsturm konnte ich den Grenzer genau ausmachen. Ich wusste, dass ich noch anderthalb Kilometer fahren muss, um weit genug entfernt von ihm zu sein und unbeobachtet zu bleiben. Als ich das Gefühl hatte, weit genug weg zu sein, stellte ich mein Motorrad ab an einem übersichtlichen Rübenfeld und begann zu laufen. Der Schweiß stand mir auf der Stirn, ich muss kreidebleich vor Angst gewesen sein. Nach 500 Metern erreichte ich den geharkten Grenzstreifen; jetzt waren es nur noch einige Meter bis zur eigentlichen Grenze. Ich rannte, was ich konnte. Plötzlich stand ich vor einem nicht allzu tiefen Wassergraben, den ich überwinden musste. Um keine Zeit zu verlieren, überquerte ich den Graben in voller Montur. Meine graue Hose war völlig verschmutzt, in den Schuhen stand das Wasser. Ich war in Serbien. Es war alles ruhig, so dass ich mich erholen konnte. Ich musste aber sehen, dass ich so schnell wie möglich von der Grenze wegkomme. Über Mokrin gelangte ich nach Kikinda. Weil ich fremd war, musste ich nach dem Bus nach Belgrad fragen, was sich als schwierig herausstellte. Deutsch sprach hier niemand. Nachdem ich die Busstation gefunden hatte, sagte man mir, der Bus sei ausverkauft, ich müsste die Fahrkarte privat kaufen. Die Abfahrtszeit näherte sich, und ich war immer noch sehr aufgeregt. Ich stieg einfach ohne Fahrkarte in den Bus ein. Als ich noch einen Deutschen kennen gelernt hatte, fühlte ich mich erleichtert. Der Bus erreichte gegen 17 Uhr Belgrad. Dort fragte ich mich durch zur deutschen Botschaft und wurde am Eingang von einem Posten auf Waffen und Akten kontrolliert. Ich musste Bilder für den Ersatzpass machen lassen. Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Orient-Expreß über Graz und München nach Nürnberg in die Freiheit. Meine Familie musste keine Repressalien erdulden, meine Frau und mein Sohn konnten aber erst im November 1979, also 17 Monate später, zu mir in den Westen kommen.“
Klaus Kappel hat als Dreher im Temeswarer Betrieb für elektrische Messgeräte IAEM gearbeitet, in Mannheim ist er bei Mercedes beschäftigt. Die Geschichte hat Peter Feisthamel aufgezeichnet.