2 minute read

Der Hinrichtung knapp entgangen

Dieter Weidenhof:

Als Dieter Weidenhof am 8. März 1979 nach Hause kommt, erkennt seine Frau ihn nicht wieder. Sein Gesicht ist entstellt von den Schlägen, die er in der vorvergangenen Nacht bezogen hat. Ein Dutzend Grenzsoldaten ist über ihn und seinen Freund hergefallen, zuerst direkt an der rumänisch-serbischen Grenze, unweit bei Ostern, dann in dem Grenzerstützpunkt Hatzfeld. Sie haben ihn getreten, mit Gewehrkolben und Gummiknüppeln geschlagen. Zweimal ist er bewusstlos geworden. Der Unterkiefer ist gebrochen, das Steißbein angebrochen. Nach zwei Tagen lassen ihn die Grenzer laufen. Er darf nach Hause, sein Freund Walter auch. Die beiden sollen als abschreckendes Beispiel durch Hatzfeld gehen Dieter Weidenhof und all jene mahnen, die sich mit ähnlichen Gedanken umhertragen. Dieter Weidenhofs Freund Walter ergeht es am schlimmsten. Weil beide nicht verraten wollen, wer sie in Grenznähe gefahren hat, legen sie Walter auf einen Tisch und prügeln so lange mit dem Gummiknüppel auf die Fußsohlen, bis er es nicht mehr aushält und den Fahrer nennt. Doch zurück zur Flucht: Schon einige Male haben die beiden Freunde, die Arbeitskollegen in der Hatzfelder Schuhfabrik sind, über Flucht gesprochen und Pläne geschmiedet. Am 4. März 1979 ist es soweit. Sie wollen das Unternehmen starten. Ein dritter Hatzfelder fährt sie mit dem Wagen auf dem Umweg über Großkomlosch bis an die Stelle, wo die Landstraße bei Ostern am nächsten zur Grenze liegt. Gegen 23 Uhr steigen sie aus und beginnen, über die Felder zu robben. Sie bewältigen die etwa vier Kilometer lange Strecke bis zur Grenze, durchschneiden mit der Zange Stacheldraht, überwinden einen drei Meter tiefen Graben, sehen vor sich eine dunkle Erhebung und meinen, die gehöre schon zu Serbien. Als sie sich nähern, entpuppt sich die Erhebung als Maislaubschober. Dahinter steht ein rumänischer Grenzsoldat. Die beiden Flüchtlinge jagen dem Soldaten den Schrecken in die Glieder. Sie versuchen, ihn zu beruhigen, bieten ihm Geld an, damit er sie laufen lässt, doch alles vergebens, der hat Angst und feuert

Advertisement

eine Leuchtrakete ab. Im Nu ist ein Dutzend Grenzsoldaten mit Spürhunden um die beiden Flüchtlinge versammelt. Zu dem Zeitpunkt hätte eine Völkerwanderung über die Grenze stattfinden können, sagt Weidenhof, denn auf dem ganzen Abschnitt war sie nicht mehr bewacht. Die Soldaten sind mit den beiden Gefangenen beschäftigt. Einige beginnen, wild zu schießen. Kugeln schlagen zehn Zentimeter von den beiden Gefassten in den Boden. Einer will die beiden sogar erschießen. Doch der Soldat, den sie überrascht haben, legt sich für sie ins Zeug und lässt das nicht zu. Hätte der Soldat nicht eingegriffen, es hätte an jenem frühen Morgen des 5. März 1979 zwei weitere Hinrichtungen an der rumänischserbischen Grenze gegeben. Bis die mit Draht Gefesselten im Grenzerstützpunkt den Offizieren übergeben werden, sind sie schon zweimal bewusstlos geschlagen worden. Der Fahrer, der die beiden in Grenznähe gebracht hat, kommt mit einer Geldstrafe davon. Dieter Weidenhof und sein Kumpel werden nach zwei Tagen Arrest als abschreckende Beispiele freigelassen, ein Prozess bleibt ihnen erspart. Weidenhofs Freund hat eine gebrochene Rippe. Ein Jahr später hält Dieter Weidenhof die Pässe in der Hand. Er verlässt mit Frau und den beiden Kindern Hatzfeld in Richtung Deutschland. Er findet Arbeit als Hausmeister. Die Stelle hat er auch heute noch.

This article is from: