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Mit der Luftmatratze über die Donau

Von Franz Weszely

14. Juli 1980. Es ist Montag, 7 Uhr. Meine Frau bereitet sich vor, um zur Arbeit zu gehen, und fragt, „hast du auch nichts vergessen, fehlt nichts in deinem Gepäck“, das ich schon am Vorabend zurechtgerichtet habe. Der Augenblick des Abschiednehmens ist gekommen, der mit der Hoffnung verbunden ist, die Zukunft der ganzen Familie neu zu ordnen. Es ist ein schwerer Abschied von Frau und Kindern. Um 9.30 Uhr läutet mein erster Partner an der Haustür. Gheorghe Grecu ist als erster Franz Weszely gekommen. 20 Minuten später trifft Trandafir Monea ein. Ich überprüfe erneut die Schwimmhilfen und trage sie ins Auto. Jetzt heißt es auch Abschiednehmen von den Kindern, denen ich die Wahrheit nicht sagen darf. Sie müssen sich mit der Lüge abfinden: Vater fährt nach Lugosch und Konstanza. Um 10.30 Uhr fahren wir los und halten nicht mehr in Reschitz. In Orawitz kaufe ich die letzten Sachen für den Weg: eine Batterie für die Armbanduhr, es ist ein Gelegenheitskauf zum Preis von 75 Lei. In einem Schnellimbissrestaurant essen wir zu Mittag. Die Kontrollen der Grenzer auf dem Weg nach Drencova verlaufen problemlos. Hinter Neumoldowa suchten wir die Ablegestelle aus. Etwa 25 Kilometer vor Orschowa halten wir auf einem relativ großen Parkplatz, um Quellwasser zu trinken, kühlen eine Flasche Bitter, um Zeit für das Erkunden der Umgebung zu haben. Um nicht aufzufallen, fahren wir weiter in ein nahegelegenes Dorf zu einem Verwandten meines Bekannten namens Belodedić. Wir wollten Fische kaufen, sagen wir den Grenzern, die uns kontrollieren. Zu Hause sind allerdings nur die Oma und Belodedićs Schwester, die uns zum Essen einladen. Bis zum Abend ist die Flasche Bitter leer und der Hausherr eingetroffen. Auf unsere Bitte hin holt er Hausherr noch eine Flasche Bitter aus dem Dorfladen. Wir haben Belodedić gut zugeprostet mit dem Hintergedanken, ihn soweit unter Alkoholeinfluss zu setzen, dass er unseren Abschied nicht überwachen kann. Während die drei weiter trinken, lege ich mich um 1 Uhr

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schlafen. Kurz vor 3 Uhr wecken sie mich. Ich stehe auf, wir verabschieden uns mit dem Versprechen, nächste Woche wiederzukommen. Wir haben sehr aufgepasst, dass er nichts von unserem Vorhaben erfährt 15. Juli 1980. Um 3 Uhr erreichen wir den Parkplatz mit der Quelle, den wir uns als Ablegestelle für unsere Flucht ausgesucht haben. Die Luftmatratzen liegen in Kisten bereit. Lediglich das Kopfkissen meiner Matratze ist noch nicht aufgeblasen. Grecu und Monea legen als erste ab. Ich blase die Luftmatratze noch fertig auf. Inzwischen bemerke ich, dass sich die beiden schon ein gutes Stück vom Donauufer entfernt haben. Das jagt mir den Schrecken in die Glieder, so dass auch ich sofort mit der Luftmatratze ins Wasser gehe. Der Start ist einfach. In der Strommitte gerate ich ins Scheinwerferlicht eines gegen den Strom ankämpfenden Schiffes. Ich ignoriere den Ruf vom Schiff, weil ich weiß, dass es genau so fatal wäre, jetzt zu stoppen wie umzukehren. Ich gleite von der Luftmatratze, muss mein Gepäck neu ordnen und beginne mit der bloßen Hand zu rudern. Die Paddel hat der Strom mitgenommen. All das zusammen bewirkt, dass ich weit abtreibe, aber ich strenge mich an, weil ich erwarte, dass mich Grenzer mit einem Schnellboot suchen werden. Ich rechne damit, dass die Besatzung des Frachters die Grenzer über meine Flucht informiert. Als ich mir keine Chancen mehr ausrechne, das Ufer zu erreichen, bemerke ich vor mir im Wasser trockenes Geäst. Ich weiß jetzt, das rettende serbische Ufer kann nicht mehr weit sein. Und tatsächlich: In etwa 25 Meter Entfernung ist das Ufer auszumachen. Ich verlangsame das Tempo, rudere ruhig, um nicht von serbischen Grenzern entdeckt zu werden. Ich bin angekommen, nass, allein, freue mich, aber die Kälte ist unerbittlich. Ich raffe meine Sachen zusammen und folge dem Ufer, um die beiden anderen zu finden. Ich muss etwa anderthalb Kilometer auf Asphalt zurückgelegt haben und mich in Höhe des Autos befunden haben, das wir am rumänischen Ufer haben stehen lassen. Weil ich keinen der beiden finden kann, verstecke ich mich in einem Wäldchen, aus dem ich die Straße beobachten kann.

Hochbetrieb am rumänischen Ufer

Bei Sonnenaufgang ziehe ich mich aus, um meine Kleider zu trocknen. Am rumänischen Ufer bemerke ich Hochbetrieb. Grenzer sind mit dem Schnellboot unterwegs, um uns zu suchen. Soldaten haben das zurückgelassene Auto umstellt, sie können den Motor nicht abstellen und die Scheinwerfer nicht ausschalten. Wir haben den Motor laufen und die Scheinwerfer brennen lassen, um einige Minuten Vorsprung gewinnen zu können, ehe sie uns zu suchen beginnen. Gegen 9 Uhr fahren sie das Auto zum Grenzerstützpunkt. Den ganzen Tag

verbringe ich an dieser Stelle. Alles, was mir geblieben ist, sind ein paar geräucherte Würste. Alles andere musste ich wegwerfen, die fünf Schachteln Apolonia-Zigaretten, die Streichhölzer, alles war nass. Am Nachmittag setze ich mich in die Sonne ans Donauufer, in der Hoffnung, dass mich meine beiden Kollegen finden. Um 19 Uhr entdecke ich eine Person, die vor mir steht und mich anblickt. Ich stehe auf, um die Straße zu überqueren und erkenne Grecu. Von Monea wisse er nichts. Er sei etwa 15 Kilometer über die Höhen gegangen, habe unsere Namen gerufen, doch niemand habe ihm geantwortet. Schließlich sei er einem Bach bis zum Donau-Ufer gefolgt und habe mich so gefunden. Wir essen von dem Brot und von den Konserven, die Grecu über die Donau gerettet hat. Weil wir Monea bis 22 Uhr nicht finden, starten wir zu Fuß in Richtung Belgrad. 16. Juli 1980. Wir gehen die Nacht durch und hüten uns, entdeckt zu werden. Taucht ein Auto auf, verlassen wir die Straße und verstecken uns. Am Morgen legen wir eine Pause ein, um danach den Weg fortzusetzen und immer wieder zu verschwinden, wenn ein Fahrzeug auftaucht. Durch einige Dörfer sind wir tagsüber gegangen, doch am Nachmittag müssen wir uns wieder wegen des dichten Verkehrs verstecken. Den ersten Tag bringen wir relativ gut hinter uns, wir haben noch Kraft und Essen. Mit Einbruch der Dunkelheit brechen wir erneut auf. 17. Juli 1980. Wir können den Weg nicht lange fortsetzen, sind physisch am Ende, hungrig, unausgeschlafen und haben Blasen an den Fußsohlen. Ich gleich fünf am rechten Fuß, ich weiß nicht mehr, wie ich auftreten soll. Weil uns aber auch Trinkwasser fehlt, sind wir ganz fertig. In der Nacht schleichen wir durch ein Städtchen, ohne Wasser zu finden. Am Stadtrand betrete ich einen Hof und fülle die Wasserflasche. Wir stillen den Durst und legen uns in einem Wäldchen schlafen. Die Luftmatratzen tragen wir noch immer mit. Bei Tagesanbruch geht es weiter. Weil die rumänische Grenze schon weit hinter uns ist, werden wir mutig und marschieren den ganzen Tag. Größere Ortschaften umgehen wir und ernähren uns von Obst, das wir am Wegesrand finden. Die Ruhepausen sind stets kurz. Am Abend versuchen wir an einer Tankstelle, per Anhalter weiterzukommen. Doch keiner nimmt uns mit. Wir legen uns wieder in einem Wäldchen schlafen. Weil uns Stechmücken plagen, entfachen wir ein Feuer und schlafen abwechselnd bis zum Morgen. Dann geht es weiter. Um 11.45 Uhr nimmt uns der Fahrer eines gelben Kleinwagens mit und setzt uns in der Mitte einer Kleinstadt ab. Weil wir kein jugoslawisches Geld haben, geben wir ihm 50 Lei. Nach der Ankunft sage ich Grecu, er soll auf der Straße warten, während ich in Geschäfte gehe, um Geld zu wechseln. Kaum habe ich Grecu allein gelassen, fordert ein Polizist ihn auf, sich auszuweisen. Ich verzichte auf mein Vorhaben und verfolge die beiden aus der

Distanz. Auf Umwegen nähere ich mich Grecu, doch als er mich erblickt, bedeutet er mir, ich sollte umherspazieren. Ich gehe an ihm vorbei, als ob wir uns nicht kannten, in der Überzeugung, der Polizist hat ihn als Köder aufgestellt. Ich schlage erneut einen Umweg ein, um ihm, allerdings aus einer anderen Richtung, zu begegnen. Doch Grecu ist verschwunden. Nach etwa zwei Stunden gehe ich zum Bahnhof. Vielleicht ist Grecu dorthin gegangen, denn er hat irgendwann vorschlagen, wir sollten der Bahnlinie bis nach Belgrad folgen. Auch am Bahnhof finde ich ihn nicht. Entlang der Schienen erreiche ich den Stadtrand, kehre in die Stadt zurück und marschiere auf der Straße in Richtung Belgrad. Vom Stadtrand sehe ich in einiger Entfernung einen Mann mit rotem Hemd. Hoffnung keimt auf: Es könnte Grecu sein, der auch mein Gepäck bei sich hat. Und tatsächlich, er ist es. Der Polizist hat Grecu laufen lassen, der sich lediglich mit einem Militärpass ausweisen konnte, den Personalausweis hatte er zu Hause gelassen. Dafür hat er sich allerdings auf die Suche nach mir begeben, in der Hoffnung mich beim Schwarzhandel zu ertappen. 18. Juli 1980. Es ist Morgen, wir sind sehr müde und hungrig, wir hoffen, per Anhalter weiterzukommen. Wir müssen nicht lange warten, und ein Kleinwagen mit Anhänger hält an. Der Fahrer spricht soviel Rumänisch, dass wir uns verständigen können. Wir wollen um 11.30 Uhr in Belgrad am Bahnhof sein, um nach Temeswar zu fahren, sagen wir ihm. Sein Ziel ist jedoch nicht die jugoslawische Hauptstadt. Der Fahrer setzt uns unweit der Autobahn ab. Er nimmt unseren Vorschlag an, Geld zu wechseln. Für eine 1000-Dinar-Banknote geben wir ihm 1200 Lei. Fürs Mitnehmen will er kein Geld annehmen. Am Ende der Autobahn, die nach Belgrad führt, stoppt ein Wagen mit deutschem Kennzeichen. Mit dem Fahrer, der auch ein wenig Rumänisch spricht, unterhalte ich mich auf Deutsch. Er ist Gastarbeiter in Deutschland. Er nimmt uns mit bis vor die Tore Belgrads mit. Zum Preis von 106 Dinar fahren wir mit einem Taxi zum Bahnhof. Unser Gepäck können wir nicht abgeben, denn in der Aufbewahrungsstelle muss sich jeder ausweisen, und im Belgrader Bahnhof patrouillieren sehr viele Polizisten. Wir lassen uns in einem Friseursalon rasieren, essen in einer Kneipe Leber und trinken je ein Bier dazu. Zusammen geben wir dafür 180 Dinar aus. Wir kommen zu dem Schluss, dass das Leben teuer ist und wir schon bald kein Geld mehr haben werden, wenn wir so weitermachen.

Über die UNO ins Gefängnis

Am Abend wollen wir mit dem Zug nach Laibach fahren und uns in Richtung italienische Grenze vorarbeiten. Wir spazieren durch die Stadt, kommen in einen Park und stellen fest, dass wir noch zu viel Gepäck haben. Grecu entledigt sich seiner Luftmatratze. Ich werfe eine ziemlich schmutzig gewordene Jacke

weg, ferner eine Unterhose, ein Unterhemd und meine Sandalen. Ein Paar Socken schenke ich Grecu, denn er hat keine mehr. Danach gehen wir wieder zum Bahnhof, um von der nahegelegenen Post zu Hause anzurufen. Auf der Post bringe ich die Telefonnummer der deutschen Botschaft in Erfahrung. In der Botschaft meldet sich eine Frau, die mir sehr zuvorkommend sagt, ich solle vorbeikommen. Ich werfe eine Ansichtskarte für meine Familie in den Briefkasten, lasse Grecu mit dem Gepäck im Park zurück und fahre mit dem Taxi zur Botschaft. Die Fahrt kostet 90 Dinar. Den Polizisten vor der Botschaft ignoriere ich. Die Frau, die ich schon am Telefon gesprochen habe, macht mir klar, ich könne Jugoslawien nur dann legal verlassen, wenn ich mich im UNO-Verbindungsbüro melde. Ein UNO-Mitarbeiter werde uns zur Polizei begleiten. Ich versuche, der Frau in der Botschaft zu erklären, es sei lachhaft, dass wir uns nach all dem, was wir unternommen haben, um nicht von der Polizei entdeckt zu werden, nun freiwillig stellen sollten. Weil das aber der einzig legale Weg sei, wollten wir uns fügen. Nach zwei Stunden verlasse ich die Botschaft, hole Grecu im Park neben dem Bahnhof ab. Wir kommen im UNO-Gebäude nach Dienstschluss an. Eine Putzfrau ruft sofort die Polizei. Wir laufen aber nicht mehr weg, sondern beschließen, uns zu ergeben. Die Polizei in einer nahegelegenen Dienststelle ist bis Mitternacht mit uns beschäftigt. Sie nimmt unsere Daten auf, droht uns mit Abschiebung nach Rumänien. Danach fahren Beamte uns ins Hauptquartier der Belgrader Polizei. 19. Juli 1980. Die ganze Nacht verbringen wir auf einem Brett in einer Zelle, ohne uns ausstrecken zu können. Trinkwasser fehlt. Morgens geht es zum Verhör: zuerst zur Polizei, dann zum Passdienst, wo ein Polizist als Dolmetscher auftritt. Er spricht sehr gut Rumänisch. Das ganze dauert bis in den Nachmittag hinein. Danach stecken sie uns wieder in die Zelle. Doch wir werden wieder abgeholt und erhalten unser Gepäck. Ein Inhaftierter, der Deutsch spricht, übersetzt uns das Richterurteil: 15 Tage Haft wegen illegalen Grenzübertritts. Am Abend werde wir zusammen mit anderen Verurteilten ins Gefängnis nach Padinska Skela, 20 Kilometer nordöstlich von Belgrad, gefahren. 20. Juli 1980. Auch die kommende Nacht verbringen wir in einer sehr dreckigen Zelle ohne Betten zusammen mit weiteren Gefangenen. Sie lassen uns noch immer im ungewissen, was mit uns geschehen wird. Wir haben Pech, dass es Sonntag ist, denn so folgt eine weitere Nacht in dieser Zelle. Das einzig Positive: Wir erhalten eine warme Mahlzeit, die allerdings ekelhaft ist. In der Zelle erfahren wir nach und nach, was uns in etwa erwartet. 21. Juli 1980. Es ist Montag. Am Morgen werden wir in die Registratur geführt; sie nehmen uns unsere Habe, Geld und die Kleider, wir werden in Häftlingskleidung gesteckt. Frisch gewaschen, kommen wir in die Friseurstube.

Grecu ist der erste, der dran kommt. Der Friseur schneidet ihm das Haar ganz kurz. Mir bleibt das schon erspart, denn inzwischen weiß der Friseur, dass wir Ausländer sind, denen das Haar nur auf Wunsch geschnitten wird. An meinen Kopf wagt sich der Friseur nicht mehr heran. Die neue Zelle ist nicht mit der alten zu vergleichen: Sie ist sehr sauber. Es ist uns verboten, sie mit Schuhen zu betreten. Von 5 bis 20 Uhr darf nicht geschlafen werden. 22. Juli 1980. Die Gefängnisordnung sieht vor: Aufstehen um 4.30 Uhr, Mittagessen um 13 Uhr und Abendessen um 18.30 Uhr. Ab heute müssen wir arbeiten. Um 8 Uhr geht es in den Gefängnisgemüsegarten. Heute haben wir die Kohlplantage mit der Hacke aufzulockern und das Unkraut zu beseitigen: für mich eine sehr schwere, weil ungewöhnliche Arbeit. Am Nachmittag kann jeder seine Zeit frei gestalten: Schach spielen, lesen - aber es stehen nur Bücher in serbischer Sprache zur Verfügung - fernsehen, spazieren, Fußball oder Basketball spielen. 23. Juli 1980. Dasselbe Programm wie gestern. Ich verfolge am Fernseher die Olympischen Spiele von Moskau, obwohl ich nicht viel verstehen kann; abends sehe ich mir Filme an. Seit gestern Nachmittag wissen wir, dass es in dem Gefängnis auch ein UNOLager für Flüchtlinge aus kommunistischen Ländern gibt, die nach Australien, Österreich, Italien, Amerika, Deutschland, aber auch in andere Länder ziehen wollen. Jetzt sind wir überzeugt, sie werden uns nicht nach Rumänien zurückschicken, denn wir können durchs Fenster mit denen aus dem UNO-Lager sprechen. Weil wir keine Zigaretten mehr haben, tragen wir uns auf die Liste derer ein, die am Donnerstag einkaufen wollen. 24. Juli 1980. Wegen schlechten Wetters müssen wir heute nicht zur Arbeit. Den ganzen Tag verbringen wir im Hof oder vor dem Fernseher. Fast stündlich gehe ich ans Fenster, um mit den UNO-Insassen zu sprechen. Ich will wissen, wer neu angekommen ist und ob Monia, unser verschwundener Fluchtkamerad, in einem anderen Gefängnis sitzt. Aber keiner weiß etwas. Am Nachmittag bekommen wir unsere Bestellungen: Ich 15 Schachteln jugoslawische Zigaretten und eine Stück Seife, Grecu zehn Schachteln Zigaretten. 25. Juli 1980. Normales Morgenprogramm. Wir fahren hinaus, um Kohl zu pflanzen. Die Arbeit ist nicht so schwer, aber mir sagt die Bewegung an der freien Luft besser zu als den anderen. Ich gehöre zu jenen, die stets am schnellsten fertig sind. Grecu stellt sich so an, als ob er nichts könnte. Er fragt dauernd, wie dies oder jenes gemacht werde. Zum Schluss helfe ich ihm, damit er mit seiner Reihe fertig wird. Wer im Gemüsegarten arbeitet, bekommt um 10 Uhr Brot und Pastete. Die jugoslawische Pastete schmeckt viel besser als die rumänische. Am Nachmittag stehe ich erneut am Fenster, um zu erfahren, wer aus Rumänien eingetroffen ist.

26. Juli 1980. Wir hoffen, heute frei zu bekommen, denn es ist Samstag, und samstags wird in Jugoslawien nicht gearbeitet. Nachdem die Häftlinge, die in der Stadt arbeiten, das Gefängnis verlassen haben, müssen auch wir raus, um die Blumenbeete vor dem Gefängnis zu jäten. Jetzt haben wir Gelegenheit, mit einer Gruppe von Rumänen zu sprechen, die gesondert untergebracht sind und auf die Abreise nach Australien warten. Sie haben die ärztlichen Untersuchungen schon hinter sich; sie sind besser untergebracht, aber von allen anderen im Gefängnis isoliert. Sie haben schon die Gewissheit, dass sie in die freie Welt kommen, denn sie haben schon die Einreiseanträge in der britischen Botschaft gestellt. 27. Juli 1980. Arbeitsfreier, ruhiger Tag. Den ganzen Tag verbringe ich im Hof in der Sonne oder vor dem Fernseher. Als Abwechslung blättere ich in Zeitschriften, die die Häftlinge mitbringen, die in der Stadt arbeiten. Darunter sind auch Sexzeitschriften. Die Häftlinge verdienen in der Stadt an die 120000 Dinar im Monat, damit können sie sich einiges leisten. Zwei Tage nach dem Kauf habe ich keine Seife mehr. Sie ist mir unter dem Kopfkissen heraus geklaut worden. 28. Juli 1980. Beim Morgenappell melde ich dem Kommandanten, dass ich Fieber hätte. Um 9 Uhr bin ich beim Arzt, der ein bisschen Deutsch kann und mir Medikamente verabreicht. Unter den jugoslawischen Gefangenen treffe ich auch anständige Leute, mit denen ich mich anfreunde. Am Fenster wird die Ankunft einer weiteren Gruppe von Rumänen gemeldet. Sie stammen aus dem Kreis Temesch an der serbischen Grenze und aus Bukarest. 29. Juli 1980. An diesem Donnerstag bekommen wir erneut Zigaretten und ein Stück Seife. Auf dem Feld müssen wir Erbsen hacken, eine relativ leichte Arbeit, aber die Hacke muss dauernd in Bewegung sein. Nach dem Mittagessen sehe ich mir die Sendung von den Olympischen Spielen an, draußen ist es viel zu heiß. 30. Juli 1980. Wir sind erneut auf dem Feld. Diesmal pflanzen wir wieder Kohl. Dieses Mal werde ich gelobt, aber das lässt mich kalt, denn das Lob bringt mir sonst nichts ein.

Isolationshaft für Arbeitsverweigerung

Ein ägyptischer Freund namens Sosep Hasem weigert sich, zu arbeiten, und kommt dafür in Isolationshaft. Bei den Emigranten hat sich erneut etwas getan. Ein Schub ist in der Nacht in Richtung Australien abgeflogen; ihr Platz ist aber schon von Neuankömmlingen aus Rumänien eingenommen worden.

31. Juli 1980. Beim Kohlhacken bekomme ich Wasserblasen in den Händen, die Feldarbeit ist mir überdrüssig geworden, aber die Zeit musste irgendwie verstreichen. Erstaunt bin ich, wie viele Rumänen flüchten; das hätte ich nie geglaubt, hätte ich es nicht gesehen. 1. August 1980. Wider Erwarten müssen wir erneut zur Arbeit aufs Feld. Grecu beginnt Krautpflanzen auszuhacken; er schlägt stets zu, wenn die Aufsicht woandershin blickt. Beim Abendappell fallen auch unsere Namen. Wir gehören zu jenen, die am nächsten Morgen die Anex-Gruppe verlassen, um in jene der Freizulassenden versetzt zu werden. Die letzte Nacht als Gefangene steht uns bevor. Ich kann jedoch nicht richtig schlafen. 2. August 1980. Der langersehnte Tag bricht an. Wir müssen nicht mehr hinaus aufs Feld. Um 8.30 Uhr liefern wir die Sträflingskleidung ab und legen unsere Zivilkleidung an. Wir werden zu den Emigranten verlegt und treffen Leute aus aller Herren Länder: aus der DDR, aus der Sowjetunion, aus Bulgarien, aus dem Iran, dem Irak, aus Jordanien. Das hätte ich nicht erwartet: So viele Jugendliche, die sich nach Freiheit sehnen und dafür selbst ihr Leben riskieren. Und noch ein Gedanke geht mir durch den Kopf: Rumänien verliert seine mutigsten Jugendlichen, die das Land dringend brauchte; doch mit diesem politischen System wird es noch zahlreiche weitere verlieren. Allein im vergangenen Jahr sollen 40 000 dem Land den Rücken gekehrt haben. In dieser Gefängnisabteilung wollen alle wissen, wie der andere es geschafft hat. Einige berichten von Erschießungen an der Grenze, und ich muss an Monea denken, von dem ich nicht weiß, wo er ist. 3. August 1980. Wir sind isoliert in einem großen, vergitterten Raum und warten, dass jemand kommt und uns die Freilassung mitteilt, aber es kommen nur die Wärter mit dem Essen. Betten haben wir keine, alle, außer mir, müssen auf dem Boden schlafen. Ich habe noch meine Luftmatratze, die ich aufblase, um mich draufzulegen. Wir diskutieren, spielen Schach oder Backgammon. Es kommen immer wieder neue Flüchtlinge an; es hat den Anschein, als ob sich seit meiner Flucht etwas Schlimmes ereignet hat. 4. August 1980. Wir warten alle ungeduldig, dass der Gefängnisdirektor auftaucht, um die ersten Abgänge zu verkünden. Weil er nicht kommt, steigt die Spannung. Den ganzen Tag verbringen wir mit Spielen. 5. August 1980. Wir sind uns sicher, heute muss es passieren. Doch wir täuschen uns. Nach dem Mittagessen beschließen wir, die wir nach Deutschland wollen, am Abend in den Hungerstreik zu treten. Aber dann die Wende: Ein Aufseher kommt und bittet die für Deutschland bestimmten Insassen hinaus zum Fotografieren, der UNO-Beauftragte sei gekommen. Wir sind jetzt über-

zeugt, dass die deutsche Botschaft über unser Schicksal informiert ist. 6. August 1980. Der UNO-Beauftragte hat uns versprochen, dass wir am 7. August hier rauskommen. Dann doch noch eine Überraschung: Sie teilen uns mit, wir sollten unsere Sachen packen, es geht zur UNO-Verwaltung in Belgrad. Um 9 Uhr stehen wir am Gefängnistor mit unserem Gepäck. Sie ernennen mich zum Gruppenchef, geben mir Geld, mit dem ich für alle sieben Busfahrkarten kaufen soll. Bei der UNO bekommt jeder 2500 Dinar, davon muss jeder 2330 Dinar für die Eisenbahnfahrkarte nach Nürnberg ausgeben. Ein UNOMitarbeiter sammelt das Geld ein, um uns die Fahrkarten zu besorgen. Die nächste Nacht verbringen wir auf UNO-Kosten im Hotel. Auch das Essen ist frei. Am nächsten Morgen müssen wir um 8 Uhr in der deutschen Botschaft sein. 7. August 1980. Nach der ersten richtigen Mahlzeit seit der Flucht und nach der ersten Nacht in einem richtigen Bett fällt das Aufstehen am nächsten Morgen leicht. Um 7 Uhr bin ich schon vor der deutschen Botschaft. Wir bitten, auf den Hof gelassen zu werden, damit wir uns in Sicherheit fühlen können. Die Antragsformulare sind rasch ausgefüllt. Um 11 Uhr halte ich einen deutschen Reisepass in Händen. Damit gehe ich mit den anderen zur UNO, die uns die Durchreisevisa in der österreichischen Botschaft besorgt. Der Versuch scheitert, eine Telefonverbindung mit Rumänien herzustellen. 8. August 1980. Ich schlafe erneut sehr gut im Hotel; nach dem Mittagessen geht es erneut zur UNO, die uns das letzte rumänische Geld in Dinar umtauscht und uns die Pässe und die Fahrkarten aushändigt. Auf dem letzten Spaziergang durch Belgrad kaufe ich mir Essen für die Reise und eine Brieftasche. Unser Zug fährt um 15.40 Uhr los. Wir sind zu sechst: vier Mann aus dem Kreis Temesch im Südwesten Rumäniens und zwei Mann aus der DDR. Um 1.15 Uhr erreichen wir Österreich, über Salzburg geht es nach Bayern. 9. August 1980. Wir sind in Deutschland. Wir erleben eine neue Welt mit geordneten Fluren. Noch vor 10 Uhr erreichen wir München. Schon um 10.15 Uhr geht es weiter nach Nürnberg, wo uns ein Taxifahrer ins Übergangsheim bringt. An der Rezeption erhalten wir ein Lunchpaket für zwei Tage. 10. August 1980. Es ist Montag. Der Lauf durch die Ämter beginnt und ist am späten Nachmittag beendet.

Franz Weszely, geboren am 18. Oktober 1942 in Karansebesch, arbeitet vor der Flucht als Fahrer im Eisenhütten-Werk in Reschitz. Er lässt sich in Krefeld nieder. Trandafir Monea ist die Flucht nicht gelungen. Die Strömung der Donau hat ihn zurück ans rumänische Ufer getrieben. Er ist über die Berge in Richtung Herkulesbad nach Hause gelangt, ohne dass ein Grenzer ihn entdeckt hätte. Er ist inzwischen gestorben. Gheorghe Grecu ist von Belgrad nach Australien gegangen, wo er eine neue Heimat gefunden hat.

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