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Mit dem gepanzerten Geländewagen in die Freiheit
Johann Schmaltz:
Als Johann Schmaltz und sein Arbeitskollege am 25. Oktober 1980 mit einem allradgetriebenen Geländewagen bei Fienenfeld im Banat durchs Weizenfeld in Richtung serbische Grenze fahren, fallen Schüsse aus den Maschinenpistolen zweier Grenzsoldaten. Die Kugeln aus den Kalaschnikows prallen von dem neuen Wagen ab, den beiden Flüchtenden passiert nichts. Kaum haben die Soldaten das Feuer eröffnet, müssen sie es auch schon einstellen. Der am 4. November 1956 in Saderlach im Banat geborene Schmaltz und sein rumänischer Kollege haben genau die Stelle zur Flucht ausgesucht, wo die Grenze halbJohann Schmaltz kreisförmig ins serbische Gebiet hineinstülpt. Als die beiden mit dem Auto von einer links des Halbkreises stehenden Erdölsonde, die sie angeblich reparieren wollten, mit dem Geländewagen losfahren, sitzen zwei Soldaten genau an den Stellen, wo der Radius den Halbkreis abdecken würde. Im Augenblick, wo der Jeep diese gedachte Linie erreicht, müssen die beiden aufhören zu feuern, denn sonst könnten sie sich gegenseitig treffen. Danach dürfen sie nicht mehr schießen, weil die Kugeln serbisches Gebiet erreicht hätten. Schmaltz weiß, wo die beiden Soldaten sitzen. Er ist eben von der ersten Plattform des Förderturms herabgestiegen. Ein dritter Soldat sitzt in einiger Entfernung zum links postierten. Er kann nicht eingreifen, denn sein Kollege sitzt ihm im Weg. Schmaltz und sein Arbeitskollege haben es geschafft. Die Rundumpanzerung des Geländewagens hat sie geschützt, Mühe und lange Planung haben sich gelohnt. Auch die Windschutzscheibe des Autos ist mit fünf Millimeter starkem Blech unterlegt. Schmaltz als Beifahrer gibt seinem fahrenden Kollegen Anweisungen, wie er den Wagen zu steuern hat. Er blickt durch ein Drei-Zoll-Rohr, das aus dem Wagen unter der Motorhaube hindurch zum Kühlergrill hinausführt und den Blick nach vorn freigibt. Die beiden Flüchtenden fahren mit dem neuen Geländewagen in einen mit Schlamm gefüllten sechs Meter breiten Kanal und flüchten zu Fuß weiter. Schmaltz verliert die Schuhe. Er und sein Kollege erreichen nach einem Lauf von etwa einem Kilometer ein Maisfeld. Als Orientierungspunkt dient ihnen ein Schornstein in Pardan, wo sein Freund Matthias
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Eisele aus Olching bei München in einem grünen Wagen auf sie wartet. Mit auf die Flucht gehen wollten eigentlich zwei weitere Männer: Schmaltz' Vetter und ein weiterer Arbeitskollege. Der Arbeitskollege springt im letzten Augenblick ab: Er hat 90 000 Lei auf der Bank liegen und will die nicht verlieren - bei einer gelungenen Flucht würde der rumänische Staat das Geld beschlagnahmen. Weil der abgesprungene Kollege mit einem Zementtransporter an die Grenze fahren und Schmaltz' Vetter mitnehmen sollte, ist die Fluchtgruppe von vier auf zwei Mann geschrumpft. Schmaltz sagt dem Vetter nichts von der eingetretenen Wende. Schmaltz möchte kein Risiko eingehen, denn es ist für einen Deutschen, der bei Erdölfördergesellschaft beschäftigt ist, kaum noch möglich, auf ein Ölfeld in Grenznähe zu gelangen. Weil schon eine Reihe von Mitarbeitern der Firma über die Grenze gelaufen ist, bekommt kaum noch einer die Erlaubnis, in Grenznähe zu arbeiten. Auch Schmaltz nicht. Er stellt sich selbst einen Ausweis aus, der ihm den Weg an den Posten vorbei zur Grenze freimacht. Schmaltz kann sich jetzt als Ingenieur ausweisen. Er stellt sich und dem Fahrer auch den nötigen Dienstschein aus. Am 24. Oktober 1980 steht fest: Am nächsten Tag werden die beiden mit dem Geländewagen in Richtung Fienenfeld starten. Schmaltz hat die Zuschnitte für die Wagenpanzerung fertig. Um 19.30 Uhr geht er zur Post und teilt seinem Freund in Deutschland telefonisch mit, dass die Hochzeit - es ist das Kennwort für die Flucht - am nächsten Tag um 16.30 Uhr stattfindet. Nachts nimmt er noch einen Kasten mit Reagenzgläsern aus dem Büro seiner Schwester, die als Chemieingenieurin bei der Erdölgesellschaft beschäftigt ist. Der Kasten soll als zusätzlicher Beweis dienen, dass Schmaltz als Ingenieur zu einer dringenden Prüfung an die Sonde neben der Grenze geschickt worden ist. Am Samstag, dem 25. Oktober 1980, nimmt Schmaltz noch seinen Lohn entgegen, 2300 Lei, und um 13.30 Uhr fahren er und sein Kollege los. Am Militärstützpunkt Fienenfeld weisen sich die beiden aus. Offiziere wie Soldaten tragen Paradeuniform, weil sie den Tag der Armee begehen. Schmaltz scherzt: Er sagt dem Offizier, er dürfe feiern, aber er selbst, der eigentlich zu einer Hochzeit eingeladen sei, müsse jetzt arbeiten. Stets treffe es die jungen Leute, wenn zusätzliche Arbeit anfalle. Der Offizier versucht ihn zu trösten; auch er sei einmal jung gewesen, und auch ihm sei es nicht anders ergangen. Er winkt die beiden durch. An der Sonde direkt neben der Grenze steht ein Wächter, der Schmaltz abnimmt, dass er den Druck in der Sonde messen müsste; er lässt ihn auf die Plattform steigen. Schmaltz sieht sich aber lediglich um. Er weiß jetzt, wo die Soldaten Position bezogen haben. Aber er weiß auch, dass die Flucht durchs Weizenfeld erfolgen muss. Er verlässt die Plattform, steigt in den Wagen, der Fahrer wendet. Parallel auf dem zur Grenze verlaufenden Weg geht es ein Stück zurück, dann steuert er nach links in das Weizenfeld in Richtung Grenze. In Pardan steigen die beiden Flüchtlinge in den grünen Wagen des Freundes
und erreichen die deutsche Botschaft in Belgrad, wo ein Mitarbeiter sie zur Polizei schickt, denn er könne ihnen erst nach Absitzen der Haft weiterhelfen. Schmaltz bedankt sich und meint, wenn sie die streng bewachte rumänische Grenze überwunden hätten, könnten sie die anderen beiden auch noch überschreiten. Im Wagen des Freundes geht es nach Sankt Egidi. Sie erreichen den Grenzort gegen 22 Uhr und stehen vor einem zweieinhalb Meter hohen Zaun. Sie wollen zwischen den Pkw über die Grenze nach Österreich. Die Wagen müssen zu jener Zeit noch einzeln in Boxen fahren, wo sie kontrolliert werden. Ist ein Auto in der Box, schließt sich der Ausgang. Die beiden Flüchtlinge rennen gleichzeitig los. Jeder hat eine leere Box im Visier. Schmaltz' Arbeitskollege kommt durch und ist in Österreich. Als Schmaltz in „seine“ Box rennt, folgt ihm ein Wagen, und der Ausgang schließt sich. Um aus der Falle zu kommen, muss er die Flucht nach rückwärts antreten. Durch Wald gelangt er in einer Dreiviertelstunde an die Mur. Es ist kalt, die Mur führt Eis. Schmaltz zieht sich aus, packt die Kleider in eine Tüte und steigt ins Wasser. Er verwundet sich an der Brust, überwindet den etwa 10 Meter breiten Fluss und meint, in Österreich zu sein. Doch plötzlich stehen zwei jugoslawische Soldaten neben ihm. Schmaltz bietet ihnen sein Gehalt an, das er mitgenommen hat. Einer der Grenzer ist bereit, ihn für das Geld laufen zu lassen, der zweite aber nicht. Polizei holt ihn ab und bringt ihn nach Marburg an der Drau. Um 15.30 Uhr verurteilt ein Richter ihn zu 14 Tagen Gefängnis. Schmaltz sitzt drei Tage lang in Einzelhaft. Es geht ihm gut: Die Wärter bringen ihm Milchkaffee und Schnitzel. Nach den drei Tagen kommt er in eine Zelle, in der sechs Rumänen aus der Kleinen Walachei einsitzen. Schmaltz wird ihr Dolmetscher. Die Zeit vertreiben sich die Landsleute mit Mühlespiel.
Nach Österreich abgeschoben
Am 14. Tag erscheint ein Hauptmann, lässt alle sieben in einen Kastenwagen einsteigen. Die Fahrt geht los; plötzlich hält der Wagen, alle sieben müssen ein Stück Papier unterschreiben, dann geht es zur österreichischen Grenze in die Freiheit. Die Freigelassenen marschieren los, vor einem Ort entdecken sie Leute. Sie meinen, schon wieder vor einer Grenze zu sein. Sie robben durch Schneematsch und merken schließlich, dass die Leute vor ihnen Straßenbauer sind. Es ist Mittagszeit. Schmaltz sieht einen alten Bauern, der eben die Straße fegt, geht auf ihn zu und bittet um eine Zigarette. Er bekommt sie, teilt sie mit den anderen. Sie wissen jetzt, dass sie in Österreich sind. Die Gruppe teilt sich. Schmaltz und einer der sechs haben Deutschland als Ziel. Die anderen fünf gehen ins Flüchtlingslager Traiskirchen bei Wien. Dort wollen sie abwarten, bis Australien oder Kanada sie als Neubürger aufnimmt.
Schmaltz und sein Begleiter, der zu seiner Schwester nach Darmstadt will, marschieren los. In zwei Tagen und drei Nächten schaffen sie 142 Kilometer. Sie ernähren sich von Äpfeln, die sie noch in den Plantagen finden. Sie versuchen vergebens per Anhalter weiterzukommen; keiner nimmt sie mit. Sie erreichen Ziethen. Schmaltz wechselt in einer Bank sein Gehalt. Für 2000 Lei erhält er 100 Schilling. Die reichen, um eine Landkarte und drei Brote zu kaufen. An einer Tankstelle fragt Schmaltz einen Bremer Lkw-Fahrer, ob er sie in Richtung Deutschland mitnimmt. Er tut es. Auf der Fahrt fragt der Fahrer Schmaltz aus, der ihm sogar die Telefonnummer seines Freundes Matthias Eisele in Deutschland gibt. Der Fahrer gibt jedem der beiden einen Flachmann. Die beiden Flüchtlinge trinken und legen sich in der Koje schlafen. Nach einer Stunde weckt der Fahrer die beiden, lädt sie in eine Raststätte ein und spendiert jedem eine Bockwurst, dazu Kaffee. Er wiederholt die Bestellung dreimal. Die inzwischen gesättigten Flüchtlinge legen sich erneut schlafen. Als der Fahrer die beiden ein zweites Mal weckt, steht der Lastkraftwagen schon zwei Kilometer hinter der deutschen Grenze. Auf dem Rastplatz begrüßt sie Schmaltz' Freund Matthias Eisele. Der Fernfahrer hat ihn telefonisch herbeigerufen. Der gelungene Grenzübertritt am 25. Oktober 1980 ist nicht der erste Fluchtversuch, den Schmaltz unternommen hat. Im September 1979 hat sich Schmaltz zusammen mit einem Vetter in einer eigens gezimmerten 2,30 Meter langen und 50 Zentimeter breiten Kiste auf einem Lastkraftwagen der Ölfördergesellschaft versteckt. Über die Kiste sind mit Kohlenstaub gefüllte Säcke gestapelt. Der Kohlenstaub wird an einer Ölsonde an der Grenze bei Hatzfeld gebraucht. Eines Tages um 16 Uhr geht es los. Aber der Lkw versagt kurz vor dem Ziel. Grenzer tauchen auf, ein Offizier und ein Soldat bleiben in der Nähe, bis das Auto repariert ist. Sie begleiten den Wagen bis zur Sonde und warten, bis er entladen ist. Die beiden in der Kiste bleiben unentdeckt. Der Lkw-Fahrer nimmt sie mit zurück. Als er sie aus der Kiste steigen lässt, stellen die beiden fest, dass sie sich kaum bewegen können. Eine Flucht in diesem Zustand wäre unmöglich gewesen. Die beiden hätten auf ein Kommando des Fahrers die Kiste an der Grenze verlassen sollen. Als Schmaltz im Januar 1981 bei der rumänischen Botschaft in Köln die Entlassung aus der rumänischen Staatsangehörigkeit beantragt, erfährt er, dass er in Abwesenheit zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Damit seinem Antrag entsprochen werden könne, müsse er vorher für den angerichteten Schaden aufkommen: Er betrage 85 000 Lei. Er sei entstanden, weil er den neuen Wagen in den Kanal an der Grenze gefahren habe. Schmaltz ruft in der Botschaft an und fordert den Mann am Ende der anderen Leitung auf, ihm seine 800 Lei zurückzugeben, die er schon für die Absage bezahlt habe. Er bekommt aber kein Geld zurück, ruft im Februar erneut an und erfährt, seine Strafe sei
inzwischen nach einer Amnestie halbiert. Schmaltz profitiert von weiteren zwei Amnestien: am 1. Mai und am 23. August 1981. Danach beträgt seine Reststrafe noch vier Monate. Im September lassen die rumänischen Grenzer ihn nicht einreisen. Kurz darauf fährt er wieder in Richtung Rumänien, und zwar mit 24 000 Mark in der Tasche. Seine Schwester braucht sie, um sich und die Familie freizukaufen und ausreisen zu dürfen. Anfangs heißt es, er dürfe nicht ins Land. Als er aber sagt, die Grenzer sollten einmal nachhören, ob nicht doch ein Hinweis angekommen sei, dass er mit Geld auftauchen werde, ist der Weg frei für ihn. Die Überraschung erlebt er erst bei der Ausreise. Die Grenzer lassen den halben Wagen auseinandernehmen, weil sie versteckte Papiere darin vermuten. Die hat Schmaltz tatsächlich dabei, doch dort, wo er sie versteckt hat, vermuten sie die Grenzer nicht.
Johann Schmaltz lebt heute mit seiner Familie in Frankenthal in der Pfalz. Beschäftigung hat er gefunden als Maschinenführer bei Mercedes in Mannheim.
Diesen Dienstausweis hat sich Johann Schmaltz selbst ausgestellt, um an die Grenze fahren zu können.