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als SchlepperGeheimdienst-Mitarbeiter

Valentin Seifer:

Geheimdienst-Mitarbeiter als Schlepper

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Wer den richtigen Schlepper hat, dem bereitet auf der Flucht über die rumänisch-serbische Grenze höchstens der Jauchegraben Schwierigkeiten. Das erfahren Hilde (geboren am 30. November 1954) und Valentin Seifer (geboren am 9. Februar 1950) sowie Josef Emeneth aus Sanktanna am 13. November 1980. Ein etwa 30 Jahre alter hauptamtlicher Mitarbeiter des Hilde und Valentin Seifer Geheimdienstes Securitate fährt die drei in seinem Wagen an die Grenze bei Großsanktnikolaus und entlässt sie in die Freiheit. Hilde und Valentin Seifer bezahlen dafür 60 000 Lei, ein kleines Vermögen. Als Zugabe wechselt eine Gasflasche für den Betrieb eines Sparherds, damals in Rumänien kaum zu haben, den Eigentümer. Die drei sind die letzten, denen der Geheimdienstler zur Flucht verhilft. Vor ihnen sind mit seiner Hilfe schon 49 Männer aus Sanktanna nach Jugoslawien gelangt. Frauen wollte er nicht über die Grenze schleusen. Valentin Seifer kommt an den Mann über das Kennzeichen seines Wagens heran. Zuerst will das nicht gelingen, weil eine Ziffer nicht stimmt. Doch dann fällt Seifert die falsche Ziffer ein; er findet den jungen Mann, der ihn beim ersten Kontakt schroff abweist. Ein paar Tage später hört er aber schon zu. Valentin Seifer solle sich in einer Woche erneut melden. Der Schlepper hält Seifer einige Monate hin. In dieser Zeit hilft er Andreas Henger senior und junior und deren Nachbarn über die Grenze. Andreas Henger ist mit Seiferts Cousine Theresia verheiratet. Eine Woche nach den Hengers sind Seifers und Emeneths an der Reihe. Hilde Seifer ist die einzige Frau, die der Geheimdienstmann über die Grenze schleust. Er nimmt die drei mit seinem Wagen mit bis zur Grenze. Sie müssen zweimal aussteigen, und zwar kurz vor den Stellen, an denen Grenzposten alle Vorbeikommenden kontrollieren. Die drei müssen die Posten umlaufen; danach nimmt der Grenzer die Flüchtlinge erneut ins Auto und fährt sie bis in Grenznähe. Alles ist so geplant, dass sie beim Wechsel der Grenzposten ankommen. Der Wechsel dauert eine halbe Stunde. In dieser Zeit müssen die drei die Grenze überschritten haben. Sie kommen um 21.45 Uhr an, steigen sofort aus und ge-

hen Richtung Serbien. Eine Flamme über einer Fabrik in Kikinda zeigt ihnen den richtigen Weg. Weil sich der Lehm der Feldwege wie Kleister an die Schuhe heftet und das Fortkommen erschwert, zieht Valentin Seifer die Schuhe aus und geht auf Socken weiter. Seine Frau und Emeneth tun es ihm gleich. Die drei Flüchtenden überwinden sechs Kanäle, die zugefroren sind; sie müssen die dünne Eisschicht mit der Brust durchbrechen, um durchzukommen. Der letzte Kanal ist gefüllt mit Gülle, aus dem sie nur mit schwerer Mühe herauskriechen können. An der Kanalkante ist Stacheldraht gespannt. Valentin Seifer trägt eine dicke Jacke aus Kalbleder, die ihm sein Freund Jakob Reinholz geschenkt hat. Rheinholz und seine Frau Theresia, die heute in Lahr/Schwarzwald zu Hause sind, hatten schon die Genehmigung, Rumänien zu verlassen, doch sie warten die Flucht der Seifers ab. Mit der Lederjacke als Schutz auf dem Rücken stemmt sich Valentin Seifer unter den Stacheldraht und hebt ihn mit seiner Körpergewalt hoch. Die Jacke wird zwar durchlöchert, doch alle drei kommen durch. Die Jacke bewahrt Seifer auf als Andenken an die gelungene Flucht. Ein serbischer Grenzposten stellt die drei. Im Gefängnis von Großbetschkerek werden sie verhört. Eine Nacht sind Valentin Seifer und Josef Emeneth in einem Raum mit 30 geflüchteten Rumänen. Sie sind alle in derselben Nacht in Jugoslawien eingetroffen. Nach der ersten Nacht werden Seifert und Emeneth von den Rumänen getrennt. Die Serben stecken sie in eine Zelle ohne Bett und ohne Decke. Das einzige Fenster ist in zwei Metern Höhe. In der Ecke der Zelle steht ein nicht geleerter Kübel, der als Abort dient. Das einzig Positive: Die Heizkörper sind sehr warm. Nach der zweiten Nacht müssen die beiden den Kübel leeren. Ein Wärter holt Valentin Seifer ab, um Decken zu holen. Die Decken sind nass und stinken nach Urin. Seifer will trockene aussuchen. Doch das verbietet ihm der Wärter mit einem Schlag mit dem Gummiknüppel über den Rücken. Als die Decken auf dem Heizkörper zu trocknen beginnen, wird die Luft so schlecht, dass die beiden meinen, nicht mehr atmen zu können. Während die beiden in der Zelle festgehalten werden, dürfen die Rumänen auf dem Hof täglich ihren Rundgang machen. Auch die Frauen haben Gelegenheit, sich auf dem Hof zu bewegen. Seifer steigt eines Tages Emeneth auf die Schultern und sieht durch das zwei Meter hohe Fenster seine Frau, der er sich durch eine schon seit der Jugend bekannte Melodie pfeifend zu erkennen gibt. Dann ist der 30. November gekommen, Hilde Seifers Geburtstag. Seifer und Emeneth formen aus Zeitungspapier Blumen und werfen sie zum Fenster hinaus auf den Hof. Das hat Folgen: Der Wärter schlägt wieder mit dem Gummiknüppel zu und vernagelt das Zellenfenster. Jetzt fehlt den beiden auch noch die frische Luft. Nach 21 Tagen sehen die beiden Männer Hilde Seifer vor dem Umzug nach Padinska Skela wieder. Die beiden Männer stecken noch immer in den von der

Gülle verdreckten Kleidern, Hilde Seifer hingegen ist geduscht, ihre Kleider sind gewaschen. Die Seiferts erhalten ihre Tasche zurück, doch den Inhalt sehen sie nicht mehr. Alles, was darin war, vom Löffel übers Messer bis zur Gabel ist verschwunden. In Padinska Skela, dem Gefängnis mit UNO-Lager nördlich von Belgrad, begrüßen an die 100 Rumänen die drei Neuankömmlinge mit der frohen Botschaft, dass sie nach drei Tagen frei sein werden. Wie Valentin Seifer sagt, haben die serbischen Behörden die Rumänen in jenen Tagen nicht abgeschoben, sondern in die Nähe der italienischen Grenze gefahren, damit sie sich ins Nachbarland absetzen konnten. Am dritten Tag sind die drei Flüchtlinge aus Sanktanna frei. Im Warteraum des UNO-Lagers, wo sie auf die Aufnahme ihrer Daten warten, kommt eine Beamtin und ruft Valentin Seifer ans Telefon. Er erschrickt. Doch gleich danach macht sich Freude breit. Am anderen Ende der Leitung ist Familie Reinholz, die die Valentins schon seit drei Wochen sucht. Plötzlich hat Valentin Seifer alles vergessen; die Strapazen der Flucht, die Haft. Freudentränen rinnen ihm über die Wangen. Als die UNO-Mitarbeiter das sehen, müssen auch sie weinen. Die Valentins erhalten Pässe in der deutschen Botschaft. Sie wechseln die 10 000 Lei, die Hilde Seifer in die Lederjacke ihres Mannes eingenäht hat. Mit den Dinar kaufen sie ein. Sie brauchen neue Kleider, wollen die verdreckten loswerden. Am 9. Dezember 1980 hören sie noch einige Weihnachtslieder in der deutschen Botschaft, anschließend verlassen sie Belgrad in Richtung Westen. An der österreichischen Grenze schüttelt der Zollbeamte jedem der drei die Hand und wünscht einen guten Anfang in Deutschland. Die drei Grenzgänger haben wieder Tränen in den Augen. Am 10. Dezember sind sie in Nürnberg. Hilde und Valentin Seifer können sechs Monate später ihren Sohn wieder in die Arme schließen.

Die Seiferts lassen sich anfangs in Freiburg im Breisgau nieder; seit 1997 sind sie in Breisach am Rhein zu Hause. Hilde arbeitet als Schneiderin in einem Modehaus, Valentin als Hausmeister - zuerst in einem Modehaus und neuestens in einer Sportlerklinik; seit 2000 hat er seinen eigenen Hausmeisterdienst.

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