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Zigeuner-König auf verbotenen Pfaden

Von Franz Remmel

Der Große Bulibasse (Führer) Ioan Cioabă von Hermannstadt war für Mai 1981 zum RomaKongreß nach Göttingen eingeladen worden. Legal und fristgerecht hatte er den Reisepass in Hermannstadt beantragt. Die Cioabă-Mappe war nach Monaten wieder auf dem Tisch der Bearbeiter gelandet. Das Passamt bestellte ihn ein, um Genaueres über den Kongress zu erfahren. Überraschend für die Sachbearbeiter erklärte der Große Bulibasse und spätere König der Roma, der Reiseantrag sei mittlerweile hinfällig geworden. Er brauche keinen Pass mehr, denn er sei schon aus

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Mit den Insignien der Macht: Deutschland zurückgekehrt. Seine lakonische Bulibasse Ioan Cioabă Darstellung: „Ich habe einen Reisepass beantragt, aber bis heute keine Antwort bekommen. Zum fälligen Zeitpunkt bin ich also ohne Pass und ohne Visum nach Deutschland gereist. Noch nie hat eine Grenze einen Zigeuner aufhalten können.“ Die Handlung war zwar strafbar. Weil aber die Position des Großen Bulibassen mittlerweile auch durch seine Wahl ins Präsidium der Welt-RomaOrganisation in Göttingen gefestigt war und die westliche Öffentlichkeit damals gegenüber den Roma empfindsam reagierte, entschied das Passamt diplomatisch, nichts gegen Cioabă zu unternehmen. Beim illegalen Grenzgang war Cioabă zweifellos vorgetretenen Spuren gefolgt. Um diese Zeit hatten schon die Eilfertigsten, meist aus der untersten Schicht der Ethnie der Roma und mit anderer Absicht, den Weg des kleinsten Widerstands, den illegalen Grenzübertritt ohne Pass und ohne Visum, eingeschlagen. Deshalb schwoll auch der Strom der Quasi-Asylanten in Deutschland an. Der Fall Cioabă ist längst nicht der einzige Beweis für den Einfallsreichtum rumänischer Roma in der Zeit des Kommunismus, wenn es um Auslandsreisen ging. Etwa 1985 beantragte eine Romni aus Hăşdat einen Pass in Deva mit der Begründung, sie wolle ihr sechsjähriges Söhnchen aus Polen abholen. Oberst Andrei hakte nach, er wollte wissen, wieso das Kind in Polen sei. Die Erklärung der Frau: „Meine Schwägerin aus Polen war mit ihrem Sohn zu Besuch bei uns. Bei der Heimfahrt hat sie ihren Sohn hier gelassen und meinen

mitgenommen - er sollte auch sehen, wie es in Polen ist. Jetzt möchte ich die Kinder wieder austauschen.“ Sie hat den Pass bekommen, der Trick wäre aber ohne ihr Zutun nie aufgeflogen.

Ioan Cioabă wurde am 7. Januar 1935 in Băileşti geboren, er ist am 26. Februar 1997 in Bukarest gestorben und in Hermannstadt begraben. Franz Remmel, 1931 in der Banater Großgemeinde Perjamosch geboren, lebt im siebenbürgischen Hunedoara. Er war jahrzehntelang Korrespondent der Tageszeitung „Neuer Weg“, später „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien“. Er hat sich mit einer Reihe von Büchern über die Roma in Rumänien einen Namen gemacht.

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