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An der Grenze verscharrt

Von Doina Magheţi

Als wir in Großsanktnikolaus angekommen waren, haben wir György Kiss, einen heiteren, alten Mann, angesprochen, dessen Haus auf dem Weg in Richtung Grenze liegt. Er hat uns erzählt: „Es kamen viele, von allen Seiten, wer weiß woher. Sie fragten, ob ich nicht wüsste, wo die Grenze ist. ‹Mensch, geh da entlang, geradeaus, geh über die Grenze, wo, interessiert mich nicht.› Ich bin mit keinem mitgegangen, und ich habe keinem gezeigt, wo er hinübergehen soll. Sie gingen allein. Auf dem Rückweg waren es je 40, man brachte sie von der Grenze ins Gefängnis in die Stadt. Vier bis fünf Soldaten brachten sie zur Kompanie, zu den Grenzern.

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Viele wurden erschossen. Auch 17- bis 18-jährige Jugendliche, auch Mädchen. Sie wurden schnell, ohne Vorwarnung, erschossen, damit sie sich bei niemandem beschweren konnten. Ceauşescu hätte ihnen nicht einmal ein Stück Brot gegeben. Man hatte keine Meinungsfreiheit. Und wie sollte es diesem Volk gut gehen, wenn man zwei Lei und ein Kilogramm Weizen für einen Tag Arbeit auf dem Feld bekam...

Und die Soldaten, was wussten die schon... Je mehr sie erschossen, desto mehr Urlaub bekamen sie, und dazu noch 2 000 bis 3 000 Lei.

Ich weiß, dass sie Schnellfeuergewehre benutzten... Die meisten haben sie dort, direkt an der Grenze, begraben, so dass niemand etwas davon wusste. Falls ein serbischer oder ungarischer Grenzer in der Nähe war oder sonst jemand dort vorbeiging, benachrichtigten sie die Familie. Aber ansonsten nicht. Der hiesige Kommandant war ein gewisser Ploscaru. Aber er war kein schlechter Mensch, die Befehle kamen von oben, sie mussten befolgt werden. Dass sie geschlagen und gequält wurden, ist klar. Von Valkan und Hatzfeld wurden viele ins Gefängnis nach Temeswar gebracht. Sie kamen derart geschlagen zurück, dass ihr Rücken wie eine Aubergine aussah. Nach einiger Zeit haben sie erzählt, dass sie mit einem nassen Seil geschlagen worden sind. Es war sehr schlimm, aber jetzt ist es auch nicht besser. Es heißt zwar Freiheit, aber unser Leben ist immer noch sehr schwer. Ich habe sie gesehen, sie wurden nachts in Gruppen von je 40 abgeführt... 40 heute, 20 morgen, und sie verlangten Brot oder Hilfe, aber man durfte sich ihnen nicht nähern. Einmal habe ich zwischen den 40 auch vier Frauen mit Kindern im Arm gesehen. Ich weiß, was passiert ist. Und wieder kamen welche zu meinem Haus und riefen: ‹Guter Mensch, öffne.› Und sie fragten mich, welchen Weg sie einschlagen sollen, um zur Grenze zu gelangen. Ich sagte ihnen; ‹Schau, dort entlang. Aber entferne dich von mei-

nem Haus.› Das sagte ich ihnen, so war es. Ich wurde öfters, nicht nur einmal, zum Grenzerstützpunkt gerufen und befragt, was mit den Leuten los sei. Aber sie haben mich nicht geschlagen, weil sie mich seit langem als einen Ortsansässigen aus Großsanktnikolaus kannten. Danach, noch vor der Revolution, wurde in der Grenzereinheit gesagt: ‹Etwas geht vor sich, wir können nicht alle erschießen...› Menschenmassen flohen inzwischen über die Grenze. In letzter Zeit war Ploscaru nicht mehr der Kommandant des Grenzerstützpunkts, und sie haben neue Gesetze herausgebracht, und es wurde niemand mehr erschossen. Aber ich bin der Meinung: Nur weil die Menschen ein Stück Brot verdienen gegangen sind, um besser zu leben, mussten sie doch nicht getötet werden.“

Aufgezeichnet von Doina Magheţi; Übersetzung aus dem Rumänischen: Linda Munteanu. Der Text ist dem Buch „Die Grenze“ mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen. Zwölf Jahre nach diesem Gespräch hat Doina Magheţi erneut mit Adrian Martac gesprochen, um zu testen, ob er noch immer zu seinen Aussagen steht. Sie wurde nicht enttäuscht. Beim zweiten Treffen hat Martac zusätzlich einen Leutnant erwähnt, der die gestellten Grenzgänger brutal zu prügeln pflegte. Der rumänische Präsident Iliescu hat ihn 1991 zum Chef der Grenztruppen ernannt. Heute ist er pensionierter Divisionsgeneral

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