KOM 2/2023 #Europa

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Von Berlin nach Brüssel

Wie ZDF-Korrespondent Florian Neuhann über Europapolitik berichtet.

#Europa

Sprechen für die EU

Wie Birgit Schmeitzner Positionen der EU-Kommission vermittelt.

Weniger süße Werbung

Warum die Bundesregierung Werbung für Lebensmittel regulieren will.

Quadriga Media Berlin GmbH № 12 — Ausgabe 2/23  www.kom.de

3 Editorial  7 Sprecherspitze  10 Meldungen  12 PR-Foto  31 Zahlen und Fakten 80 Wechselbörse  81 Impressum  90 Feedback

MEINUNG

6 Kommentar

Springer-Chef Mathias Döpfner ist für den Medienkonzern zur Belastung geworden. Publizistisch sollte er sich raushalten.

SZENE

8

Zugang/Abgang

Lena Wurzenberger geht zur BMW Group. Oliver Schumacher verlässt die Deutsche Bahn.

IM WORTLAUT

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Korrespondent in Brüssel

Florian Neuhann arbeitet im ZDF-Studio in der belgischen Hauptstadt. Wie berichtet er über Europa?

TITEL: EUROPA

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Hauptstadt Europas

Welche Jobs gibt es in Brüssel? Vier Lobbyisten und Kommunikatoren berichten über ihr Arbeitsumfeld.

24

Schöne Reisewelt

Die Tourismus-Claims vieler europäischer Länder verblüffen durch Einfallslosigkeit.

26

Was will die EU?

Birgit Schmeitzner spricht für die Europäische Kommission in Deutschland. Wie arbeitet sie?

32

Zentrum der Geldpolitik

Die wichtigste Währung der Europäischen Zentralbank ist Vertrauen. Welche Bedeutung hat die Kommunikation?

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Up to date

In welchen Medien man sich über die EU und Europapolitik informieren sollte.

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Das Verbrenner-Aus

Das Ende des Verbrennungsmotors in Europa scheint festzustehen. Doch wirklich eindeutig sind die Positionen der Hersteller dazu nicht.

42

Datenanalyse

Wer sind die wichtigsten Akteure in der Debatte um E-Fuels? Eine Auswertung von Landau Media.

DEBATTE

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Regulierung und Rezepturen Ernährungsminister Cem Özdemir will an Kinder gerichtete Werbung für bestimmte Lebensmittel einschränken. Was sagen Industrie und Werbebranche dazu?

50 KOM fragt

Wie Regine Kreitz von der Stiftung Warentest und Jonas Numrich von Coca-Cola das Werbeverbot beurteilen.

PRAXIS

52 ARD-Kommunikation

Die Verantwortung für die Kommunikation der ARD wechselt mit der Intendanz. Wie läuft die ARD-Kommunikation nach dem Schlesinger-Chaos?

56 Die Pressereise

Die Pressereise lebt weiter. Erwartungen von Journalisten und Influencern unterscheiden sich deutlich.

60 Sichtbare Relevanz

Patrick Kammerer über Spielregeln in der CEO-Kommunikation und die öffentliche Sichtbarkeit von Führungskräften.

64 Talking Digital

Für Kolumnist Giuseppe Rondinella hängt die Glaubwürdigkeit der Klimabewegung von ihren wichtigsten Protagonistinnen ab.

66 Mehr Tempo

Warum die Kommunikation bei Infrastrukturprojekten schneller werden muss.

20 JAHRE

70

Geburtstag

KOM und der „pressesprecher“ werden zusammen 20 Jahre alt. Zeit, zurückzublicken und Prognosen für die Zukunft zu treffen.

AGENTUREN

74 Europaweit vorne mitspielen Das Team Farner baut ein europäisches Agenturnetzwerk auf. Inwieweit profitieren davon die Kunden?

78

Vorgestellt: Carlotta Duken

Die Beraterin von Scholz & Friends arbeitet bei EU-Kampagnen mit. Hier beantwortet sie unseren Fragebogen.

82 Verband

Wie sich die Profession entwickelt hat, BdKom Awards, Kolumne „Fair formuliert“, Interview.

4 IN DIESER AUSGABE KOM № 12
Fotos: ZDF/Matthias Krüger; picture alliance/dpa; picture alliance/Peter Schatz; European Union 2023/Dati Bendo; Ständige Vertretung bei der EU; Bankenverband; Martin Corlazzoli

46

Die Bundesregierung will an Kinder gerichtete Werbung für bestimmte Lebensmittel verbieten. Was bedeutet das konkret?

Von Berlin nach Brüssel: Wie ZDFKorrespondent Florian Neuhann Europapolitik vermittelt.

20

Arbeiten in Brüssel: Kommunikatoren und Lobbyisten aus der belgischen Hauptstadt.

6

Warum sich Mathias

und „Welt“ nicht mehr journalistisch zu Wort melden sollte.

in

5 WWW.KOM.DE 14
Döpfner „Bild“

wird einem quasi

Der Brüsseler ZDF-Korrespondent Florian Neuhann erklärt im Interview, welche EU-Themen in Deutschland auf Interesse stoßen und was er an der Pressearbeit der europäischen Institutionen kritisch sieht.

Herr Neuhann, vergangene Woche fand der EU-Gipfel statt. Der Kompromiss im Streit um das Verbrenner-Aus kam dann erst am Wochenende. War das eine der intensivsten Wochen für Sie, seit Sie aus Brüssel berichten?

Neuhann: Die Gipfelwochen sind immer intensiv. Ich habe hier aber andere Gipfel erlebt, die sehr viel intensiver waren. Ich erinnere mich vor allem an die Gipfel kurz nach Kriegsbeginn im vergangenen Jahr und an die, bei denen es um Sanktionen ging. Da war dieser einer der langweiligeren. Für deutsche Medien war das Thema Verbrenner-Aus sehr wichtig. Aber in den Briefings habe ich festgestellt, dass es für Korrespondentinnen und Korrespondenten aus anderen Ländern nicht die große Rolle gespielt hat.

Welche Faktoren müssen zusammenkommen, damit ein EU-Thema die Öffentlichkeit in Deutschland interessiert?

Neuhann: Am besten ist es natürlich, wenn ein Thema relevant ist für die Menschen in Deutschland – und damit für die Zuschauerinnen und Zuschauer. Das ist bei einem Thema wie dem Verbrenner-Aus gegeben, weil viele in Deutschland Auto fahren. Aber es ist auch bei anderen Themen gegeben, zum Beispiel wenn es um Energiepreise geht oder um die Frage, ob wir ukrainische Flüchtlinge aufnehmen. Was

sicherlich auch hilft, ein Thema in den Medien zu verkaufen: wenn es Streit gibt. Ein Gipfel, auf dem sich alle einig sind, taugt nicht immer für den Aufmacher im „Heute-Journal“. Haben Sie Beispiele für Themen, die unter dem Radar liefen und für die Sie sich mehr Interesse in Deutschland gewünscht hätten?

Florian Neuhann

ist seit August 2021 stellvertretender Leiter des ZDF-Studios in Brüssel, das von Ulf Röller geleitet wird. Zwei weitere Korrespondenten sowie Producer, Cutter und Kameraleute arbeiten dort. Bevor Neuhann nach Brüssel wechselte, war er im ZDF-Hauptstadtstudio als Korrespondent für bundespolitische Themen zuständig.

Neuhann: Die Gesetzgebungsprozesse in Brüssel sind kompliziert: Die Kommission schlägt etwas vor. Meist berichten wir –und dann passiert erst einmal lange nichts, weil die beteiligten Institutionen jeweils ihre Positionen festlegen. Das ist eigentlich ein spannender Prozess, in dem sehr viel abgesteckt wird, wo sich aber viele Kollegen in den Redaktionen fragen: Ist das relevant? Deshalb wird oft nicht darüber berichtet. Und dann passiert es eben wie beim Verbrenner-Aus, dass die deutsche Öffentlichkeit und auch die deutsche Politik zu spät aufwachen, weil sie diesen Gesetzgebungsprozess nicht intensiv verfolgt haben. Das führt dazu, dass manchmal erst der Aufschrei kommt, wenn ein Gesetz verabschiedet ist.

Versuchen Sie denn, diesen Prozess der Gesetzgebung journalistisch aufzugreifen?

Neuhann: Absolut. Wir reden uns im Studio Brüssel den Mund fusselig gegenüber unseren Redaktionen in Mainz und versuchen immer zu erklären, wann und warum es sinnvoll ist, frühzeitig über ein Thema zu berichten. Ich versuche auch immer zu

14 IM WORTLAUT KOM № 12
Foto: ZDF Matthias Krüger
„Vieles
mundgerecht geliefert“
Interview KATHI PREPPNER
IM WORTLAUT 15 WWW.KOM.DE
KOM № 12 26 TITEL: EUROPA

Birgit Schmeitzner arbeitete zuletzt als Korrespondentin für den Bayerischen Rundfunk in Berlin. Vorher war sie als freie Journalistin in Moskau tätig und berichtete von 2009 bis 2014 über Europapolitik aus Brüssel.

Deutschland Europa näherbringen

Birgit Schmeitzner spricht für die EU-Kommission in Deutschland. Die ehemalige Journalistin erklärt im Interview, wie es gelingt, europäische Politik greifbar zu machen, welche Rolle Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ihre Arbeit spielt und ob es eine Rückkehr aus der PR in den Journalismus geben kann.

Frau Schmeitzner, Sie sind Pressesprecherin der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland. Was sind Ihre wichtigsten Aufgaben?

Schmeitzner: Ich spreche in Deutschland für die EU-Kommission. Ich erkläre, was in der Kommission passiert und was ihre Pläne sind. Und ich informiere Brüssel darüber, was gerade hier in Deutschland passiert und worüber diskutiert wird in den Medien. Ich leite ein Team von sieben Leuten hier in Berlin, von denen alle auf bestimmte Themen spezialisiert sind. Darüber hinaus sorge ich dafür, dass unsere Produkte wie unser Newsletter inhaltlich ansprechend gestaltet sind. Dazu kommt der Blick auf die Strategie: Wie stellen wir uns für die nächsten Monate auf? Wie für das nächste Jahr? Welche Veränderungen müssen wir vornehmen? Es gibt in der Medienlandschaft immer wieder Entwicklungen, auf die wir uns neu einstellen müssen.

Wie hoch ist der Anteil der Arbeit mit der Presse?

Schmeitzner: Das macht schon einen wesentlichen Teil aus. Wir erhalten jeden Tag zahlreiche Anfragen von Medien aus den unterschiedlichen Bereichen. Ich würde sagen, es sind je nach Tag 20 bis 40 Prozent.

Auf Ihrer Website veröffentlichen Sie Pressemitteilungen. Welche Kriterien müssen Themen und Nachrichten erfüllen, damit sie bei Ihnen zur Meldung werden?

Schmeitzner: Erst mal muss das Thema wichtig sein. Es muss sich also auf unser Leben auswirken. Es schadet nie, wenn es einen Aufhänger gibt, der nach Deutschland reinreicht und am besten noch herunter-

27 TITEL: EUROPA WWW.KOM.DE
Interview VOLKER THOMS
Foto: Alexander Rentsch

Was Brüssel lesen sollte

Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene ziehen sich häufig über lange Zeit, so dass es schwierig ist, sich allein über Leitmedien auf dem Laufenden zu halten. Es gibt Medien, die sich auf die europäische Politik spezialisiert haben. Welche sind das?

Brüssel ist mehr als vorzügliche Pommes, Schokolade und Waffeln. Die Stadt ist das Herz der Europäischen Union, hier werden Weichen gestellt und Entscheidungen getroffen, die den Kontinent nach innen und außen prägen. Deshalb versteht es sich von selbst, dass zahlreiche Unternehmen und Wirtschaftsverbände hier präsent sind – und mit ihnen tausende von Kommunikationsprofis, deren Arbeit durch die Nähe zur Politik geprägt ist.

Die Medienlandschaft ist breit gefächert. Das Interesse der Journalistinnen und Journalisten ist deutlich mehr als in nationalen Medien auf die politischen Entwicklungen auf EU-Ebene fokussiert. Was soll man als Kommunikationsverantwortlicher lesen? Folgende Medien eignen sich am besten, um in der Brüsseler Blase auf dem Laufenden zu bleiben und um an Debatten teilzunehmen.

Die „Must-reads“

Politico Europe

Der Ableger der zu Axel Springer gehörenden US-Mediengruppe hat sich seit dem Start 2015 schnell als eines der wichtigsten Referenzmedien in Brüssel etabliert.

Ein breit aufgestelltes Team an Journalistinnen und Journalisten berichtet laufend über die Entwicklungen in allen großen Politikbereichen. Zur Pflichtlektüre haben sich viele der überwiegend morgens verschickten Newsletter entwickelt: Oft unterhaltsam geschrieben, erhält die Leserschaft Updates zu großen und kleinen Gesetzesvorhaben und allem, was um diese Themen herum geschieht.

Kostenlos abonnieren lässt sich unter anderem das „Brussels Playbook“, das einen Überblick über die großen Linien der Geschehnisse in der EU vermittelt. Der Newsletter „EU Influence“ fungiert als das „Gossip Girl“ von Brüssel: Hier erfährt man, wer neu in der Stadt ist, welche Verwicklungen und Skandälchen sich hinter den Kulissen ereignen oder welche Rolle die Sauna im Hauptquartier der NATO beim Eintritt Finnlands in das Bündnis gespielt hat.

Neben den Newslettern und dem Bezahlangebot „Politico Pro“ hat das Medienunternehmen sein Konferenzgeschäft ausgebaut. So organisiert „Politico“ regelmäßig teilweise auch online übertragene Veranstaltungen, in denen besonders interessante politische Entwicklungen und Gesetzespakete besprochen werden.

Financial Times

Die „Financial Times“ ist natürlich kein Geheimtipp. Bei aller Liebe für politisches Klein-Klein brauchen und suchen Brüsseler Policy-Fans den Blick auf das große Ganze. Für Nachrichten und Analysen aus der Finanzwelt und der Wirtschaft ist diese Zeitung mit ihren ergänzenden Online-Angeboten weiterhin die

36 KOM № 12 TITEL: EUROPA
„Politico“ bietet neben dem Magazin verschiedene Newsletter zu Europathemen.

erste Adresse. Zuletzt hat die „Financial Times“ auch ihr Event-Angebot in Brüssel erweitert. Mit „FT Europe Express“ bietet das Medienhaus außerdem einen lesenswerten Brüssel-spezifischen Newsletter an.

Nationale Medien

Die EU besteht aus 27 Mitgliedsländern. Demnach sind auch viele Akteure in der Brüsseler Blase ihren Heimatländern verbunden. Das ist wenig überraschend, aber es erklärt, weshalb der Einfluss der

Analysen und Hintergründe rund um Regulierung und Politik aus Brüssel. Auch wenn das Medium in der Breite noch nicht sehr bekannt ist, gelingt es der Redaktion zunehmend, relevante Geschichten als Erste zu bringen.

Contexte

Ein weiteres Onlinemedium, das den etablierten Brüsseler Outlets den Kampf angesagt hat, ist „Contexte“. Das EU-Angebot der im Kern französischen Redaktion gliedert sich nach Politikbereichen. Mehr als einmal hatte diese Redaktion

gens nicht nur die üblichen zwei oder drei Sprachen Englisch, Deutsch oder Französisch. Teile des Angebots von „Euractiv“ gibt es zum Beispiel auch auf Griechisch, Tschechisch oder Rumänisch. Das spürt man auch in der Berichterstattung: Die Redaktion ist divers und verteilt über die gesamte EU.

MLex und PaRR

Jeder, der beruflich an regulatorischen oder wettbewerbspolitischen Themen interessiert ist, sollte diese beiden Medien auf seinem Schirm und die Alerts in seinem Posteingang haben. Artikel und Analysen von „MLex“ und „PaRR“ wollen keine leichte Leseunterhaltung sein. Ihre Analysen richten sich an Investoren, Anwältinnen und Gesetzgeber. Was nach einer Nische klingt, trifft in Brüssel auf eine durchaus breite Leserschaft – inklusive der EU-Kommission.

Bloomberg

nationalen Medien für Kommissionsmitarbeitende, Abgeordnete, die Ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten und alle anderen nicht zu unterschätzen ist. Die meisten großen Medienhäuser haben Korrespondentinnen und Korrespondenten in Brüssel, und es lohnt sich, zu lesen, zu hören oder zu sehen, wie diese die Brüsseler Entwicklungen in ihre Heimatländer tragen.

Die „Rising Stars“

Table Media

Dieses Onlinemedium aus Deutschland gibt es erst seit ungefähr zwei Jahren. Es richtet sich – nicht zuletzt erkennbar am Preis – vor allem an Entscheiderinnen und Entscheider aus Politik und Wirtschaft. Eines der werktäglichen Briefings, „Table Europe“, liefert

ersehnte Dokumente oder Analysen vor allen anderen bekommen. Noch ist „Contexte“ nicht flächendeckend im Bewusstsein der Brüsseler Blase präsent. Wenn die Redaktion so weitermacht, dürfte sich das aber ändern.

Die „Must-knows“

Euractiv

Dieses mehrsprachige Nachrichtenportal deckt ähnlich wie „Politico“ die einzelnen Bereiche der Brüsseler Politik ab und informiert in Newslettern und Artikeln über neue Entwicklungen. Auch wenn die Reichweite geringer ist als die von Politico, gelingen dem „Euractiv“Team regelmäßig Scoops. Abos der wichtigsten Newsletter sind also Pflicht – und im Vergleich zu „Politico Pro“ auch gratis. Mehrsprachig meint in diesem Fall übri-

Last but not least sei hier „Bloomberg“ erwähnt. Das Terminal wird insbesondere für Nachrichten aus den Bereichen Technologie und Finanzmärkte gerne herangezogen. „Bloomberg News“ unterhält auch eine große Redaktion in Brüssel. Wer Abwechslung von den Newslettern von „Politico“ sucht, findet sie im Newsletter „Brussels Edition“ von Bloomberg. •

Caroline Schröder ist Director bei der Kommunikationsberatung FGS Global in Frankfurt am Main und Brüssel. Sie berät Kunden bei der strategischen Positionierung, Unternehmenskommunikation und Medienarbeit an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik.

37 WWW.KOM.DE TITEL: EUROPA Fotos: FGS Global; Screenshot; Axel Springer
Table.Media positioniert sich mit seinen Produkten als Angebot für Entscheider.

Relevante Sichtbarkeit statt Selbstinszenierung

Sichtbarkeit von CEOs ist dann erfolgreich, wenn sie den Zielen der Unternehmensstrategie dient. Manchmal ist es allerdings sinnvoll, die öffentliche Präsenz auf mehrere Schultern zu verteilen.

How does this help the bu siness?“, fragte mich der CEO, als ich ihm ein Interview mit einem großen Nachrichtenmedium vorschlage. „Because it will allow us to tell how we position ourselves for growth in the next three years. And we will only get the story published, if it is told by you“, lautete meine Antwort.

Wir haben das Interview gemacht. Und weitere danach. Die Frage des CEOs unterstreicht, welche Unterscheidung für das CEO-Positioning in der Unternehmenskommunikation wichtig ist. Es geht nicht um Selbstinszenierung oder das taktische Nutzen eines günstigen Moments, sondern um relevante Sichtbarkeit im Dienst der strategischen Unternehmensziele.

Dabei sind die Chancen und Risiken gleichermaßen groß. Positionierung kann die Position kosten – sogar die höchste, die es in einer Organisation gibt. Wenn sie beispielsweise vom Aufsichtsrat nicht als Teil des Jobs anerkannt, sondern als falsch investierte Zeit verstanden wird.

Die strategische Positionierung des Top-Personals gehört inzwischen zum Kern der Aufgaben von Kommunikator*innen in Unternehmen, in der Poli-

tik und in Nichtregierungsorganisationen. Kommunikatoren machen es ebenso oft richtig, wie sie danebenliegen. Drei Grundregeln entscheiden nach meiner Erfahrung über Erfolg oder Scheitern beim CEO-Positioning.

„Carpool Karaoke“ mit Steingart

Die Welt, die ich selbst von innen am längsten kenne, ist die der Unternehmen. Im Folgenden ein Beispiel, bei dem ich nur Zaungast am Laptop war.

Im Juli 2022, wenige Tage bevor Herbert Diess erfährt, dass der Aufsichtsrat von Volkswagen seine Ablösung beschlossen hat, lernen die Abonnenten des „Pioneer Briefings“, dass der CEO des größten deutschen Automobilherstellers der bevorstehenden Aufsichts-

ratssitzung gelassen entgegensieht. Er sagt es uns selbst direkt in die Kamera. Gabor Steingart, Gründer von „The Pioneer“, neben sich auf dem Beifahrersitz, steuert der Top-Manager im vollelektrischen Bulli durch Berlin und erzählt eine Viertelstunde lang über seine Arbeit, die Wettbewerber und die VW-Strategie.

Die Technik kennen wir aus dem „Carpool Karaoke“ in der Show des Moderators James Corden. Nur gesungen wird nicht. Auf Youtube wird das Video der Testfahrt mit dem ID. Buzz fast fünfzigtausendmal angeklickt. Ich merke es mir auch deshalb, weil Gabor Steingart mit verdrehtem Sicherheitsgurt neben dem entspannt lenkenden Herbert Diess sitzt und ich die damalige VWKommunikationschefin Nicole Mommsen, die ich kenne und sehr schätze, auf der Rückbank sehe. Steingart erwähnt den Börsenkurs von VW, Probleme mit den Software-Plattformen und die bevorstehende Aufsichtsratssitzung: „Kritische Fragen?“ Herbert Diess: „Nö, seh ich nicht so.“ Und weiter: „Sie sehen mich sehr entspannt.“

Next Level CEO-Positioning? In den Monaten vor dem Berlin-Video hat VW nach meiner Wahrnehmung eine kluge Kommunikationsstrategie professio-

60 KOM № 12 PRAXIS
Zeit und Energie, die ein CEO für die externe Kommunikation aufwendet, müssen in einem günstigen Verhältnis zum Nutzen stehen.

nell umgesetzt. Der CEO ist präsent in Interviews mit nationalen Medien, auf Veranstaltungen und sozialen Plattformen. Alles ist gut orchestriert. Die offensive Öffentlichkeitsarbeit wird ergänzt durch eine selbstbewusste Marketingstrategie. Indem er viel von sich zeigt und seine eigene Marke Woche für Woche weiter öffentlich etabliert, wirbt der CEO für Sympathie und neues Vertrauen in die Unternehmensmarke, die noch vor Kurzem als Synonym für Dieselgate stand.

Ich finde das strategisch und mutig zugleich, diskutiere den Ansatz in unserem eigenen Team. Dort gibt es auch skeptische Stimmen, vor allem nach einem als unglücklich empfundenen Talkshowauftritt von Diess. Mut eröffnet Chancen, bringt aber auch Risiken mit sich. Richtig gemacht, lässt sich viel gewinnen.

Der CEO als Werkzeug

Die erste Regel: Wir Menschen – Konsument*innen – wollen den echten (oder die echte) CEO sehen. Keine Aufsager von Botschaften aus den Kommunikationsabteilungen. Das ist eine Einsicht, die seit Jahren auch das Edelman Trust

Barometer herausarbeitet. Menschen interessieren sich für Menschen.

Je komplizierter die Wirklichkeit und je größer die Distanz zu Big Corporate und zu großen Institutionen ist, desto stärker ist der Bedarf nach authentischen Führungspersönlichkeiten, die Nähe herstellen können.

Konsument*innen wollen wissen, wer die Manager*innen hinter den großen Logos sind, welche Werte sie antreiben, wofür und wogegen sie einstehen und in welche Richtung sie ihre Unternehmen steuern wollen.

In diesem Punkt gibt es sogar eine Kongruenz zwischen der Welt der Verbraucher und jener der Analysten. Es geht letztlich um CEO-Visibility – um eine Vertrauen schaffende, relevante Sichtbarkeit von CEOs und nicht um CEO-Positioning als Selbstzweck.

Der erste Begriff beschreibt das Ziel, der zweite die strategische Aufgabe, um es zu erreichen. CEO-Visibility ist dabei nur ein Teil der Strategie der Unternehmenskommunikation. Der CEO ist ein Werkzeug in der Tool Box. Das zu erkennen erfordert von introvertierten Naturen Mut und Lernbereitschaft. Von anderen verlangt es eine situative Bescheidenheit. Mit anderen Worten: einen rationalen

Umgang mit der Eitelkeit auf Seiten der CEOs. Und es verlangt Selbstbewusstsein von Kommunikator*innen auf Unternehmensseite. Sie müssen entweder antreiben oder manchmal auch Nein sagen, wenn der CEO beispielsweise Lust hat, ihm (oder ihr) direkt angetragene öffentliche Auftritte wahrzunehmen, obwohl diese der Kommunikationsstrategie entgegenstehen.

Ein Plan für relevante Sichtbarkeit

Die zweite Regel: Ein One-Hit-Wonder reicht nicht. Ein einzelnes Interview in einem Leitmedium, eine Keynote pro Jahr auf einem Industrie-Event oder ein Video zum Geschäftsergebnis auf sozialen Plattformen sind zu wenig, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ich habe mir in meiner bisherigen Arbeit selbst schon manchmal in die Tasche gelogen und ein großes, positives Feature oder ein vielfach geklicktes Video länger gefeiert, als es der Zielgruppe im Gedächtnis blieb.

Wirkungsanalysen zeigen, dass es für einen nachhaltigen Impact einen Plan mit relevanter Sichtbarkeit braucht, in dem a) Auftritte des oder der Vorstands-

61 WWW.KOM.DE Screenshot: Youtube
Ex-VW-Chef Herbert Diess im Gespräch mit Gabor Steingart. Hinten Nicole Mommsen. Diess gab sich vor einer Aufsichtsratssitzung entspannt. Kurze Zeit später war er seinen Job los.

20 Jahre Dauer-Change

KOM wird gemeinsam mit dem Vorgängertitel „pressesprecher“ in diesem Jahr 20 Jahre alt. Alexander Gutzmer war Gründungschefredakteur des „pressesprecher“. Er schreibt bis heute regelmäßig Beiträge. Hier blickt er zurück und analysiert, welche Veränderungen er in den kommenden Jahren in der Kommunikation erwartet.

Anfangs ging es im „pressesprecher“ vor allem um das Verhältnis von Unternehmen zu Medien. Die Customer Journey umfasst heute deutlich mehr Stakeholder.

Als Rudolf Hetzel, heute Geschäftsführer von Quadriga und damals bereits verlegerisch tätig, mich fragte, ob ich in seinen recht jungen Verlag als Chefredakteur einsteigen wollte, ging es ursprünglich um die Zeitschrift „Politik & Kommunikation“, die es immer noch gibt. Vom damaligen Magazin „pressesprecher“, das gerade erst ins Leben gerufen und an dem konzeptionell noch gefeilt wurde, war zunächst nicht die Rede. Erst als ich proaktiv fragte, wie es denn um diese neue

Zeitschrift für Kommunikation stehe, räumte Hetzel ein, dass der Job ebenfalls frei sei. Er war etwas überrascht, dass jemand der PR den Vorzug gegenüber der großen Politik geben wollte. Es gab damals kein Vorbild für eine journalistisch gedachte und gemachte PR-Zeitschrift. Echte Reportagen, Interviews, in denen kritisch nachgefragt wurde, sowie das Analysieren von Kommunikation im Zuge gesellschaftlicher Zusammenhänge waren in einem Medium für die Kommunikationsbran-

70 KOM № 12
Cover: Archiv
AUSGABE 01 DEZ 03 JAN 04 € 15 PR weltweit Die Kunst der internationalen Kommunikation Lars Großkurth Erster Präsident des Bundesverbandes deutscher Pressesprecher Beruf Pressesprecher Weihnachtskarten Ein individueller Gruß –die Kür gelungener Kontaktpflege
�� � ��� �� � ��� � �� Wer hat den interessantesten Job? Wer macht die beste Arbeit? Wer bekommt das meiste Geld? Fachmagazin für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation www. pressesprecher.com politikverlag helios GmbH ISSN 1612-7668 cover_fertig03.indd 24.11.2003, 03:09
Roland Schick Der DaimlerChryslerSprecher – Sieger im Mediendax

che nicht Usus. Wir änderten das. Es herrschte Aufbruchstimmung. Diese ging auch vom ebenfalls gerade gegründeten „Bundesverband der Pressesprecher“ aus, der die Zeitschrift mit ins Leben rief. Der Verband heißt heute bekanntlich Bundesverband der Kommunikatoren (BdKom). Bis heute zeichnet sich KOM in meinen Augen durch seine journalistische Grundhaltung aus.

Omnipräsenz des

Es ist Ihr Erfolg, der bei uns im Mittelpunkt steht.

Sie stehen vor wichtigen Herausforderungen?

In der Kommunikation mit der Politik, im Dialog mit kritischen Anspruchsgruppen, bei der Begleitung von Veränderungsprozessen oder in der medialen Krise: Wir entwickeln Lösungen, die wirken!

PRGS – Strategien für Ihren Erfolg

Unternehmen entdecken ihre Mitarbeiter als wichtige Zielgruppe. Ein Glücksfall für die Interne Kommunikation

Was uns zu einem Thema bringt, das die Kommunikationswelt momentan beschäftigt und künftig noch stärker beschäftigen wird: die Tendenz zur Omnipräsenz des Medialen. „Mediatisierung“ nennt das der Medienwissenschaftler Andreas Hepp. Bernhard Pörksen spricht in diesem Kontext von der „redaktionellen Gesellschaft“. Gemeint ist jeweils, dass das Prinzip medial getriebener Kommunikation ubiquitär wird. Als Teilbereich dieser Entwicklung merken wir schon heute, wie Unternehmen zu medialen Aktivposten werden und sich an den Mechanismen großer Medienhäuser orientieren. Newsrooms sind hierfür ein Beispiel.

Wenn wir uns fragen, wie sich diese Entwicklung fortsetzen wird, dann reicht die damit implizierte Notwendigkeit einer hohen Themenkompetenz allein nicht mehr aus. Die Unternehmenskommunikation setzt nicht nur Themen. Sie muss auch deren Journey durch die verschiedenen Kanäle durchdenken.

Das bedeutet, die aus dem Marketing bekannte Logik der Customer Journey auch in der Kommunikation anzuwenden. Hier sind es dann eine Themen-Journey und eine Stakeholder Journey. Die Kommunikation wird künftig noch stärker in Stakeholder-Communities denken und antizipieren müssen, was diese mit einmal gesetzten Themen anstellen und in welchem zeitlichen Rhythmus sie es tun.

Peter Boudgoust, Vorsitzender der ARD, über politische Einflussnahme, Fernsehen ohne Werbung und die Wirtschaftsberichterstattung seiner Sender

UNGEHÖRT Die Botschaften der Tourismusbranche erregen immer seltener Aufmerksamkeit. Um das zu ändern, müssen sich ihre Pressesprecher vom Marketing emanzipieren.

UNBELIEBT Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, über das Krisenmanagement der katholischen Kirche und den Versuch, Vertrauen zurückzugewinnen

Die Aufwertung der internen Kommunikation beschleunigte sich rasant. Thema war interne Kommunikation 2010 im „pressesprecher“.

Das erfordert eine neue Dichte an Informationen über die unterschiedlichen Stakeholder. Es reicht nicht mehr, einmal eine StakeholderMap erstellt zu haben und dann mit dieser zu arbeiten. Die Kommunikation muss sich permanent neu in die Wertewelten der verschiedenen Stakeholder-Communities einfühlen –genauso wie in deren Medienwelten. Und sie muss diese Analyse mit einer gewissen Flexibilität angehen. Stakeholder-Konstellationen ordnen sich immer wieder neu. Stakeholder-Gruppen können sich miteinander vernetzen oder auseinanderdriften. Ein Beispiel sind Analysten und Wirtschaftsmedien. In den vergangenen Jahren haben sich diese meinem Eindruck nach angenähert. Kompetente Analysten agieren fast wie Content-Partner der Medien. Unternehmen gehen daher zunehmend dazu über, die beiden Zielgruppen zu parallelisieren und beispielsweise Medienevents für beide zu veranstalten.

Darüber hinaus wird die Zielgruppe der Journalisten immer heterogener. Die beliebte These, klassische Publikumsmedien verlören an Bedeutung, bedeutet nicht, dass die Medienarbeit als solche weniger wichtig wird. Sie wird nur komplizierter, digitaler und undurchsichtiger. Neue Reichweitenriesen wie „CNET“ oder „Golem“ sind mit herkömmlichen Tools nicht mehr automatisch zu erreichen. Von Old Boys’ Networks oder Mechaniken der klassischen Beziehungspflege deutscher PR-Strippenzieher lassen sie sich nicht beeindrucken. Das gilt umso mehr für die wichtigsten Youtube-Kanäle.

Die Frage der Haltung zu gesellschaftlichen Fragen ist in der Kommunikation längst zentral. 2015 war „Haltung“ bereits ein Titel.

Stichwort Youtube-Kanal: An den Rändern des Mediensystems verschwimmt gerade das Bild davon, was überhaupt ein Journalist ist. Neben den Influencern prägt sich der neue Stakeholder-Typus des „Maven“ aus. Darunter verstehen Unternehmen wie BMW publizierende Meinungsmacher, die über eine gewisse Social-Media-Reich-

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1
Miteigentümer bin. Schon 144.000 unserer Mitarbeiter sind als Aktionäre langfristig am Erfolg von Siemens beteiligt. siemens.com Bereits Werner von Siemens hatte das Ziel, seine Mitarbeiter zu Miteigentümern zu machen. Und die Siemens Aktienkultur sorgt dafür, dass weltweit immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Chance wahrnehmen. Zum Beispiel Yener Aydin, Teamleiter in der Endmontage und Vormontage. Als Aktienbesitzer zeigt er seine Verbundenheit mit den Werten von Siemens. Und er beweist, dass er von seinem eigenen Erfolg ebenso überzeugt ist wie vom Erfolg seines Unternehmens. Tag der Teilhabe Berlin 20.11.2015 tagderteilhabe.de SIM=CC_15-10-65_210x280_HeliosMedia.indd 1 02.10.15 11:43 presse sprecher Magazin für Kommunikation 7/15 Haltung Ausgabe 7/15 Oktober 2015 Helios Media Gmbh ISSN 1612-7668 www.pressesprecher.com
Siemens ist mein Unternehmen. Erst recht, seit ich
AUSGABE 03/2010 Mai www.pressesprecher.com Helios Media GmbH ISSN 1612-7668 03/10 Ins Herz geschlossen Public Affairs/ Politikmanagement Krisenmanagement und -kommunikation Litigation-PR/ Prozess-PR
www.prgs.de Berlin I München I Brüssel London Washington
UNABHÄNGIG
INS HERZ GESCHLOSSEN

AUSGEWÄHLTE HIGHLIGHTS

PROGRAMM HIGHLIGHTS

ROBIN ALEXANDER (WELT), CHRISTIAN KULLMANN (EVONIK), PRESSECLUB U.V.M.

ARD- HAUPTSTUDIO, BUNDESNACHRICHTENDIENST, AXELSPRINGER + 3

DEUTSCHLANDS GRÖSSTER KONGRESS FÜR STRATEGISCHES KOMMUNIKATIONSMANAGEMENT FEIERT JUBILÄUM ALLE INFORMATIONEN UND TICKETS: WWW.KKONGRESS.DE #KKONGRESS 14./15. SEPTEMBER BERLIN DIGITAL FOKUS UNSERE TOP SPEAKER SPEAKERSNIGHT JUBILÄUMS EDITION

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