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Praxislernen im Pflegestudium Teil 1: Professionalisierung in der Pflegepraxis: Anleitung von Studierenden – Erste innovative Schritte Nane Jakob und Anne Kaiser Teil 2: Durch Kollegiale Fallberatung den Austausch zwischen Pflegefachkräften und Studierenden fördern Helga Schell, Günter Milla und Astrid Herold-Majumdar

Praxislernen im Pflegestudium

Nane Jakob, Anna Kaiser und Helga Schell

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Im nachfolgenden Artikel wird aus zwei Perspektiven der Frage nachgegangen, wie Praxislernen im Pflegestudium gelingen kann. Die Arbeit von Tutoren im Rahmen praktischer Einsätze von Bachelorstu dierenden und ein Modell zum besseren TheoriePraxis-Theorie-Transfer werden beschrieben, und deren Wirkung ausgeleuchtet.

Teil 1: Professionalisierung in der Pflegepraxis: Anleitung von Studierenden –Erste innovative Schritte

Nane Jakob und Anna Kaiser

Das Ziel von Pflegestudiengängen ist es, Pflegende für künftige Versorgungsbedarfe im Gesundheitssystem angemessen zu qualifizieren (vgl. Backhaus et al. 2018). Studierende erwerben zusätzlich zu den traditionellen Ausbildungsinhalten pflegewissenschaftliche Kompetenzen zur Etablierung einer evidenzbasieren Pflegepraxis. Praxisanleitende müssen folglich über diese Kompetenzen verfügen und ein vernünftiges, reflektierendes Denken im Pflegehandeln fördern. Dazu setzt die München Klinik qualifizierte Tutoren ein.

Theoretischer Hintergrund

Steigende Anforderungen, sich verändernde Aufgabenverteilungen in der Pflegepraxis und die damit einhergehenden Herausforderungen resultieren in einem steigenden Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal. Tra ditionell qualifiziertes Fachpersonal kann diesem Anspruch alleine nicht mehr gerecht werden (Friesacher, 2014).

Folglich wurden ab 1990 zunehmend Pflegestudiengänge entwickelt (Simon, 2018). Derzeit existieren circa 150 Pflegestudiengänge mit diversen Schwerpunktsetzungen (Pflegestudium 2016). Ein duales Studium verknüpft Berufsausbildung, Studium und Praxisphasen zeitlich und inhaltlich in einer triadischen Struktur (Krone, 2015). Nach Abschluss der Berufsausbildung, wird das Studium bis zum Bachelor-Abschluss fortgesetzt (Kälble, 2013, S. 1130). „Damit haben Hochschulen und Praxispartner ein Format etabliert, das den Erwerb von wissenschaftlichen mit berufspraktischen Kompetenzen verbindet.“ (Bundesinstitut für Berufsbildung, S. 6).

Das Pflegeberufegesetz (PflBG) führt dieses Studium in den Regelbetrieb über (Darmann-Finck et al. 2016). „Die hochschulische Ausbildung umfasst die in § 5 Absatz 3 beschriebenen Kompetenzen der beruflichen Pflegeausbildung und gemäß § 37 folgende Themenbereiche:

Steuerung hochkomplexer Pflegeprozesse, Weiterentwicklung und Mitgestaltung der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung, forschungsgestützte Problemlösungen und neue Technologien in das berufliche Handeln übertragen, kritisch-reflexiv und analytisch mit theoretischem und praktischem Wissen auseinandersetzen, und wissenschaftsbasiert innovative Lösungsansätze zur Verbesserung im eigenen beruflichen Handlungsfeld entwickeln und implementieren und Qualitätsmanagementkonzepte, Leitlinien und Expertenstandards mitentwickeln (PflBG, § 37, Abs. 3).

Zur Umsetzung dieser Ausbildungsziele in Theorie und Praxis müssen Angebote geschaffen werden. „Bei der Ausbildung der beruflichen Handlungskompetenz, in de ren Kontext sich die berufliche Identität entwickelt, nimmt die Praxisanleitung eine wichtige Stellung ein.“ (Steffan und Knoch 2015, S. 2). Bisher werden die dual Studierenden in der Pflegepraxis durch die dort tätigen, meist nicht hochschulisch ausgebildeten Praxisanleitun gen angeleitet, weil die Praxisanleitung der dual Studierenden derzeit nicht gesetzlich geregelt ist (vgl. Steffan und Knoch 2015, S. 1 f.).

Die Weiterbildungsempfehlung der Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) definiert Praxisanleitende als examinierte Pflegefachkräfte mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung, sowie einer Weiterbildung im Umfang von 200 Stunden (vgl. Quernheim 2013, S. 62 ff.). Da Studierende auf Grund der im Studium vermittelten Kompetenzen mit anderen Fragestellungen an Praxisanleitende herantreten, werden künftig Kompetenzen traditionell ausgebildeter Praxisanleiter für die Betreuung der Studierenden nicht ausreichen. Praxisanleitungen, die auf die Bedarfe einer Pflegeausbildung auf wissenschaftlicher Grundlage ausgerichtet sind, werden notwendig. (vgl. Steffan und Knoch 2015, S. 2).

Deshalb empfiehlt die DKG seit 2015 die Ergänzung der Weiterbildung durch die Moduleinheit „Theoriegelei tet pflegen“ (vgl. DKG 2015, S. 6 f.). Diese soll Praxisanleitern pflegewissenschaftliche Grundlagen vermitteln und auf die neuen Anforderungen vorbereiten. Das ist jedoch keine ausreichende Zusatzqualifikation für berufserfah rene berufsfachschulisch ausgebildete Pflegefachkräfte. 2015 bis 2017 bildete die Universität Witten / Herdecke „Tutoren für duale Pflegestudiengänge“ aus (70 Std. Prä

senz und 40 Std. Selbststudium / 4 ECTS). Diese Fortbildung basiert auf dem Konzept der „Geleiteten Praxis“, welches die Begleitung von Studierenden in unterschiedlichen Feldern der Pflegepraxis zum Ziel hat. Voraussetzung für die Teilnahme war ein akademischer Abschluss in einem pflegerelevanten Studiengang. (vgl. Bienstein, de Jong, 2016).

Der Tutor übernimmt die Funktion, Räume und Möglichkeiten zu eröffnen, sich systematisch reflektierend mit Themen der Pflegepraxis wissenschaftlich auseinanderzusetzen. „Es handelt sich hierbei nicht um eine Praxisanleitung, sondern es dient der Erweiterung von [pflegewissenschaftlichen, Anm. d. Autorinnen] Kompetenzen. Die Studierenden lernen dabei, ihre eige ne berufliche Praxis wissenschaftlich zu reflektieren, Probleme zu identifizieren und ggf. Pflegeentwicklungsprojekte auf den Weg zu bringen.“ (Wittener Pflegetutorium, 2016, S. 6).

Vier bis acht Studierende werden einmal wöchentlich für circa zwei Stunden begleitet. Die Tutoren / innen moderieren den Austausch der Studierenden über alltägliche Herausforderungen und unterstützen bei der Entwicklung von Problemlösungskompetenzen in den jeweiligen Pflegesituationen. Hierunter zählen beispielsweise analytische Fähigkeiten sowie die Identifizierung von wissenschaftlichem Wissen, mit anschließender Adaption des Wissens in die Pflegepraxis. Dadurch wird es möglich, einen direkten Praxisbezug herzustellen. Zum anderen unterstützt der Tutor bei der Rollenfindung Pflegestudierender im beruflichen Kontext des dualen Studiums. Als Grundlage der Tutorien dienen die von der Hochschule formulierten Kernkompetenzen eines Bachelors sowie die Ziele und Aufgaben für die Praxisphase. Dementsprechend stellt die Kenntnis über die Inhalte des Modulhandbuchs der Hochschule eine Voraussetzung für die Tutorentätigkeit dar. Den Lehrauftrag erhalten die Tutoren / innen von der entsprechenden Hochschule, sie sind jedoch nicht an der Notenvergabe beteiligt (vgl. Wittener Pflegetutorium, 2016, S. 13).

Tutoren stehen in enger Verbindung mit den Hochschullehrenden und den zuständigen Praxisanleiter / innen der jeweiligen Einrichtung. Ziel ist es hierbei, die Kompetenzen der Studierenden zu entwickeln und auszubilden und somit eine stetige Wissenszirkulation zu gewährleisten. Ergebnisse von Treffen werden protokolliert. Hierfür kann ein Studienbuch genutzt werden (vgl. Bienstein, de Jong 2016, S. 8). Zusammenfassend lassen sich die Aufgaben von Tutor / innen wie in Tabelle 1 darstellen.

Praxiserfahrung

Eine schriftliche Befragung zur Arbeit der Tutoren der München Klinik ergab eine sehr positive Resonanz der Studierenden in unterschiedlichen Semestern. Aus Sicht der Tutoren / innen wirken die Studierenden häufig unsicher und müssen sich in ihrer Rolle im pflegerischen Alltag einfinden. Hierbei unterstützen Gespräche. Besonders der aufmerksame Blick der Studierenden für Problemstellungen in der Praxis ist wertvoll. Der systematische Austausch darüber und der Bezug zu einer pflegewissenschaftlichen Herangehensweise fördern eine systematische und evidenzbasierte Problemlösungskompetenz. Das gibt Studierenden Sicherheit und Orientierung.

Diskussion

Im Jahr 2012 veröffentlichte der Wissenschaftsrat die „Empfehlungen zu hochschulischen Qualifikationen für das Gesundheitswesen“. Darin spricht sich dieser für eine Akademisierungsquote von 10 bis 20 % eines Ausbildungsjahrgangs in den Gesundheitsfachberufen aus (vgl. Wissenschaftsrat 2012, S. 8). Auch wenn sich das duale Pflege-Studium inzwischen als Angebot etabliert, ist die Anzahl der Absolventen, die tatsächlich in der pflegerischen Versorgung verbleiben, um beispielsweise Aufgabenfelder, wie die eines Tutors ausüben zu können, ver

Tabelle 1. Aufgaben von Tutor/innen (Quelle: eigene Darstellung 2018 in Anlehnung an: Wittener Pflegetutorium, Universität Witten / Herdecke 2016, S.15)

Studierende

Sitzungen mit Studierenden initiieren und moderieren Die Studierenden in die Organisation und die Community integrieren Prozessbegleitung Fragen identifizieren und bearbeiten Wissen finden Fallreflexion Förderung einer beruflichen Handlungskompetenz (auf Problemlösungsebene) Rollenfindung Beobachten des Phasenverlaufs von Unterricht und Unterrichtsstörung Netzwerke bilden Organisation

Akquise von Gatekeepern Bedürfnisse der Organisation und Kompetenzen der Studierenden zusammenführen Wegbereiter Abstimmung mit Praxisanleitern Hochschule

Abstimmung mit Modulkoordinatoren bzw. Dozenten bzgl.: – Praxisaufgaben – Fortschritten von Studierenden

gleichsweise gering (vgl. Simon 2018, S. 39). Der Verbleib der Bachelorabsolventen / innen am Arbeitsmarkt ist bislang unzureichend untersucht. „Die immer wieder geäußerte Befürchtung, dass die akademisierten Pflegenden die „Pflege am Bett“ verlassen, kann durch die Erhebung der Hochschule München nicht bestätigt werden, wenngleich Arbeitsfeldern außerhalb der direkten Pflege durchaus eine ebenso große Bedeutung zukommt. Allerdings arbeiten Absolventen / innen, die außerhalb der direkten Pflege tätig sind, nicht zwangsläufig patientenfern. Vielmehr nehmen auch hier patientennahe Tätigkeiten einen breiten Raum ein.“ (Büker, Strupeit 2016, S. 95).

Das Potenzial der Bachelorabsolventen/innen, welche in der direkten und indirekten Pflege verbleiben, gilt es für eine gezielte Praxisanleitung sowie die Tutorentätigkeit zu nutzen. Durch die eigenen Erfahrungen als Studierende und die hochschulisch erworbenen Kompetenzen kann ein gezielter Wissenstransfer ermöglicht werden. Der Wunsch nach Ansprechpartnern mit gleichem oder ähnlichem beruflichem Abschluss wird auch von den Studierenden selbst geäußert. Sie erhoffen sich dadurch seitens der Betreuenden eine bessere Nachvollziehbarkeit von Inhalten und Anforderungen im Studium (vgl. Steffan und Knoch 2015, S. 4). Dies ist ebenfalls in Bezug auf Seminarund Projektarbeiten sinnvoll, da diese adäquat begleitet werden können und in einem direkten Bezug zur Praxis stehen. Die Tutoren fungieren somit als Bindeglied zwischen der hochschulischen Ausbildung mit einer theoriebasierten Herangehensweise und der Praxis und tragen damit zur individuellen wie auch systematischen Kompetenzförderung der Studierenden bei. Der Einsatz hochschulisch qualifizierter und in der Praxis entsprechend ausgebildeter Bachelor-Absolventeninnen und Absolventen, sowohl als Tutoren als auch in der direkten PatientenVersorgung, kann in den Pflegeteams perspektivisch eine kontinuierliche Zirkulation von Wissen ermöglichen und zukünftig die Sozialisation und Einbindung der Studierenden am Praxis-Lernort verbessern.

Die Tutorentätigkeit muss etabliert und differenziert evaluiert werden, um die Effektivität und den damit einhergehenden möglichen Wert darstellen zu können. Die Finanzierung und strukturelle Verortung der Tutoren muss geklärt werden, um das Modell in den Regelbetrieb zu überführen.

Für eine positive Integration der studierten Pflegekräfte in die strukturellen Gegebenheiten der Organisationen gibt es derzeit nur wenige Ansätze (vgl. Witzmann 2016, S. 94). Durch begleitendes Tutoring im Lernort Praxis können den Bachelorstudierenden Arbeitsfelder aufge zeigt werden, in denen ihre speziellen Kompetenzen sinnvoll entwickelt werden können. In der Folge können diese dann ebenso gewinnbringend in die Pflegepraxis integ riert werden und Absolventen verbleiben mit höherer Wahrscheinlichkeit langfristig im Unternehmen. Passen de Stellenbeschreibungen sind erforderlich. Hierbei stehen nicht nur Handlungsfelder der direkten Pflege, sondern auch die der indirekten Pflege im Fokus. Praxis anleiter/innen und Tutoren muss ein ausreichendes Zeitkontingent zugestanden werden, damit ihre Arbeit Wirkung entfalten kann.

Eine systematische Integration Studierender und Absolventen gelingt durch gezielte Förderung. Im Unternehmen ausgebildete Absolventen sind Rollenmodelle, die Orientierung schaffen und Zukunftsperspektiven aufzeigen. Nur durch proaktiv initiierte Nachwuchsförderungsstrategien sowie die Ausweitung von Instrumenten zur besseren Verzahnung der hochschulischen und praktischen Ausbildung (vgl. Steffan und Knoch 2015, S. 7), wird es möglich sein, im „war for talents“ zu bestehen.

Teil 2: Durch Kollegiale Fallberatung den Austausch zwischen Pflegefachkräften und Studierenden fördern

Helga Schell, Günter Milla und Astrid Herold-Majumdar

Ausgangslage

Seit 2008 begleitet die München Klinik als Kooperationspartner der Hochschule München die berufliche Ausbildung der Studierenden im Studiengang Pflege dual. Die im Studienanteil verankerten Inhalte sollen u. a. darauf vorbereiten, die Praxiswirklichkeit zu beschreiben, zu analysieren, Problemfelder der praktischen Pflege aufzudecken sowie diesen methodisch zu begegnen (vgl. Dualer Bachelorstudiengang Pflege – Studienplan und Modulhandbuch, 2013).

Im praktischen Feld der Pflegewissenschaft sind der konkrete Transfer sowie die Verankerung eine große Her ausforderung. Ein „erlernter“ Theorie-Praxis-Transfer könnte gut gelingen. Dem wird bisher zu wenig Rechnung getragen. Zudem gelingt es noch nicht ausreichend, den Stand dieses Kompetenzerwerbs auch verlässlich zu mes sen (Darmann-Finck, Reuschenbach 2013, S. 23).

Standortbestimmung der praktischen Ausbildung der Studierenden

Inhaltsbestimmend für die praktische Ausbildung in den ersten sechs Semestern sind vorwiegend das Einüben handwerklich-technischer Fähigkeiten, die unmittelbare Bestimmung des Pflegebedarfs sowie die Organisation der eigenen Arbeit(saufträge) und das Erlangen eines Überblicks über das Stationsgeschehen. § 37 des Pflegeberufegesetzes (PflBG, § 37, Abs. 3) übersteigt die bisherigen Anforderungen der praktischen Ausbildung bei weitem und orientiert sich an den späteren Aufgabenbereichen. Konzeptionen für den Einsatz von Bachelor-Absolventen in der klinischen Praxis sowie die Einordnung in Kompetenzprofile der Pflege sind noch in der Entwicklungsphase (Feuchtinger, 2014; Drube, 2018).

Klinische Rahmenbedingungen

Die zunehmende Arbeitsverdichtung im Pflegedienst, ein Anstieg der Fallzahlen im klinischen Bereich (ca. 15 %); eine Reduktion der Verweildauern (ca. 32 %) sowie eine Reduktion der Mitarbeiter / innen im Pflegedienst (ca. 9 %) prägen den Alltag (Weidner, 2016; statistisches Bundes amt, 2018). Einer amerikanischen Untersuchung zufolge treffen Pflegekräfte im Akutbereich etwa alle 10 Minuten, im Intensivbereich sogar alle 30 Sekunden Entscheidun gen (Thompson 2003 in Schrems, 2016). Obwohl nicht jede dieser Entscheidungen die gleiche Wertigkeit besitzt, verdeutlicht diese Untersuchung doch, dass von den Pfle gekräften eine kontinuierlich hohe geistige, körperliche und emotionale Präsenz und Sorgfalt in der Versorgung der Patienten gefordert wird.

Zudem ist der Anteil komplexer und hochkomplexer pflegerischer Problemstellungen bei Patienten gestiegen. Dadurch werden Kompetenzen erforderlich, die über den Bedarf der aus Fachweiterbildungen erworbenen Spezialisierungen (z. B. Wundmanagement) hinausgehen. Gemeint sind Fähig- und Fertigkeiten, die zum Umgang mit nicht-standardisierten Vorgehensweisen bei Menschen befähigen, sowie eigene Problemlösungsschritte in der interprofessionellen und interdisziplinären Zusammenarbeit erkennen lassen (Schober & Affara, 2008, S. 75; PflBG, § 37, Abs. 3). Die strukturierte Einbindung von Pflegekräften mit diesen Kompetenzen ist bisher in der Praxis nicht ausreichend gegeben.

Konsequenzen für die praktische Pflegeausbildung Studierender

Studierende nehmen die Bedingungen für die Ausübung ihres Berufes durchaus wahr – konzentriert im Transfer von der Theorie zur Praxis. Anknüpfungspunkte zwi schen Inhalten aus dem Studium und praktischer, klinischer Pflege werden häufig außerhalb der direkten Patientenversorgung gesehen. Zur Ausbildung von Rol lenbildern fehlen Möglichkeiten, strukturierter und gezielter Reflexionen gemeinsam erfahrener Praxissituationen. Die Notwendigkeit der Integration akademisch ausgebildeter Pflegekräfte wird noch nicht konsequent und konkret angedacht.

Studienmodul zur Förderung des Theorie-Praxis-Transfers

Das vorliegende Konzept bringt erfahrene Pflegefachkräfte mit Studierenden der Pflege zusammen, indem es sich an konkreten Fallsituationen ausrichtet. Als Methode findet die kollegiale Fallberatung (Schrems 2016, Tietze 2016) Anwendung.

Unter der Federführung von Frau Prof. Astrid HeroldMajumdar wurde, gemeinsam mit der München Klinik Schwabing, ein für das siebte Fachsemester vorgesehenes Studienmodul neu konzipiert und implementiert (HeroldMajumdar 2018).

Aufbau der Lehrveranstaltung

Nach einem theoretischen Einführungsblock mit praktischen Übungen anhand von Fallvignetten gehen die Studierenden in die Klinik, um gemeinsam Fallsituationen mit den Berufskollegen zu beraten. In der Lehrveranstaltung an der Hochschule werden die Studierenden in der fallverste henden Pflegediagnostik (Bekel 2002; Schrems 2008; Hardenacke et al. 2011) geschult, die durch Klassifikations systeme, wie beispielsweise die NANDA-I Pflegediagnosen (Herdmann & Kamitsuru 2016), unterstützt wird. Kritisches Denken (Herdmann & Kamitsuru 2014) und kulturelle Achtsamkeit (Rew et al. 2014) sollen dabei die Studieren den leiten. Das Konzept der evidenzbasierten Pflegepraxis wird aufgegriffen und unter Berücksichtigung des Daten schutzes konkret auf Fallsituationen angewendet.

Kollegiale Fallberatung als Unterstützung der Theorie-Praxis- Vernetzung

In der Klinik treffen die erfahrenen Pflegefachkräfte mit den Studierenden zusammen. Der Ablauf jeder einzel nen kollegialen Fallberatung orientiert sich an einem, an Tietze angelehnten, festgelegten Schema (Tietze, 2016, S. 62 ff.). Diese Prozessschritte bedingen für die Studie renden über die Zeit eine zunehmende Sicherheit mit der Methodik.

Ablaufschritte: • Bekanntmachen von Fallerzähler und Studierenden • Erläuterung der Methodik (ebd., S. 64 ff.); eruieren von

Erwartungen / Befürchtungen des Fallerzählers • Fallerzählung – die zum Verständnis der Situation wichtigen Sach- und Zustände, Entwicklungen und Verläufe werden geschildert • Formulieren eines Beratungsanliegens (vgl. ebd.,

S. 83 ff.) als „Kann“-Element; je nach Zielsetzung des

Fallerzählers geht es darum, sich einen Fall in einem geschützten Rahmen selbst zu erarbeiten und / oder um die Lösung eines Praxisproblems • Formulierung von Verständnisfragen, Reflexion der (Patienten)Situation • kollegiale Klärung der methodischen Weiterarbeit im

Hinblick auf die geschilderte Situation und auf die Zielsetzung des Fallerzählers (vgl. ebd., S. 115 ff.) • Priorisierung bestehender pflegerischer Problemstellungen des Falls – benennen hypothetischer Pflegediagnosen in Abstimmung mit dem Fallerzähler • Formulierung wissenschaftlicher Fragestellungen • abschließende Reflexion der kollegialen Fallberatung

Die Methodik verdeutlicht anschaulich eine praxisbezogene, kollegiale Verknüpfung theoretischer, prak tischer und erfahrungsgeleiteter Faktoren pflegerischer

Arbeit in Kombination zwischen Studierenden und erfahrenen Pflegefachkräften. Diese findet ihren Ausdruck beispielsweise in dem Austausch zu pflegefachlichen Fra gestellungen, der Formulierung ethischer Dilemmata, der verstehenden Annäherung an die Perspektive des Patienten und der handelnden Personen, der Priorisie rung pflegerelevanter Problemstellungen, der Diskussion um Vermutungen und Wahrnehmungen zur Beurteilung, der Reflexion von Interpretationen und angenommenen Zusammenhängen (auch über den Fachbereich hinaus) und der Formulierung konkreter wissenschaftlicher Fra gestellungen zum Fall.

Die kollegiale Beratung mit den Studierenden erfolgt konsiliarisch. Entscheidungen über die Falleinschätzung und weiterführende, pflegerische Interventionen werden ausschließlich vom Behandlungsteam in der Klinik ge troffen.

Mehrwert aus der gemeinsamen Lehrveranstaltung

Ergebnisse der Begleitstudie „CANDo“ (Herold-Majumdar, 2018) sind in die Optimierung des Moduls eingeflossen. Für den Theorie-Praxis-Transfer lässt sich ein deutlicher Mehrwert erkennen. Die Pflegenden bemerken, dass insbesondere die Verdeutlichung der Komplexität ihnen helfe, den Fall konkreter zu beurteilen. Diskutierte Sichtweisen und Lösungsvorschläge fließen z. T. direkt in die weitere Arbeit mit dem Patienten ein. Die Perspekti ven der Studierenden, werden als hilfreich empfunden. Die Fallsituation in einem geschützten Rahmen darstel len zu können, wird nicht selten als Wertschätzung der persönlichen Arbeit wahrgenommen. Das Bild vom Mehrwert und der Integration akademischer Pflegekräfte konkretisiert sich.

Das Bild der Studierenden vom Handlungsfeld Pflege verändert sich. Die beruflich Pflegenden werden in völlig anderen Rollen erlebt, als im Pflegealltag. Die Komplexität von Patientensituationen ermöglicht den Blick auf ein erweitertes Berufsbild und Selbstverständnis.

Die Bearbeitung von Handlungsoptionen auf der Grundlage pflegerischen Fallverstehens kann gemeinsam bewerkstelligt werden. Die kollegiale Fallberatung ist eine sinnvolle Methodik die zahlreichen Handlungsstränge eines komplexen Falls sichtbar zu machen. Lösungsansätze aus einer Kombination aus beruflicher Erfahrung und theoretisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen werden von beiden Seiten als bereichernd empfunden.

Erkenntnisse für die Praxis

Gemeinsam mit der Hochschule München konnte im klinischen Setting der Theorie-Praxis-Theorie Transfer etabliert werden. Regelmäßige pflegerische Fallbesprechungen können den genannten Mehrwert durch Reflexion sichtbar machen. Durch das Kooperationsprojekt werden hierzu wichtige Grundlagen gelegt.

Ziel akademischer Praxisanleitung sollte es sein, sowohl Pflegende im klinischen Setting als auch Studierende gemeinsam an Problemstellungen der Praxis arbeiten zu lassen.

Literatur Teil 1

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Zwischenbilanz im Kontext aktueller Entwicklungen und

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Literatur Teil 2

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Staat/Gesundheit/Krankenhaeuser/Krankenhaeuser.html [11.05.2018] Tietze, K.-O. (2016): Kollegiale Beratung – Problemlösungen ge- meinsam entwickeln. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Weidner F. (2016). Pflege. Macht. Politik! – Herausforderungen und Wege. Vortrag Deutscher Pflegetag 2016. Verfügbar unter https://www.dip.de/fileadmin/data/pdf/Aktuelles/Weidner_

Deutscher_Pflegetag_2016-Grafiken-%C3 %B6 ff.pdf [11.05.2018]

Nane Jakob

Gesundheits- und Krankenpflegerin, Praxisanleiterin, B.Sc. Pflege, M.A. Management von Sozialund Gesundheitsbetrieben, München Klinik Harlaching

Anna Kaiser

Gesundheits- und Krankenpflegerin, Praxisanleiterin, Tutorin für Pflege- wissenschaften. B.Sc. Pflege, cand. M.Sc. Advanced Nursing Practice, München Klinik Harlaching

anna.kaiser2@muenchen-klinik.de

Helga Schell

Gesundheits- und Kinderkranken- pflegerin, Dipl. Pflegewirtin / Pflegewissenschaft (FH), Pflege-und Servicemanagement, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, München Klinik Schwabing

helga.schell@muenchen-klinik.de

Prof. Dr. rer. medic. Astrid Herold-Majumdar

MScN (Univ), Dipl.Pflegewirtin (FH), Gesundheits- und Krankenpflegerin, TQM Auditorin (EQ Zert Ulm) Hochschule für Angewandte Wissen- schaften München Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften / Pflegewissenschaft: Studiengang- leitung dualer Bachelorstudiengang Pflege

astrid.herold-majumdar@hm.edu

Günter Milla

Gesundheits- und Krankenpfleger, Geschäftsbereichsleitung Pflege und Service, München Klinik

guenter.milla@muenchen-klinik.de

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