Jahrgang 67 / Heft 1 / 2019
Geschäftsführender Herausgeber Franz Petermann Herausgeber Simone Munsch Alexandra Philipsen Erich Seifritz
Zeitschrift für
Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie Themenheft Essstörungen
Mensch, Umwelt und Handlung in der Ergotherapie
HOG_9783456859040_Blaser_Handlungskompetenz.indd 2
Marlys Blaser
Individuelle und soziale Handlungskompetenz
09.08.18 07:54
Marlys Blaser
Soziale Handlungskompetenz in der Ergotherapie
Marlys Blaser / István Csontos
Ergotherapie in der Psychiatrie
Handlungsfähigkeit und Psychodynamik in der Erwachsenen-, Kinder- und Jugendpsychiatrie
Manual und Erfassungsinstrumente für die Ergotherapie
Konzept und Erfassung
2018. 80 S., 3 Abb., 14 Tab., Kt € 24,95 / CHF 32.50 ISBN 978-3-456-85903-3 Auch als eBook erhältlich
2018. 168 S., 6 Abb., 5 Tab., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85904-0 Auch als eBook erhältlich
2014. 304 S., 12 Abb., 18 Tab., Kt € 36,95 / CHF 49.90 ISBN 978-3-456-85324-6 Auch als eBook erhältlich
Im sozialen Umfeld handlungsfähig sein: Die Erfassungsinstrumente erheben die individuelle Handlungsfähigkeit sowie die sozialen Kompetenzen auf der Grundlage einer klientenzentrierten Ergotherapie.
Im sozialen Kontext zu handeln, ist Grundlage des Zusammenlebens in der Gesellschaft. Die Basis sind verschiedene Fähigkeiten, die im Laufe der psychosozialen Entwicklung erworben werden.
Der Einsatz von Ergotherapie in der Psychiatrie hat sich seit langem bewährt, um verlorengegangene Fertigkeiten wiederzuerlangen, neue Potenziale zu entdecken und die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten.
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Zeitschrift für
Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie Jahrgang 67 / Heft 1 / 2019
Themenheft Essstörungen Themenheftherausgeber Simone Munsch
Geschäftsführender Herausgeber und Schriftleitung
Prof. Dr. Franz Petermann, Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen, Grazer Straße 2 und 6, 28359 Bremen, Tel. +49 (0) 421 218-68601 (Sekr.), -68600 (direkt), fpeterm@uni-bremen.de
Herausgeber
Prof. Dr. Simone Munsch, Freiburg (Schweiz) Prof. Dr. Alexandra Philipsen, Oldenburg Prof. Dr. Erich Seifritz, Zürich
Beirat
Prof. Dr. Martin Bohus, Mannheim
Prof. Dr. Norbert Kathmann, Berlin
Prof. Dr. Heinz Böker, Zürich
Prof. Dr. Klaus Lieb, Mainz
Prof. Dr. Elmar Brähler, Leipzig
Prof. Dr. Jürgen Margraf, Bochum
Prof. Dr. Franz Caspar, Bern
Prof. Dr. Hans J. Markowitsch, Bielefeld
Prof. Dr. Ulrike Ehlert, Zürich
Prof. Dr. Michael Rösler, Homburg/Saar
Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ulm
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Schneider, Rostock
Prof. Dr. Hans Förstl, München
Prof. Dr. Ulrich Schnyder, Zürich
Prof. Dr. H. J. Freyberger, Greifswald
Prof. Dr. Carsten Spitzer, Göttingen
Prof. Dr. Wolfgang Gaebel, Düsseldorf
Prof. Dr. Rolf-Dieter Stieglitz, Basel
Prof. Dr. Peter Henningsen, München
Prof. Dr. Bernhard Strauß, Jena
Prof. Dr. Wolfgang Hiller, Mainz
Prof. Dr. Claus W. Wallesch, Elzach
Prof. Dr. Fritz Hohagen, Lübeck
Prof. Dr. Martina de Zwaan, Hannover
Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich Verlag
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Anzeigen
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Herstellung
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Satz
AZ Druck und Datentechnik GmbH, 87437 Kempten
Druck
jetoprint GmbH, Rudolf-Diesel-Straße 1, 78048 Villingen-Schwenningen, Deutschland
Umschlagfoto
© Africa Studio – stock.adobe.com
Erscheinungsweise
vierteljährlich
Indexierung
Social Sciences Citation Index, Social Scisearch, Current Contents/Social and Behavioral Sciences, Journal Citation Reports/Social Sciences Edition, EMBASE, PsycINFO, IBZ, IBR, Europ. Reference List for the Humanities (ERIH) und Scopus 2017 Impact Factor 0.661, Journal Citation Reports (Clarivate Analytics, 2018)
Bezugsbedingungen
Jahresabonnement: Institute: CHF 393.– / € 306.– Private: CHF 158.– / € 117.– Porto und Versandgebühren: Schweiz: CHF 14.– Europa: € 15.– übrige Länder: CHF 26.– Einzelheft: CHF 72.50 / € 53.50 (+ Porto und Versandgebühren) Abbestellungen spätestens zwei Monate vor Ablauf des Abonnements.
Elektronischer Volltext
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Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1)
© 2019 Hogrefe
Inhalt Editorial
Gestörtes Essverhalten und Essstörungen: neue Herausforderungen
5
Simone Munsch Themenschwerpunkt
Entwicklung und Prävention von Essstörungen und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen
9
Kathrin Schuck und Silvia Schneider Die Assoziation sexueller Orientierung mit dem Körperbild, Essstörungen und der Körperdysmorphen Störung bei Männern
18
Christoph O. Taube und Andrea S. Hartmann Nahrungsvermeidung versus Nahrungsaversion bei Essstörungen
30
David Garcia-Burgos, Peter Wilhelm, Claus Vögele und Simone Munsch Interventionen zur Regulation von Food Craving: Eine Übersicht
39
Julia Nannt, Ines Wolz und Jeniffer Svaldi Wirksamkeit eines angeleiteten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Selbsthilfeprogramms zur Behandlung der Binge-Eating-Störung
52
Andreas Wyssen, Felicitas Forrer, Andrea H. Meyer und Simone Munsch Interview
Transfer von Wissenszuwachs in die klinische Praxis: Möglichkeiten und Hürden, heute und morgen? Interview mit Prof. Dr. Gabriella Milos
64
Simone Munsch Buchbesprechungen
Preuss, H., Schnicker, K. & Lengenbauer, T. (2018). Impulse zur Verbesserung der Impuls- und Emotionsregulation
69
Franz Petermann Pauli, D. (2018). Size Zero – Essstörungen verstehen, erkennen und behandeln
71
Armita Tschitsaz
© 2019 Hogrefe
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1), 3
Unsere Buchtipps Bannink
Positive Supervision und Intervision
Positive Supervision und Intervision
Fredrike Bannink
Positive Supervision und Intervision
2017, 237 Seiten, € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-8017-2804-5 Auch als eBook erhältlich
www.hogrefe.com
ISBN 978-3-8017-2790-1
Coaching mit Ressourcenaktivierung
Hogrefe Verlagsgruppe Göttingen · Bern · Wien · Oxford · Paris Boston · Amsterdam · Prag · Florenz Kopenhagen · Stockholm · Helsinki · Oslo Madrid · Barcelona · Sevilla · Bilbao Saragossa · São Paulo · Lissabon
Coaching mit Ressourcenaktivierung Ein Leitfaden für Coaches, Berater und Trainer
Zusätzlich zum Buch ist das Kartenset „100 Karten für das Coaching mit Ressourcenaktivierung“ erhältlich, welches sowohl Bildkarten als auch Karten mit ressourcenaktivierenden Fragen enthält (ISBN 978-3-8017-2892-2). Diese Karten können in die Übungen integriert werden und machen den Coaching-Prozess noch effektiver.
333 Fragen für die lösungsorientierte Kommunikation bei Veränderungsprozessen
Miriam Deubner-Böhme Uta Deppe-Schmitz
Coaching mit Ressourcenaktivierung Ein Leitfaden für Coaches, Berater und Trainer
9 783801 727901
2018, 164 Seiten, inkl. CD-ROM, € 34,95 / CHF 45.50 ISBN 978-3-8017-2790-1 Auch als eBook erhältlich
Ressourcenaktivierung wirkt sich positiv auf Veränderungsprozesse aus. Im ressourcenorientierten Coaching lernen Klienten, ihr vorhandenes Ressourcenpotenzial optimal zu nutzen und für herausfordernde Situationen im Alltag und im Berufsleben gezielt einzusetzen. Das Buch vermittelt Coaches, Beratern und Trainern eine Vielzahl von Methoden, verfügbare und verborgene Ressourcen bei Klienten zu erkennen und mit ihnen zu arbeiten. Beispiele aus der Coaching-Praxis veranschaulichen das Vorgehen.
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333 Fragen für die lösungsorientierte Kommunikation bei Veränderungsprozessen Ein Fragenfächer für Therapeuten, Coaches und Manager 2016, 62 Seiten, Kleinformat, € 16,95 / CHF 21.90 ISBN 978-3-8017-2782-6 Auch als eBook erhältlich
Der Fragenfächer enthält 333 Fragen für die lösungsorientierte Gesprächsführung bei Veränderungsprozessen. Die ausgewählten Fragen lenken die Aufmerksamkeit auf die Qualitäten des Klienten und ermöglichen, den Blick auf die erwünschte Zukunft zu richten. Die Fragen sind nach verschiedenen Themenbereichen und Gesprächspartnern unterteilt. Psychotherapeuten, Coaches, Manager, Supervisoren und Berater können den Fragenfächer als Checkliste und handlichen Begleiter für Beratungs-, Therapie- und Coachinggespräche nutzen.
Miriam Deubner-Böhme / Uta Deppe-Schmitz
Deubner-Böhme / Deppe-Schmitz
Neben wissenschaftlichen Informationen zur Ressourcenaktivierung vermittelt das Buch Coaches, Beratern und Trainern eine Vielzahl von Methoden, verfügbare und verborgene Ressourcen bei Klienten zu erkennen und mit ihnen zu arbeiten. Es werden Übungen vorgestellt, um eingefahrene Muster zu durchbrechen, die eigene Grundstimmung zu verbessern, für einen Moment das Getriebe des Alltags anzuhalten und damit das Treffen bewusster Entscheidungen zu fördern und nicht zuletzt die Wahrnehmung eigener Ressourcen zu schulen. Beispiele aus der Coaching-Praxis veranschaulichen das Vorgehen. Klienten sollen befähigt werden, ihr vorhandenes Ressourcenpotenzial optimal zu nutzen und für herausfordernde Situationen im Alltag und im Berufsleben gezielt einzusetzen. Ein Kapitel widmet sich schließlich noch den Besonderheiten der Ressourcenaktivierung im Gruppenkontext, wie beispielsweise beim Coaching von Gruppen oder im Training.
Lara de Bruin
Ein Fragenfächer für Therapeuten, Coaches und Manager
Das Buch beschreibt, wie positive Supervision und Intervision gestaltet werden können. Schritt für Schritt wird erläutert, wie Ziele positiv formuliert, wie Stärken und Kompetenzen identifiziert, wie Weiterentwicklungen angeregt, wie Reflexionen unterstützt und wie Rückmeldungen gegeben werden können. Beispiele und Übungen veranschaulichen das Vorgehen. Supervisoren im Bereich Psychotherapie, Coaching, Mediation, Schule, Sport und Wirtschaft erhalten zahlreiche Anregungen.
Klienten bringen neben ihrem konkreten Anliegen auch eine Vielzahl an sichtbaren und verborgenen Ressourcen ins Coaching und in die Beratung mit ein. Ressourcenorientiertes Coaching zielt darauf ab, mittels konkreter Methoden einen Zugang zu diesen Ressourcen zu bekommen, sie in den Coaching-Prozess miteinzubeziehen und für das Anstoßen von Veränderungsprozessen zu nutzen. Ressourcenaktivierung trägt maßgeblich zu einer ausgewogenen Befriedigung von körperlichen und seelischen Grundbedürfnissen bei, fördert das Wohlbefi nden und verbessert ganz allgemein Bewältigungsprozesse. Gerade in Zeiten langanhaltender, hoher Anforderungen und Belastungen ist es wichtig, die eigene Ressourcenaktivierung im Blick zu behalten, um gesund zu bleiben!
Lara de Bruin
Fredrike P. Bannink
ive inklus et Bookl
Uta Deppe-Schmitz Miriam Deubner-Böhme
100 Karten für das Coaching mit Ressourcenaktivierung
Uta Deppe-Schmitz / Miriam Deubner-Böhme
100 Karten für das Coaching mit Ressourcenaktivierung 2018, Kartenbox mit 100 Karten und 16-seitigem Booklet, € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-8017-2892-2
Das Kartenset beinhaltet 70 farbige Fotokarten und 30 Fragekarten mit ressourcenaktivierenden Aspekten, die sich ideal im Coaching, bei der Beratung, im Training und in der Psychotherapie einsetzen lassen. Gezeigt werden Übungen zum Entdecken und zum Aktivieren von Ressourcen. Im beiliegendem Booklet werden kurz die Einsatzmöglichkeiten beschrieben.
Editorial
Gestörtes Essverhalten und Essstörungen: neue Herausforderungen Simone Munsch Klinische Psychologie und Psychotherapie, Departement für Psychologie, Universität Fribourg, Schweiz
Zusammenfassung: Essstörungen stellen schwerwiegende psychische Störungen dar, die nebst der Nahrungsaufnahme und dem Gewicht die Einstellung zum Körper und den Umgang mit Emotionen betreffen. Essstörungen treten gehäuft in der Adoleszenz bzw. im frühen Erwachsenen alter auf und führen zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der psychischen und körperlichen Entwicklung. Aus diesem Grund widmet sich dieses Themenheft der Prävention von Essstörungen, den zugrundeliegender Lernmechanismen, der Ausprägung von Körperbildstörungen bei Männern sowie neuen Ansätzen zur Behandlung gestörten Essverhaltens. Schlüsselwörter: Essstörungen, Prävention, Körperbild, Lernmechanismen, Interventionen
Eating disorders – new challenges Abstract: The present issue focuses on new challenges in the domain of eating disorder research. Eating disorders do not only lead to severe impairment of mental and physical health, but also inhibit normative development in adolescents and young adults. This special issue includes narrative reviews on prevention, body dissatisfaction in males and on current concepts of learning theory. We further introduce innovative intervention methods to treat food craving and present preliminary data on the efficacy of an e-mail guided self-help approach. Keywords: eating disorders, prevention, body image, learning theory, interventions
Früher galten Essstörungen als seltene Phänomene, die als klinisches Vollbild vor allem bei jungen Frauen vorkommen. Heute wird zunehmend deutlich, dass subklinische Formen der Essstörungspathologien wie z. B. ein deutlich negatives Körperbild oder andauernde Versuche, einer Gewichtszunahme entgegen zu wirken bereits im Kindes- und Jugendalter häufig auftreten. Dabei gilt eine gewisse Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper heute als normativ und Untersuchungen aus repräsentativen Stichproben aus Australien und den USA weisen darauf hin, dass ca. 40 – 70 % der Befragten eine mittelmässige bis starke Körperunzufriedenheit zeigen (Fiske, Fallon, Blissmer & Redding, 2014; Mond et al., 2013). Eine aktu elle Untersuchung zur Körperunzufriedenheit und zu Gewichtsidealen in weltweit zehn europäischen, nord amerikanischen, afrikanischen, indischen und asiatischen Regionen zeigt auf, dass in unterschiedlichen geographischen Regionen die Exposition mit westlichen Medien einen wesentlichen, negativen Einfluss auf Gewichtsideale und vor allem auf die eigene Körperunzufriedenheit ausübt (Swami et al., 2010). Die meisten Resultate zum Thema Körperunzufriedenheit basieren auf Erhebungen an Frauen. Neuere Untersuchungen ergeben jedoch, dass auch Männer gehäuft unter Körperunzufriedenheit leiden, © 2019 Hogrefe
die von rigid restriktivem oder anfallsartigem Essverhalten gefolgt ist, in exzessives Muskelaufbautraining oder anschliessend an die Nahrungsaufnahme in Kompensa tionsverhalte, häufig exzessives Sporttreiben, münden kann (Wyssen, Bryjova, Meyer & Munsch, 2016). Mit der Einführung des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen, DSM-5 (American Psychiatric Association, 2013), werden nun Fütter- und Essstörungen in einem Kapitel zusammengefasst und damit erstmals Fütterstörungen diagnostiziert, die gehäuft bereits im Kindesalter auftreten. Hierzu gehören die Pica, die Ruminationsstörung und die Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme. Während bei Pica der Verzehr von nicht essbaren Stoffen im Vordergrund steht, stellt das Hochwürgen von Nahrung das Hauptmerkmal der Ruminationsstörung dar. Dabei wird hochgewürgte Nahrung anschliessend teilweise wieder geschluckt, gekaut oder ausgespuckt werden. Das Hauptmerkmal der Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme besteht im offensichtlichen Desinteresse an Nahrung und / oder in der Vermeidung von Nahrung aufgrund ihrer sensorischen Qualitäten oder aufgrund Befürchtungen, die Nahrungsaufnahme könnte zu aversiven Konsequenzen führen, wie z. B. Druckgefühl
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1), 5–8 https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000366
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im Bauch oder Unwohlsein. Im Unterschied zur Anorexia oder Bulimia Nervosa wird die Nahrungsverweigerung nicht durch die Körperunzufriedenheit oder das Streben nach einem dünnen Körper verursacht oder aufrechterhalten. Erkenntnisse zu Fütterstörungen sind jedoch noch deutlich begrenzt und die Forschung dieser Störungen wird es zukünftig erst ermöglichen, Erkenntnisse zu den frühen Formen gestörten Essverhaltens, deren Früh erfassung und Folgen zu gewinnen (Messerli-Burgy et al., 2018; Murray, Thomas, Hinz, Munsch & Hilbert, 2018). Als zusätzliche Erweiterung der Diagnostik des DSM-5 gilt die Binge-Eating-Störung, die neu als eigenständige diagnostische Kategorie aufgenommen wurde und die heute die häufigste Essstörung darstellt. Vieles weist darauf hin, dass bereits subklinische Formen der Binge- Eating-Störung zu ähnlich negativen Auswirkungen auf die psychische Befindlichkeit haben können wie das klinische Vollbild (Goldschmidt et al., 2008). Die unterschiedliche Phänomenologie der beschriebenen Essstörungen soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass überlappende Prozesse die Kernmerkmale der Anorexia, Bulima nervosa, Bing-Eating-Störung und frühe Fütterstörungen auslösen und aufrechterhalten. Dazu gehören eine dysfunktionale Emotions- und Impulsregulation, kogni tive Verzerrungen, ein dysfunktionaler Zugang zu Körper, Nahrung und Gewicht aber auch Lernprozesse wie Formen der klassischen und evaluativen Konditionierung und damit assoziierte psychologische und biologische Grundlagen (Culbert, Racine & Klump, 2015). In den letzten Jahren liessen sich vielfältige Forschungsbemühungen verzeichnen, um die Wirksamkeit der Behandlung von Essstörungen zu verbessern. Insbesondere für die Behandlung bulimischer Essstörungen (Bulimia Nervosa, Binge-Eating-Störung) kann mittels verschiedener Interventionen und in unterschiedlichen therapeutischen Settings (traditionelle Psychotherapie vs Internet- basierte Behandlung) mittlerweile eine gute und langfristige Wirksamkeit erzielt werden. Weit weniger klar ist aufgrund der limitierten Studienqualität in diesem Bereich, welche Behandlung für wen geeignet wäre und welche konkreten Wirkfaktoren in unterschiedlichen Therapieansätzen zur Symptomreduktion beitragen (Hilbert, 2014). Essstörungen betreffen heute nicht nur junge erwachsene Frauen, sondern Studien zeigen, dass auch Mädchen und Jungen bzw. Adoleszente gleichermassen betroffen sind. Auch wenn das Vollbild einer Anorexia nervosa zu den selteneren Störungen gehört, sind doch die Bulimie und die Binge-Eating-Störung sowie deren subklinische Formen häufig. Solche Vorformen erhöhen nicht nur das Risiko, das Vollbild einer Essstörung zu entwickeln, sondern erhöhen auch das Risiko für depressiven Störungsbilder oder Formen der Angststörungen (Levinson et al., 2018).
S. Munsch: Gestörtes Essverhalten und Essstörungen
Aus diesem Grund ist der Wissenszuwachs in verschiedenen Bereichen notwendig. In Bezug auf Interventionen und der zugrunde liegenden Lernprozesse schwer behandel barer Symptome bei Essstörungen sind neue Erkenntnisse gefordert. Auf Patienten zugeschnittene Interventionen und die Wirksamkeit und Anwendbarkeit elektronischer Therapieformen (Selbsthilfeprogramme und Therapieprogramme) für unterschiedliche Essstörungen sollten überprüft werden. Zudem bedarf es einer Verbesserung der frühen Identifikation von Merkmalen potentieller Risikogruppen wie beispielsweise dem Erfassen ausgeprägter Körperunzufriedenheit bei Männern.
Übersicht über den Themenschwerpunkt Um diese Entwicklungen zu unterstützen, haben wir uns zu einem Schwerpunktheft zum Thema Essstörungen entschlossen. Teil dieses Schwerpunkts ist die Arbeit der Autorinnen Schuck und Schneider, die als Erstes einen Überblick zur Entwicklung und Prävention von Essstörungen und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen bieten. Die Arbeit zeigt eindrücklich, wo die künftigen Herausforderungen in der Prävention von Essstörungen und Adipositas liegen. Sie bestehen einerseits darin, die neu ins DMS-5 aufgenommenen Fütterungsstörungen korrekt zu identifizieren und längsschnittlich zu beobachten. Andererseits gilt es, die Wirksamkeit breit angelegter, universeller Präventionsprogramme zur Prävention von Essstörungen und Adipositas, die fast ausschließlich im Schulbereich stattfinden, zu optimieren und Langzeiteffekte zu verbessern. Weiter fordern die Autorinnen die Förderung der Erreichbarkeit von Präventionsmaßnahmen vor allem für sozial benachteiligte Gruppen (Schuck & Schneider, 2019). Neuen Herausforderungen in zunehmend diversifizierten Gesellschaftsformen widmet sich der Beitrag von Taube und Hartmann, die sich in ihrer Überblicksarbeit mit dem Thema Körperbild und Essstörungen bei Männern befassen. Nicht nur Essstörungs- sondern auch Symptome einer Körperdysmorphen Störung bei Männern bezüglich ihrer Phänomenologie und Klassifikation beschrieben und auch Unterschiede betreffend des Körperbilds bei homosexuellen im Vergleich zu heterosexuellen Männern werden beschrieben. Basierend auf der von den Autoren referierten Studienlage ergeben sich keine Hinweise darauf, dass sich homo- und heterosexuelle Männer insgesamt in Körpersorgen und -zufriedenheit unterscheiden. Für das für männliche Körper zufriedenheit wichtige Merkmal der Muskularität zeigen beide Gruppen ein ähnlich ausgeprägtes Streben. Der Beitrag macht dabei deutlich, dass es für eindeutige Schluss
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S. Munsch: Gestörtes Essverhalten und Essstörungen
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folgerungen bezüglich der Schwere und Häufigkeit von Ess störungen und Körperdysmorphen Störungen bei Männern in Abhängigkeit ihrer sexuellen Präferenz noch zu früh ist und weitere Forschung insbesondere zur Anpassung von Diagnoseinstrumenten und Interventionen hinsichtlich Körpersorgen notwendig ist (Taube & Hartmann, 2019). Mit ihrem Überblicksartikel zu den lerntheoretischen Grundlagen der Essensvermeidung und Vermeidungs lernen bei Anorexia, Bulimia nervosa und Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme nehmen Garcia-Burgos und Kollegen ein Thema aus der experimentellen Psychopathologie auf. Gemäss der von ihnen zusammengestellten Evidenz spielt neben der Angst vor Gewichtszunahme oder der Angst vor aversiven Folgen der Nahrungsaufnahme, das Geschmacksaversionslernen bei der Aufrechterhaltung restriktiver Esserhaltenstypen eine wichtige Rolle. Das Geschmacksaversionslernen beschreibt Prozesse, bei denen der Geschmack der Nahrung zum konditionierten Reiz für aversive Empfindungen wird. Der Geschmack der Nahrung erhält durch die Konditionierung eine negative Valenz und unterstützt die zukünftige Essensvermeidung. Die Herausforderung dieses lerntheoretischen Ansatzes der extremen Vermeidung der Nahrungs einnahme besteht darin, die spezifischen Lernprozesse zu identifizieren und Habituationsmechanismen in klinischen Interventionen zu integrieren (Burgos, Wilhelm, Vögele & Munsch, 2019). Food Craving (Drang nach Nahrung) stellt ein Kernmerkmal verschiedener Essstörungen wie z. B. der BingeEating-Störung, der Bulimia nervosa und subklinischer bulimischer Essstörungen dar und begünstigt darüber hinaus die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas. Aus diesem Grund beinhalten Interventionen zur Verbesserung des Food Cravings das Potential und die Herausforderung, die Wirksamkeit von Behandlungsansätzen bei Essstörungen zu verbessern. Die Autorinnen Nannt, Wolz und Svaldi präsentieren in ihrem Beitrag einen Überblick über die Wirksamkeit von Techniken zur Reduktion von Food Craving wie kognitive Regulationsstrategien, Trainings zur Modifikation von exekutiven Funktionen, expositionsorientierte Interventionen, Imaginationsverfahren, Bio- und Neurofeedback sowie Achtsamkeitstrainings. Diese Massnahmen basieren auf der Annahme, dass unterschiedlichen Essstörungsformen die unzureichend entwickelte Fähigkeit zur Emotionsregulation und Handlungssteuerung zugrunde liegt. Nannt und Kolleginnen zeigen erste Hinweise darauf, dass die Anwendung entsprechender Interventionen bei Vorliegen von Food Craving als ein Teil einer umfassenden Behandlung der Essstörung die Wirksamkeit verbessern kann (Nannt, Wolz & Svaldi, 2019). Abschliessend stellen Wyssen, Forrer und Kollegen die Ergebnisse einer Pilotstudie vor, in der die Wirksamkeit einer achtwöchigen buchbasierten, angeleiteten kognitiv© 2019 Hogrefe
verhaltenstherapeutischen Selbsthilfe bei Binge-EatingStörung evaluiert wurde. Im Rahmen der klinischen Routineversorgung an der Hochschulambulanz in Fribourg, Schweiz, wurden 21 Frauen und 1 Mann mit Binge-Eating Störung untersucht. Initiiert wurde das Forschungsprojekt durch die gehäuften Anfragen Betroffener aus ländlichen Gegenden der Schweiz, Deutschlands, und Österreichs. Ein bereits publiziertes Selbsthilfemanual wurde durch eine Email-gestützte Anleitung zu Übungen und ent sprechenden Rückmeldungen ergänzt und angehende Therapeutinnen bzw. Studierende im Masterstudium der Klinischen Psychologie darin geschult und regelmässig während der Betreuung der Betroffenen supervidiert. Die ersten Ergebnisse legen eine gute Wirksamkeit und niedrige Abbrecherquote während der aktiven Behandlung nahe, die auch sechs Monate später mit stabil reduzierten Essanfälle, einer reduzierten Essstörungspathologie und geringeren Angst- bzw. depressive Symptome einhergeht. Künftige Herausforderungen liegen in der Bestätigung der initial positiven Ergebnisse in grösseren Stichproben und der Identifikation möglicher moderierender und mediierender Faktoren der Behandlung, um sich dem Ziel einer auf den Einzelnen zugeschnittenen Therapie anzunähern (Wyssen, Forrer, Meyer & Munsch, 2019). Wir hoffen, dass die Beiträge junger Forscher und Forscherinnen aus verschiedenen Grundlagen- und Anwendungsbereichen der Essstörungsforschung dazu beitragen, den Wissenszuwachs über die verschiedenen Formen von Essstörungen zu steigern, deren Identifikation und Prävention zu fördern, und dazu anleiten, neue Interventionen zu generieren, die einer grösser werdenden Gruppe von Betroffenen mit Essstörungssymptomen in effizienter und wirksamer Form angeboten werden kann.
Literatur American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (5th ed.). Washington, DC. Culbert, K. M., Racine, S. E. & Klump, K. L. (2015). Research Review: What we have learned about the causes of eating disorders – a synthesis of sociocultural, psychological, and biological research. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 56, 1141 – 1164. Fiske, L., Fallon, E. A., Blissmer, B. & Redding, C. A. (2014). Pre valence of body dissatisfaction among United States adults: Review and recommendations for future research. Eating Behaviors, 15, 357 – 365. Garcia-Burgos, D., Wilhelm, P., Vögele, C. & Munsch, S. (2019). Food avoidance versus food aversion learning in eating disordeers: a critical associative analysis. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 67, 30 –38. Goldschmidt, A. B., Jones, M., Manwaring, J. L., Luce, K. H., O sborne, M. I., Cunning, D., … Taylor, C. B. (2008). The clinical significance of loss of control over eating in overweight adolescents. International Journal of Eating Disorders, 41, 153 – 158.
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1), 5–8
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S. Munsch: Gestörtes Essverhalten und Essstörungen
Hilbert, A. (2014). Psychotherapy of eating disorders. Zeitschrift für Psychiatrie Psychologie und Psychotherapie, 62, 5 – 7. doi: 10.1024/1661-4747/a000172 Levinson, C. A., Brosof, L. C., Vanzhula, I., Christian, C., Jones, P., Rodebaugh, T. L., … Fernandez, K. C. (2018). Social anxiety and eating disorder comorbidity and underlying vulnerabilities: Using network analysis to conceptualize comorbidity. Inter national Journal of Eating Disorders. Messerli-Burgy, N., Stulb, K., Kakebeeke, T. H., Arhab, A., Zysset, A. E., Leeger-Aschmann, C. S., … Munsch, S. (2018). Emotional eating is related with temperament but not with stress biomarkers in preschool children. Appetite, 120, 256 – 264. Mond, J., Mitchison, D., Latner, J., Hay, P., Owen, C. & Rodgers, B. (2013). Quality of life impairment associated with body dissatisfaction in a general population sample of women. BMC Public Health, 13. Art. 92010. Murray, H. B., Thomas, J. J., Hinz, A., Munsch, S. & Hilbert, A. (2018). Prevalence in primary school youth of pica and rumination behavior: The understudied feeding disorders. International Journal of Eating Disorders. doi:10.1002/eat.22898. Nannt, J., Wolz, I. & Svaldi, J. (2019). Interventionen zur Regulation von Food Craving: Ein Überblicksartikel. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 67, 39 – 51. Schuck, K. & Schneider, S. (2019). Entwicklung und Prävention von Essstörungen und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 67, 9 – 17. Swami, V., Frederick, D. A., Aavik, T., Alcalay, L., Allik, J., Anderson, D., … Zivcic-Becirevic, I. (2010). The Attractive Female Body
Weight and Female Body Dissatisfaction in 26 Countries Across 10 World Regions: Results of the International Body Project I. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 309 – 325. Taube, C.O. & Hartmann A.S. (2019). Die Assoziation sexueller Orientierung mit dem Körperbild, Essstörungen und der Körperdysmorphen Störung bei Männern. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 67, 18 –29. Wyssen, A., Bryjova, J., Meyer A. H., & Munsch, S. (2016). A model of disturbed eating behavior in men: The role of body dissatisfaction, emotion dysregulation and cognitive distortions. Psychiatry Research, 246, 9 – 15. Wyssen, A., Forrer, F., Meyer A.H. & Munsch, S. (2019). Wirksamkeit eins buchbasierten, angeleiteten kognitiv-verhhaltenstherapeutischen Selbsthilfeprogramms bei Binge-Eating-Störung. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 67, 52 – 63.
Prof. Dr. Simone Munsch Klinische Psychologie und Psychotherapie Departement für Psychologie Universität Fribourg 2, Rue de Faucigny 1700 Fribourg Schweiz simone.munsch@unifr.ch
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Themenschwerpunkt
Entwicklung und Prävention von Essstörungen und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen Kathrin Schuck und Silvia Schneider Klinische Kinder- und Jugendpsychologie, Ruhr-Universität Bochum
Zusammenfassung: Essstörungen und Adipositas (krankhaftes Übergewicht) stellen bedeutsame Gesundheitsstörung dar und können schwere und langfristige Gesundheitsschäden für die Betroffenen und hohe Behandlungskosten für das Gesundheitssystem nach sich ziehen. Aufgrund der Tendenz zur Chronifizierung, der langwierigen Therapie sowie der Schwere der Begleit- und Folgeerkrankungen klinisch manifester Essstörungen und Adipositas können wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung und Manifestation eine wichtige Rolle in der Verbesserung der Gesundheit auf der Populationsebene spielen. Die vorliegende Arbeit gibt einen Überblick über verschiedene Essstörungen und die Adipositas sowie Informationen über deren Entstehung und Verbreitung. Zudem bietet die Arbeit einen narrativen Überblick über bestehende Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung und Manifestation von Essstörungen und Adipositas im Kindes- und Jugendalter im deutschsprachigen Raum und deren Wirksamkeit. Die Studienlage zeigt, dass universelle Präventionsprogramme zur Prävention von Ess störungen und Adipositas fast ausschließlich im Schulbereich stattfinden und routinegemäß kleine Effekte zeigen. Die Effektstärken selektiver und indizierte Präventionsmaßnahmen in Risikogruppen sind tendenziell etwas höher, jedoch ist die Reichweite in die Gesellschaft bei diesen Programmen geringer. Langzeiteffekte bestehender Präventionsprogramme sind nicht hinreichend belegt. Es bedarf weiterer Arbeit um erfolgversprechende Programme langfristig in gesellschaftliche Strukturen zu implementieren und Effekte zu evaluieren. Zudem bedarf es einer Verbesserung bisheriger Ansätze zur Förderung der Reichweite von Präventionsmaßnahmen (z. B. Verbesserung der Inanspruchnahme durch sozial benachteiligte Gruppen oder Risikogruppen). Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob präventive Maßnahmen zur Förderung eines gesunden Gewichtsnmanagements bei Kindern und Jugendlichen auch zu einer Reduktion von Esstörungspathologie führen können. Schlüsselwörter: Essstörungen, Adipositas, Übergewicht, Prävention, Kinder
Development and prevention of eating disorders and obesity among children and adolecents Abstract: Eating disorders (EDs) and obesity constitute important health disorders, which may result in severe and persistent adverse health effects for the individual and high treatment costs for the public heath system. Due to the risk of chronification, the prolonged and intensive treatment, and the severity of comorbid and consecutive diseases, effective interventions to prevent the development and manifestation of EDs and obesity may play an important role in improving public health on a population level. The present article describes different EDs and obesity as well as their etiology and epidemiology. Furthermore, this article provides a narrative overview of existing interventions to prevent the development and manifestation of EDs and obesity during childhood and adolescence and their effectiveness. The current literature shows that universal prevention programs to prevent EDs and obesity are mainly conducted within the school setting and routinely show small effects. The effect sizes of selective and indicated prevention in high-risk groups are typically somewhat higher, however the reach of these interventions into society is limited. There is insufficient evidence for long-term effects of existing prevention programs. Efforts are needed to implement promising prevention interventions continously into social structures and evaluate their long-term effects. Furthermore, there is a need to i mprove existing approaches to increase the use of available interventions (e. g., among socially disadvantaged or high-risk groups). Up to this point, it is unclear if preventive interventions to foster a healthy weight managment among children and adolescents may also reduce ED-related pathology. Keywords: Eating disorders, obesity, overweight, prevention, children
Essstörungen, Übergewicht und Adipositas (krankhaftes Übergewicht) stehen zunehmend im Aufmerksam keits fokus der Gesellschaft. Essstörungen sind ernstzunehmende psychosomatische Erkrankungen, die durch schwere Störungen des Essverhaltens und damit einher gehende körperliche Begleit- und Folgeerkrankungen gekennzeich net sind. Der Beginn von Essstörungen liegt meist in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Mehr als andere © 2019 Hogrefe
psychische Erkrankungen stören und schädigen sie körperliche Funktionen wie endokrine Funktionen, Nierenoder Herzfunktionen (Campbell & Peebles, 2014). Zudem können Essstörungen im Kindes- und Jugendalter die Bewältigung von normativen Entwicklungsaufgaben (z. B. Autonomie- und Identitätsentwicklung) behindern und hierdurch zu psychosozialen Problemen führen. Alle Formen von Essstörungen sind mit einer deutlich erhöhten
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Mortalität verbunden (Arcules, Mitchell & Wales, 2011; Suokas et al., 2013). Adipositas beschreibt eine pathologisch erhöhte Zunahme des Körperfettanteils (Fettleibigkeit), die im Zusammenhang steht mit Krankheits- und Mortalitätsrisiken. Die Häufigkeit der Adipositas hat insbesondere in den westlichen Nationen rapide zugenommen. Mit dem Vorliegen einer Adipositas steigt das Risiko für medizinische Erkrankungen wie Typ-2 Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Gelenk- und Rückenerkrankungen, psychische Erkrankungen wie Depression und Angststörungen sowie das Mortalitätsrisiko (Kasen, Cohen, Chen, & Must, 2008; Kulie et al., 2011, Lenz, Richter & Mühlhauser, 2009). Die medizinischen Auswirkungen von Adipositas sind umso gravierender, je früher das Übergewicht vorliegt. Essstörungen und Adipositas sind, wenn einmal aufgetreten, typerwische chronische Erkrankungen. Langfristige Verhaltensänderungen fallen vielen Betroffenen schwer. Für beide Erkrankungen bestehen hinreichend belegte Behandlungsmethoden (Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kinder- und Jugendalter, 2009; Deutsche Adipositas Gesellschaft, 2014; Herpertz et al., 2011), allerdings profitiert ein Großteil der Betroffenen nicht ausreichend von der Behandlung. Beispielsweise erreichen innerhalb einer Psychotherapie nur bis zu 50 % der Patienten mit Essstörungen eine volle Remission (Fichter et al., 2006; Herpertz-Dahlmann, 2017). Systematische Übersichtsarbeiten der Adipositasbehandlung zeigen eine geringe Gewichtreduktion beispielsweise bei kommerziellen Gewichtsreduktions programmen wie Weight Watchers (Gudzune et al., 2015) oder computer-basierten Interventionen (Wieland et al., 2012), es fehlen jedoch Nachweise für langfristigen Erfolg. Eine systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse zur Adipositastherapie bei Kindern und Jugendlichen zeigt, dass die Gewichtsreduktion zwölf bis 24 Monate nach Behandlungsbeginn bei den qualitativ hochwertigen klinischen Studien gering ist und eine Gewichtsnormalisierung durch die Adipositastherapie nicht erreicht wird (Mühlig et al., 2014). Die frühzeitige Anwendung von präventiven Maßnahmen zur Verhinderung der Entstehung und Manifestation von Essstörungen und Adipositas ist daher von großer Bedeutung um die individuelle körperliche und psychische Gesundheit zu verbessern und die Behandlungskosten von Begleit- und Folgeerkrankungen zu reduzieren.
Definition und Klassifikation Der Begriff Essstörung ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Störungen des Essverhaltens. Im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5, APA, 2013) werden sie im Kapitel Fütter- und Essstörungen be-
schrieben. Hauptmerkmal aller Essstörungen ist, dass die Nahrungsaufnahme entweder defizitär oder exzessiv erfolgt. Typisch für die Essstörungen im Jugend- und Erwachsenenalter ist eine ständige Beschäftigung mit der Nahrungsaufnahme und eine starke Besorgnis um Figur und Gewicht. Im Folgenden werden die bekanntesten Essstörungen Anorexia Nervosa (AN), Bulimia Nervosa (BN) und Binge-Eating-Störung (BES) sowie die überwiegend im Kindesalter auftretende Ruminationsstörung und die Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme näher beschrieben. Die AN (auch Magersucht) ist gekennzeichnet durch eine selbstherbeigeführte, stark eingeschränkte Energieaufnahme und einem damit einhergehenden gesundheitsbedrohlichen Untergewicht oder einem krankhaftem Bestreben das eigene Körpergewicht bis ins Untergewicht zu vermindern. In vielen Fällen kommt es zu einer extremen Unterernährung mit schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen gesundheitlichen Folgen. Trotz bestehenden Untergewichts besteht bei Betroffenen eine große Angst vor einer Gewichtszunahme und / oder dauerhaftes Verhalten einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken. Um das Körpergewicht gering zu halten, wird die Nahrungsmenge und die Nahrungsauswahl stark beschränkt und / oder gesundheitsschädliche Maßnahmen zur Gewichtsreduktion eingesetzt (z. B. selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxantien / Diuretika, exzessive körperliche Aktivität). Gleichzeitig besteht häufig eine exzessive Beschäftigung mit der Nahrung. Zudem weisen Betroffene eine Selbstwahrnehmung als zu dick auf (Körperschemastörung) und / oder es besteht eine fehlende Einsicht in Bezug auf den Schweregrad des gegenwärtigen Gewichts. Charakteristischerweise ist das Selbstwertgefühl übermäßig stark abhängig von Figur und Gewicht. Auf Grund des Untergewichts besteht in vielen Fällen eine endokrine Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (bei Frauen: Amenorrhoe, bei Männern: Libido- und Potenzverlust). Häufig bestehen bei Betroffenen Probleme in der Emo tionserkennung und -regulation sowie interpersonelle Schwierigkeiten (Oldershaw et al., 2015). Die BN (auch Ess-Brech-Sucht) ist gekennzeichnet durch einen Wechsel von Essanfällen und gegenregulierenden Verhaltensweisen. Typisch sind wiederkehrende Essanfälle, wobei innerhalb von kurzer Zeit große Nahrungsmengen mit einem erlebten Kontrollverlust gegessen werden, und die anschließende Anwendung von unangemessenen kompensatorischen Maßnahmen zur Verhinderung einer Gewichtszunahme (z. B. selbstherbeigeführtes Erbrechen, Fasten, Missbrauch von Laxanzien / Diuretika, exzessive sportliche Aktivität). Zudem ist das Selbstwertgefühl übermäßig stark abhängig von Figur und Gewicht. Zwischen den Essanfällen zeigen Betroffene häufig sehr restriktives Essverhalten in Form (z. B. rigides Diätverhalten, unregel-
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mäßigen Mahlzeiteneinnahme, Vermeidung von hoch kalorischen Nahrungsmitteln). Der hieraus resultierende Mangelzustand begünstigt wiederum Essanfälle. Die Betroffenen befinden sich typischerweise im normalgewichtigen Bereich, weisen jedoch eine starke Körperunzufriedenheit auf. Die BES (auch Essattacken) kennzeichnet sich durch wiederkehrende Essattacken, jedoch ohne gegenregulatorische Maßnahmen zur Verhinderung einer Gewichtszunahme. Bei den Essattacken werden innerhalb eines abgegrenzten Zeitraums große Nahrungsmengen mit dem Gefühl eines Kontrollverlustes verzehrt. Typischerweise essen Betroffen allein, sehr schnell, bis zu einem unangenehmen Völle gefühl und ohne das Vorhandensein eines physischen Hungergefühls. Im Anschluss an einen Essanfall erleben sie Ekel-, Schuldgefühle und / oder Deprimiertheit. Bei den Betroffenen besteht ein deutlicher Leidensdruck auf Grund der Essanfälle. Typischerweise sind Betroffene übergewichtig oder adipös. Im Vergleich zu adipösen Patienten ohne BES weisen Patienten mit BES stärkere funktionelle Beeinträchtigungen und eine höhere psychiatrische Komorbidität auf. Zudem bestehen bei Betroffene häufig Schwierigkeiten in der Impulskontrolle und der Emotionsregulation (Harrison et al., 2016; Schlag et al., 2013). Die Ruminationsstörung, typischerweise im Säuglingsoder Kleinkindalter auftretend, kennzeichnet sich durch wiederholtes Hochwürgen von geschluckter Nahrung nach dem Füttern oder Essen ohne offensichtliche Übelkeit oder unfreiwilliges Würgen. Die Nahrung kann wiedergekaut, wieder geschluckt oder ausgespuckt werden. Häufig kommt es zu einem Gewichtsverlust oder dem Ausbleiben einer zu erwartenden Gewichtszunahme. Zudem können eine Mangelernährung und Wachtsumsverzögerungen auftreten. Die Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme, die in jedem Lebensalter entstehen kann, bezeichnet eine Störung des Essverhaltens mit anhaltendem Unvermögen den Bedarf an Nahrung / Energie zu decken. Zudem besteht ein bedeutsamer Gewichtsverlust oder das Ausbleiben einer zu erwartenden Gewichtszunahme, ein vermindertes Wachstum, Mangelerscheinungen, eine Abhängigkeit von enteraler Ernährung oder Ernährungsergänzung oder eine Beeinträchtigungen des psychosozialen Funktionsniveaus. Die Nahrungsvermeidung bzw. -einschränkung kann auf sensorischen Eigenschaften der Nahrung beruhen („wählerisches Essen“) oder eine negative konditionierte Reaktion nach einer aversiven Erfahrung (z. B. Erbrechen, Er stickungsgefühle) darstellen. Einen Großteil der Essstörungen in der klinischen Praxis stellen atypische Essstörungen dar (im DSM-5: Andere näher bezeichnete Fütter- und Essstörungen). Hierunter fallen Essstörungen, die nicht alle Merkmale der klassischen Essstörungen erfüllen, die jedoch auch mit klinisch © 2019 Hogrefe
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relevanter Belastung und Einschränkungen assoziiert sind. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise die atypische AN, die atypische BN und die atypische BES (die einige, jedoch nicht alle Merkmale der klassischen Form erfüllen) sowie das Purging Syndrom (selbstinduziertes Erbrechen zur Gewichtsregulation ohne objektive Ess anfälle) und das Night-Eating Syndrom (Aufnahme eines Großteils der Energiemenge nach dem Schlafengehen). Bei exakter Diagnosestellung stellen atypische Essstörungen die häufigste Form der Essstörungen dar (Stice et al., 2013). Adipositas zählt nicht zu den Essstörungen im klinischen Sinne, jedoch geht ein gestörtes Essverhalten der Entwicklung der Fettleibigkeit typischerweise voraus. In der ICD-10 wird die Adipositas als medizinischer Krankheitsfaktor unter Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten unter Adipositas und sonstige Überernährung klassifiziert. Adipositas beschreibt eine pathologisch erhöhte Zunahme des Körperfettanteils, die im Zusammenhang steht mit Gesundheitsrisiken. Der Body-Mass-Index (BMI) ist das am häufigsten verwendetet Maß zur Feststellung einer Adipositas. Der BMI berechnet sich aus dem Verhältnis von Körpergröße und Gewicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2000) definiert Unter gewicht als einen BMI unter 18.5, Normalgewicht als einen BMI zwischen 18.5 und 24.9 und Übergewicht als einen BMI zwischen 25 und 29.9. Adipositas ist gegeben, wenn der BMI den Wert von 30 überschreitet. Das Ausmaß der Adipositas wird weiterhin unterteilt in Grad I (BMI ab 30), Grad II (BMI ab 35) und Grad III (BMI ab 40). Die Defini tion dieser Grenzwerte basiert auf empirischen Daten, die einen Zusammenhang mit Krankheits- und Mortalitäts risiken zeigen (risikobezogene Grenzwerte). Bei Kindern und Jugendlichen basiert die Einteilung in Unter-, N ormalund Übergewicht auf einer rein statistischen Definition. Der BMI von Kindern und Jugendlichen wird zusätzlich mit einer geschlechtsspezifischen Altersnormkurve (Perzentilkurve) verglichen. Ein Kind gilt als übergewichtig, wenn es einen höheren BMI als 90 % seiner Altersgruppe hat und als adipös, wenn es einen höheren BMI als 97 % seiner Altersgruppe hat (Kromeyer-Hauschild et al., 2001).
Epidemiologie Laut einer repräsentativen Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1; Jacobi et al., 2014) leiden 1.4 % der Frauen und 0.5 % der Männer (12-Monatsprävalenz) an einer der drei Hauptformen von Essstörungen. In einer Übersichtsarbeit europäischer Studien (Keski-Rahkonen & Muskelin, 2016) wurden Lebenszeitprävalenzraten zwischen 1 – 4 % für AN, 1 – 2 % für BN und 1 – 4 % für BES unter Frauen berichtet (0.3 – 0.7 % bei Männern). Eine repräsentative Schweizer Studie berichtet ähnliche Zahlen
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(Lebenszeitprävalenz für eine der drei Hauptformen: Frauen = 5.3 %, Männer = 1.5 %). Einen großen Teil der klinisch relevanten Essstörungen stellen die Restkategorien (Andere näher bezeichnete Fütter- und Essstörungen und Nicht näher bezeichnete Fütter- und Essstörungen) dar. In einer amerikanischen Bevölkerungsstichprobe unter Mädchen und jungen Frauen wurden Lebenszeitprävalenz raten von bis zu 12 % für diese Formen berichtet (Stice et al., 2013). Unter Heranwachsenden in Deutschland zeigt sich eine Lebenszeitprävalenz von 2.9 % für irgendeine Form einer Essstörung sowie 2.2 % für eine subklinische Form (Nagl et al., 2016). In einer repräsentativen Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) zeigten 21.9 % der 11- bis 17-Jährigen Symptome von Essstörungen. Mädchen waren mit 28.9 % deutlich häufige betroffen als Jungen mit 15.2 % (Hölling & Schlack, 2007). Ähnliche Prävalenzen ergaben sich in einer österreichischen Schulerhebung (Zeiler et al., 2016). Weit verbreitet sind Übergewicht und Adipositas. Im Jahr 2013 waren 67 % der Männer und 53 % der Frauen in Deutschland übergewichtig (23 % der Männer und 24 % der Frauen adipös) (Mensink, Schienkiewitz, Haftenberger, Lampert, Ziese, Scheift-Nave, 2013). In Österreich variiert die Prävalenz der Adipositas, je nach Studie und Stichprobe, zwischen 8 – 20 % (Dorner, 2016). In der Schweiz liegt die Adipositasprävalenz bei 13 % (BAG, 2017). Der KIGGS-Studie zufolge sind in Deutschland 15 % der unter 18-Jährigen übergewichtig, davon 6 % adipös (Kurth & Shaffrath Rosario, 2010). Während 9 % der 3- bis 6-Jährigen übergewichtig sind (3 % adipös), sind es bereits 15 % der 7- bis 10-Jährigen (6 % adipös) und 17 % der 14- bis 17-Jährigen (9 % adipös). Der Anteil übergewichtiger Kinder hat sich seit den 1990er Jahren verdoppelt. Unter den 14- bis 17-Jährigen hat sich der Anteil adipöser Kinder verdreifacht (Robert-KochInstitut, 2008). Besorgniserregende Zahlen berichtet die COSI-Studie (Childhood Obesity Surveillance Initiative; BMGF, 2017) für österreichische Kinder. Unter 8- bis 9-Jährigen waren, je nach Region, 31 – 33 % der Jungen übergewichtig (9 – 11 % adipös) und 21 – 2 9 % der Mädchen übergewichtig (6 – 9 % adipös). In der Schweiz beträgt die Prävalenz von Übergewicht 17 % für Heranwachsende (4 % adipös) (Promotion Sante Suisse, 2018).
Erklärungsmodelle & Risikofaktoren Essstörungen Essstörungen gelten als multifaktoriell bedingte Erkrankungen, die durch ein Zusammenkommen verschiedener Risikofaktoren ausgelöst und aufrechterhalten werden. Es
bestehen verschieden biopsychosoziale Modelle, welche die Entstehung und Aufrechterhaltung sowohl einzelner Essstörungsbilder als auch von Essstörungen im Allgemeinen erklären. Alle Modelle unterscheiden typischerweise zwischen prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren. Die Entwicklung und Manifestation von Essstörungen wird durch genetische, neurobiologische, individuelle, familiäre und soziokulturelle Einflüsse erklärt (Holtkamp & Herpertz-Dahlmann, 2005). In einer systematischen Übersichtsarbeit und MetaAnalyse (Stice et al., 2017) wurden folgende Risikofaktoren für Essstörungen berichtet: negative Emotionalität, Funktionseinschränkungen, Internalisierung des Schlankheitsideals, Körperunzufriedenheit, Diätverhalten, Fasten, Überessen sowie ein niedriger BMI (Prädiktor für die Entwicklung von AN). Als weitere Risikofaktoren gelten unter anderem genetische Faktoren, perinatale Faktoren, Essverhaltensweisen in der Kindheit, eine übermäßige Beschäftigung mit Figur und Gewicht, ein niedriges Selbstwertgefühl, Perfektionismus, ungünstige Interak tionsformen in der Familie, eine geringe Interozeptions fähigkeit sowie ein Mangel an sozialer Unterstützung (Jacobi, Hayward, de Zwaan, Kraemer & Agras, 2004).
Adipositas Adipositas wird als komplexe Erkrankung mit genetischen, verhaltens- und umweltbezogenen Ursachen gesehen. Grundsätzlich ist die Adipositas das Resultat einer gestörten Balance zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch. Nach bisherigen Erkenntnissen ist die Adipositas lediglich in 2 % der Fälle Folge einer genetischen oder hormonellen Störung (Roth et al., 2002). Insbesondere gelten psychosoziale Faktoren, die sich durch Wohlstand und Nahrungsüberfluss ergeben, als Erklärungsgrößen für die Zunahme der Prävalenz von Adipositas. In der heutigen Gesellschaft besteht ein ständiges (Über-) Angebot an verfügbaren Nahrungsmitteln. Die Nahrungsmittelindustrie produziert und bewirbt zudem vermehrt energiereiche Nahrungsmittel mit hohem Zucker- und Fettgehalt. Auch Bewegungsmangel, unter anderem im Zusammenhang mit steigenden Medienkonsum, gilt als wichtige Erklärungsgröße für die Zunahme von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Zudem steht ein gestörtes Essverhalten (z. B. Essanfälle) im Zusammenhang mit der Entwicklung von Adipositas (Decaluwe, Braet, & Fairburn, 2003; Pasold, McCracken, & Wade-Begnoche, 2013). Risikofaktoren für Übergewicht unter Heranwachsenden wurden in der Kieler Adipositas-Präventionsstudie untersucht. Als wichtigste Risikofaktoren zeigten sich hierbei Übergewicht der Eltern und Geschwister. Weiter-
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hin waren ein niedriger sozioökonomischer Status, eine ausländische Nationalität, rauchende Eltern, getrennt lebende Eltern, ein hohes Geburtsgewicht, eine niedrige körperliche Aktivität und ein hoher Medienkonsum Determinanten von Übergewicht (Plachta-Danielzik et al., 2011). Ernährungsgewohnheiten, Schlafverhalten und psychosoziale Faktoren (z. B. elterliche Wahrnehmung des kindlichen Körpergewichts) gelten zudem als Risikofaktoren für die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter (Cappuccio et al., 2008; Robinson, 2016).
Prävention von Essstörungen und Adipositas Der Begriff Prävention (Vorbeugung) bezeichnet Maßnahmen zur Abwendung von unerwünschten Ereignissen (z. B. Krankheiten). Primäre (universelle) Prävention zielt darauf ab, die Entstehung von Krankheiten zu verhindern und setzt zeitlich vor dem Auftreten der ersten Symptome ein. Sekundäre (selektive) Prävention ist auf die Früherkennung von Krankheiten gerichtet und setzt ab Erkennung der ersten Symptome ein. Tertiäre (indizierte) Prävention hat das Ziel, Verschlechterungen der Erkrankung zu verhindern und Krankheitsfolgen zu mindern. Im Folgenden wird ein narrativer Überblick gegeben (basierend auf einer nicht systematischen Literaturrecherche) über wissenschaftlich evaluierte und publizierte Präventionsprogramme im Kindes- und Jugendalter zur Verhinderung von Essstörungen und Adipositas im deutschsprachigen Raum.
Prävention von Essstörungen Bestehende Präventionsprogramme beinhalten typischerweise folgende Grundelemente: Psychoedukation zum Thema Essverhalten / Essstörungen, Interventionen zum Umgang mit Medien (Abwendung negativer Medieneffekte), kognitive Interventionen zur kritischen Auseinandersetzung mit dem medialen Schlankheitsideal, Interventionen zur Verbesserung der Körperakzeptanz und des Selbstwertgefühls, Strategien zum Umgang mit Schlankheitsdruck / Stress / negativen Emotionen sowie Informationen zu gesunden, langfristig-ausgerichteten Gewichtsregulationsmethoden. In einer Meta-Analyse von 112 Präventionsstudien wurden kleine bis moderate Effektstärken in Form einer Reduktion von Risikofaktoren und Essstörungssymptomen berichtet (Le, Barendregt, Hay & Mihalopolous, 2017). Programme zum Umgang mit Medien, kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen und Interventionen mit dem Ziel eines gesunden Gewichtsmanagements hatten demzufolge die größten Effekte auf Figur- und Gewichtssorgen, Diätverhalten und bulimische © 2019 Hogrefe
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Symptome. Eine weitere systematische Übersichtsarbeit kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Watson et al, 2016). Für den deutschsprachigen Raum wurde zur Primärprävention von Magersucht, Bulimie und Essattacken die Wirksamkeit der schulbasierten Präventionsprogramme PriMa (Adametz et al., 2017; Wick et al., 2011) und Torera (Berger et al., 2013) evaluiert. Beide Programme beinhalten neun 45 bis 90-minütige Sitzungen und können von geschulten Lehrkräften durchgeführt werden. Die aufeinander aufbauenden Programme sind für das sechste (PriMa) und siebte Schuljahr (Torera) konzipiert. Das PriMaProgramm resultierte unter 11- bis 13-jährigen Mädchen in einer Zunahme von Wissen über die negativen Folgen von Magersucht sowie einer Verbesserung des Körpergefühls, jedoch nicht in einer Reduktion von auffälligem Essverhalten (Wick et al., 2011). Die Verbesserung des Körpergefühls war sieben Jahre nach der Intervention noch immer nachweisbar war (Adametz et al., 2017). Das darauf aufbauende Torera-Programm resultierte zudem in einer Abnahme von Essstörungssymptomen. Für Jungen wurde eine Reduktion von essstörungsbezogenen Einstellungen und Verhaltensweisen gefunden. Die Effektstärken beider Programme sind eher klein (d = .24 – .35). Bei der Kombination beider Programme in einer Risikogruppe von Kindern und Jugendlichen, die bereits erhöhte Essstörungssymptome zeigten, wurden moderate Effektstärken (d = .46 – .51) gefunden (Berger et al., 2013). Eine weitere schulbasierte Präventionsstudie zeigt zudem Effekte einer weniger intensiven Intervention bei 11.-Klässlern (Gumz et al., 2017). Die Intervention beinhaltete drei 90-minütige Sitzungen im Klassenverband, durchgeführt von Gesundheitsexperten, zum Umgang mit externen Auslösern (z. B. Schlankheitsideale, Schlankheitsdruck), internen Auslösern (z. B. Körperwahrnehmung, Selbstwertgefühl, Ernährung, Aktivität) und Symptomen von Essstörungen (z. B. Unterstützung für Betroffene). Bei 11.-Klässlern resultierte diese Interventionen in einer Zunahme von essstörungsspezifischem Wissen sowie einer Abnahme von Essstörungssymptomen sechs Monate nach der Intervention (Effektstärken nicht berichtet). Bei Mädchen der achten Klasse wurden jedoch ein iatrogener Effekt in Form einer Zunahme von Essstörungssymptomen gefunden. Den Autoren zu Folge sei das Programm dementsprechend wirksam und empfehlenswert für 11.-Klässlerinnen. Neben schulbasierten Präventionsprogrammen bestehen zudem familienbasierte Ansätze zur Prävention von Essstörungen. E@T (Eltern als Therapeuten, Original name in Englisch: P@N, Parents Act Now) ist ein von Diplom-Psychologen moderiertes Online-Programm für Eltern von 11- bis 17-jährigen Mädchen, die ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer AN haben (z. B. niedriges Gewicht, erheblicher Gewichtsverluste, erhöhte Figur-
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und Gewichtssorgen). Im Rahmen von sechs Online-Sitzungen erhalten Eltern Informationen zu den Gefahren einer AN sowie ein Coaching zum Umgang mit dem Problemverhalten der Kinder um eine weitere Entwicklung der Symptomatik und möglicher körperlicher Folgeschäden zu verhindern. Es besteht ein Online-Diskussionsforum, interaktive Elemente (z. B. Videos, Tagebuch zum Essverhalten des Kindes) und die Möglichkeit zwei Telefonate mit einem Moderator zu führen. In einer Pilotstudie konnten positive Effekte in Form einer Reduktion der Risikofaktoren bei deutschen und amerikanischen Mädchen nachgewiesen werden (Jones, Völker, Lock & Jacobi, 2012). Die Ergebnisse einer randomisierten, kontrollierten Hauptstudie stehen jedoch noch aus.
Prävention von Adipositas Adipositas-Präventionsprogramme beinhalten typischerweise Ernährungsberatung, verhaltenstherapeutische Interventionen zur Verbesserung schlechter Ernährungs gewohnheiten und Interventionen zur Förderung der körperlichen Aktivität. Meta-Analysen zeigen präventive Effekte von Adipositas-Präventionsprogrammen bei Kindern und Jugendlichen, jedoch sind Langzeitmessungen zur Evaluation des Effekterhalts selten (Brown & Summerbell, 2009; Gonzales-Suarez, 2009; Kropski, Keckley & Jensen, 2008; Hung et al., 2015; Wang et al., 2015). Es bestehen mehr Wirksamkeitshinweise für Programme, die das häusliche Umfeld der Kinder miteinbeziehen, Interventionen zur Förderung der körperlichen Aktivität beinhalten und auf mindestens ein Jahr ausgelegt sind (Gonzales-Suarez et al., 2009; Wang et al., 2015). Zudem bestehen Hinweise, dass familienbasierte Ansätze erfolgversprechend in der Adipositasprävention sein können (Ash, Agaronov, Young, Aftosmes-Tobio & Davison, 2017; Showell et al., 2013; Skouteris et al., 2011). Für den deutschsprachigen Raum wurde das Adipositas-Präventionsprogramm ToPP (Teenager ohne pfundige Probleme) unter Jungen in der sechsten Klasse evaluiert (Schwartze et al., 2011). Das Programm wurde von geschulten Lehrkräften durchgeführt und beinhaltete neun 90-minütige Sitzungen (z. B. zum Thema ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivität, Medienkompetenz, Selbstwert). Positive Effekte des Programms ließen sich jedoch nur bei ernährungs- und bewegungsbezogenem Wissen, nicht jedoch bei Einstellungen und Verhaltensweisen, nachweisen. Die Autoren konkludieren, dass das Programm möglicherweise nicht intensiv genug war. Zudem vermuten sie, dass eine höhere Adhärenz bei der Umsetzung des Programms durch die Lehrkräfte sowie eine höhere Mitwirkungsbereitschaft der Bezugspersonen die Programm-Effekte verbessern könnte.
Ein intensiveres schulbasiertes Programm (URMEL-ICE; Ulm Research on Metabolism, Excerice and Lifestyle Intervention in Children) unter Schülern der zweiten Klasse resultierte ebenfalls in geringen Effekten (Brandstätter et al., 2012). Das Programm wurde von geschulten Lehrkräften durchgeführt und umfasste 29 Unterrichtseinheiten, tägliche kurze Interventionen zur Förderung der körperlichen Aktivität sowie familienorientierte Interventionen über einen Gesamtzeitraum von einem Jahr. Es konnten jedoch keine Effekte auf den BMI der Kinder festgestellt werden. Es wurden nicht-signifikante Trends gefunden (in Hautfaltendicke und Hüftumfang), die möglicherweise auf einen geringen Programm-Effekt hindeuten. Eine weitere Studie (KOPS; Kieler Adipositas-Präven tionsstudie) kommt zu ähnlichen Ergebnissen (Plachta- Danielzik, Landsberg, Lange, Langnäse & Müller, 2011). Im Rahmen der Studie wurde eine schulische Intervention für sechsjährige Kinder sowie eine Familienintervention für übergewichtige Kinder oder Kinder von übergewichtigen Eltern evaluiert. Die schulbasierte Intervention beinhaltete einen sechsstündigen Ernährungsunterricht, bewegte Pausen und einen Elterninformationsabend. Die familienbasierte Intervention bestand aus drei bis fünf Beratungsgesprächen, einem wöchentlichen Sportangebot für Kinder sowie einem Kochkursangebot für Eltern über einen Zeitraum von sechs Monaten. Nach einem initial positiven Effekt beider Interventionen auf Hautfaltendicke und Fettmasse der Kinder, zeigte die Langzeitevaluation nur noch Effekte in Subgruppen (bei Kindern mit hohem sozioökonomischen Status und Kindern mit normalgewichtigen Müttern). Die Effekte beider Interventionen waren klein. Die Autoren schlussfolgerten, dass verhältnisorientierte Präventionsansätzen notwendig seien, insbesondere um auch Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status zu erreichen. In der Schweiz wurde ein umfangreiches schulbasiertes Präventionsprogramm (KISS; Kinder- und Jugendsportstudie) zur Förderung der körperlichen Aktivität und Fitness und zur Prävention von Adipositas unter 6- bis 11-jährigen Schülern evaluiert (Kriemler et al., 2010; Meyer et al., 2014). Das Programm beinhaltete die Optimierung des curricularen Schulsportunterrichts, zwei zusätzliche Sporteinheiten pro Woche und tägliche kurze Sportpausen und Sporthausaufgaben über einen Gesamtzeitraum von 9 Monaten. Direkt nach der Intervention konnte eine Reduktion der Hautfaltendicke sowie eine Zunahme der körperlichen Fitness bei Kindern in der Interventionsgruppe festgestellt werden (Kriemler et al., 2010). Bei der Langzeitmessung drei Jahre nach der Intervention war noch immer ein Effekt bei der körperlichen Fitness, nicht jedoch bei der Körperfettmessung der Kinder, nachzuweisen (Meyer et al., 2014). Die Autoren konkludieren, dass fortlaufende Programme für den Erhalt der Programmeffekte nötig seien.
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In Österreich resultierte das PRESTO-Projekt (Prevention Study of Obesity), bestehend aus elf einstündigen Einheiten, lediglich in einer Verbesserung des ernährungsbezogenen Wissens, jedoch nicht in einer Reduktion des BMI unter Schülern (Dämon, Dietrich & Wiethalm, 2005). Fehlenden Effekte sind möglicherweise durch eine zu geringe Intensität des Programms erklärbar. International bestehen zudem kombinierte Programme zur Prävention von sowohl Essstörungen als auch Adipositas, die in einer Reduktion von Risikofaktoren resultierten (Neumark-Sztainer et al., 2010; Huang, Norman, Zabinski, Calfas & Patrick; 2007; Wilksch, Paxton, Byrne & Austin, 2015). Stice und Kollegen (2008) zeigten, dass ein Programm zum gesunden Gewichtsmanagement bei Mädchen mit hoher Körperunzufriedenheit ähnliche Effekte hatte wie ein Programm zur kritischen Auseinandersetzung mit dem medialen Schlankheitsideal. Beide Interventionen resultierten in einer Reduktion des Risikos für den Beginn von Essstörungssymptomen. Die Intervention zum gesunden Gewichtsmanagement resultierte zudem in einer Reduktion der Inzidenz von Adipositas. Die Wirksamkeit kombinierter Programme zur Prävention von Essstörungen und Adipositas im deutschsprachigen Sprachraum bedarf weiterer Untersuchungen.
Diskussion und Ausblick Die Studienlange zeigt, dass Essstörungen und Adipositas im Kindes- und Jugendalter nicht mehr nur ein individuelles und medizinisches Problem darstellen, sondern gesellschaftliche Relevanz besitzen. Essstörungen sind schwerwiegende psychische Störungen mit ernsten medizinischen Auswirkungen, die die Entwicklung von Heranwachsenden nachhaltig beeinträchtigen können. Adipositas ist ein ernstes medizinisches Problem, welches durch psychische Faktoren mitausgelöst und aufrechterhalten werden kann und vor allem im Kindes- und Jugendalter den Selbstwert und die Selbstwirksamkeit und damit auch die psychische Gesundheit beeinträchtigen kann. Von entscheidender Bedeutung sind Prävention und frühzeitige Intervention daher bereits im Kindesalter, da in Kindheit und Jugend entwickeltes Essverhalten und Übergewicht schwer veränderbar ist und oft ein Leben lang beibehalten wird (Evensen, Wilsgaard, Furberg & Skaie, 2016). Die vorliegende Arbeit bietet eine narrative Übersicht über wissenschaftlich-evaluierten Maßnahmen zur Prävention von Essstörungen und Adipositas im Kindes- und Jugendalter im deutschen Sprachraum. Die Studienlage zeigt, dass universelle Präventionsprogramme bei Essstörungen und Adipositas fast ausschließlich im Schul bereich stattfinden. Der Vorteil dieses Ansatzes ist, dass © 2019 Hogrefe
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Präventionsmaßnahmen auf Populationsebene durchgeführt und somit eine große Reichweite haben können, ohne dass eine aktive Kontaktaufnahme seitens der Teilnehmer erforderlich ist. Die Studienlage zeigt jedoch routinegemäß kleine Effekte, insbesondere für die Adipositasprävention, die sich nach Ablauf der Intervention weiterhin reduzieren. Selektive und indizierte Präventionsmaßnahmen in Hochrisikogruppen zeigen eine tendenziell höhere Wirksamkeit, jedoch besteht hier typischerweise die Hürde der aktiven Kontaktaufnahme, resultierend in Selektionseffekten im Inanspruchnahmeverhalten der Teilnehmer und somit einer geringeren Reichweite der Maßnahme (z. B. sozioökonomische Unterschiede). Kazdin und Blase (2011) empfehlen den Einsatz einer Bandbreite von unterschiedlichen Präventionsansätzen (von hochwirksamen, indizierten Programmen bis zu kosteneffektiven, populationsbasierten Interventionen mit kleinen, aber stabilen Effekten) um einen maximalen gesellschaftlichen Effekt zu erreichen. Viele Autoren (z. B. Loss & Leitzmann, 2011) betonen zudem die Wichtigkeit von verhältnisorientierenden Ansätzen (z. B. bessere Kennzeichnung von gesunden und ungesunden Lebensmitteln, Werbeverbote für zuckerhaltige Lebensmittel, verbindliche Richtlinien für Gemeinschaftsverpflegung in Schulen und Kitas), in Ergänzung zu verhaltensorientierten Ansätzen, in der Prävention von Adipositas. Die vorliegende Arbeit zeigt zudem Limitationen der aktuellen Studienlage zur Prävention von Essstörungen und Adipositas im deutschsprachigen Raum. Im Bereich Essstörungen untersuchen relativ wenig Studien, ob der tatsächliche Beginn einer Essstörung (Inzidenz) verhindert werden kann. Zudem gibt es bisher kaum Präven tionsansätze, die die neu im DSM-5 aufgenommene Störung mit Vermeidung oder Einschränkung der Nahrungsaufnahme einbeziehen. Insbesondere sind Langzeiteffekte bestehender Programme zur Prävention von Essstörungen und Adipositas nicht hinreichend belegt. Es bedarf weiterer Arbeit um erfolgversprechende Programme in ausreichender Dosierung fortlaufend in gesellschaftliche Strukturen zu implementieren und die hieraus resultierenden Effekte zu evaluieren. Zudem bedarf es einer Verbesserung bisherigere Ansätze zur Förderung der Reichweite von Präventionsmaßnahmen (z. B. Verbesserung der Inanspruchnahme durch sozial benachteiligte Gruppen oder Risikogruppen). Zielgruppenorientierte Ansätze sind, insbesondere bei der Prävention von Adipositas im Kindes- und Jugendalter, unterrepräsentiert. Weiterhin ist es zum jetzigen Zeitpunkt unklar, ob präventive Maßnahmen zur Förderung einer gesunden Ernährung und eines gesunden Lebensstils bei Kindern und Jugendlichen auch zu einer Reduktion von Essstörungspathologie führen können.
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Dr. Kathrin Schuck Klinische Kinder- und Jugendpsychologie Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum Massenbergstrasse 9 – 13 44789 Bochum Deutschland kathrin.schuck@rub.de
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Themenschwerpunkt
Die Assoziation sexueller Orientierung mit dem Körperbild, Essstörungen und der Körper dysmorphen Störung bei Männern Christoph O. Taube und Andrea S. Hartmann Institut für Psychologie der Universität Osnabrück
Zusammenfassung: Dieses Review stellt bisherige Kernbefunde und Trends hinsichtlich Unterschieden zwischen homosexuellen (HoM) und heterosexuellen Männern (HeM) im Körperbild entlang dessen drei Komponenten perzeptiv, kognitiv-affektiv und behavioral zusammenfassend dar. Außerdem wird ein vergleichender Überblick über die Auftretenshäufigkeit sowie Symptomatik von Essstörungen (ES) und der Körperdysmorphen Störung (KDS) gegeben. HoM weisen im Vergleich zu HeM kein insgesamt negativeres Körperbild, sondern negativere Ausprägungen auf einzelnen Facetten auf. Die Männer scheinen sich nicht in der Wahrnehmung des eigenen Körpers und der Diskrepanz zwischen tatsächlichem und idealem Körper zu unterscheiden. Bezüglich der Präferenz eines schlanken Körperideals liegen Inkonsistenzen vor. HoM zeigen im Selbstbericht eine höhere Ausprägung in Körperunzufriedenheit und Schlankheitsstreben als HeM. Hinsichtlich der Häufigkeit von Sportverhalten liegt ein inkonsistentes Bild vor, HoM berichten jedoch tendenziell ein stärkeres Vermeidungs- und Kontrollverhalten. Im Muskulositätsstreben scheinen sich die Männer nicht zu unterscheiden. Es kann nicht eindeutig davon ausgegangen werden, dass sich HoM und HeM in der Häufigkeit von ES voneinander unterscheiden, jedoch scheinen keine Häufigkeitsunterschiede bezüglich KDS zu bestehen. Demgegenüber liegt bei HoM tendenziell eine schwerere ES- und KDS-Symptomatik vor. Für eine umfassendere Sichtweise auf das Körperbild von und die Psychopathologie von ES und KDS bei HoM und HeM sowie individuellere Gestaltung von Interventionen, ist weitere Forschung notwendig. Diese sollte insbesondere wenig untersuchte Konstrukte wie Definiertheitsstreben, kognitive Verzerrungen, Investmentverhalten und Essanfälle sowie potenzielle mediierende Faktoren wie bspw. die Zugehörigkeit zur schwulen Community (inklusive Subgruppen) einschließen. Schlüsselwörter: Sexuelle Orientierung, Körperbild, Essstörungen, Körperdysmorphe Störung, Männer
The Association between sexual orientation and body image, eating disorders, and body dysmorphic disorder in men Abstract: This review summarizes core findings and trends regarding differences in perceptual, cognitive-affective and behavioral components of body image between homosexual (HOM) and heterosexual men (HEM). Furthermore, it provides a comparison of prevalences and symptoms of eating disorders (ED) and body dysmorphic disorder (BDD). There is no evidence for more negative body image in general in HOM compared to HEM. There are no differences in the way one's body is perceived and with regard to the discrepancy between the actual and ideal body. Further there are inconsistencies regarding group differences in preference for a thinner body type. However, HOM report greater body dissatisfaction and drive for thinness. While there are inconsistencies concerning the difference in the frequency of exercising, HOM show stronger avoidance and checking behaviors. Findings regarding drive for muscularity show no difference between the men. Moreover, no clear conclusion can be drawn with regard to the prevalence of ED, and there is no difference in prevalence of BDD. Nevertheless, there seems to be a trend towards more severe ED and BDD symptoms in HOM. For a more comprehensive understanding of body image, ED and BDD psychopathology in HOM and HEM, and to develop individualized interventions, more research is needed. Of particular interest are constructs that have been neglected, e. g., drive for leanness, cognitive bias, investment in one's own body, binge eating, and potentially mediating factors, e. g., affiliation with the gay community (including subgroups). Keywords: Sexual orientation, body image, eating disorders, body dysmorphic disorder, men
Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper ist weit verbreitet: 42 % der Teilnehmerinnen und 27 % der Teilnehmer an einer Studie von Buhlmann und Kolleg*innen (2010) berichteten davon, stark besorgt bezüglich mindestens eines ihrer Körperteile zu sein. Ein negatives Körperbild stellt ein
Kernmerkmal bei den Essstörungen (ES) Anorexia (AN) und Bulimia Nervosa (BN), der Körperdysmorphen Störung (KDS; American Psychiatric Association [APA], 2013) und bei einer Subgruppe der Patient*innen mit Binge-EatingStörung (BES; Tuschen-Caffier, 2015) dar. Für eine passge-
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1), 18–29 https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000368
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C. O. Taube und A. S. Hartmann: Sexuelle Orientierung und Körperbildstörung bei Männern
naue Entwicklung von Präventions- und Interventionsangeboten im Körperbildbereich ist die Kenntnis assoziierter Faktoren relevant. Neben Unterschieden zwischen den Geschlechtern (z. B. Kindes, 2006), könnte auch die sexuelle Orientierung bei einzelnen Personen einen Einfluss auf deren Körperbild haben (bei Männern: z. B. Bosley, 2011). Aufgrund der fehlenden Untersuchung diverser Facetten des Körperbilds (unter Berücksichtigung der sexuellen Orientierung) und methodischer Schwächen einiger Studien, kann die aktuelle Befundlage hinsichtlich besagter Assoziation auch bei Männern als eingeschränkt bewertet werden. Das Körperbild wird definiert als mentale Repräsentation des eigenen Körpers und der eigenen Figur sowie der Gefühle, die damit einhergehen (Steinfeld, Bauer, Waldorf, Hartmann & Vocks, 2017). Dieses lässt sich in eine perzeptive, kognitiv-affektive und behaviorale Komponente untergliedern (z. B. Cordes, Bauer, Waldorf & Vocks, 2015). Die perzeptive Komponente, also die Wahrnehmung des eigenen Körpers, kann bei einer Störung des Körperbilds bspw. im Sinne einer Überschätzung eigener Körpermaße verzerrt sein (Farrell, Lee & Shafran, 2005). Die Bewertung des eigenen Körpers und die Bedeutsamkeit, die diesem zugeschrieben wird, sind kennzeichnend für die kognitiv-affektive Komponente (Cash, 2011). Eine kognitive Körperbildstörung kann sich durch eine dysfunktionale kognitive Verarbeitung (Cserjési et al., 2010) und kognitive Verzerrungen (engl. cognitive bias) im Bereich der Aufmerksamkeit (bspw. auf figurbezogene Stimuli; Cordes et al., 2015), des Gedächtnisses (Sebastian, Williamson & Blouin, 1996) und der Interpretation (Williamson, Perrin, Blouin & Barbin, 2000) äußern. Auf affektiver Ebene sind negative körperbezogene Emotionen, wie z. B. Angst und Scham (Tuschen-Caffier, Vögele, Bracht & Hilbert, 2003; Vocks, Legenbauer, Wächter, Wucherer & Kosfelder, 2007) sowie eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper (Herpertz, de Zwaan & Zipfel, 2008) zu verzeichnen. Die behaviorale Komponente umfasst körperbezogene Verhaltensweisen (Tuschen-Caffier, 2015) wie Vermeidungsverhalten, das die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper verhindern soll (Rosen, Srebnik, Saltzberg & Wendt, 1991). Des Weiteren kann auch Kontrollverhalten zur Überprüfung des eigenen Körpers (Reas, Whisenhunt, Netemeyer & Williamson, 2002) und ein ausgeprägtes Investment in den eigenen Körper in Form exzessiven Sporttreibens (Hilbert, de Zwaan & Brähler, 2012), einer „extrem“ gesunden Ernährungsweise (Barnes & Caltabiano, 2017) und von Aussehensveränderungen (Didie, Kuniega-Pietrzak & Phillips, 2010) vorliegen. Homosexuelle Männer (HoM) scheinen im Vergleich zu heterosexuellen Männern (HeM) laut bisheriger Übersichtsarbeiten ein negativeres Körperbild (Bosley, 2011) und eine schwerere ES-Symptomatik (Calzo, Blashill, Brown & Argenal, 2017; Harvey & Robinson, 2003; Legen© 2019 Hogrefe
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bauer, 2006) aufzuweisen. Diese Reviews liegen jedoch schon länger zurück und / oder haben meist nur einen Ausschnitt der Körperbildstörung oder assoziierter psychischer Störungen behandelt. Das Ziel vorliegender Übersichtsarbeit ist, die aktuellen wissenschaftlichen Befunde hinsichtlich des Körperbilds von HoM und HeM erstmalig entlang dessen drei Komponenten zusammenzufassen. Weiterhin sollen die Forschungsergebnisse bezüglich der Auftretenshäufigkeit und Schwere der Symptomatik von ES und KDS vergleichend dargestellt werden. Dies soll Implikationen für weitere Forschungsansätze ausdifferenzieren und eine zielgruppenspezifischere Gestaltung notwendiger Präventions- und Interventionsangebote ermöglichen.
Methoden Die Literaturrecherche über die Plattformen Psyndex, PsycInfo, PsycArticles, Psychology and Behavioral Sciences Collection (PBSC) und PubMed erstreckte sich bis Mai 2018. Die folgenden Suchwörter wurden verwendet: sexual orientation and body image / body image disturbance / eating disorders / anorexia nervosa / bulimia nervosa / binge eating disorder / body dysmorphic disorder, homosexual / sexual minority men and body image / body image disorder / eating disorders / anorexia nervosa / bulimia nervosa / binge eating disorder / body dysmorphic disorder. Es wurden nur Studien, die HoM und HeM miteinander verglichen berücksichtigt – ebenso, wenn HoM und bisexuelle Männer zu einer Gruppe zusammengefasst wurden. Daneben wurden keine weiteren Ein- und Ausschlusskriterien wie bspw. der Zeitpunkt der Veröffentlichung festgelegt, um eine möglichst breite Übersicht geben zu können.
Unterschiede im Körperbild zwischen homosexuellen und heterosexuellen Männern Perzeptive Komponente des Körperbilds Das perzeptive Körperbild wurde bei HoM und HeM bisher mittels Figurratings (Silhouettenverfahren) erfasst. Diese bestehen aus gezeichneten Silhouetten unterschiedlichen Körperfett- und / oder Muskulaturausmaßes zur Einschätzung des tatsächlichen und idealen Körpers. Die häufigsten Verfahren zur Messung der Körperfettdimension waren die Body Size Drawings (BSD; Stunkard, Sørensen & Schulsinger, 1980; adaptiert: Fallon & Rozin, 1985), die Contour Drawing Rating Scale (CDRS; Thompson & Gray, 1995)
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und das Bodybuilder Image Grid Original (BIG-O; Hildebrandt, Langebucher & Schlundt, 2004). Die Muskulositätsdimension wurde mittels des BIG-O erfasst. Es ergeben sich keine Unterschiede zwischen HoM und HeM hinsichtlich der Auswahl der tatsächlichen Silhouette und somit in der perzeptiven Komponente im engeren Sinn (Boroughs & Thompson, 2002; Gil, 2007; Herzog, Newman & Warshaw, 1991; Williamson & Hartley, 1998). Betrachtet man die ausgewählte ideale Silhouette, ergibt sich ein inkonsistenteres Bild. Unter Anwendung der BSD innerhalb der Allgemeinbevölkerung konnten Tiggemann, Martins und Kirkbride (2007) zeigen, dass die 134 untersuchten HoM (durchschnittliches Alter [DA]: 34 Jahre) eine signifikant schlankere Silhouette auswählten als die 119 HeM (DA: 31). Dies wird auch im Rahmen einer anderen Studie berichtet, in der 41 junge HoM (DA: 19.5), die vorwiegend aus LGBTI*1-Jugendgruppen rekrutiert wurden, mit 42 heterosexuellen Studenten (DA: 19) ebenfalls anhand der BSD verglichen wurden (Williamson & Hartley, 1998). Damit einhergehend berichtet Gil (2007) nach der Untersuchung von 75 homo- und 105 heterosexuellen Studenten (DA: 23) mittels der CDRS über gleiche Ergebnisse. Allerdings unterschieden sich die im Rahmen der Studie von Boroughs und Thompson (2002) anhand der CDRS verglichenen 47 homosexuellen Nicht-Studenten keineswegs von den 87 heterosexuellen Studenten hinsichtlich der Auswahl einer idealen Silhouette (Alter nicht aufgeführt). Die gleichen Ergebnisse resultierten bei Herzog und Kolleg*innen (1991), die 43 überwiegend aus LGBTI*-Organisationen und -Bars rekrutierte HoM (DA: 24) mit 32 per Zeitungsannoncen rekrutierten HeM (DA: 25) mittels einer adaptierten Version der Male Figure Drawings (Fallon & Rozin, 1985) verglichen. Die Diskrepanz zwischen der Auswahl der tatsächlichen und idealen Silhouette wird als Körperunzufriedenheit auf der perzeptiven Körperbildebene interpretiert (z. B. Boroughs & Thompson, 2002) und könnte damit auch als Teil der kognitiv-affektiven Komponente gesehen werden. Hinsichtlich der Körperfettdimension konnte Siever (1994) durch den Vergleich von 59 homosexuellen Studenten (DA: 26), die größtenteils aus LGBTI*-Studierendenorganisationen rekrutiert wurden, mit 63 heterosexuellen Studenten (DA: 22) mittels der BSD eine größere Diskrepanz bei den HoM zeigen. Diesen Befund konnten auch weitere Studien berichten (Gil, 2007; Williamson & Hartley, 1998). Demgegenüber unterschieden sich die von Legenbauer und Kolleg*innen (2009; Deutschland) anhand der CDRS untersuchten 82 HoM nicht hinsichtlich dieser Diskrepanz von den 61 HeM (DA: 29). Dieses Ergebnis wird von Beren, Hayden, Wilfey und Grilo (1996) durch den Vergleich von
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58 HoM (DA: 30), die hauptsächlich aus LGBTI*-Organisationen stammen, und 58 heterosexuellen Studenten (DA: 19) mittels der BSD bestätigt. Damit einhergehend konnte in einer weiteren Studie unter Anwendung des BIG-O kein Unterschied zwischen den 75 homo- und 129 heterosexuellen Studenten (DA: 20.5) gezeigt werden (Smith, Hawkeswood, Bodell & Joiner, 2011). Ein nicht vorliegender Unterschied zwischen den Männergruppen in dieser Diskrepanz konnte auch in zahlreichen anderen Forschungsarbeiten berichtet werden (z. B. Boroughs & Thompson; 2002; Herzog et al., 1991; Tiggemann et al., 2007). Hinsichtlich der Muskelmassedimension scheint kein Unterschied zu bestehen (Smith et al., 2011).
Kognitiv-affektive Komponente des Körperbilds Der Großteil vergangener Forschung beschäftigte sich mit dem kognitiv-affektiven Körperbild in Form von Körperunzufriedenheit. Die vorwiegend eingesetzten Messinstrumente waren die aus dem Eating Disorder Inventory (EDI; Garner, Olmstead & Polivy, 1983) bzw. EDI-2 (Garner, 1991) stammende Skala Body Dissatisfaction und die dem Multidimensional Body-Self Relations Questionnaire (MBSRQ ; Cash, 2000) zugehörige Skala Appearance Evaluation. Im Rahmen einer Studie von Martins, Tiggemann und Kirkbride (2007) wurden 98 HoM, die aus LGBTI*-Organisationen und per Zeitungsannoncen sowie Radiosendungen rekrutiert wurden, mit 103 HeM, hauptsächlich Studenten und rekrutiert per Zeitung, Radio sowie aus Vereinen, anhand der Skala Body Dissatisfaction (EDI) und der Body Esteem Scale (BES; Franzoi & Shields, 1984) verglichen (Altersrange: 16 bis 40 Jahre). Die HoM gaben signifikant höhere Werte auf beiden Skalen an als die HeM, was hinsichtlich einer stärkeren Körperunzufriedenheit interpretiert werden kann. Dieses Ergebnis konnte durch weitere Forschungsarbeiten mittels der Skala Body Dissatisfaction (EDI) gezeigt werden (Beren et al., 1996; Siever, 1994). Damit einhergehend erreichten innerhalb einer anderen Studie die 52 HoM (DA: 33), rekrutiert per Gay Times Magazine, signifikant höhere Werte auf der Skala Body Dissatisfaction (EDI-2) als die 51 aus der Allgemeinbevölkerung rekrutierten HeM (DA: 34; Yelland & Tiggemann, 2003). Unter Verwendung der Skala Appearance Evaluation (MBSRQ ) konnte dieser Trend bestätigt werden. Aus dem von McArdle und Hill (2009) durchgeführten Vergleich von per Schneeballprinzip rekrutierten 82 HoM und 54 HeM (DA: 32) resultierten signifikant höhere Werte bei den HoM. Eine weitere Studie, die 130
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HoM (DA: 35) mit 646 HeM (DA: 29) ebenfalls anhand dieser Skala miteinander verglich, konnte gleiches berichten (Peplau et al., 2009). Im Einklang dessen stehen die Ergebnisse weiterer Studien, bei denen andere Messinstrumente Anwendung fanden. Hinsichtlich des von den Autor*innen einer Forschungsarbeit eigens konstruierten Instruments Male Eating Behavior and Body Image Evaluation (MEBBIE) zur Erfassung von u. a. Körperunzufriedenheit (Kaminski & Caster, 1994; Kaminski et al., 2002) erreichten die 25 HoM signifikant höhere Werte auf dieser Facette als die 25 HeM (DA: 31) mit überwiegend akademischem Hintergrund (Kaminski, Chapman, Haynes & Own, 2005). Unter Verwendung der Body Satisfaction Scale (BSS; Slade, Dewey, Newton, Brodie & Kiemle, 1990) berichten Williamson und Hartley (1998) ebenfalls signifikant höhere Werte der HoM. Eine weitere Studie, die 116 nicht-HeM (davon 101 homosexuell) mit 130 HeM – hauptsächlich Studenten (DA: 21) und rekrutiert aus LGBTI*-Organisationen und dem Internet – mittels des Body Shape Questionnaire (BSQ ; Cooper, Taylor, Cooper & Fairburn, 1987) verglich, berichtete signifikant höhere Ausprägungen der nichtHeM (Yean et al., 2013). Dagegen liegen Studien vor, die den besagten Unterschied nicht berichten können. So unterschieden sich die von Cella, Iannaccone, Ascione und Cotrufo (2010) untersuchten 85 HoM (DA: 27), überwiegend aus LGBTI*-Organisationen stammend, nicht signifikant in der Ausprägung auf der Skala Body Dissatisfaction (EDI-2) von den 85 demografisch ähnlichen HeM (DA: 29), die hauptsächlich Studenten waren. Des Weiteren konnte im Rahmen anderer Studien kein signifikanter Unterschied zwischen den Männern in dieser Skala (EDI; Herzog et al., 1991) und der BES (Yelland & Tiggemann, 2003) gezeigt werden. Ein ebenfalls häufig untersuchtes eher kognitives Konstrukt stellt das Streben nach Schlankheit (engl. drive for thinness; Paul & Thiel, 2005) dar. Bereits beschriebene Studien konnten zeigen, dass HoM signifikant höhere Ausprägungen im Schlankheitsstreben, erfasst mit der Drive for Thinness Scale unterschiedlicher Versionen des EDI, als HeM aufwiesen (Cella et al., 2010: EDI-2; Kaminski et al., 2005: MEBBIE; Martins et al., 2007: EDI; Siever, 1994: EDI; Yelland & Tiggemann, 2003: EDI-2). Demgegenüber liegen Forschungsarbeiten vor, in denen sich die HoM und HeM nicht unterschieden (Boroughs & Thompson, 2002: EDI-2; Herzog et al., 1991: EDI; Yean et al., 2013: EDI-2). Vergleichende Befunde zum Streben nach Muskulosität (engl. drive for muscularity; Waldorf, Cordes, Vocks & McCreary, 2014) werden im Rahmen der behavioralen Körperbildkomponente zusammengefasst. Weiterhin fehlen bislang Studien zum Streben nach einem definierten Körper, der schlank und gleichzeitig durchtrainiert ist (engl. drive for leanness; Smolak & Murnen, 2008). © 2019 Hogrefe
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In Bezug auf die der kognitiven Körperbildebene zugehörigen Konstrukte der gedanklichen Abwertung des eigenen Körpers und kognitiven Verzerrungen existieren bisher keine (vergleichenden) Befunde. Es liegen zwar Studien vor, die den Aufmerksamkeitsbias bei Männern untersucht haben, jedoch ohne explizite Berücksichtigung der sexuellen Orientierung (z. B. Cordes, Vocks, Düsing, Bauer & Waldorf, 2016).
Behaviorale Komponente des Körperbilds Die behaviorale Komponente des Körperbilds wurde b isher am wenigsten untersucht. Die im Rahmen einer b ereits oben ausgeführten Studie von Yelland und T iggemann (2003) untersuchten HoM gaben signifikant seltener als die HeM an, regelmäßig Sport zu treiben (75 % vs. 86.3 %). Darüber hinaus unterschieden sich die Männergruppen in der Bewertung möglicher Beweggründe hinsichtlich ihres Sportverhaltens voneinander. Die HoM bewerteten im Vergleich zu den HeM die Beweggründe Gewichtskontrolle, Fitness, Stimmung, Gesundheit, Attraktivität, Muskelaufbau und Körperstraffung als signifikant bedeutender, wohingegen sich kein Unterschied in Vergnügen ergab. Damit einhergehend unterschieden sich die an einer anderen Studie teilgenommenen HoM und HeM nicht signifikant in ihrer Ausprägung auf der Overexercise Scale des MEBBIE, die zur Erfassung von zwanghaftem Trainingsverhalten dient, voneinander (Kaminski et al., 2005). Die weiteren Formen von Investmentverhalten (Aussehensveränderung, Ernährung) wurden bisher nicht vergleichend untersucht. Der Erforschung von Unterschieden zwischen den Männergruppen im Vermeidungs- und Kontrollverhalten widmeten sich bisher lediglich Cella und Kolleg*innen (2010). Die untersuchten HoM erreichten signifikant höhere Ausprägungen auf den Skalen Compulsive Self Monitoring (beinhaltet Bodychecking-Verhalten) und Avoidance des Body Uneasiness Test (BUT; Cuzzolaro, Vetrone, Marano & Battacchi, 1999). Ein weiteres behaviorales aber auch kognitives Konstrukt stellt das Streben nach Muskulosität dar. Es lässt sich in seiner Gesamtheit keiner Komponente zuordnen, außer, man gliedert es in die zwei Skalen der muskulaturbezogenen Verhaltensweisen und Kognitionen auf (Waldorf et al., 2014). Bisherige Studien verglichen HoM und HeM jedoch ausschließlich anhand der Gesamtskala miteinander. Kaminski und Kolleg*innen (2005) berichten unter Anwendung der Drive for Muscularity Scale (DMS) des MEBBIE von signifikant höheren Ausprägungen bei HoM im Vergleich zu HeM. Andererseits konnte dieser Unterschied in weiteren Studien mittels der DMS nicht gezeigt werden (Martins et al., 2007: DMS von Yelland & Tiggemann, 2003; Yean et al., 2013: DMS von McCreary & Sasse, 2000).
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Sexuelle Orientierung, Essstörungen und Körperdysmorphe Störung Essstörungen Auftretenshäufigkeit von ES-Diagnosen Feldman und Meyer (2007) verglichen mittels venuebased sampling 193 HoM und bisexuelle Männer mit 63 HeM (DA: 32) hinsichtlich ihrer Lebenszeitprävalenz für eine AN, BN, BES und irgendeine ES sowie deren subklinischen Formen anhand der 19. Version des World Mental Health-Composite International Diagnostic Interview (WHM-CIDI; Kessler & Üstün, 2004) miteinander. Die Kriterien des WHM-CIDI für die Diagnose o. g. ES sind an die des DSM-IV angelehnt, wobei sie sich z. B. hinsichtlich der Erkrankungsdauer der BES unterscheiden (WHM-CIDI: mind. drei Monate vs. DSM-IV: mind. 6 Monate; Hudson, Hiripi, Pope & Kessler, 2007). Die Autor*innen berichten, dass die HoM und bisexuellen Männer im Vergleich zu den HeM eine signifikant höhere Lebenszeitprävalenz für eine BN (6.2 % vs. 0 %), subklinische BN (9.3 % vs. 0 %) und irgendeine subklinische ES (15,5 % vs. 4.6 %) aufwiesen (Feldman & Meyer, 2007). Dieser Trend wird von Diemer, Grant, Munn-Chernoff, Patterson und Duncan (2015) im Rahmen einer retrospektiven Studie bestätigt. Die Autor*innen analysierten die Daten von 5 977 nicht-hetero- und 91 599 heterosexuellen Studenten (DA: 20). Die Teilnehmer sollten die Frage, ob sie innerhalb der letzten 12 Monate eine Diagnose der AN / BN erhalten haben oder diesbezüglich therapiert wurden mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Diese Frage bejahten mit 2.06 % die nicht-HeM signifikant häufiger als die HeM mit 0.55 % (Diemer et al., 2015). Innerhalb einer weiteren Studie wurden anhand eines Datensatzes von 642 Militärveteranen mittels der Eating Disorder Diagnostic Scale (EDDS; Stice, Telch & Rizvi, 2000) wahrscheinliche ES-Diagnosen berechnet (Bankoff, Richards, Bartlett, Wolf & Mittchel, 2016). Da sich jedoch nur 24 Männer als nicht-heterosexuell identifizierten, konnte aufgrund fehlender Power kein möglicher Gruppenunterschied untersucht werden (Bankoff et al., 2016). Ming und Kolleg*innen (2014) untersuchten die Daten aller männlichen Patienten der Eating Disorder Clinic des Singapore General Hospital von 2003 bis 2012 und identifizierten 72 ES-Patienten (AN: 36 %; BN: 33.3 %; ES nicht näher bezeichnet: 30.5). Es bezeichneten sich 63.9 % dieser Patienten als hetero- und 15.3 % als homo- oder bisexuell. Laut den Autor*innen sind die nicht-HeM in dieser klinischen Stichprobe im Vergleich zu ihrem prozentualen Anteil an der lokalen Gesamtbevölkerung überrepräsentiert, was jedoch nicht eindeutig für eine häufigere ES-Diagnose bei nicht-HeM gegenüber HeM spricht (Ming et al., 2014).
llerdings konnte dieser Trend wiederum bereits von A weiter zurückliegenden Studien gezeigt werden (z. B. Carlat, Camargo & Herzog, 1997: BN; Herzog, Norman, Gordon & Pepose, 1984: AN und BN). Globale ES-Symptomatik Russell und Keel (2002) verglichen 58 HoM (DA: 29) mit 64 HeM (DA: 26) aus der Allgemeinbevölkerung mittels des Eating Attitudes Test-26 (EAT-26; Garner, Olmsted, Bohr & Garfinkel, 1982). Die HoM wiesen signifikant höhere Werte auf (Russel & Keel, 2002). Dieser Trend einer schwereren globalen ES-Symptomatik konnte durch weitere bereits o. g. Studien mittels EAT-26 (Siever, 1994; Williamson & Hartley, 1998; Yean et al., 2013) und Eating Disorder Examination Questionnaire 4 (EDEQ 4; adaptiert vom Eating Disorder Examination Interview; Fairburn & Beglin, 1994; Fairburn & Cooper, 1993; Smith et al., 2011) bestätigt werden. Essanfälle Laska und Kolleg*innen (2015) untersuchten mittels einer Querschnittsanalyse die Daten von 361 homo- (DA: 25) und 11 630 heterosexuellen Studenten (DA: 26), die von 2007 bis 2011 am College Student Health Survey Minnesota teilnahmen. Die HoM berichteten mit 21.1 % signifikant häufiger als die HeM mit 11.4 % über einen Essanfall innerhalb der letzten 30 Tage (Laska et al., 2015). Eine weitere Studie konnte ebenfalls zeigen, dass die untersuchten 81 homosexuellen Jugendlichen mit 25 % im Vergleich zu den 212 heterosexuellen mit 10.6 % signifikant häufiger angaben, jemals einen Essanfall erlitten zu haben (French, Story, Remafedi, Resnick & Blum, 1996). Demgegenüber konnten Cella und Kolleg*innen (2010) keinen Unterschied zwischen den Männern nachweisen. Purgingverhalten Matthews-Ewald, Zullig und Ward (2014) untersuchten 1 653 homo- und 34 568 heterosexuelle Studenten (DA: 22), die von 2008 bis 2009 am American College Health Association National College Health Assessment teilnahmen. Die Autor*innen berichten, dass die HoM 4.5-mal häufiger als die HeM angaben, sich innerhalb der letzten 30 Tage erbrochen oder Laxanzien genommen zu haben (Matthews-Ewald et al., 2014). Diesen Eindruck bestärkt eine zusammenfassende Analyse der Datensätze von Jugendlichen des Massachusetts Youth Risk Behaviour Survey von 1999 bis 2013 (Watson, Adjei, Saewyc, Homma & Goodenow, 2017). Innerhalb dieser Jahre beschrieben sich 94 % bis 95.4 % der Jugendlichen (DA: 16) als hetero- und 0.8 % bis 2.1 % als homosexuell. Die homosexuellen Jugendlichen gaben über die Jahre hinweg 5- bis 5.78-mal häufiger als die heterosexuellen an, innerhalb der letzten 30 Tage Purgingverhalten gezeigt zu haben (Watson et al.,
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2017). Eine weitere Studie untersuchte die Daten von 149 homo- und 11 821 heterosexuellen Jugendlichen (DA: 16), die von 2005 bis 2007 am Youth Risk Behaviour Surveillance System Survey (YRBSS) teilnahmen (Austin, Nelson, Birkett, Calzo & Everett, 2013). Purgingverhalten wurde von den homosexuellen Jugendlichen innerhalb der letzten 30 Tage 5.21-mal häufiger als von den heterosexuellen gezeigt (Austin et al., 2013). Demgegenüber unterschieden sich die Jugendlichen in der Studie von French und Kolleg*innen (1996) nicht in der Häufigkeit von Purgingverhalten. Restriktives Essverhalten Conner, Johnson und Grogan (2004) verglichen 28 HoM (DA: 24) mit 30 HeM (DA: 23), die durch persönlichen Kontakt in Bars rekrutiert wurden, anhand der Skala Restrained des Dutch Eating Behaviour Questionnaire (DEBQ ; van Strien, Frijters, Bergers & Defares, 1986) miteinander. Die HoM erreichten signifikant höhere Werte als die HeM (Conner et al., 2004). Dieser Trend konnte im Rahmen einer weiteren Studie mittels der Skala Restraint des EDEQ 4 bestätigt werden (Smith et al., 2011). Ebenso berichten Matthews-Ewald und Kolleg*innen (2014) von 1.5-mal häufigerem Diätverhalten (innerhalb der letzten 30 Tage) bei HoM gegenüber HeM. In einer anderen Studie konnte jedoch kein Unterschied zwischen den Männern im Diätverhalten verzeichnet werden (Cella et al., 2010). Die homosexuellen Jugendlichen einer anderen Forschungsarbeit gaben zwischen den Jahren 1999 bis 2013 an, 2.82- bis 4.03-mal häufiger als die heterosexuellen innerhalb der letzten 30 Tage 24 Stunden oder länger, keine Nahrung zu sich genommen zu haben (Fasten; Watson et al., 2017). Einnahme gewichtsreduzierender Supplemente Im Rahmen der Studie von Matthews-Ewald und Kolleg*innen (2014) berichteten die HoM im Vergleich zu den HeM, innerhalb der letzten 30 Tage 2.3-mal häufiger Diätpillen konsumiert zu haben. Ein ähnliches Bild zeigt eine weitere Studie, in der homosexuelle Jugendliche einen innerhalb der letzten 30 Tage 4.33-mal häufigeren Konsum als die heterosexuellen angaben (Austin et al., 2013). Ebenso berichten Watson und Kolleg*innen (2017) zwischen 1999 und 2013 einen 2.7- bis 5.98-mal häufigeren Konsum von Diätsubstanzen bei homo- gegenüber heterosexuellen Jugendlichen.
Körperdysmorphe Störung Boroughs, Krawczyk und Thompson (2010) verglichen 42 homo- und 302 heterosexuelle Studenten (DA: 21) anhand der Body Dysmorphic Disorder Examination, Self-Report © 2019 Hogrefe
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(BDDE-SR; Rosen & Reiter, 1996) miteinander. Die HoM erreichten mit 2.4 % eine vergleichbare Punktprävalenz wie die HeM mit 2.3 %. Demgegenüber zeigten die HoM im Vergleich zu den HeM in der BDDE-SR eine signifikant schwerere KDS-Symptomatik (Boroughs et al., 2010). Darüber hinaus existieren bisher keine vergleichenden Ergebnisse hinsichtlich einer KDS des Subtyps Muskeldysmorphie.
Diskussion Der nach dem Großteil bisheriger Forschung entstandene Eindruck eines insgesamt negativeren Körperbilds bei HoM kann nicht bestätigt werden. Differenziert betrachtet, weisen HoM gegenüber HeM negativere Ausprägungen auf einzelnen Facetten des Körperbilds auf. Auf perzeptiver Körperbildebene scheinen sich die Männer nicht darin zu unterscheiden, wie sie ihren eigenen Körper wahrnehmen; ebenso hinsichtlich der Tatsächlich-idealDiskrepanz. Demgegenüber liegen bezüglich der Präferenz eines schlanken Körperideals, wahrscheinlich basierend auf unterschiedlichen verwendeten Verfahren und sich in unterschiedlichen Variablen unterscheidenden Untersuchungsgruppen, Inkonsistenzen vor. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich die Männer eher nicht in perzeptiver Körperunzufriedenheit im engeren und weiteren Sinn unterscheiden. Diese Ergebnisse können nicht mit denen anderer Übersichtsarbeiten verglichen werden, da keine klare Unterteilung des Körperbilds vorgenommen wurde (Harvey & Robinson, 2003; Legen bauer, 2006). Sie stehen jedoch im Kontrast zu den Resultaten der bisher einzigen metaanalytischen Untersuchung von M. A. Morrison, T. G. Morrison und Sager (2004), die eine stärkere perzeptive und kognitiv-affektive Körperunzufriedenheit bei HoM berichtete (Effektstärke: .29). Die Unterschiede sind wahrscheinlich auch auf die fehlende Differenzierung der Komponenten im Vergleich zur vorliegenden Studie zurückzuführen. Hinsichtlich der kognitiv-affektiven Komponente kann ein eindeutigeres Resümee gezogen werden. HoM berichten eine stärkere Körperunzufriedenheit und ein stärkeres Schlankheitsstreben. Im Vergleich zu Legenbauer (2006) kann somit eine in dieser Richtung konsistentere Aussage getroffen und der Trend von M. A. Morrison und Kolleg*innen (2004) bezüglich kognitiv-affektiver Körper unzufriedenheit bestätigt werden. Aufgrund unterschiedlich eingesetzter Messinstrumente (z. B. EDI vs. BSS) und verschiedener Interpretationen dieser (z. B. Beren et al., 1996), kann die selbstberichtete Körperunzufriedenheit nicht eindeutig den Kognitionen oder Affekten zugeordnet werden und wird deshalb als kognitiv-affektives Konstrukt
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verstanden. Auffällig ist, dass sich HoM und HeM zwar in kognitiv-affektiver Körperunzufriedenheit unterscheiden, jedoch nicht in perzeptiver. Dies könnte möglicherweise durch den Einsatz ökologisch wenig valider Silhouettenverfahren erklärt werden, die ausschließlich gezeichnet und wenig detailreich sind und somit zu wenig Differenziertheit bieten. Für eine umfassende Betrachtung des kognitiv-affektiven Körperbilds fehlen vergleichende Untersuchungen hinsichtlich Definiertheitsstreben, muskulaturbezogener und körperbezogener abwertender Kognitionen sowie kognitiver Verzerrungen. Die behaviorale Komponente wurde bislang wenig erforscht. Hinsichtlich möglicher Unterschiede zwischen den Männern in der Häufigkeit von Sportverhalten kann keine eindeutige Aussage getroffen werden. HoM scheinen jedoch Sport stärker aus gesundheitlichen und Aussehensgründen zu betreiben. Nichtsdestotrotz können hierdurch die Erkenntnisse von Legenbauer (2006) bezüglich Sportverhalten erweitert werden. Des Weiterhin besteht ein Trend stärkeren Vermeidungs- und Kontrollverhaltens sowie ähnlichen Muskulositätsstrebens bei HoM. Da keine vergleichenden Befunde zu muskulaturbezogenen Verhaltensweisen, Aussehensveränderungen und Ernährungsverhalten existieren, ist aktuell keine differenzierte Sichtweise der behavioralen Komponente des Körperbilds möglich. Darüber hinaus ist die Repräsentativität berichteter Ergebnisse durch vorwiegend studentische (z. B. Martins et al., 2007) und selektive Stichproben (z. B. Yean et al., 2013) als eingeschränkt zu bewerten, worauf bereits andere Autor*innen hinwiesen (z. B. Kane, 2010; Legenbauer, 2006). Desgleichen können berichtete Befunde nur eingeschränkt auf deutschsprachige und andere ethnische HoM und HeM übertragen werden, da sich nur vereinzelte Studien diesem Vergleich widmeten. Des Weiteren kritisierte Kane (2010) den Vergleich altersungleicher und unterschiedlich großer Männergruppen, den Zusammenschluss HoM und bisexueller Männer als eine Gruppe, zu geringe und trotzdem signifikante Unterschiede auf Instrumentenebene sowie voreilige Generalisierungen eines negativeren Körperbilds HoM. Hinsichtlich der ersten beiden Kritikpunkte lassen sich leichte Verbesserungen verzeichnen (z. B. Cella et al., 2010). Der Aspekt zu geringer Mittelwertsunterschiede auf Instrumentenebene und eine schlussfolgernde Generalisierung (Kane, 2010) lässt sich nicht zurückweisen, jedoch könnten hier vorsichtigere Formulierungen wie bspw. Trends / Hinweise verwendet werden. Das teils negativere Körperbild HoM legt die Vermutung häufigerer ES-Diagnosen bei diesen Männern nahe. Es kann jedoch aufgrund des Vorgehens bisheriger Studien wie die Untersuchung stark ungleichgroßer Männergruppen, der Zusammenschluss HoM und bisexueller Männer, die fehlende Berücksichtigung von ICD-10- oder
DSM-IV/5-Kriterien, die retrospektive Datenanalyse und die zu geringe Anzahl klinischer Stichproben keine eindeutige Aussage getätigt werden. Deshalb kann lediglich von leichten Hinweisen häufigerer AN- und BN-Diagnosen bei HoM gesprochen werden. Die Männer scheinen sich in der Häufigkeit der BES nicht zu unterscheiden. Bezüglich globaler und spezifischer ES-Symptomatik scheinen HoM stärkere Ausprägungen aufzuweisen. Dieser Befund sollte jedoch lediglich als Hinweis verstanden werden, da o. g. Kritikpunkte ebenfalls zutreffen und aufgrund von größtenteils untersuchten studentischen (z. B. Laska et al., 2015) und jugendlichen (z. B. Matthews-Ewald et al., 2014) Stichproben eine eingeschränkte Repräsentativität besteht. Ebenso liegen bislang keine Studien an deutschsprachigen und anderen ethnischen Stichproben vor, was die Übertragung auf z. B. in Deutschland lebende Männer erschwert. Diese Erkenntnisse erweitern die Resultate einiger bisheriger Übersichtsarbeiten (Harvey & Robinson, 2003; Legenbauer, 2006) und decken sich mit dem im englischsprachigen Raum veröffentlichten Review von Calzo und Kolleg*innen (2017). Im Vergleich zu den ES existiert hinsichtlich des KDS-Bereichs bislang nur eine vergleichende Studie, die vermuten lässt, dass sich HoM und HeM nicht in der Häufigkeit einer Diagnose unterscheiden, HoM jedoch eine schwerere Symptomatik aufzuweisen scheinen (Boroughs et al., 2010). Potenzielle mediierende Faktoren zwischen der sexuellen Orientierung, dem Körperbild und ES bei Männern können hier nur skizziert werden, sollen aber als Hinweise für zukünftige Forschung dienen. Die aktuelle Forschung benennt als vermittelnde Faktoren soziale Diskriminierung, Medien, Partnerschaft, die Zugehörigkeit zur schwulen Community (z. B. Bosley, 2011), internalisierte Homonegativität (Internalisierung von soziokulturell vorgegebenen negativen Einstellungen und Bildern durch nicht-heterosexuell empfindende Menschen; Göth & Kohn, 2014; z. B. Brewster, Sandil, DeBlaere, Breslow & Eklund, 2017), eine feminine Geschlechtsrolle (z. B. Blashill, 2011) und die Phase des Coming-out (z. B. Williamson & Hartley, 1998). Die Affiliation zur schwulen Community ist zudem differenziert zu betrachten, da innerhalb ihrer Subgruppen (z. B. Twinks, Bears und Jocks) unterschiedliche Körperideale vorherrschen und diese mit der Affiliation assoziiert zu sein scheinen (Doyle & Engeln, 2014).
Implikationen Für eine umfassende und differenzierte Sichtweise auf das Körperbild von und die assoziierten psychischen Störungsbereiche der ES und KDS bei HoM und HeM sollten einerseits zukünftig vergleichbarere Männergruppen und klinische sowie deutschsprachige Stichproben untersucht
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werden. Spezifischer könnten andererseits über den Selbstbericht hinausgehende Methoden (z. B. Eye-Tracking) und die Berücksichtigung bislang fehlender Facetten des Körperbilds (z. B. kognitive Verzerrungen) sowie wenig erforschter spezifischer Symptome der ES (z. B. Essanfälle) und KDS neue Erkenntnisse ermöglichen. Im Rahmen der präventiven, beratenden und therapeutischen Arbeit im Körperbildbereich sollten die Rolle der nicht-heterosexuellen Orientierung bei Männern und die potenziellen mediierenden Faktoren wie die Zugehörigkeit zur schwulen Community Berücksichtigung finden. Demnach sollte eine offene Haltung gegenüber sexuellen Orientierungen auf therapeutischer / beratender Seite sichtbar sein, wie z. B. durch die sprachliche Berücksichtigung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften (s. Göth & Kohn, 2014). Dies ebnet den Weg für die anschließende Exploration des sozialen Umfelds der Männer, insbesondere ihrer individuellen (schwulen) Community. Des Weiteren sollte die Aufklärung über die Assoziation der Zugehörigkeit zur schwulen Community mit dem Körperbild und ES in Präventionskampagnen im LGBTI*-Bereich aufgenommen werden. Dieses Vorgehen ermöglicht es, den individuellen Bedürfnissen von Männern gerechter werden zu können.
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Danksagung Wir bedanken uns herzlich bei Herrn Thomas Heinrich für seine Unterstützung bei der Literaturrecherche und -zusammenstellung. Christoph O. Taube Fachgebiet Klinische Psychologie und Psychotherapie Knollstraße 15 49088 Osnabrück Deutschland ctaube@uni-osnabrueck.de
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CME-Fragen 1. Welche dieser Aussagen hinsichtlich des perzep tiven Körperbilds von Männern ist richtig? a. Bei dem Eating Disorder Inventory (EDI; Garner, Olmstead & Polivy, 1983) handelt es sich um ein häufig eingesetztes Instrument zur Erfassung des perzeptiven Körperbilds von Männern anhand der Auswahl zwischen mehreren Silhouetten. b. Homosexuelle Männer wählen im Rahmen von Silhouettenverfahren durchschnittlich eine schlankere tatsächliche Silhouette aus als heterosexuelle Männer. c. Homosexuelle und heterosexuelle Männer unterscheiden sich vermutlich nicht in der Differenz zwischen der Auswahl einer tatsächlichen und idealen Silhouette voneinander. d. Laut aktueller Forschung konnte bei heterosexuellen Männern im Vergleich zu homosexuellen Männern ein schlankeres perzeptives Körperideal nachgewiesen werden. e. Je größer die Diskrepanz zwischen der Auswahl einer tatsächlichen und idealen Silhouette ist, desto höher wird die Körperzufriedenheit bei Männern interpretiert. 2. Welche dieser Aussagen hinsichtlich des kognitivaffektiven und behavioralen Körperbilds von Män nern ist falsch? a. Heterosexuelle Männer sind im Mittel unzufriedener mit ihrem Körper als homosexuelle Männer. b. Homosexuelle Männer üben Sport im Vergleich zu heterosexuellen Männern vermutlich durchschnittlich seltener aus. c. Homosexuelle Männer streben im Mittel nach einem schlankeren Körper als heterosexuelle Männer. d. Die Drive for Muscularity Scale (DMS; Waldorf, Cordes, Vocks & McCreary, 2014) erfasst sowohl muskulatur bezogene Verhaltensweisen als auch Kognitionen von Männern. e. Der Unterschied zwischen homo- und heterosexuellen Männern hinsichtlich der Ausprägung kognitiver Verzerrungen (z. B. Aufmerksamkeitsbias) wurde bisher noch nicht untersucht. 3. Welche dieser Aussagen hinsichtlich der Häufigkeit von Diagnosen im Bereich der Essstörungen und der Körperdysmorphen Störung bei Männern ist falsch? a. Homo- und heterosexuelle Männer unterscheiden sich vermutlich nicht in der Häufigkeit der Entwicklung einer Körperdysmorphen Störung.
b. Es besteht ein leichter Trend in Richtung häufigerer Diagnosen einer Anorexia Nervosa bei homosexuellen im Vergleich zu heterosexuellen Männern. c. Feldman und Meyer (2007) berichten u. a. über eine höhere Lebenszeitprävalenz für eine Bulimia Nervosa bei homosexuellen im Vergleich zu heterosexuellen Männern. d. Feldman und Meyer (2007) berichten u. a. über eine höhere Lebenszeitprävalenz für irgendeine subklini sche Essstörung bei homosexuellen im Vergleich zu heterosexuellen Männern. e. Homosexuelle Männer leiden häufiger an einer BingeEating-Störung (Essanfallsstörung) als heterosexuelle Männer. 4. Welche dieser Aussagen hinsichtlich der Ausprä gung von Essstörungs- und Körperdysmorpher- Störungs-Symptomen bei Männern ist richtig? a. Die aktuelle Forschung konnte keinen Unterschied zwischen homo- und heterosexuellen Männern bezüglich der Ausprägung von allgemeiner Essstörungssymptomatik zeigen. b. Heterosexuelle Männer weisen vermutlich ein stär keres restriktives Essverhalten als homosexuelle Männer auf. c. Die Studie von Boroughs, Krawczyk und Thompson (2010) berichtet eine schwere Körperdysmorphe- Störungs-Symptomatik bei homo- im Vergleich zu heterosexuellen Männern. d. Der Bereich des Purgingverhaltens wurde bisher nicht vergleichend zwischen homo- und heterosexuellen Männern untersucht. e. Nach der Studie von Laska und Kolleg*innen (2015) kann davon ausgegangen werden, dass homosexuelle Männer seltener einen Essanfall erleiden als hetero sexuelle Männer. 5. Welche dieser Aussagen hinsichtlich mediierender Faktoren zwischen sexueller Orientierung, Körper bild und Essstörungen bei Männern sowie präventi ver und beratender / therapeutischer Arbeit in die sem Bereich ist richtig? a. Bei sozialer Diskriminierung handelt es sich um keinen mediierenden Faktor zwischen sexueller Orientierung, Körperbild und Essstörungen bei Männern. b. Medien haben keinen Einfluss auf das Körperbild von Männern.
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c. Das Coming-out homosexueller Männer steht in keiner Assoziation zu deren Körperbild. d. Im beratenden / therapeutischen Kontext sollte eine offene Haltung gegenüber sexuellen Orientierungen sichtbar sein, um eine differenzierte Exploration zu gewährleisten. e. Es kann davon ausgegangen werden, dass homosexu elle Männer ein insgesamt negativeres Körperbild als heterosexuelle Männer aufweisen, sodass dies im beratenden / therapeutischen Kontext immer direkt angesprochen werden sollte.
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Um Ihr CME-Zertifikat zu erhalten (mind. drei richtige Antworten) schicken Sie bitte den ausgefüllten Fragebogen mit einem frankierten Rückumschlag bis zum 13.02.2019 an die untenstehende Adresse. Später eintreffende Antworten können nicht mehr berücksichtigt werden. Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 28359 Bremen Deutschland fpeterm@uni-bremen.de
Fortbildungszertifikat Die Ärztekammer Niedersachsen erkennt hiermit 2 Fortbildungspunkte an.
«Sexuelle Orientierung und Körperbildstörung bei Männern» Die Antworten bitte deutlich ankreuzen!
Stempel Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 01/2019
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Ich versichere, alle Fragen ohne fremde Hilfe beantwortet zu haben. Name Berufsbezeichnung, Titel Straße, Nr. PLZ, Ort Datum Unterschrift
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Themenschwerpunkt
Nahrungsvermeidung versus Nahrungsaversion bei restriktiven Essstörungen David Garcia-Burgos1,2, Peter Wilhelm1, Claus Vögele3* und Simone Munsch1* Departement für Psychologie, Universität Fribourg, Fribourg, Schweiz Department of Psychobiology and The Federico Olóriz Institute of Neurosciences, Biomedical Research Centre (CIBM), University of Granada, Spain 3 Institute for Health and Behaviour, University of Luxembourg, Luxembourg 1 2
*Geteilte Letztautorenschaft
Zusammenfassung: Die Begriffe Nahrungsaversion und Nahrungsvermeidung werden in der Literatur häufig synonym gebraucht. Obwohl sie eng verwandt sind, bezeichnen sie doch zwei verschiedene Konstrukte, die das Resultat verschiedener Prozesse sind. Bislang wird angenommen, dass Nahrungseinschränkung und Nahrungsvermeidung bei Patientinnen mit Anorexia nervosa, und Bulimia nervosa mit der Angst vor Gewichtszunahme oder der Angst vor Unwohlsein (z. B, Bauchschmerzen) nach der Nahrungseinnahme zusammenhängt. Studien zeigen jedoch, dass Nahrungsvermeidung nicht nur durch Vermeidungslernen bedingt ist, bei dem der Geschmack der Nahrung zum konditionierten Reiz für Gefahr wird. Vielmehr spielt das Geschmacksaversionslernen eine wichtige Rolle. Nahrungsvermeidung, der eine Geschmacksaversion zugrunde liegt, ist auf eine negative Veränderung der Valenz des Geschmacks zurückzuführen, die durch ein Erlebnis starker Übelkeit hervorgerufen wird. Beide Formen der Nahrungsvermeidung haben verschiedene Verhaltensmerkmale und unterscheiden sich bezüglich der gelernten Inhalte. Zudem sind sie mit a nderen Gehirnregionen und Neuromodulatoren assoziiert. Dies ist relevant für das Verständnis und die Behandlung von Essstörungen, insbesondere für ihre bedrohlichste Manifestation: Der extremen Vermeidung der Nahrungseinnahme. Klinische Implikationen dieser Unterscheidung und Vorschläge für weitere Forschung werden diskutiert. Schlüsselwörter: Konditionierung, Essstörung, Nahrungsvermeidung, Nahrungsaversion, Geschmacksaversion, Furcht, Angstlernen
Abstract: Food avoidance versus food aversion in restrictive eating disorders The terms food avoidance and food aversion are often used interchangeably in the eating disorders (EDs) literature. However, they represent two different (but closely related) constructs that are the result of different processes. In patients suffering from anorexia nervosa, bulimia nervosa and avoidant / restrictive food intake disorder, food avoidance / restriction is usually assumed to be motivated by fear / anxiety (e. g., “intense fear of gaining weight or becoming fat” or “being afraid to eat after a frightening episode of choking”). In contrast, studies show that tasteaversion often leads to food avoidance. Unlike fear-motivated avoidance in which the flavour of food becomes a signal for danger, avoidance produced by taste aversions involves a reduction in the amount consumed due to a hedonic downshift. Here the attractiveness of the flavour changes by its association with a nauseogenic event. It is noteworthy that both sources of food avoidance exhibit different behavioural characteristics, contents of learning, and activate different brain regions and neuromodulators. This is especially important for the understanding and treatment of the EDs and their most serious behavioural manifestation: the life-threatening food refusal. Finally, the clinical implications of such a distinction and promising future research directions are discussed. Keywords: Conditioning, eating disorders, food avoidance, taste-aversion learning, fear learning
Essstörungen (ES) sind durch eine anhaltende Störung des Essverhaltens gekennzeichnet, die mit einer andauernden Beschäftigung mit Nahrung einhergeht und gravierende Beeinträchtigungen der körperlichen Gesundheit und des psychosozialen Funktionierens zur Folge haben (DSM-5; American Psychiatric Association [APA], 2013 / 2015). So kann sowohl bei der Anorexia nervosa (AN) und speziell beim restriktiven Subtyp (AN-R) sowie bei der kürzlich in das DSM-5 eingeführten Störung mit Vermeidung oder
Einschränkung der Nahrungsaufnahme (SmVoEdN) eine extreme Reduktion der Nahrungszufuhr beobachtet werden, die schwerwiegende Unterernährung zur Folge hat. Perioden stark eingeschränkter Nahrungszufuhr sind auch bei Patientinnen mit Erkrankungen im Bulimiespek trum, z. B. beim „binge-purge“-Typ der AN, sowie alternierend mit Essanfällen bei der Bulimia nervosa (BN) anzutreffen. Während bei der SmVoEdN die Angst vor den aversiven Empfindungen nach der Nahrungsaufnah-
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1), 30–38 https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000369
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me im Vordergrund steht, ist bei AN und BN ein stark ausgeprägtes negatives Körperbild ein weiteres Kernmerkmal. Bis zu 20 % junger amerikanischer Frauen geben an, unter einer ES oder gestörtem Essverhalten zu leiden (z. B. Austin et al., 2011). Bei Frauen im mittleren Alter beträgt die Lebenszeitprävalenz für ES 15 % und die 12-Monatsprävalenz 3.6 % (Micali et al., 2017). Für die Allgemeinbevölkerung wird die weltweite Prävalenz von AN auf 0.21 %, die von BN auf 0.81 %, geschätzt (Qian et al., 2013). Die medizinischen, und psychosozialen Folgen von ES und insbesondere von BN und AN sind gravierend (z. B. Diabetes, Bluthochdruck, Magengeschwüre, Unterernährung, Arbeitsunfähigkeit, erhöhte Mortalität; Crow, 2005; Mehler, Krantz & Sachs, 2015; Rosling, Sparén, Norring & von Knorring, 2011; Treasure, Claudino & Zucker, 2010; Wolfi & Tresaure, 2011). Obwohl es seit vielen Jahren intensive Forschungs bemühungen gibt, ist die Wirksamkeit von psychologischen Interventionen begrenzt. Insbesondere für Patientinnen mit AN sind die Erfolgsquoten gering (Pennesi & Wade, 2016). Hinzu kommt, dass viele Patientinnen die Therapie abbrechen oder einen Rückfall erleiden (Waller, 2016). Einschränkungen in der Nahrungsaufnahme werden in der Lerngeschichte des Individuums erworben. Ziel dieses Artikels ist es, zwei Lernprozesse zu beleuchten, die zur extremen Restriktion der Nahrungsaufnahme führen können: Angstlernen und Geschmacksaversionslernen
Nahrungsvermeidung bei Essstörungen Patientinnen, die an einer restriktiven ES leiden, versuchen entweder ganz auf Nahrung zu verzichten (Fasten) oder weniger bzw. nur bestimmte Nahrungsmittel zu essen (Diäthalten). Patientinnen mit AN vermeiden vor allem den Konsum von fetter, kalorienreicher Nahrung (Nova, Varela, Lopez-Vidriero & Toro, 2001), ähnlich wie Patientinnen mit BN, die außerhalb der Essanfälle ebenfalls auf kalorienreiche Nahrung verzichten, um Erbrechen zu vermeiden (Heaner & Walsh, 2013). Bei Vorliegen einer SmVoEdN essen die Betroffenen zu wenig und zu wenig abwechslungsreich, weil sie Schwierigkeiten mit der Nahrungsaufnahme oder Verdauung, Nahrungsunverträg lichkeiten oder Geschmacks- und Geruchssensitivitätsprobleme haben (Norris et al., 2017). Für restriktive ES ist die Angst vor den negativen Folgen der Nahrungsaufnahme ein wesentliches Merkmal. Die „ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme oder dick zu werden“ (APA, 2013 / 2015, S. 463) ist sogar ein diag© 2019 Hogrefe
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nostisches Kriterium der AN. Dennoch stellt der Abbau dieser ängstlichen Erwartung und des damit assoziierten Vermeidungsverhaltens meist kein explizites Ziel der Behandlung dar (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaft lichen Medizinischen Fachgesellschaften [AMWF], 2010). Erst neuere lerntheoretischer Ansätze, insbesondere die Löschungstheorien, schreiben der Angst vor den nega tiven Folgen des Essens eine wichtige Rolle bei der Ätiologie der restiktiven ES zu (Murray, Treanor, Liao, Loeb, Griffiths & Le Grange, 2016; Strober, 2004). Sie sehen die Einschränkung der Nahrungsaufnahme oder den Nahrungsverzicht – wie bei den Angststörungen – als operant konditioniertes Verhalten zur Vermeidung intensiver Angst an (Buree, Papageorgis & Hare, 1990; Guarda, Schreyer, Boersma, Tamashiro & Moran, 2015; Lappalainen & Tuomisto, 2005; Rosen & Leitenberg, 1988; Steinglass et al., 2011; Støylen & Laberg, 1990). Auch bei der SmVoEdN wird im DSM-5 davon ausgegangen, dass die „Nahrungsvermeidung oder -einschränkung […] ebenfalls eine negative konditionierte Reaktion infolge oder Antizipation einer aversiven Erfahrung darstellen [kann], wie im Falle von Erstickungs gefühl …“ (APA, 2013 / 2015, S. 457). Dies gilt auch für AN und BN, bei denen Essen mit katastrophisierenden Gedanken und der Angst vor Gewichtszunahme und einer negativen Veränderung der Körperform assoziiert ist (Sternheim et al., 2012; Williamson, White, York-Crowe & Stewart, 2004). Dann führt die Ähnlichkeit im Geschmack, dem Geruch oder der Konsistenz von Nahrungsmitteln dazu, dass die gleichen negativen Erwartungen bezüglich der schlimmen Konsequenzen, die deren Verzehr haben wird, aktiviert werden. Damit generalisiert die Vermeidung auf ganze Gruppen von Nahrungsmittel (z. B. fetthaltige oder kalorienreiche Nahrung). Dazu passend berichten Patientinnen mit ES, dass nahrungsbezogene Reize antizipatorisch Angst auslösen können, und dass sie häufig intensive Angst vor und während des Essens erleben (Buree et al., 1990; King, Urbach & Stewart, 2015; Scemes, Wielenska, Savoia & Bernik, 2009). So reagieren Patientinnen mit AN auf Bilder, die kalorienreiche Nahrung zeigen, negativer, mit intensiverer Angst und einer stärkeren physiologischen Schreck reaktion (Startle), als auf neutrale Bilder oder solche die kalorienarme Nahrungsmittel zeigen (Erdur, Weber, Zimmermann-Viehoff, Rose & Deter, 2017; Spring & Bulik, 2014). Toro et al. (2003) konnten auch bei Patientinnen mit BN nachweisen, dass körperliche oder kognitive Reize, die mit vorausgegangenem Essen assoziiert waren, Angst auslösen. Um dieses dysfunktionale Verhalten zu erklären, hat sich das für ES adaptierte Modell der Angstvermeidung als nützlich erwiesen (e. g., Hildebrandt, Bacow, Markella & Loeb, 2012). Es war Ausgangspunkt für die Entwicklung
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von erfolgreichen Therapieansätzen zur Behandlung von ES. Zu nennen sind hier vor allem die löschungsbasierten Techniken und die daraus abgeleiteten Interventionen der Exposition und Reaktionsvorbeugung (ERP; z. B. Steinglass et al., 2011; Koskina, Campbell & Schmidt, 2013). Bei ERP werden Patientinnen mit ES mit den nahrungsbe zogenen Stimuli konfrontiert und dazu angehalten, diese zu essen, anstatt das Essen zu vermeiden oder kompen satorisches Verhalten zu zeigen. In einer ersten randomisiert kontrollierten Studie konnten Steinglass et al. (2014) das Ergebnis einer Pilotstudie replizieren (Steinglass et al, 2012) und zeigen, dass Patientinnen mit AN am Ende einer ERP mehr Kalorien im Vergleich zur Baseline zu sich nahmen, während Patientinnen, die eine kognitive Remediationstherapie erhielten, am Ende der Therapie weniger Kalorien konsumierten. Bereits in früheren Studien wurde auch bei Patientinnen mit BN die Wirksamkeit der ERP Ansätze zur Reduktion von Essanfällen und kompensatorischen Maßnahmen demonstriert (z. B., Leitenberg, Rosen, Gross, Nudelman & Vara, 1988; Wilson & Smith, 1987). In einer randomisiert kontrollierten Studie zeigte sich auch fünf Jahre nach Ende der Therapie, dass verglichen mit BN-Patientinnen, die ein Entspannungstraining erhielten, ein grösserer Anteil an BN-Patientinnen die mit ERP behandelt wurden, keine Essanfälle mehr hatte und kein Purging-Verhalten mehr zeigte (McIntosh, Carter, Bulik, Frampton & Joyce, 2011). Auch für SmVoEdN liegen Studien vor, die zeigen, dass ERP bei Erstickungsphobie zu einer Zunahme der Varia bilität der verzehrten Nahrungsmittel und zu einer Reduktion der mit dem Essen einhergehenden Angst führt (Chorpita, Vitali & Barlow, 1997; McNally, 1986; Scemes et al., 2009). Trotz dieser positiven Bilanz gibt es experimentelle, klinische und theoretische Schwierigkeiten mit dem adaptierten Angstmodell bei ES (z. B. Støylen & Laberg, 1990). Kritisiert wird, dass Vermeidungsverhalten von den behavioralen und physiologischen Reaktionen der konditionierten Angst abgekoppelt zu sein scheint. Auch reicht die Vermeidung angstauslösender Stimuli nicht aus, um zu erklären, weshalb einige Patientinnen mit ES dauerhaft ihre Kalorienaufnahme einschränken und auch beim Erreichen eines lebensbedrohlichen Abmagerungszustands nicht damit aufhören. Nicht erklärt werden kann darüber hinaus, warum andere Patientinnen, die ihre Kalorienzufuhr gerne begrenzen und Gewicht verlieren würden, r egelmäßig Essanfälle haben (Pennesi & Wade, 2016). Obwohl Angstlernen lange als der Kernprozess der Nahrungsvermeidung bei ES galt, wurden als Reaktion auf die ausgeführte Kritik neue Modelle entwickelt, die auf assoziativen Lernmechanismen basieren. Dazu gehören die Theorie der Ekel-Konditionierung der Nahrungs-
vermeidung (Hildebrandt et al., 2015) und das Multilevel-Modell der Emotionen des gestörten Essverhaltens (Fox & Power, 2009), das davon ausgeht, dass nicht nur Angst sondern auch Ekel eine wichtige Rolle beim Erwerb und der Aufrechterhaltung von Essensrestriktionen spielt.
Modell des Aversionslernens einer pathologischen Reduktion der Nahrungsaufnahme Ein alternativer Ansatz, der die potentiell lebensbedrohliche Nahrungsvermeidung besser erklären kann, ist das Geschmacksaversionslernen (Burnette, 2018; Garcia-Burgos, Maglieri, Vögele & Munsch, 2018). In verschiedenen Studien wurde gezeigt, dass exzessive Essensrestriktion durch Geschmacks- und Geruchsaversion bedingt sein kann. Gastrointestinales Unwohlsein, als Folge einer Unverträglichkeit oder temporären gesundheitlichen Beeinträchtigung, kann dazu führen, dass Geruch und Geschmack von bestimmten Nahrungsmitteln nicht mehr gemocht oder gar als eklig empfunden werden und ist somit häufig der Ursprung erlernter Geschmacks- oder Geruchsaversionen (Lappalainen & Tuomisto, 2005). Tatsächlich werden durch Übelkeit hervorgerufene Nahrungsaversionen als Hauptgrund dafür angesehen, dass Patienten nach einer Vagotomieoperation oder einer Chemotherapie, unter Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust leiden und anorexieähnliche Symptome entwickeln (Bernstein & Borson, 1986). In Tier- und Humanstudien kann eine ausgeprägte Geruchs- und Geschmacksvermeidung dadurch erzielt werden, dass ein entsprechender Geruch oder Geschmack mit gastrointestinaler Übelkeit gekoppelt wird, die durch eine entsprechende Substanz oder schnelle Rotation des Körpers induziert wird (Literaturübersicht: Bernstein, 1999, 2008) Obwohl die Begriffe Angst vor Essen, Nahrungsvermeidung und Nahrungsaversion häufig gleichbedeutend verwendet werden, bezeichnen sie Phänomene, die zwar verwandt sind, sich aber doch voneinander unterscheiden. Das damit bezeichnete Verhalten ist Teil einer Verhaltenskette, an deren Beginn eine durch klassische Konditionierung erworbene Geruchs- oder Geschmacksaversion steht. Die Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel wird dann durch operante Konditionierung aufrechterhalten. Dies bedeutet, dass Angst vor Gewichtszunahme oder aversive Reaktionen, die durch Nahrung hervorgerufen werden (z. B. vor fetten Speisen), zu negativen Verstärkern des Vermeidungsverhaltens werden können. Das Vermeidungsverhalten hat somit die Funktion, die mit spezifi-
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scher Nahrung assoziierten negativen Affekte wie Angst und Ekel zu reduzieren. Angstvermittelte und aversionsvermittelte Nahrungsvermeidung bezeichnen unterschiedliche Phänomene, die sich auf verschiedene Verhaltensaspekte, Lerninhalte und neurobiologische Grundlagen beziehen. (Parker, 2003; Parker, Limebeer & Rana, 2009). Das wesentliche Merkmal des Geschmacks- und Geruchsaversionslernens ist die selektive Konditionierbarkeit. Geschmacks bzw. Geruchsstimuli können leichter mit gastrointestinaler Übelkeit gekoppelt werden als auditive oder visuelle Reize. In einer klassischen Studie von Garcia und Koelling (1966) wurde Ratten beim Trinken von Wasser, das mit einem Geschmackstoff aromatisiert war, gleich zeitig ein audiovisueller Reiz dargeboten. Wenn die Ratten zusätzlich einen Elektroschock erhielten, dann löste später der audiovisuelle Stimulus eine Vermeidungsreaktion aus, nicht aber das aromatisierte Wasser. Wenn den Ratten aber bei der Darbietung des Stimulus Übelkeit induziert wurde, dann löste das Aroma eine wesentlich särkere Vermeidungsreaktion aus als der audiovisuelle Stimulus. Bei einer genuin erlernten Geschmacksaversion wird zuvor als schmackhaft empfundene Nahrung nach dem darauffolgenden Erleben von starker gastrointestinaler Übelkeit nicht mehr als schmackhaft empfunden und deshalb vermieden. Folgt auf das Essen einer bestimmten Nahrung keine gastrointestinale Übelkeit, sondern eine andere körperliche Missempfindung (z. B. Kopfweh, Krämpfe, Ausschläge), dann wird danach diese Nahrung zwar ebenfalls gemieden, aber der Geschmack dieser Nahrung wird deshalb nicht negativer bewertet. Hierzu passend haben Experimente gezeigt, dass die konditionierte Aversion durch Gabe eines Antibrechmittels abgeschwächt werden kann, ohne das konditionierte Vermeidungsverhalten zu beeinflussen (Lin, Arthurs & Reilly, 2014; Parker, 1995; Parker, Rana & Limebeer, 2008). Darüber hinaus sind Geschmacksaversionen sehr robust und löschungsresistent, werden aber schnell erlernt. Häufig reicht eine einmalige Paarung eines Geschmacks oder Geruchs mit gastrointestinaler Übelkeit aus, selbst wenn diese erst nach einer langen Latenz erfolgt. Eine Geschmacksaversion kann sogar in einem bewusstlosen Zustand erworben werden (Bernstein, 1999). Burešová und Bureš (1977) versetzten Ratten nach dem Trinken einer Saccharinlösung in Vollnarkose und induzierten während der Narkose gastrointestinale Übelkeit. Wurde Tage später erneut eine Saccharinlösung dargeboten, tranken die Ratten dieser Gruppe signifikant weniger als Ratten, die in Narkose keine Übelkeit induziert bekamen, aber unterschieden sich nicht von Ratten, bei denen Übelkeit ohne Narkose induziert worden war. Dieses Ergebnis zeigt, dass die Tiere auch narkotisiert eine Geschmacksaversion erworben hatten. © 2019 Hogrefe
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Zwei wichtige Schlussfolgerungen lassen sich aus der Literatur ableiten: Erstens, eine Geschmacksaversion kann ohne bewusstes Erleben erworben werden (Lin et al. 2014). Patienten meiden Nahrungsmittel nicht weil diese Angst auslösen würden, sondern weil sie erwarten, dass sie unangenehm schmecken oder gar Übelkeit hervorrufen. Eine Generalisierung der Geschmacksaversion führt zu einer starken Einschränkung der Nahrungsmittel, die überhaupt gegessen werden, und geht mit Appetit- und Gewichtsverlust einher. Zweitens, betrachtet man den Inhalt, der während der Konditionierung einer durch Angst hervorgerufenen Nahrungsvermeidung gespeichert wird, liegt es nahe davon auszugehen, dass Erwartungen bezüglich negativer Konsequenzen ausgebildet werden. Die Personen lernen, dass Merkmale der Nahrung schmerzhafte oder bedrohliche körperliche Zustände oder Ereignisse ankündigen. Wenn sich z. B. Jemand heftig verschluckt und daran fast erstickt, wird er wahrscheinlich das nächste Mal die gleiche Nahrung meiden, weil er befürchtet, dass er sich wieder daran verschlucken könnte. D.h. die spezifischen Eigenschaften der Nahrung lösen eine konditionierte Angstreaktion aus und die Person erwartet, dass der Verzehr dieser Nahrung lebensbedroh liche Folgen haben wird. Im Gegensatz zur angstmotivierten Nahrungsvermeidung geht die aversionsmotivierte Nahrungsvermeidung mit einer Veränderung der hedonistischen Bewertung der Nahrung einher. Der Geschmack oder Geruch der Nahrung hat dann nicht wie bei der angstmotivierten Nahrungsvermeidung die Funktion eines Signals, das auf eine bevorstehende Gefahr hinweist (wie zuvor ausgeführt, kann eine Aversion durch einen nicht bewussten Lernprozess erworben werden). Statt dessen verändert sich das Geschmacksempfinden. Patientinnen essen weniger, weil ihnen die entsprechende Nahrung nach dem Erleben gastrointestinaler Übelkeit nicht mehr schmeckt. Indikator für die aversionsmotivierte Nahrungsvermeidung ist der mimische Ausdruck von Ekel, den eine Person mit Nahrungsaversion spontan zeigt, wenn sie die Nahrung erneut riecht oder schmeckt (Garcia, Hankins & Rusiniak, 1974; Reilly & Schachtman, 2009). Drittens, obwohl Angst als auch Geschmacksaversion Nahrungsvermeidung zur Folge haben, liegen ihen verschiedene Prozesse mit unterschiedlichen neurobiologischen Grundlagen zu Grunde. Diese Unterschiede sind klinisch bedeutsam. Denn sowohl beim Erwerb als auch bei der Löschung der Angst vor Nahrung sind andere Gehirnstrukturen, zelluläre und molekulare Mechanismen beteiligt als beim Erwerb und der Löschung einer Geschmacksaversion. Diese Mechanismen können durch spezifische behaviorale und pharmakologische Interven tionen beeinflusst werden.
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Übereinstimmung besteht darin, dass im medialen arabrachialen Nucleus Geschmacksinformationen und p Informationen aus dem Bauchraum, wie Signale gastro intestinaler Übelkeit eintreffen. Deshalb ist dieser Kern eine notwendige Struktur für den Erwerb einer Geschmacks aversion (für eine Übersicht siehe Reilly, 2009). Für die Angstkonditionierung spielt dagegen die Amygdala eine zentrale Rolle, wie Studien, in denen Versuchstieren Gehirnläsionen zugefügt wurden oder in denen bildgebende Verfahren zum Einsatz kamen, zeigen konnten (LeDoux, 2002). Für die Löschung von konditionierter Angst scheinen dagegen Effekte des partialen Agonisten D-Cycloserine des N-Methyl-D-Aspartate (NMDA) Rezeptors auf die basolaterale Amygdala relevant zu sein, nicht jedoch für die Löschung einer Geschmacksaversion (Akirav, Segev, Motanis & Maroun, 2009). Weitere Unterschiede zeigen sich auch in der Wirkung des muscarinischen Antagonisten Scopolamin bei der Löschung von konditionierter Angst und konditionierter Geschmacksaversion. In einem passiven Angst-Vermeidungsparadigma beeinträchtigte die Gabe von Scopolamin vor dem Test die Löschung. Dagegen hatte die Infusion von Scopo lamin in den insularen Kortex keinen Effekt auf die Löschung der konditionierten Geschmacksaversion (Myers & Davis, 2002). Zusammen zeigen diese Ergebnisse, dass Angstkonditionierung und Geschmacks aversion unterschiedliche Charakteristika aufweisen. Dies ist nicht nur theoretisch sondern auch klinisch relevant, weil sich daraus Implikationen für Therapieansätze zur Behandlung von restriktiven Essstörungen ableiten lassen.
Geschmacksaversionslernen im Kontext von Essstörungen Für AN mehrt sich die Evidenz, dass die Vermeidung von Nahrung auf eine Geschmacksaversion zurückgeführt werden kann, in deren Folge ein bestimmter Geschmack oder Geruch mit Ekel assoziiert wird. Patientinnen mit AN und insbesondere AN-R zeigen z. B. eine ausgeprägte Abneigung gegenüber dem süßen Geschmack von kalorienreicher Nahrung (Cowdrey, Finlayson & Park, 2013; Drewnowski, Halmi, Pierce, Gibbs & Smith, 1987; Sunday & Halmi, 1990). Mittels Elektromyographie und der Analyse des Gesichtsausdrucks konnte bei Patientinnen mit AN im Vergleich zu gesunden Personen eine verminderte positive Valenz und eine erhöhte mit Ekel assoziierte Korrugator-Aktivität beobachtet werden, wenn sie vor einer Mahlzeit Bilder von süßen kalorienreichen Speisen gezeigt bekamen (Soussignan, Schaal, Rigaud, Royet & Jiang, 2011; Szalay et al., 2010).
Personen mit einer SmVoEdN berichten häufig, dass sie eine Aversion gegen bestimmte Gerüche, Geschmäcker, oder die Konsistenz von Speisen entwickelt haben, weil ihnen nach deren Verzehr übel wurde (Norris et al., 2017). Die hohe Prävalenz solcher selbstberichteten gastrointestinalen Beschwerden legt nahe, dass eine durch gastrointestinale Übelkeit erworbene Geschmacksaversion die Ursache einer SmVoEdN sein könnte (Nicely, Lane-Loney, Masciulli, Hollenbeak & Ornstein, 2014). Woher kommt die gastrointestinale Übelkeit bei Pa tientinnen mit ES? Verschiedene mögliche Ursachen, wie Magen-Darm Reizung, Bauchschmerzen, gestörte gastro intestinale Motilität, Erbrechen oder Überessen werden diskutiert (Broberg, Dorsa & Bernstein, 1990; Mammel & Ornstein, 2017). Tierstudien haben gezeigt, dass durch Verhaltensweisen, die für AN Patientinnen typisch sind, wie Hungern und Hyperaktivität, eine Nahrungsaversion gegenüber einer zuvor bevorzugten Speise erworben werden kann (Liang, Bello & Moran, 2011). Einige Nahrungsaversionen können auch durch Kognitionen oder schlicht durch negative Informationen bedingt sein. In retrospektiven Studien berichteten Patientinnen mit AN über ihre Nahrungsaversionen. Es zeigte sich, dass das Wissen darüber, welche Ingredienzen in Speisen enthalten sind, oder das sich Vorstellen von Ekel auslösenden Bildern der Nahrung, häufigere, stärkere und länger andauernde Aversionen zur Folge hatten. Solche Aversionen waren resistenter gegen Löschung und generalisierten stärker auf andere Nahrung als durch gastrointestinale Übelkeit hervorgerufene Aversionen bei gesunden Personen. Ein Grund dafür könnte die häufige mentale Wiederholung sein (Batsell & Brown, 1998; Logue, Logue & Strauss, 1983). Deshalb ist es wichtig, zu unterscheiden, ob die gastrointestinale Übelkeit, in deren Folge eine Geschmacksaversion entstanden ist, physiologisch oder kognitiv bedingt ist. Diese Unterscheidung führt zu einem erweiterten Verständnis der Mechanismen, die zu einer ES führen. Darüber hinaus ermöglicht sie uns, individuelle, auf die jeweilige Patientin und die spezifischen Umstände zugeschnittene pharmakologische, kognitive und behaviorale Inteventionen zu entwickeln.
Klinische Relevanz Bislang gibt es zwei psychologische Ansätze, die auf die ängstliche Vermeidung von Nahrung als vulnerabilisierendem, auslösendem oder aufrechterhaltendem Faktor einer ES fokussieren: Das kognitiv-interpersonelle Modell der Aufrechterhaltung von AN (Treasure & Schmidt, 2013) und das funktionale Modell der Emotionsvermeidung bei AN (Wildes, Ringham & Marcus, 2010). Beide Modelle konzep-
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tualisieren zwar die operante Konditionierung (positive Verstärkung des Vermeidungsverhaltens durch Gefühl der Selbstkontrolle, negative Verstärkung durch Reduktion der Angst; Agras, 2010; Vitousek & Brown, 2015). Jedoch erfassen sie nicht die spezifischen, assoziativen Lernmechanismen, die bei der Nahrungsvermeidung relevant sind. Dies ist problematisch, da die Angst vor Nahrung und die Nahrungsvermeidung nicht angeboren sind, sondern durch Erfahrung mit Nahrung erworben werden. Dass Nahrungsvermeidung zum einen durch eine Abnahme des hedonistischen Potentials der Nahrung (Geschmacksaversionslernen) und zum anderen durch die Ausbildung von negativen Erwartungen bezüglich der befürchteten Konsequenzen (Angstlernen) bedingt sein kann, sollte in Ätiologie-Modellen von ES berücksichtigt werden. Bei den restriktiven ES (AN-R und SmVoEdN) wird Nahrung nicht nur deshalb vermieden, weil negative Konsequenzen befürchtet werden (nämlich die Zunahme an Gewicht oder eine allergische Reaktion), sondern auch weil die Patientinnen den Geschmack bestimmter Nahrungsmittel nicht mehr mögen, gegen die sie eine Geschmacksaversion entwickelt haben. Aus dieser Annahme ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Behandlung von ES, die dem restriktiven Spektrum angehören. Die Therapie sollte eine doppelte Löschung beinhalten: Gelöscht werden sollte sowohl die Angstreaktion als auch die Geschmacksaversion (mittels ERP Techniken). Wie zuvor bereits erwähnt, sind Geschmacks aversionen stabil und überaus schwer zu löschen. Auch hält die Debatte in der Tier- und Humanforschung darüber an, ob eine ausgeprägte Geschmacksaversion tatsächlich vollständig gelöscht werden kann (Batsell & Brown, 1998; Batsell, Brown, Ansfield & Paschall, 2002; Nolan et al., 1997). Die Tatsache, dass Geschmacksaversionen äussert robust sind und in den bisherigen Therapieansätzen nicht spezifisch behandelt werden, könnte ein Grund für die geringe Spontanremission von AN-R, die hohen Therapie abruchquoten (zwischen 29 – 73 %) und die relativ geringe Therapieerfolgsquote (unter 50 %; Fassino, Pierò, Tomba & Abbate-Daga, 2009) sein. Dazu passt, dass 45 % der Patientinnen als Grund für den Therapieabbruch angeben, dass sie unzufrieden mit den verschriebenen Medikamenten und der praktizierten Therapie (Darcy, Katz, Fitzpatrick, Forsberg, Utzinger & Lock, 2010) und enttäuscht bezüglich des Therapieerfolgs waren (DeJong, Broadbent & Schmidt, 2012). Dagegen sind Störungen des Bulimie Spektrums (ANBP and BN) durch Nahrungsvermeidung charakterisiert, da Essen unerwünschte Konsequenzen hat (Gewichtszunahme). Die hedonistische Qualität der Nahrung bleibt aber erhalten und die Patientinnen finden die Speisen nach wie vor schmackhaft. So reagieren z. B. BN-Patientin© 2019 Hogrefe
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nen mit einer erhöhten positiven Valenz auf süssen Geschmack (Geschmackspräferenz). Die inhibitorische kognitive Kontrolle, dem Verlangen nach Nahrung zu widerstehen, wird dadurch überlagert. Die Folgen sind vermehrtes Essen und Essattacken (Garcia-Burgos et al., 2018; Giordano, 2005). Um Symptome der BN effektiv zu behandeln, sollte Nahrung als bivalenter Stimulus betrachtet werden. Die Intervention sollte deshalb sowohl auf die Löschung der Angstreaktionen (mit Hilfe von ERP) abzielen, als auch auf die Reduktion der abhängigkeitsähnlichen Symptome des Überessens (mit motivierenden Interviews und Reiz-Expositionstechniken; AMWF, 2010; Davis & Carter, 2014). Konsequenzen ergeben sich auch für medikamentöse Behandlungsansätze. Die Ergebnisse neuer Studien legen nahe, dass die Steigerung der Aktivtät der Glutamatrezeptoren in der Amygdala durch die Gabe eines partiellen Agonisten (D-Cycloserine) während oder kurz nach einem Löschungsprozess das Löschungslernen der Angstreaktion begünstigt, jedoch keinen Einfluss auf die Löschung der Geschmacksaversion hat (Akirav et al., 2009). D-Cycloserin gilt als eine der vielversprechendsten Substanzen für die Behandlung von Ängsten bei Menschen, insbesondere wenn es zur Unterstützung von verhaltenstherapeutischen Interventionen (z. B. ERP) verabreicht wird. Eine solche pharmakologisch unterstützte Psychotherapie sollte nicht nur zur Behandlung von Angststörungen weiterentwickelt werden, sondern auch zur effizienteren und nachhaltigeren Behandlung von ES vorangetrieben werden (Singewald, Schmuckermair, Whittle, Holmes & Ressler, 2015). Eine andere Strategie besteht darin, mit Hilfe von Pharmaka das Engramm des Angstgedächtnisses zu verändern. Die Gabe von Propanol (einem beta-adrenergen Antagonisten), unmittelbar vor oder nach dem Zugriff auf das konditionierte Angstgedächtnis, scheint bei Tieren und Menschen langfristig die Angstreaktion zu löschen (Vervliet, Baker & Craske, 2012). Zu erwarten wäre allerdings, dass eine solche Behandlung bei Patientinnen mit einer ES des restriktiven Spektrums nur zum Teil wirksam wäre. Deshalb könnten sie durch Interventionen ergänzt werden, die auf die Löschung der Geschmacksaversion abzielen und die Entstehung neuer Geschmacksaversionen in der Phase der Gewichtszunahme verhindern, etwa durch den Aufbau neutraler und positiver Assoziationen mit Nahrungsmitteleigenschaften. Erzielt werden könnte dies z. B. durch die Gabe von Antiemetika (Mittel gegen Brechreiz und Übelkeit). Mit einem solchen verhaltenspharmakologischen Ansatz werden bereits bei Tumorpatienten während einer Chemotherapie bevorstehende Übelkeit und Erbrechen präventiv behandelt (Symonds & Hall, 2012). Im Zusammenhang mit ES sind solche Behandlungsansätze unseres Wissens bislang noch nicht getestet worden.
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Schlussfolgerungen Es gibt Übereinstimmung darüber, dass die Ätiologie von ES bislang noch nicht vollständig geklärt werden konnte und es neuer Behandlungsansätze bedarf, um die Ergebnisse der therapeutischen Interventionen bei ES zu verbessern. Dazu erforderlich ist eine grössere Präzision auf der konzeptuellen Ebene. Diese kann dabei helfen, einzelne Muster des pathologischen Essverhaltens besser zu verstehen. Die dadurch gewonnenen Einsichten können wiederum Therapeuten helfen, ihre Patientinnen besser zu verstehen und zu behandeln. Ziel dieses Beitrags war es, Mechanismen auf der neurobiologischen und Verhaltensebene zu erhellen, die zwei verschiedenen Lernprozessen zugrunde liegen, die eine zentrale Rolle insbesondere beim Erwerb einer ES spielen: Angstlernen und Geschmacksaversionslernen. Deshalb schlagen wir vor, bei pathologischer Einschränkung oder Vermeidung der Nahrungsaufnahme zu differenzieren, ob diese auf Angstlernen oder eine Geschmacksaversion zurückzuführen ist. Für erstere wären Emotionen der Angst und Furcht, für letztere dagegen Ekel ein Indikator. Diese beiden Lernmechanismen können im Labor gut untersucht werden und lassen sich leicht voneinander unterscheiden. So können die Reaktionen von Patientinnen während einer klassischen Angstkonditionierung mit ihr en Reaktionen bei einer Geschmacksaversionskonditionierung verglichen werden. Dabei wäre die Nahrung der konditionierte Stimulus und die Hautleitfähigkeit sowie der mimische Ausdruck die Reaktionen, die während eines Geschmackstests beobachtet werden. Patientinnen mit AN sollten sich von Patientinnen mit BN bezüglich des Musters der Konditionierbarkeit (Schnelligkeit und Stärke des Erwerbs) sowie der Löschungsrate unterscheiden. Zudem eröffnet unser konzeptueller Rahmen neue Möglichkeiten, Faktoren zu erforschen, die das Ent stehen einer neuen Geschmacksaversion erleichtern oder erschweren. Angeregt wird dadurch auch die weitere Erforschung von Methoden zur Manipulation des Abrufens und der Störung von konditionierten, aversiven Gedächtnisinhalten. Auch wenn diese Forschung noch in den Kinderschuhen steckt, könnten die hier vorgestellten Ansätze verhaltenstherapeutische und pharmakologische Interventionen zur Behandlung von Patientinnen mit ES, insbesondere solchen Patientinnen, die stark unterernährt sind, ergänzen.
Literatur Agras, W. S. (Ed.). (2010). The Oxford handbook of eating disorders. New York, NY: Oxford University Press.
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Themenschwerpunkt
Interventionen zur Regulation von Food Craving: Eine Übersicht Julia Nannt, Ines Wolz und Jennifer Svaldi Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Tübingen
Zusammenfassung: Food Craving ist ein Kernmerkmal verschiedener Essstörungen und hängt mit Übergewicht, Adipositas und pathologischem Essverhalten zusammen. Ziel dieses Überblicksartikels ist es daher, den aktuellen Forschungsstand zu empirisch überprüften Interventionen zur Reduktion von Food Craving bei gesunden Personen sowie bei Personen mit klinischer oder subklinischer Essstörung darzustellen. Dabei wurden kognitive Regulationsstrategien, Trainings zur Modifikation von exekutiven Funktionen, expositionsorientierte Interventionen, Imagina tionsverfahren, Bio- und Neurofeedback sowie Achtsamkeitstrainings berücksichtigt. Es zeigten sich unterschiedliche Effekte bezüglich der Wirksamkeit dieser Interventionen zur Reduktion des Cravings. Die Ergebnisse legen nahe, dass einige der Interventionen Ansatzpunkte zur Behandlung von Personen mit Essstörungen bieten, allerdings sollten die Limitationen der jeweiligen Studien sowie die Vorläufigkeit der Ergebnisse berücksichtigt werden. Schlüsselwörter: Verlangen nach Essen, Essstörungen, Regulation, Exposition
Interventions to regulate food craving: an overview Abstract: Food Craving is a core feature of different eating disorders and is associated with overweight, obesity and pathological eating behavior. The aim of this article is to overview the present state of research on empirically examined interventions to reduce food craving in healthy individuals and people with clinical or subclinical eating disorders. Interventions regarding cognitive regulation strategies, trainings to modify executive functions, food cue exposure, imagery techniques, bio- and neurofeedback as well as mindfulness-based trainings were included. The interventions differed in their effectiveness with regard to the reduction of craving. The results suggest that some of the interventions offer approaches for the treatment of eating disorders, although some limitations and the preliminary nature of the results should be considered. Keywords: Food craving, eating disorders, regulation, exposure
Der Begriff Food Craving (FC) beschreibt ein regelmäßig wiederkehrendes, intensives und drängendes Verlangen ein bestimmtes Nahrungsmittel oder eine Gruppe von Nahrungsmitteln zu konsumieren, dem nur schwerlich standgehalten werden kann (Hill, 2007; White et al., 2002). Daher hängt das FC vor allem nach hochkalorischen Nahrungsmitteln mit Übergewicht, Adipositas und unterschiedlichen Formen von pathologischem Essverhalten, wie restriktivem, unkontrolliertem oder emotionalem Essen, zusammen (Verzijl, Ahlich, Schlauch & Rancourt, 2018) und ist ein Kernmerkmal verschiedener Essstörungen, wie der Binge-Eating-Störung (BES) und der Bulimia nervosa (BN; Waters, Hill & Waller, 2001; White et al., 2002; Wolz et al., 2017). Darüber hinaus wird der Zusammenhang von suchtähnlichem Essverhalten mit (erhöhtem) Body-Mass-Index sowie mit Essanfallepisoden durch FC mediiert (Joyner, Gearhardt & White, 2015). FC hängt demnach mit pathologischem Essverhalten und Kontrollverlust zusammen und ist bei Interventionen, die auf eine Reduktion des Gewichts abzielen, ein wichtiger Ansatzpunkt (Verzijl et al., 2018). So © 2019 Hogrefe
konnte gezeigt werden, dass eine frühe Reduktion des FCs langfristig mit einer erfolgreichen Gewichtsabnahme assoziiert ist (Dalton et al., 2017). Zur Entstehung und Aufrechterhaltung von FC gibt es unterschiedliche theoretische Ansätze. Neben der Annahme, dass der Entzug eines Nahrungsmittels oder Nährstoffmangel zu FC führen kann (Polivy, Coleman & Herman, 2005; Weingarten & Elston, 1990), werden vor allem klassische Konditionierungsprozesse als ätiologische Grundlage des FCs betrachtet (Blechert, Testa, Georgii, Klimesch & Wilhelm, 2016; Jansen, 1998). Emo tionsregulationsmodelle (Haedt-Matt & Keel, 2011; Leehr et al., 2015) zur Erklärung von Essanfällen und Modelle zu neurobiologischen Belohnungsnetzwerken (Reichelt, Westbrook & Morris, 2015) könnten außerdem im Sinne einer negativen bzw. positiven Verstärkung auf operante Prozesse in der Aufrechterhaltung von FC hinweisen. Kognitive-behaviorale Theorien zur Ätiopathogenese von Essstörungen können insofern zum Verständnis von FC wichtig sein, als dass kognitive Verzerrungen wie zum Beispiel
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Aufmerksamkeitsbiases (ABs) zu Nahrungsreizen als aufrechterhaltende Faktoren postuliert werden (Williamson, White, York-Crowe & Stewart, 2004). Bereits während der Betrachtung von Lebensmitteln werden physiologische Vorbereitungsreaktionen auf die Nahrungsaufnahme, wie Speichelsekretion, erhöhter Blutdruck und gesteigerte gastrische Aktivität ausgelöst, welche teilweise als FC wahrgenommen werden (Nederkoorn, Smulders & Jansen, 2000). Diese Reaktion kann durch klassische Konditionierungsprozesse mit externen Reizen, wie Umgebung (z. B eine Bäckerei) oder sozialem Kontext (z. B Feierlichkeiten), sowie internen Reizen (z. B Stimmung) verknüpft werden, welche dann als Auslöser von FC wirken (Jansen, 1998). Durch klassische Konditionierung können ursprünglich neutrale Reize, die dann an die natürliche Belohnungsreaktion von Nahrungsmitteln gekoppelt sind, eine überhöhte Salienz erhalten, was durch neuronale Anpassungen im Appetitregulations- und Belohnungssystem erklärt wird und als Anreizsensibilisierung (incentive sensitization) bezeichnet wird (Berridge, 2009). So wurde zum Beispiel gezeigt, dass Patienten mit BES wie auch übergewichtige Personen ohne BES in Folge der Konfrontation mit Nahrungsmitteln eine stärkere Speichelproduktion im Vergleich zu einer Baseline-Bedingung aufweisen (Naumann, Trentowska & Svaldi, 2013). Ausgehend von den genannten theoretischen Grundlagen sowie von den darauf bezogenen empirischen Untersuchungen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von FC ergeben sich verschiedene Möglichkeiten FC therapeutisch und experimentell zu modifizieren und zu regulieren. Es wurden bereits verschiedenste pharmakologische, verhaltenstherapeutische, kognitive und neurowissenschaftlichbasierte Interventionen entwickelt und untersucht, die darauf abzielen FC zu reduzieren, die ihm zugrundeliegenden neuronalen, Aufmerksamkeits- oder Informationsverarbeitungsprozesse zu verändern oder die konditionierten Reaktionen zu löschen oder zu modulieren. Durch ReizExpositions-Interventionen (cue exposure) können erlernte Reiz-Reaktions-Assoziationen aufgelöst werden, was zu einer verringerten Auftretenswahrscheinlichkeit von FC führt. So zeigten sich in einer Übersichtsarbeit über sechs lerntheoretisch basierte Pilotstudien erste Hinweise dafür, dass Reiz-Exposition eine effektive Behandlung für Personen mit Essanfällen darstellen könnte (Jansen, 1998). In einem Übersichtsartikel zu pharmakologischen Interventionen zur FC-Modifikation, die an neuronalen Belohnungsmechanismen ansetzen, zeigen unter anderem eine Kombinationstherapie des Opiatantagonisten Naltrexon mit einem nicht-trizyklischen Antidepressivum (Bupropion, Dopaminwiederaufnahmehemmer) sowie der Einsatz von Appetitzüglern (Lorcaserin, Serotoninagonist) Auswirkungen auf die durch FC hervorgerufene Nahrungsaufnahme (Rebello & Greenway, 2016). Diese Wirkstoffe sind jedoch
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in Deutschland nicht zur Behandlung von Essstörungen zugelassen und es ist mit hohen Therapieabbruchquoten aufgrund unerwünschter Nebenwirkungen zu rechnen (Horne et al., 1988; Khera et al., 2016). In einer Übersicht zur Wirksamkeit der nicht-invasiven Hirnstimulation zeigten sich moderate Effekte auf FC bei repetitiver transkranieller Magnetstimulation des dorsolateralen Präfrontalkortex (dlPFC) bei Gesunden, Personen mit hohem FC sowie Probanden mit BN im Vergleich zur Scheinstimulation, wohingegen transkranielle Gleichstromstimulation des dlPFC bei gesunden sowie übergewichtigen und bei Personen mit hohem FC keinen signifikanten Einfluss aufwies. Darüber hinaus konnte kein Effekt von Neurostimulation auf den Nahrungsmittelkonsum gezeigt werden (Lowe, Vincent & Hall, 2017). Annahmen zu den Wirkmechanismen von Neurostimulation beinhalten eine Verbesserung der kognitiven Kontrolle (Lowe, Hall & Staines, 2014) oder eine veränderte Belohnungssensitivität (Camus et al., 2009) durch Aktivierung des dlPFC; kontrollierte Studien diesbezüglich stehen jedoch noch aus. Nicht zuletzt gibt es eine Reihe von Studien, die sich mit den Effekten einer langfristigen Kalorienrestriktion auf die Reduktion des FCs befasst haben. Hierbei zeigten sich in einer Überblicksarbeit zu unterschiedlichen Diätprogrammen, die eine Kalorieneinschränkung über einen Zeitraum von mindestens zwölf Wochen durchführten, über acht Studien hinweg eine mittlere Effektstärke in Bezug auf die Reduktion des FCs (Kahathuduwa, Binks, Martin & Dawson, 2017). Als Wirkmechanismen für diesen Effekt nehmen die Autoren eine Löschung von klassisch konditionierten Assoziationen zwischen Nahrungs- und Umgebungsreizen und dem Verlangen nach Essen an, zeigen aber auch die Notwendigkeit auf, in zukünftigen Studien andere (mit)wirkende Faktoren eines bio-psycho-sozialen Modells von FC zu berücksichtigen. Ziel der vorliegenden Überblicksarbeit ist es (1) den aktuellen Forschungsstand zu empirisch überprüften Interventionen zur Reduktion von FC bei gesunden Personen sowie bei Personen mit klinischer oder subklinischer Essstörung darzustellen, (2) unterschiedliche Interventionen in Abhängigkeit von der Art der Essstörungssymptomatik zu vergleichen, sowie (3) eine Evaluation der in der Übersicht enthaltenen Interventionen vorzunehmen und Einschränkungen bezüglich der Verfügbarkeit von Studien zu bestimmten Interventionen aufzuzeigen.
Methode Relevante Studien wurden durch eine strukturierte Suche in den elektronischen Datenbanken Pubmed, PsycINFO, Medline, PSYNDEX und Web of Knowledge anhand von
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Suchbegriffen in Bezug auf i) das Verlangen, ii) die Art der Intervention, iii) das Essverhalten, identifiziert (Einschluss ab Datenbeginn bis Ende Oktober 2017). Es wurden randomisiert-kontrollierte Studien (RCT), experimentelle Fall-Kontroll-Studien (n ≥ 10 pro Gruppe) und Proof-ofConcept-Studien (N ≥ 20) zu spezifischen, theoriebasierten Inter ventionen zur Reduktion von FC eingeschlossen. Bezüglich der Population wurden keine spezifischen Ausschlusskriterien definiert um einen möglichst breiten Überblick über die unterschiedlichen Interventionen zu gewähren. Folgende Interventionen wurden berücksichtigt: Interventionen mit Instruktionen zur Anwendung kognitiver Regulationsstrategien (Neubewertung, Unterdrückung, Akzeptanz, Ablenkung), Trainings zur Modifikation von exekutiven Funktionen (Veränderung von inhibitorischer Kontrolle und Anpassung von Aufmerksamkeitsverzerrungen [AB]), expositionsorientierte Interventionen (in vivo oder in virtueller Realität [VR]), Imaginationsverfahren, Bio- und Neurofeedback- und Achtsamkeitstrainings. Als Zielvariable wurde das erfahrungsbezogene Maß selbstberichtetes FC sowie das verhaltensbezogene Maß Nahrungsaufnahme betrachtet. Selbstberichtetes FC wird mittels visueller Analogskalen oder Likert-Skalen anhand einer direkten Frage nach der Stärke des aktuellen FCs, oder mittels Fragebögen erhoben, bei denen zwischen FC als aktuellem Zustand (im Folgenden als state FC bezeichnet) oder überdauernder Eigenschaft von Personen (trait FC) unterschieden werden kann (z. B Food Cravings Questionnaire [FCQ; Moreno, Rodríguez, Fernandez, Tamez, & Cepeda-Benito, 2008], Food Craving Inventory [FCI; White et al., 2002]). Die Nahrungsaufnahme wird häufig mittels eines fingierten Geschmackstests (bogus taste test), bei dem die konsumierte Nahrungsmenge der bewerteten Lebensmittel erfasst wird, erhoben. Weitere Methoden zur Erfassung der Nahrungsaufnahme stellen frei zur Verfügung stehende Lebensmittel (z. B in einer fingierten Pause, free intake), die retrospektive Erfragung des Snackkonsums in den vergangenen Tagen, der Konsum von verfügbaren aber verbotenen Nahrungsmitteln (z. B während des Mitführens derselben) und die Auswahl bestimmter Nahrungsmittel oder anderer Gegenstände als Entlohnung für die Studienteilnahme (z. B Wahl zwischen Schokolade, Apfel oder Kugelschreiber, food choice) dar.
Ergebnisse Es wurden 47 Studien zu Interventionen zur Regulation von FC in den Übersichtsartikel eingeschlossen. Dabei wurde ein Großteil der Studien an studentischen oder gesunden, normal- oder übergewichtigen erwachsenen Stichproben durchgeführt. In vier Studien wurden klini© 2019 Hogrefe
sche oder subklinische Populationen untersucht (Brockmeyer, Hahn, Reetz, Schmidt & Friederich, 2015; Giel, Speer, Schag, Leehr & Zipfel, 2017; Schmidt & Martin, 2016; Schmitz & Svaldi, 2017), in drei Studien wurden Kinder (Boutelle, Kuckertz, Carlson & Amir, 2014; Daniel, Said, Stanton & Epstein, 2015; Silvers et al., 2014) und in zwei Jugendliche eingeschlossen (Silvers et al., 2014; Yokum & Stice, 2013).
Kognitive Regulationsstrategien Die in den eingeschlossenen Studien untersuchten Strategien umfassen die kognitive Neubewertung (reappraisal) des dargebotenen Nahrungsmittels oder des FCs, die Neubewertung durch Fokussierung auf die Langzeitkonsequenzen des Nahrungsmittelkonsums, die Unterdrückung (suppression) des FCs oder der Gedanken an Essen, die Akzeptanz (acceptance) des FCs sowie die Ablenkung (distraction) durch essensunabhängige Aufgaben oder Gedanken. Diese Strategien gehen aus der Literatur zur Regulation von Emotionen hervor und zielen darauf ab, die Art, die Intensität oder die Dauer einer Emotion, respektive des FCs, durch Top-Down-Kontrolle zu regulieren (Gross, 1998; Webb, Miles & Sheeran, 2012). In vier Studien wurde die Neubewertung eines präsentierten Nahrungsmittels als Strategie zur Reduktion von FC betrachtet. Dabei sollte der Belohnungswert dieser Bilder dahingehend neu bewertet werden, dass sie weniger appetitanregend sind, was durch einen Perspektivenwechsel wie beispielsweise eine neutrale Interpretation des Essens als Plastikmodell oder die Fokussierung auf die visuellen Aspekte der Bilder erreicht werden sollte. Dabei zeigte sich in drei der Studien, in denen gesunde normalund übergewichtige Erwachsene sowie Kinder und Jugendliche untersucht wurden, eine Reduktion des state FCs in der Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe (KG; Scharmüller, Übel, Ebner & Schienle, 2012; Silvers et al., 2014; Svaldi et al., 2015). In einer Studie mit gesunden normal- und übergewichtigen Jugendlichen zeigte sich weder durch die Vorstellung der Kosten des Nahrungsmittelkonsums noch durch die Vorstellung des Nutzens eines Verzichts darauf eine Reduktion des state FCs im Vergleich zur KG (Yokum & Stice, 2013). Eine Intervention zur kognitiven Umstrukturierung FC-relevanter Gedanken, die eine Sitzung umfasste, führte bei einer erwachsenen Stichprobe mit hohem Verlangen nach Schokolade im Vergleich zu einer Wartelistenkontrollgruppe (WL-KG) zu keiner Reduktion des Schokoladen-Cravings (SC; trait) und zu keiner Verringerung des Nahrungsmittelkonsums (Moffitt, Brinkworth, Noakes & Mohr, 2012). Die Fokussierung auf die Langzeitkonsequenzen des Nahrungsmittelkonsums wurde in drei Studien mit gesun-
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den Erwachsenen betrachtet, in denen sich eine Reduktion des state FC bei der Präsentation von Bildern von hochkalorischen Nahrungsmitteln im Vergleich zu den Kontrollbedingungen zeigte (Meule, Kübler & Blechert, 2013; Siep et al., 2012; Striepens et al., 2016). Auf das FC bei niedrig kalorischen Lebensmitteln zeigte die Fokussierung auf Langzeitkonsequenzen des Nahrungsmittelkonsums erwar tungsgemäß keine Reduktion (Meule et al., 2013). Es zeigte sich darüber hinaus kein Unterschied im FC zwischen einer Neubewertungsintervention in Kombination mit einer Oxytocin-Gabe und derselben Intervention in Kombination mit einem Placebo. In beiden Gruppen war das FC bei der Fokussierung auf die Langzeitkonsequenzen im Vergleich zur Fokussierung auf die Kurzzeitkonsequenzen reduziert (Striepens et al., 2016). In einer weiteren Studie mit gesunden Erwachsenen wurden verschiedene Neubewertungsstrategien gemeinsam angewendet: Neubewertung des Nahrungsmittels und der Situation sowie Fokussierung auf negative Folgen des Nahrungsmittelkonsums (Giuliani, Calcott, & Berkman, 2013). Nach Anwendung der Neubewertungsstrategie zeigte sich im Vergleich zur Vorstellung des Konsums der präsentierten Lebensmittel eine Reduktion des state FCs (Giuliani et al., 2013). In vier Studien wurde die Unterdrückung als kognitive Regulationsstrategie betrachtet, wobei sich unterschiedliche Effekte ergaben: Das state FC konnte im Vergleich zur Kontrollbedingung in zwei Studien durch die Unterdrückung der FCs reduziert werden (Alberts, Thewissen, & Middelweerd, 2013; Svaldi et al., 2015), in einer Studie zeigte sich kein Unterschied (Yokum & Stice, 2013) und in einer weiteren zeigte sich nur für Männer eine Reduktion des state FCs durch Unterdrückung, wohingegen sich für Frauen kein Unterschied zwischen den Bedingungen zeigte (Wang et al., 2009). Die Unterdrückung der Gedanken an das Nahrungsmittel, sowie die Unterdrückung dieser Gedanken und des FCs führte bei gesunden Erwachsenen im Vergleich zur Kontrollbedingung ebenfalls zu einer Reduktion des state FCs (Kemps, Tiggemann & Christianson, 2008; Siep et al., 2012). Wie sich die Akzeptanz des FCs und die Ablösung (defusion) von den essensbezogenen Gedanken auf das state FCs auswirkt, wurde in fünf Studien mit erwachsenen Stichproben betrachtet, wobei die Untersuchungen jeweils eine Sitzung umfassten. Akzeptanz / Ablösung bedeutet dabei, sich von den eigenen Gedanken zu distanzieren und diese als Gedanken ohne Verhaltensimplikation und nicht als Wahrheiten anzusehen (Schumacher, Kemps & Tiggemann, 2017). Es zeigte sich in zwei Studien, dass Akzeptanz im Vergleich zu den Kontrollbedingungen das state FC bei gesunden Erwachsenen reduzierte (Alberts et al., 2013; Schumacher et al., 2017). Jedoch konnte dieser Effekt in drei weiteren Studien bei gesunden normal- oder übergewichtigen Probanden sowie bei Personen mit ho-
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hem SC nicht gezeigt werden (Forman et al., 2007; Forman, Hoffman, Juarascio, Butryn & Herbert, 2013; Moffitt et al., 2012). Auch bezüglich des trait FCs zeigte sich keine Reduktion durch die Strategie Akzeptanz (Moffitt et al., 2012). Die Nahrungsaufnahme in Folge einer Akzeptanzintervention war im Vergleich zur KG nur bei Personen mit hohem SC reduziert (Moffitt et al., 2012). Bei gesunden Studenten und übergewichtigen Erwachsenen hingegen zeigte sich keine Reduktion der Nahrungsaufnahme durch die Akzeptanz des FCs (Forman et al., 2007, 2013; Schumacher et al., 2017). Die Ablenkung als kognitive Regulationsstrategie kann in eine aktive, von den Gedanken der Person selbst ausgehende und in eine passive, durch äußere Reize beeinflusste Distraktion unterteilt werden, die in beiden Fällen inhaltlich keinen Bezug zum FC oder zum Nahrungsmittel hat und bei der weiterhin bezüglich einer positiven oder neutralen Valenz unterschieden werden kann (Webb et al., 2012). In fünf Studien wurde gezeigt, dass eine passive, neutrale Ablenkung im Vergleich zu den Kontrollbedingungen bei gesunden Erwachsenen zu einer Reduktion des state FCs führte (van Dillen & Andrade, 2016; Kemps et al., 2008; Kemps, Tiggemann, Woods & Soekov, 2004; McClelland, Kemps & Tiggemann, 2010; Skorka-Brown, Andrade, Whalley & May, 2015). Die in den Studien angewandten Ablenkungsstrategien umfassten die Blockierung der kognitiven Ressourcen durch die Bearbeitung visueller Arbeitsgedächtnisaufgaben (z. B dynamisches visuelles Rauschen), Tetris Spielen oder Puzzle Lösen. Auch auf den Nahrungskonsum zeigte die passive, neutrale Ablenkung einen reduzierenden Effekt (van Dillen & Andrade, 2016). Eine aktiv positive Ablenkungsstrategie, das episodische Zukunftsdenken, zeigte ebenfalls im Vergleich zur KG eine Reduktion der Nahrungsaufnahme bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen (Daniel et al., 2015). Eine gemischte aktive Ablenkung in Kombination mit kognitiver Neubewertung zeigte in zwei Studien mit gesunden normal- und übergewichtigen Erwachsenen weder eine Reduktion des state FCs noch der Nahrungsaufnahme (Forman et al., 2007; Forman, Hoffman, Juarascio, Butryn, & Herbert, 2013).
Trainings zur Modifikation von exekutiven Funktionen Die Trainings zur Modifikation von exekutiven Funktionen können in Bezug auf die Reduktion von FC in zwei Untergruppen unterteilt werden. Zum einen gibt es Trainings, die auf die Erhöhung der Inhibitionsleistung sowohl bezüglich essensspezifischer als auch bezüglich essensunabhängiger Reize abzielen. Zum anderen wird mittels Interventionen versucht, ABs bei Nahrungsmittelreizen zu modifizieren.
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Bezüglich der Verbesserung der Reaktionsinhibition wurden Stop-Signal-Aufgaben, Go / No-Go-Aufgaben und ein Anti-Sakkaden-Training durchgeführt. Dabei zeigten sich uneindeutige Ergebnisse. Durch ein Go / No-Go- Training konnte im Vergleich zur KG bei gesunden Erwachsenen sowohl das SC als auch der Nahrungsmittelkonsum reduziert werden und bei Personen mit restriktivem Essverhalten die Nahrungsaufnahme verringert werden (Adams, Lawrence, Verbruggen & Chambers, 2017; Houben & Jansen, 2015). Durch ein Training mittels Stop-Signal-Aufgabe mit Belohnung konnte weder das FC noch die Nahrungsaufnahme bei gesunden Erwachsenen im Vergleich zu einer Stop-Signal-Aufgabe ohne Belohnung reduziert werden (Houben & Jansen, 2014). In den Studien von Lawrence, Verbruggen, Morrison, Adams und Chambers (2015) sowie Adams und Kollegen (2017) zeigte sich keine Reduktion der Nahrungsaufnahme durch verschiedene modifizierte Stop-Signal-Aufgaben im V ergleich zu Double-Response-Aufgaben bei gesunden E rwachsenen und Erwachsenen mit restriktivem Essverhalten. Nur in einer Unterstudie konnte die Nahrungsaufnahme durch eine modifizierte Stop-Signal-Aufgabe, in der das Signal in den meisten Fällen gleichzeitig mit einem Essensreiz präsentiert wurde, im Vergleich zur KG bei gesunden Erwachsenen verringert werden (Lawrence et al., 2015). Ein Anti-Sakkaden-Training, bei dem die Probanden den Impuls ihren Blick auf ein seitlich präsentiertes Bild zu richten unterdrücken sollten, hatte im Vergleich zur reinen Betrachtung des Bildes keine Reduktion des FCs bei Erwachsenen mit BES vier Wochen nach Ende des Trainings zur Folge (Giel et al., 2017). Zur Modifikation der ABs bezüglich Essensbildern wurde in den meisten Studien eine modifizierte Dot-ProbeAufgabe durchgeführt und in einer Studie ein modifiziertes Annäherungs-Vermeidungs-Paradigma angewendet. Dabei zeigte sich im Vergleich zu einer Aufmerksamkeitslenkung zum Essenreiz und zu einer normalen Dot-ProbeAufgabe bei gesunden Erwachsenen keine Reduktion der Nahrungsaufnahme, wenn die Aufmerksamkeit vom Essenreiz weggelenkt wurde (Hardman, Rogers, Etchells, Houstoun & Munafò, 2013; McClelland et al., 2010). Das SC konnte bei gesunden Erwachsenen durch eine Vermeidungs-Dot-Probe-Aufgabe im Vergleich zu einer Beachtungs-Dot-Probe-Aufgabe in einer Studie reduziert werden, in einer Folgestudie konnte dieser Effekt jedoch nicht gezeigt werden (Kemps, Tiggemann, Orr & Grear, 2014). Bei übergewichtigen und adipösen Kindern konnte im Vergleich zur KG keine Reduktion des state FCs gezeigt werden (Boutelleet al., 2014). Dahingegen führte die Aufmerksamkeitslenkung weg von Essensreizen (Wahrscheinlichkeit für Probe hinter Essen vs. Neutral, P(Essen) = ¼) während eines modifizierten Dot-Probe-Paradigmas bei Patientinnen mit BES zu einer Reduktion des © 2019 Hogrefe
FCs im Vergleich zur KG (P(Essen) = ¾) gemessen unmittelbar nach Beendigung der Bias-Modifikation. Nach einer kurzen Löschungsphase (P(Essen) = ½) ging dieser Effekt jedoch signifikant zurück (Schmitz & Svaldi, 2017). Auch bei Patienten mit subklinischer bulimischer Essstörung konnte durch eine gezielte Aufmerksamkeitslenkung mittels eines Annäherungs-Vermeidungs-Paradigmas, welches in zehn Sitzungen trainiert wurde, das state FC reduziert werden (Brockmeyer et al., 2015).
Expositionsorientierte Interventionen Expositionsorientierte Interventionen zielen darauf ab, durch die Exposition zu Nahrungsmittelreizen mit Verhinderung der Reaktion (Nahrungsaufnahme), die durch klassische und operante Prozesse erworbene Kopplung zwischen Reiz und Reaktion zu unterbrechen. Wie sich die wiederholte Exposition gegenüber Lebensmitteln auf FC auswirkt, wurde in fünf Studien, in denen die Expositionsdauer und -häufigkeit variierte und in denen die Exposition entweder mit realen Nahrungsmitteln oder mittels VR durchgeführt wurde, untersucht. In zwei Studien zeigte sich bei gesunden und übergewichtigen Erwachsenen, dass es bei einer länger andauernden bzw. wiederholten Exposition (van Gucht et al., 2008: 2 Sitzungen à 27 Min.; Schyns, Roefs, Mulkens & Jansen, 2016: 1 Sitzung à 80 Min.) im Vergleich zur KG nach einem initialen Anstieg des FCs zu einer Reduktion des FCs am Ende der Exposition kam (Van Gucht et al., 2008; Schyns et al., 2016). Der Speichelfluss zeigte in diesen beiden Studien in der Expositionsgruppe im Vergleich zu einer KG keine signifikanten Veränderungen innerhalb einer Sitzung (Van Gucht et al., 2008; Schyns et al., 2016), in der darauffolgenden Sitzung fanden Van Gucht et al. (2008) einen marginal signifikanten Rückgang der Speichelsekretion in der Expositionsgruppe. Auch eine VR-Nahrungsexposition führte zu einer Reduktion des state FCs (Gutiérrez-Maldonado, Pla-Sanjuanelo & Ferrer-García, 2016). Nicht alle Studien konnten jedoch eindeutig zeigen, dass eine wiederholte bzw. länger andauernde Nahrungsexposition zur Reduktion von FC führt. So zeigte sich in der Studie von Coelho, Nederkoorn und Jansen (2014), dass nur für Personen mit wenig restriktivem Essverhalten das FC und die Nahrungsaufnahme durch eine wiederholte im Vergleich zu einer akuten Nahrungsexposition verringert wurde. Personen mit hoch restriktivem Essver halten hingegen zeigten ein verstärktes FC und eine vermehrte Nahrungsaufnahme durch die wiederholte im Vergleich zur einmaligen Exposition (Coelho et al., 2014). In einer weiteren Studie mit gesunden Studenten wurde durch Schokoladenexposition (olfaktorisch und visuell) erwartungsgemäß mehr FC ausgelöst als durch die Expositi-
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on mit einem nicht-essensbezogenen Vergleichsreiz; das FC in Reaktion auf die Schokoladenexposition ging jedoch entgegen der Erwartungen auch nach 60 Minuten nicht auf den Ausgangswert zurück (Frankort et al., 2014). Dennoch zeigte sich nach einer 60-minütigen Expositionszeit eine Tendenz zu einem Rückgang des subjektiven FCs und auch die im Rahmen der Studie erhobenen neuronalen Maße weisen auf eine beginnende Extinktion des FCs hin. Diese Ergebnisse könnten dafürsprechen, dass es nach einer verlängerten Exposition gegenüber Essensreizen zu einer Reduktion im FC kommen könnte. Die Nahrungsaufnahme unterschied sich nicht zwischen der Gruppe mit Schokoladenexposition und der KG (Frankort et al., 2015).
Imaginationsverfahren Die im Folgenden vorgestellten Imaginationsverfahren basieren auf der elaborated intrusion Theorie die besagt, dass durch externale Reize getriggerte Intrusionen erst dann als FC wahrgenommen werden, wenn sie kognitiv elaboriert werden, wodurch sensorische Bilder entstehen, die die tatsächlichen sensorischen und emotionalen Komponenten des erwünschten Objekts / Verhaltens simulieren (Kavanagh, Andrade & May, 2005). Ziel der imagina tionsbasierten Interventionen ist, diesen elaborierten Intrusionen durch alternative imaginierte Bilder entgegenzusteuern. Eine solche gelenkte Imagination als Strategie zur FC-Reduktion wurde in drei Studien untersucht, die jeweils eine Sitzung umfassten. Dabei wurde zunächst durch die Exposition von realen Nahrungsmitteln oder die Vorstellung des Konsums eines Lebensmittels FC induziert, was dann durch Imaginationsübungen, die keinen Essens- oder FC-Bezug enthielten (z. B Spaziergang im Wald), modifiziert werden sollte (Hamilton, Fawson, May, Andrade & Kavanagh, 2013; Kemps & Tiggemann, 2007; Schumacher et al., 2017). Dabei zeigten sich für gesunde Erwachsene unterschiedliche Ergebnisse: In der Studie von Hamilton und Kollegen (2013) reduzierte die gelenkte Imagination das state FC im Vergleich zur KG und war genauso wirksam wie eine Körperscan-Übung. Schumacher und Kollegen (2017) konnten jedoch bei gesunden Erwachsenen keine Überlegenheit der Imagination im Vergleich zur Kontrollaufgabe (Gedanken-Wandern) zur FCReduktion zeigen. Lediglich bei Personen mit hohem SC zeigte sich, dass die gelenkte Imagination im Vergleich zum Kontrolltraining zu einer Reduktion des SCs führte (Schumacher et al., 2017). Für beide Stichproben zeigten sich bezüglich der Nahrungsaufnahme keine Unterschiede in Abhängigkeit von der Imaginationsaufgabe (Schumacher et al., 2017). Bezüglich der Modalität, auf welche sich die Imagination bezieht, wurde gezeigt, dass sowohl visuelle als auch olfaktorische Imagination im Vergleich zu au-
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ditiver Imagination zu weniger FC führte, wobei sich die visuelle und die olfaktorische Modalität bezüglich ihrer Effektivität zur FC-Reduktion nicht unterschieden (Kemps & Tiggemann, 2007). In einem längeren Imaginationstraining, welches 10 Sitzungen umfasste und keine Essensoder FC-bezogenen Inhalte enthielt, zeigte sich im Vergleich zu einer WL-KG eine Reduktion des trait FCs bei Probanden mit subklinischer BES, wobei in dieser Studie das ebenfalls betrachtete Neurofeedback-Training dem Imaginationstraining zur Reduktion des FCs überlegen war (Schmidt & Martin, 2016). Ein funktionales Imaginationstraining, welches die multisensorische Vorstellung der Erreichung persönlicher Ziele in Bezug auf FC beinhaltet, reduzierte im Vergleich zu einer WL-KG den selbstberichteten Snackkonsum bei Probanden die an Gewicht abnehmen oder ihren Snackkonsum verringern wollten (Andrade, Khalil, Dickson, May & Kavanagh, 2016). Diese Reduktion konnte auch noch bei einem 2-Wochen-FollowUp gezeigt werden.
Bio- und Neurofeedbacktrainings Bio- und Neurofeedbacktrainings basieren auf neurobiologischen Modellen des FCs, wobei versucht wird, die durch vorherige Studien gefundenen neuronalen (z. B elektrophysiologische Frequenz) oder biologischen (z. B Herzratenvariabilität) störungsbezogenen Auffälligkeiten zu beeinflussen. So zielt beispielsweise das EEG-Neurofeedbacktraining auf eine Veränderung der neuronalen Oszillations-Frequenz. In sechs Studien wurde die Wirkung von Bio- und Neurofeedbacktrainings auf FC untersucht, in denen fünf Trainings mit mindestens zehn Sitzungen enthalten waren und ein Training, welches nur eine Sitzung umfasste. Durch EEG-basierte Neurofeedbacktrainings konnte in zwei Studien mit Gesunden und Erwachsenen mit subklinischer BES das trait FC reduziert werden (Fattahi, Naderi, Asgari & Ahadi, 2017; Schmidt & Martin, 2016), wohingegen sich das FC in zwei weiteren Studien mit gesunden Erwachsenen nach diesen Trainings nicht von der WL-KG unterschied (Imperatori et al., 2017; Schmidt & Martin, 2015). In beiden Studien zeigte sich nach einem 4- bzw. 3-Monats-Follow-Up eine Reduktion des FCs. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Intervention zunächst auf das Reiz-induzierte aktuelle FC wirkt und dass das trait FC erst durch einen impliziten Transfer der erlernten Strategien langfristig reduziert wird (Schmidt & Martin, 2015). Während zwei Studien eine Reduktion der mit Disinhibition verbundenen Beta-Aktivität anstrebten (Schmidt & Martin, 2015; 2016), zielten zwei weitere Studien auf eine Erhöhung in den Alpha- und Theta-Frequenzbereichen ab (Fattahi et al., 2017; Imperatori et al., 2017). Beide Arten
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des Neurofeedbacks scheinen eine kurzfristige und / oder mittelfristige Auswirkung auf das FC zu haben. Bei einem Biofeedbacktraining, welches auf die Regulation der Herzfrequenzvariabilität abzielte und zwölf Sitzungen umfasste, zeigte sich bei gesunden Erwachsenen mit ausgeprägtem FC im Vergleich zu einer Gruppe ohne Training eine Reduktion des trait FCs (Meule, Freund, Skirde, Vögele & Kübler, 2012). Mittels eines Trainings zum Feedback über die Gesichtsmuskelaktivität konnte das state FC bei gesunden Erwachsenen reduziert werden, wenn der Jochbeinmuskel (Lächeln) im Vergleich zum Corrugator-Muskel (Stirnrunzeln) aktiviert wurde (Schmidt & Martin, 2017).
Achtsamkeitstrainings Für achtsamkeitsbasierte Interventionen wird angenommen, dass eine erhöhte Achtsamkeit und Wahrnehmung des eigenen Körpers dazu führen kann, genauer zwischen externalen (Essensreiz) und internalen Reizen (Hunger) zu unterscheiden und automatische Reaktionen besser kontrollieren zu können (Fisher et al., 2016). Ein weiterer möglicher Wirkmechanismus geht über eine Erhöhung der Selbstregulationsfähigkeit durch Achtsamkeitstrainings (Alberts et al., 2012). In zwei Studien wurde untersucht, wie sich Achtsamkeitstrainings auf FC auswirken. Dabei zeigte sich, dass ein kurzes Achtsamkeitstraining vor einer Nahrungsexposition zwar keinen Einfluss auf das state FC hatte, sich aber im Vergleich zur Gruppe mit Vergleichstraining reduzierend auf die Nahrungsaufnahme auswirkte (Fisher, Lattimore & Malinowski, 2016). Durch ein acht Sitzungen umfassendes Achtsamkeitstraining konnte bei Frauen mit pathologischem Essverhalten im Vergleich zu einer WL-KG das trait FC reduziert werden (Alberts, Thewissen, & Raes, 2012).
Diskussion Insgesamt wurden 47 Studien über unterschiedliche Interventionen zur FC-Reduktion in dem vorliegenden Übersichtsartikel zusammengefasst. Dabei wurden kognitive Regulationsstrategien am häufigsten untersucht und es zeigte sich, dass diese Interventionen – unter Berücksichtigung einiger Limitationen, die später noch genauer ausgeführt werden – insgesamt aussichtsreich bezüglich der Reduktion von akutem FC sind. Anzumerken ist jedoch, dass die Nahrungsaufnahme nicht verringert wurde, was zeigt, dass die Anwendung von Regulationsstrategien keinen schnellen und direkten Effekt auf das Essverhalten hat. Besonders die Strategien Neubewertung, Unterdrückung und Ablenkung konnten FC reduzieren, wobei bis© 2019 Hogrefe
her keine eindeutigen Befunde dazu vorliegen, welche dieser Strategien insgesamt oder für bestimmte Settings am wirksamsten sind. Durch die Anwendung solcher Strategien kann möglicherweise die (durch Anreizsensibilisierung chronisch erhöhte) Salienz von Nahrungsmittelreizen topdown beeinflusst werden, was dann zu einem Ausgleich in der Aufmerksamkeitszuwendung führt. Hierfür sprechen die Befunde aus elektrophysiologischen Potentialen, die eine frühe selektive Aufmerksamkeit hin zu Lebensmittelreizen zeigen, und auch demonstrieren, dass die neuronale Verarbeitung von salienten Reizen in späteren Zeitfenstern (ca. ab 300 ms nach Stimulusonset) durch kognitive Regulation beeinflussbar ist (Hajcak, MacNamara & Olvet, 2010; Meule et al., 2013; Svaldi et al., 2015). Bei der Neubewertung stellt der Perspektivenwechsel eine häufig untersuchte und effektive Strategie dar, jedoch ist ihre Anwendung nur schwer in den realen Kontext übertragbar. Demgegenüber ist die Fokussierung auf Langzeitkonsequenzen besser anwendbar, wenngleich hierzu bislang ausschließlich Studien im Laborkontext vorliegen und ökologisch validere Studien noch ausstehen. Bezüglich der Regulationsstrategie Akzeptanz ist die Befundlage noch unklar. Bislang gibt es keine klare Evidenz die dafür spricht, dass die Akzeptanz von FC zu einem besseren Umgang damit, bzw. zu einer Reduktion des FCs oder der Nahrungsaufnahme führt. Generell ist hervorzuheben, dass eine Reduktion des FCs nicht zwangsläufig eine Veränderung im Essverhalten bewirkt. So zeigten sich bei der Anpassung von ABs im Rahmen diverser Modifikationstrainings zwar reduzierende Effekte auf das FC, nicht aber auf die Nahrungsaufnahme. Ebenso liefern Interventionen zur Verbesserung der inhibitorischen Kontrolle uneindeutige Effekte in Bezug auf die Reduktion des FCs und der Nahrungsaufnahme, wenngleich die Paradigmen, die in den Trainings zum Einsatz kamen, ähnlich waren. Daher sollten auch in diesem Bereich in zukünftigen Untersuchungen mögliche Moderatorvariablen berücksichtigt werden. Einheitlicher ist die Befundlage bei expositionsorientierten Interventionen, Imagination, Bio- und Neurofeedbacktrainings sowie Achtsamkeitstrainings, wobei in den meisten Studien das FC erfolgreich reduziert werden konnte. Einschränkend soll hinsichtlich der Effektivität achtsamkeitsbasierter Trainings die geringe Studienanzahl genannt werden.
Klinische Stichproben Aufgrund der niedrigen Anzahl an Studien in denen klinische oder subklinische Populationen betrachtet wurden, ist zum aktuellen Zeitpunkt kaum ein Vergleich der unterschiedlichen Interventionen in Abhängigkeit von der Art der Essstörungssymptomatik möglich. Bei Personen mit
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subklinischer BN, welche nur in einer Studie betrachtet wurden, konnten das state und das trait FC sowie auch die Essstörungssymptomatik durch eine AB-Modifikation reduziert werden (Brockmeyer et al., 2015). Bei Personen mit klinischer oder subklinischer BES zeigte sich vier Wochen nach Ende des Trainings keine FC-Reduktion durch eine Verbesserung der inhibitorischen Kontrolle (Giel et al., 2017). In dieser Studie wurde zum vier-Wochen-Follow-Up Zeitpunkt eine signifikante Reduktion in der Anzahl an Ess anfällen berichtet, diese Reduktion ist jedoch vermutlich nicht auf spezifische, im Training enthaltene Wirkmechanismen (d. h. eine Verbesserung der inhibitorischen Kontrollfähigkeiten) zurückzuführen, da auch in der KG die Ess anfallepisoden reduziert wurden (Giel et al., 2017). Eine Überprüfung der hier wirksamen Mechanismen steht noch aus, möglicherweise wirkte sich allein die Tatsache der Studienteilnahme, oder die wiederholte Konfrontation mit Essens bildern auf die Häufigkeit von Essanfällen aus. Mittels AB-Modifikation, Imagination sowie Neurofeedbacktraining konnten das state und das trait FC bei Personen mit (subklinischer) BES kurzfristig reduziert werden, wobei es durch das Neurofeedbacktraining im Vergleich zur Imagination zu einer stärken Reduktion kam (Schmidt & Martin, 2016; Schmitz & Svaldi, 2017). Eine Verringerung der Essanfallepisoden, gemessen jeweils nach Beendigung der 10 Trainingssitzungen und nach drei Monaten, konnte durch das Neurofeedbacktraining, nicht aber durch die Imagination erreicht werden (Schmidt & Martin, 2016). Auch hier steht jedoch eine Überprüfung aus, ob das Neurofeedback tatsächlich über die postulierten Mechanismen (also eine Reduktion der elektrophysiologischen BetaAktivität) oder über andere Wirkmechanismen agierte.
Entwicklungsperspektive Da bisher nur vier Studien zur Regulation von FC an Stichproben im Kindes- und Jugendalter vorliegen, können aktuell keine eindeutigen entwicklungsperspektivischen Aussagen getroffen werden. In einer Studie, in der das FC mittels der kognitiven Regulationsstrategie Neubewertung bei gesunden Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen reguliert werden sollte, zeigte sich, dass jüngere Probanden insgesamt mehr FC berichteten als ältere Probanden und dass die Regulationsstrategie unabhängig vom Alter das FC im Vergleich zur Kontrollbedingung reduzierte (Silvers et al., 2014). Für Erwachsene wurde dieser Effekt der Neubewertung des präsentierten Nahrungsmittels auch in weiteren Studien gezeigt (Scharmüller et al., 2012; Svaldi et al., 2015). Dagegen zeigte sich bei in einer Studie in der ausschließlich Jugendliche betrachtet wurden keine Reduktion des FCs durch die Neubewertung des präsentierten Nahrungsmittels (Yokum & Stice, 2013).
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Auch die kognitive Regulationsstrategie aktive Ablenkung wurde bereits sowohl bei übergewichtigen und adipösen Kindern und Jugendlichen (Daniel et al., 2015) als auch bei normal- und übergewichtigen Erwachsenen durchgeführt (Forman et al., 2007; 2013). Hierbei zeigte diese Strategie nur bei Kindern und Jugendlichen eine Reduktion der Nahrungsaufnahme (Daniel et al., 2015), wohingegen bei Erwachsenen die Nahrungsaufnahme und das FC nicht reduziert wurde (Forman et al., 2007; 2013). Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass bei den verschiedenen Altersgruppen nicht die identischen Ablenkungsstrategien angewandt wurden. In einer weiteren Studie, die bei übergewichtigen und adipösen Kindern durchgeführt wurde, zeigte sich keine Reduktion des FCs durch eine Modifikation des ABs (Boutelle et al., 2014).
Limitationen Die meisten der im Überblick enthaltenen Studien wurden an gesunden normalgewichtigen Studierenden durchgeführt und lassen daher keine Generalisierung auf andere gesunde oder klinische Populationen zu. Auch liegen zu manchen Interventionen bisher nur vereinzelte Studien vor, sodass die Ergebnisse als vorläufig betrachtet werden sollten. Darüber hinaus wurden nur in wenigen Studien subklinische oder klinische Populationen betrachtet, sodass der Nutzen der hier vorgestellten Trainings für Personen mit Essstörung unklar bleibt. Am ehesten liefern die Studien Hinweise für einen Nutzen zur Behandlung der BES, während Personen mit BN, welche ebenfalls unter mit FC einhergehenden Essanfällen leiden (Waters et al., 2001), nur in einer Studie untersucht wurden. Ziel künftiger Studien ist es daher, die Wirksamkeit dieser Inter ventionen in Bezug auf die Reduktion des FCs bei Personen mit BES oder BN zu untersuchen. Darüber hinaus wurden nur in vier Studien Stichproben mit Kindern und Jugendlichen betrachtet. Daher lässt sich bisher kaum abschätzen, welche Interventionen bereits im Kindes- und Jugendalter eingesetzt werden sollten bzw. welche sich besonders für diese Population eignen. Daher sollte in zukünftigen Studien die Entwicklungsperspektive vermehrt in den Fokus gestellt werden. Die hohe Varianz bzgl. der angewandten Methoden (z. B Anzahl der Sitzungen), der verwendeten Versuchs designs (z. B Messwiederholungsdesign oder RCT) und der KGs (z. B WL-KG oder Vergleichstraining) erschwert die Interpretation der Daten. Letztlich wurde in vielen Studien die Veränderung des FCs direkt nach einer einmalig durchgeführten Intervention in einem Laborsetting erhoben. Nur in fünf Studien zur FC-Regulation wurde eine Follow-Up-Messung durchgeführt. Dabei zeigte sich in einer Studie auch zwei Wochen nach Durchführung der
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Intervention eine Reduktion der Nahrungsaufnahme durch ein Imaginationsverfahren (Andrade et al., 2016). In zwei Studien, in denen ein EEG-basiertes Neurofeedbacktraining an einer gesunden erwachsenen Stichprobe durchgeführt wurde, zeigte sich erst im vier- bzw. dreiMonats-Follow-Up eine Reduktion des trait FCs (Imperatori et al., 2017; Schmidt & Martin, 2015). Auch in einer weiteren Studie zum Neurofeedbacktraining wurde ein drei-Monats-Follow-Up durchgeführt (Schmidt & Martin, 2016). Allerdings wurden hier keine Ergebnisse für die Variable FC berichtet. Durch ein nahrungsspezifisches Inhibitionstraining konnte bei Patienten mit BES vier Wochen nach Ende des drei Sitzungen umfassenden Trainings keine Reduktion des trait FCs gezeigt werden (Giel et al., 2017). Insgesamt können also noch keine Aussagen über langfristige Auswirkungen und die Übertragbarkeit auf den Alltag sowie die klinischen Einsatzmöglichkeiten getroffen werden.
zeigte, bieten Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung von Behandlungsmethoden für Personen mit Essstörungen. Die Rolle möglicher Moderatoren der Wirksamkeit, sowohl populationsbasiert (z. B BMI, Alter, Geschlecht, Essstörungsdiagnose), als auch interventionsbasiert (z. B Dauer und Intensität des Trainings / der Exposition, Anzahl der Wiederholungen, Kontext), sollten in zukünftigen Studien mehr Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang sollten in zukünftigen Studien vermehrt auch die langfristigen Effekte der Interventionen mittels Follow-Up-Erhebungen sowie die Anwendbarkeit auf Situationen im Alltag, in denen ein erhöhtes FC erlebt wird, betrachtet werden. Außerdem werden wissenschaftliche Untersuchungen bezüglich der Notwendigkeit von therapeutischer Begleitung (guidance) im Rahmen der vorgestellten Interventionsmethoden bzw. wie diese Interventionen bestmöglich in bestehende, manualisierte Behandlungsansätze integriert werden können, benötigt.
Ausblick
Literatur
Zusammenfassend kann unter Beachtung der Vorläufigkeit der Ergebnisse sowie der Limitationen angenommen werden, dass einige der vorgestellten Interventionen ein Potential zur spezifischen Reduktion von FC haben und darüber hinaus bei Patienten mit Essstörungssymptomatik auch Auswirkungen auf die Reduktion von Essanfällen haben können. Reiz-Expositionsverfahren können hilfreich sein, um gelernte Reiz-Reaktions-Assoziationen zu löschen und so die Stimuluskontrolle innerhalb einer von Nahrungsmittelreizen überfluteten Umwelt zu erhöhen. Das Erlernen von kognitiven Strategien zum Umgang mit FC kann betroffenen Personen dabei helfen, sich in der akuten FC-Situation selbst zu regulieren, wodurch möglicherweise auch das Gefühl der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977) gestärkt werden kann. Trainings zu ABModifikation setzen bereits zu einem früheren Zeitpunkt in der Informationsverarbeitung an, indem sie versuchen, die Aufmerksamkeitslenkung (Zuwendung und Aufrechterhaltung) zu steuern. Auch dies kann den kognitiv-behavioralen Modellen zur Aufrechterhaltung von Essstörungen (Williamson et al., 2004) entsprechend hilfreich sein, um den Teufelskreis zwischen körperbezogenem Selbstschema, kognitiven Verzerrungen und störungsaufrechterhaltendem Verhalten zu durchbrechen und so eine bessere Kontrolle über die Nahrungsumgebung zu erhalten. Dabei stellen diese Trainings keine alleinstehende Intervention zur Behandlung von Essstörungen dar, sondern setzen nur an einem spezifischen Punkt, dem FC an. Interventionen, für welche sich bisher bei gesunden normaloder übergewichtigen Populationen eine FC-Reduktion
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Dr. Ines Wolz Klinische Psychologie und Psychotherapie Universität Tübingen Schleichstr. 4 72070 Tübingen Deutschland ines.wolz@uni-tuebingen.de
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CME-Fragen 1. Der Begriff „Food Craving“ ist definiert durch … a. … ein einmalig auftretendes, intensives und drängendes Verlangen ein bestimmtes Nahrungsmittel oder eine bestimmte Gruppe von Nahrungsmitteln zu konsumieren. b. … ein regelmäßig wiederkehrendes, intensives und drängendes Verlangen ein bestimmtes Nahrungsmittel oder eine bestimmte Gruppe von Nahrungsmitteln zu konsumieren. c. … ein einmalig auftretendes, leichtes und regulierbares Gefühl ein bestimmtes Nahrungsmittel oder eine bestimmte Gruppe von Nahrungsmitteln konsumieren zu wollen. d. … ein regelmäßig wiederkehrendes, leichtes und regulierbares Gefühl ein bestimmtes Nahrungsmittel oder eine bestimmte Gruppe von Nahrungsmitteln konsumieren zu wollen. e. … ein durchgängig vorliegendes, intensives und drängendes Verlangen ein bestimmtes Nahrungsmittel oder eine bestimmte Gruppe von Nahrungsmitteln zu konsumieren.
d. Genauer zwischen externalen Reizen (Essensreiz) und internalen Reizen (Hunger) zu unterscheiden. e. Veränderung der neuronalen Oszillations-Frequenz.
2. Welcher der folgenden theoretischen Ansätze wird als einer der primären Entstehungsfaktoren in der Ätiologie von Craving postuliert? a. Kognitive Dissonanz b. Klassische Konditionierungsprozesse c. Modelllernen d. Abstinenzhypothese e. Emotionsregulationsmodelle
5. Welche Aussage lässt sich bezüglich der Wirksam keit der Interventionen in Bezug auf die Reduktion von Craving und die Reduktion des Nahrungsmittel konsums treffen? a. Trainings zur Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen, die Craving reduzieren, verringern auch den Nahrungsmittelkonsum. b. Kognitive Regulationsstrategien, die Craving reduzieren, verringern auch den Nahrungsmittelkonsum. c. Trainings zur Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen verringern weder das Craving noch den Nahrungsmittelkonsum. d. Kognitive Regulationsstrategien verringern den Nahrungsmittelkonsum, nicht aber das Craving. e. Trainings zur Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen reduzieren Craving, nicht aber den Nahrungsmittelkonsum.
3. Welche Wirkmechanismen werden bezüglich der kognitiven Regulationsstrategien Neubewertung und Unterdrückung angenommen? a. Durch klassische und operante Prozesse erworbene Kopplung zwischen Reiz und Reaktion zu unterbrechen. b. Top-down Beeinflussung der Salienz von Nahrungsmittelreizen. c. Bottom-Up Beeinflussung der Salienz von Nahrungsmittelreizen.
4. In welche beiden Gruppen können Trainings zur Modifikation von exekutiven Funktionen zur Cra ving Reduktion unterteilt werden? a. Trainings zur Akzeptanz des Cravings und Trainings zur Erhöhung der Inhibitionsleistung. b. Trainings zur Akzeptanz des Cravings zur Trainings zur Verringerung der Inhibitionsleistung. c. Trainings zur Erhöhung der Inhibitionsleistung und Trainings zur Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen. d. Trainings zur Verringerung der Inhibitionsleistung und Trainings zur Modifikation von Aufmerksamkeitsverzerrungen. e. Trainings zur Stabilisierung von automatischen Aufmerksamkeitsprozessen und Trainings zur Verringerung der Inhibitionsleistung
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Um Ihr CME-Zertifikat zu erhalten (mind. drei richtige Antworten) schicken Sie bitte den ausgefüllten Frage bogen mit einem frankierten Rückumschlag bis zum 13.02.2019 an die untenstehende Adresse. Später eintreffende Antworten können nicht mehr berücksichtigt werden.
Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 28359 Bremen Deutschland fpeterm@uni-bremen.de
Fortbildungszertifikat Die Ärztekammer Niedersachsen erkennt hiermit 2 Fortbildungspunkte an.
«Interventionen zur Regulation von Food Craving» Die Antworten bitte deutlich ankreuzen! 1
Stempel Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 01/2019
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5
a b c d e
Ich versichere, alle Fragen ohne fremde Hilfe beantwortet zu haben. Name Berufsbezeichnung, Titel Straße, Nr. PLZ, Ort Datum Unterschrift
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Themenschwerpunkt
Wirksamkeit eines angeleiteten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Selbsthilfeprogramms zur Behandlung der Binge-Eating-Störung Andrea Wyssen1, Felicitas Forrer1, Andrea H. Meyer1,2 und Simone Munsch1 1 2
Departement für Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Fribourg, Schweiz Institut für Psychologie, Klinische Psychologie und Epidemiologie, Universität Basel, Schweiz
Zusammenfassung: Das Hauptmerkmal der Binge-Eating-Störung (BES) sind Essanfälle, bei denen Betroffene das Gefühl des Kontrollverlusts erleben und große Mengen an Nahrung in einem abgrenzbaren Zeitraum zu sich nehmen. Essanfälle sind bei der BES nicht gefolgt von Kompensationsverhalten, führen zu einem hohen Leidensdruck und sind in vielen Fällen assoziiert mit Übergewicht. Manualisierte kognitiv- verhaltenstherapeutische Behandlungsprogramme im Einzel- und Gruppensetting zur Therapie der BES haben sich in kontrollierten Studien als wirksam erwiesen. Auf der Grundlage eines etablierten Behandlungsmanuals wurde ein Selbsthilferatgeber für Betroffene publiziert und in der vorliegenden Studie in Rahmen eines buchbasierten angeleiteten Selbsthilfeprogramms (ASH-Programm) unter natürlichen klinischen Rahmenbedingungen überprüft. 22 Patienten (21 Frauen, 1 Mann; Durchschnittsalter 35.82 Jahre (SD = 10.35 Jahre)) nahmen am 8-wöchigen ASH-Programm zur Behandlung der BES gefolgt von drei Auffrischungssitzungen über 6 Monate teil. Zwei Patienten (9.1 %) beendeten das ASH-Programm während der aktiven Behandlungsphase vorzeitigt (Dropout). Die Anzahl wöchentlicher Essanfälle und die Essstörungspsychopathologie (restriktives Essverhalten, Figursorgen, Gewichtssorgen, essensbezogene Sorgen) reduzierten sich bis zum Ende der aktiven Behandlungsphase signifikant. In den Auffrischungssitzungen konnte eine Stabilisierung der erreichten Abnahme an wöchentlichen Essanfällen und Essstörungspsychopathologie verzeichnet werden. Bis zum Ende der Auffrischungssitzungen, 1, 3 und 6 Monate nach dem Ende der aktiven Behandlungsphase nahm zudem auch die allgemeine Psychopathologie (depressive- und Angstsymptomatik) signifikant ab. Die Ergebnisse legen nahe, dass das vorliegende ASH-Programm wirksam für die Behandlung der BES ist. Schlüsselwörter: Binge-Eating-Störung, angeleitete Selbsthilfe, kognitive Verhaltenstherapie
Efficacy of a cognitive-behavioral guided self-help program for the treatment of binge-eating disorder Abstract: The main characteristics of binge-eating disorder (BED) are binge-eating episodes during which affected individuals experience loss of control, accompanied by the consumption of large amounts of food in a limited period of time. Binge-eating episodes in BED are not followed by compensatory behavior. Binge-eating is associated with a high degree of distress and in many cases accompanied by overweight. Manualized cognitive-behavioral single and group therapy programs for the treatment of BED have shown high efficacy in controlled studies. Based on a manualized face to face treatment, a self-help book was published and evaluated in the present guided self-help treatment program (gshprogram) in a naturalistic clinical study setting. 22 participants (21 female, 1 male, mean age 35.82 years (SD = 10.35)) followed the 8-week gsh-program with three booster sessions (1, 3 and 6 months after the active treatment). Two participants (9.1 %) prematurely terminated the gsh-program during the treatment phase (dropout). The number of weekly binges and eating disorder pathology (restraint eating, shape- and weight concern and eating concern) significantly decreased until the end of the active treatment. The number of weekly binges and eating disorder pathology remained stable during follow-up. General psychopathology (depressive- and anxiety symptoms) significantly decreased until the end of follow-up, 6 months after the end of active treatment. Findings suggest that the present gsh-program is an efficacious option for the treatment of BES. Keywords: Binge-eating disorder, guided self-help, cognitive-behavioral therapy
Die Binge-Eating-Störung (BES) ist gekennzeichnet durch wiederkehrende Essanfälle ohne Kompensationsverhalten, bei denen Betroffene große Mengen an Nahrungsmitteln in einem abgrenzbaren Zeitraum zu sich nehmen und
dabei die Kontrolle darüber verlieren, was und wie viel sie essen. Oft sind die Essanfälle charakterisiert durch schnelles und durcheinanderessen, essen ohne anhaltendes Hungergefühl bis zu einem unangenehmen Völlegefühl
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und alleine essen aufgrund von Scham über die gegessene Menge. Als Folge von Essanfällen stellen sich Gefühle der Scham, Schuld und Niedergeschlagenheit ein. Eine BES nach DSM-5 wird diagnostiziert, wenn die Essanfälle im Durchschnitt mindestens einmal pro Woche während eines Zeitraums von mindestens drei Monaten vorkommen (APA, 2013). Die BES ist die am häufigsten vorkommende Essstörung mit einer Lebenszeitprävalenz bei Erwachsenen in Europa zwischen 1.9 – 4 % bei Frauen und 0.3 – 2.5 % bei Männern (Hudson, Hiripi, Pope, & Kessler, 2007; Keski-Rahkonen & Mustelin, 2016; Kessler et al., 2013; Schnyder, Milos, Mohler-Kuo, & Dermota, 2012). Deutlich häufiger, bei 33 – 40 %, tritt die BES bei Menschen auf, die unter Übergewicht und Adipositas leiden (Kessler et al., 2013). Neben Übergewicht und Adipositas, wird die BES zudem häufig begleitet durch Angst- oder depressive Störungen (in 40 – 60 % der Fälle). Zudem ist die BES assoziiert mit Störungen des Substanzmissbrauchs / -abhängigkeit und Symptomen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Gefühlsinduziertes und durch externe Nahrungsmittelreize beeinflusstes Essverhalten ist ebenso beobachtbar wie eine erhöhte nahrungsbezogene Belohnungssensitivität und eine hohe Impulsivität. Aus dem Bereich der Persönlichkeitsstörungen treten vor allem Störungen des Borderline-, vermeidenden und zwanghaften Typus komorbid zur BES auf (Davis, Levitan, Smith, Tweed, & Curtis, 2006; Friborg et al., 2014; Grilo, White, & Masheb, 2009; Kessler et al., 2013; Schag, Schonleber, Teufel, Zipfel, & Giel, 2013; Sonneville et al., 2013; Yanovski, 2003). Erstmalig tritt die BES meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf, im Durschnitt liegt das Ersterkrankungsalter bei ca. 23 Jahren (Kessler et al., 2013; Schnyder et al., 2012). Der Verlauf der BES Symptomatik zeichnet sich aus durch eine hohe Spontanremissionsrate in der Anfangsphase der Störung. Ca. ⅔ der Betroffenen berichten nur eine Episode der BES und eine Spontanremission innerhalb von 12 Monaten, während ⅓ der Betroffenen zwei oder mehrere Episoden oder ein persistierendes Vorliegen der BES erlebt. Subklinisch ausgeprägte Formen der BES (d. h. Häufigkeits- oder Zeitkriterium ist nicht erfüllt) entwickeln sich in ca. ⅓ der Fälle zum vollen Störungsbild der BES wie in einer prospektiven Studie gezeigt werden konnte (Stice, Marti, & Rohde, 2013). Ist die BES voll ausgeprägt, zeigt sie eine Tendenz zur Chronifizierung. So berichten retrospektive Studien eine durchschnittliche Krankheitsdauer von 6 bis 14.5 Jahren (Hudson et al., 2007; Kessler et al., 2013; Schnyder et al., 2012). Als Therapie der Wahl zur Behandlung der BES gilt gemäss den deutschen S-3 Leitlinien (DGPM & DKPM, 2011) und den englischen NICE (National Institute for Health and Care Excellence) Guidelines (NICE, 2017) die Psychotherapie. Die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und die © 2019 Hogrefe
Interpersonelle Psychotherapie (IPT) im Einzel- und Gruppensetting verfügen bei Erwachsenen nach aktueller Studienlage bisher über die breitesten Wirksamkeitsbelege (Iacovino, Gredysa, Altman, & Wilfley, 2012; Wilfley et al., 2002). Nach 20 wöchentlich durchgeführten Behandlungs einheiten wurden vergleichbare Remissionsraten (Prozent zahl der Teilnehmer ohne objektive Essanfälle während mindestens einem Monat) für die KVT und die IPT (79 % respektive 73 %) gefunden. Zudem reduzierte sich das restriktive Essverhalten durch die Therapie bedeutsam und eine Gewichtsstabilisation konnte erreicht werden (Wilfley et al., 2002). Munsch und Kollegen (2007) verglichen ein kognitiv- verhaltenstherapeutisches Gruppenpsychotherapiepro gramm (KVT) mit einem verhaltenstherapeutischen Gewichtsreduktionsprogramm (GRP). 80 übergewichtige Patienten mit einer BES wurden randomisiert einer der beiden Gruppen zugeteilt und absolvierten eine 16-wöchige Behandlung sowie sechs Auffrischungssitzungen innerhalb eines Jahres nach Therapieende. Durch beide Programme konnte eine signifikante Reduktion der Essanfälle und der allgemeinen Essstörungspathologie erreicht werden. Das KVT-Programm war dem GRP am Ende der aktiven Behandlungsphase überlegen (u. a. höhere Abstinenz- und Remissionsrate, sowie raschere Reduktion der Essanfälle). Insgesamt erfüllten direkt nach der Behandlung nur noch 4 % der Teilnehmer in der KVT-Gruppe und 32 % der GRP-Gruppe die Diagnose einer BES. Ein Jahr nach Ende der aktiven Behandlungsphase wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Bedingungen mehr gefunden. Die positiven Therapieergebnisse konnten in beiden Gruppen bis zu sechs Jahren nach dem Therapieende aufrechterhalten werden (Munsch, Meyer, & Biedert, 2012). Insgesamt wurden die grössten Veränderungen in der KVT-Gruppe während der ersten acht Therapiesitzungen gefunden (Munsch et al., 2007), was dazu veranlasste, eine Kurzversion des Behandlungsprogramms mit acht Sitzungen und fünf Auffrischungssitzungen (während 12 Monaten) zu entwickeln und zu prüfen (Schlup, Munsch, Meyer, Margraf, & Wilhelm, 2009). Die Kurztherapie erwies sich ebenfalls als wirksam für die Behandlung der Essanfälle. Die Anzahl objektiver Essanfälle reduzierte sich von 6.93 auf 2.62 am Ende der aktiven Behandlung und auf 1.43 nach den Auffrischungssitzungen 12 Monate später (Cohen's d = 0.8). 11.4 % der Teilnehmenden hatten nach Abschluss der aktiven Behandlung seit mindestens einem Monat keine Essanfälle mehr (Abstinenzrate), 24.7 % waren es nach den Auffrischungssitzungen. Die positiven Behandlungsergebnisse konnten bis zu vier Jahre nach Beendigung der Behandlung aufrechterhalten werden (Fischer, Meyer, Dremmel, Schlup, & Munsch, 2014).
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Epidemiologische Daten aus der Schweiz zeigen auf, dass nur ca. 50 % der Patienten, die unter Essanfällen leiden, bezüglich der essens- und gewichtsbezogenen Probleme eine Fachperson konsultieren (Schnyder et al., 2012). Folglich erhält eine grosse Anzahl der Patienten keine adäquate Behandlung, obschon es wie weiter oben ausgeführt, wirksame Behandlungsprogramme gibt. Dieses Ergebnis stimmt überein mit internationalen Daten, die zeigen, dass insgesamt eine Mehrheit der von einer Essstörung betroffenen Menschen durch konventionelle Behandlungsangebote nicht erreicht werden (Hart, G ranillo, Jorm, & Paxton, 2011). Ein Lösungsansatz für das Versorgungsproblem stellen angeleitete Selbsthilfeprogramme (ASH) dar. Diese weisen gute Wirksamkeitsbelege auf und werden dementsprechend in den NICE-Guidelines als erste Interventionsstufe im Sinne einer schrittweisen Behandlung („stepped care“) empfohlen (NICE, 2017). Beim „stepped care“ Ansatz erhalten Patienten zunächst weniger ressourcenintensive Interventionen wie ASH- Programme und erst dann ressourcenintensivere Interventionen, wenn sie von niederschwelligeren Behandlungs optionen nicht profitieren konnten. Ein Vorteil von ASH-Programmen ist die Unabhängigkeit von Ort und Zeit, sowie deren flexible Einsatzmöglichkeiten über unterschiedliche Medien wie Bücher, Audioratgeber oder Internet. Im Vergleich zu unangeleiteten Selbsthilfeprogrammen, in denen Patienten komplett selbstständig mit einem Programm arbeiten, haben sich angeleitete Selbsthilfeprogramme als wirksamer erwiesen und führten zudem zu einer geringeren Abbruch-Rate (Dropout). Die Anleitung beinhaltet die Kommunikation zwischen Patient und Behandlungsperson via E-Mail oder Telefon und dient der Instruktion und Unterstützung (Aardoom, Dingemans, Spinhoven, & Van Furth, 2013; Beintner, Jacobi, & Schmidt, 2014; Loeb, Wilson, Gilbert, & Labouvie, 2000). KVT-basierte ASH-Programme zur Behandlung von regelmässigen Essanfällen erreichten Abstinenzraten bis zum 64 % mit einer bedeutsamen Reduktion der Psychopathologie am Ende der Behandlung und zu den Katamnesezeitpunkten. KVT-basierte ASH-Programme schneiden verglichen mit an anderen therapeutischen Ansätzen orientierten Programmen besser ab und erwiesen sich als wirksamer als eine Wartelistenkontrollgruppe, eine unspezifische Therapie und als ein Gewichtsreduktionsprogramm (Grilo & Masheb, 2005; Iacovino et al., 2012; Jones et al., 2008; Wilson & Zandberg, 2012). Grilo und Masheb (2005) untersuchten ein buchbasiertes zwölfwöchiges ASH-Programm zur Behandlung der BES. 87 % der Teilnehmer schlossen die Behandlung vollständig ab, bei 46 % konnte eine Abstinenz von der Symptomatik festgestellt werden (d. h. keine Essanfälle während des vergangenen Monats). Im Vergleich dazu betrugen die Abstinenzraten in der aktiven Kontrollgruppe
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(Gewichtsreduktionsprogramm) 18.4 % und in der passiven Kontrollgruppe (keine Intervention) 13.3 %. StriegelMoore und Kollegen (2010) verglichen ein acht Sitzungen umfassendes und zwölf Wochen dauerndes ASH-Programm (basierend auf dem Buch „overcoming binge eating“ von Fairnburn (1995)) für Betroffene mit Essanfällen (N = 123: BES, Bulimia Nervosa (BN) und Betroffene mit Essanfällen, ohne eine Diagnose zu erfüllen) mit einer Standardbehandlung. Bei einer Nachbefragung nach zwölf Monaten wies das ASH-Programm mit 64.2 % eine signifikant höhere Abstinenzrate auf als die Standardbehandlung mit 44.6 %. Das ASH-Programm führte zudem zu einer stärkeren Verbesserung der allgemeinen Essstörungspathologie, der Depressivität und der Lebensqualität als die Standardbehandlung. Neben buchbasierten Selbsthilfeprogrammen erweisen sich internetbasierte Selbsthilfeansätze als wirksam, insbesondere bei bulimischen Essstörungen und der BES (Aardoom et al., 2013; Carrard, Crepin, Rouget, Lam, Golay, et al., 2011; Carrard, Crepin, Rouget, Lam, Van der Linden, et al., 2011; de Zwaan et al., 2017; de Zwaan et al., 2012). Das Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, ein buchbasiertes angeleitetes Selbsthilfeprogramm, basierend auf dem Therapiekonzept von Munsch und Kollegen (Munsch, Wyssen, & Biedert, 2018a) in einer Stichprobe aus der ambulanten klinischen Alltagspraxis zu evaluieren. Das 8-wöchige Programm mit drei Auffrischungssitzungen innerhalb von sechs Monaten nach Ende der aktiven Behandlungsphase wird hinsichtlich der kurz- und längerfristigen Wirksamkeit überprüft. Die primären Ergebnisvariablen sind die Reduktion der Anzahl wöchentlicher Essanfälle, Abstinenzrate (keine Essanfälle innerhalb des letzten Monats) und die Reduktion der Essstörungspathologie. Sekundäre Ergebnisvariablen sind der BodyMass-Index (BMI) und die allgemeine Psychopathologie (depressive und Angstsymptome). Des Weiteren wird das Programm hinsichtlich Patientenzufriedenheit und der subjektiv beurteilten Nützlichkeit evaluiert.
Methoden Stichprobe Die Rekrutierung der Patienten fand am Zentrum für Psychotherapie der Universität Fribourg (Schweiz) statt. Einschlusskriterien für die Studienteilnahme waren das Vorliegen der Diagnose einer subklinischen BES (BES von geringerer Häufigkeit und / oder begrenzter Dauer: andere näher bezeichnete Fütter- oder Essstörungen gemäss DSM-5; APA, 2013) oder voll ausgeprägten BES gemäss DSM-5 (APA, 2013), Alter zwischen 18 und 65 Jahren, so-
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wie die informierte Zustimmung, dass im Rahmen der Behandlung Daten zu Studienzwecken mit dem Ziel der wissenschaftlichen Evaluation des Programms erhoben werden. Ausschlusskriterien waren das Vorliegen eines anderen psychischen oder somatischen Krankheitszustands, welcher vorrangiger Behandlung bedurfte, die aktuelle Teilnahme an einer BES spezifische Therapie, sowie ungenügende deutsche Sprachkenntnisse oder fehlende Fertigkeiten oder Ausrüstung für die Benutzung eines E-Mail Programms zur Kommunikation mit der Behandlungsperson im Programm. Insgesamt nahmen 22 Patienten (21 weiblich, 1 männlich) am Behandlungsprogramm teil. Die Patienten meldeten sich am Zentrum für Psychotherapie aufgrund von Ausschreibungen und Werbung, die auf diese Behandlungsmöglichkeit hinwiesen. Es mussten keine Patienten zum Vorhinein oder nach der Diagnostik ausgeschlossen werden. Das mittlere Alter der Patienten betrug 35.82 Jahre (SD = 10.25). Die Natio nalitäten der Patienten waren Schweiz (n = 11), Deutschland (n = 10) und Italien (n = 1). 35 % hatten einen Hochschulabschluss, 25 % Matura / Abitur und 40 % eine Berufsehre oder obligatorische Schulbildung.
Ablauf und Studiendesign Die Studie wurde von der Ethikkommission des Departements für Psychologie der Universität Fribourg genehmigt und alle Patienten wurden vollumfänglich über die Studie informiert und gaben ihr schriftliches Einverständnis, bevor sie an der Studie teilnahmen. Das buchbasierte ASH-Programm wurde am Zentrum für Psychotherapie
als Behandlungsangebot bereitgestellt und im Rahmen der Qualitätssicherung evaluiert. Das Design der vorliegenden Studie beinhaltet eine Eigen-Warte-Kontrollgruppe. Nach der diagnostischen Abklärung absolvierten alle Patienten eine zweiwöchige Wartezeit, bevor sie mit dem ASH-Programm beginnen konnten. Das ASH-Programm beinhaltet acht manualisierte Sitzungen (vorgesehene Bearbeitungsdauer von ca. 60 Minuten pro Sitzung) im Abstand von 7 – 10 Tagen, sowie drei Auffrischungssitzungen 1, 3 und 6 Monate nach der 8. Sitzung. Der Inhalt der Sitzungen ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Jeder Patient wurde einer Behand lungsperson zugewiesen. Die Patienten erhielten von ihrer Behandlungsperson am Tag vor der Sitzung per E-Mail einen schriftlichen Leitfaden zur Sitzung mit Hinweisen zu den zu bearbeitenden Kapiteln aus dem Selbsthilfebuch (Munsch, Wyssen, & Biedert, 2018b) und dazugehörige Übungen und Arbeitsblätter. Nach jeder Sitzung schrieben die Patienten eine E-Mail an ihre Behandlungsperson mit den bearbeiteten Übungen, Erkenntnissen und offenen Fragen. Die Behandlungsperson formulierte innerhalb von drei Tagen eine schriftliche Rückmeldung dazu. Zu jeder Sitzung gab es eine Vorlage, die den Aufbau und den ungefähren Umfang der Rückmeldung vorgab. Es standen thematische Textbausteine zur Verfügung, die von den Behandlungspersonen für die Rückmeldungen verwendet werden konnten. Die Aufgabe der Behandlungspersonen war es, inhaltliche Schwerpunkte auf den Patienten abgestimmt auszuwählen, die Textbausteine zu individualisieren und in der Rückmeldung auf spezifische Fragen und Anliegen der Patienten einzugehen. Bei den Behandlungspersonen handelte es sich um Bachelor- und Master
Tabelle 1. Inhalt der Sitzungen. Inhalt Sitzung 1
Einführung ins Behandlungsprogramm; Psychoedukation zum Erscheinungsbild und der Diagnose der BES.
Sitzung 2
Entstehung und Aufrechterhaltung der BES; Individuelles Störungsmodell erstellen.
Sitzung 3
Einführung in die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der BES; Beginn der Selbstbeobachtung des Essverhaltens.
Sitzung 4
Einführung in die Zielerreichungsskala, Festlegung individueller Ziele; Erarbeitung eines regelmässigen Essverhaltens, Erstellung eines Mahlzeitenplans.
Sitzung 5
Einführung in die Problemanalyse mit dem ABC-Modell, Identifizieren von Auslösern der Essanfälle, Beschreiben des problematischen Verhaltens und dessen Konsequenzen.
Sitzung 6
Einführung in die Technik der Notfallkärtchen und Erarbeitung von Auslöserkontroll- und Reaktionskontrollstrategien.
Sitzung 7
Einführung ins kognitive Modell, Einfluss dysfunktionaler Gedanken auf Gefühle und Verhalten; eigene dysfunktionale Gedanken identifizieren und umstrukturieren; körperbezogenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen.
Sitzung 8
Standortbestimmung, Rückblick und Vorausblick, Antizipieren möglicher zukünftiger Schwierigkeiten, Umgang damit planen; langfristige Ziele definieren; Informationen zur Behandlung von Übergewicht/ Adipositas.
Auffrischungssitzungen
Rückblick auf vergangene Wochen, Besprechung aktueller Schwierigkeiten und Erfolge, Rückfallprophylaxe.
Anmerkung: Die vorgesehene Bearbeitungsdauer pro Sitzung betrug 60 Minuten. Zu jeder Sitzung erhielten die Patienten eine individualisierte Rückmeldung der Behandlungsperson.
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studierende in klinischer Psychologie an der Universität Fribourg sowie um postgraduierte Psychologen in Psy chotherapieausbildung. Abhängig vom Ausbildungsstand und der Erfahrung wurden die Behandlungspersonen mehr oder weniger intensiv von der Studienleitung angeleitet, unterstützt und supervisiert. Alle Behandlungspersonen wurden in der Durchführung des Behandlungs programms und Anleitung der Patienten geschult und nahmen an regelmässigen (2-wöchentlichen) Gruppen supervisionen am Zentrum für Psychotherapie der Universität Fribourg teil.
Datenerhebung und Messinstrumente BES Diagnose und komorbide Störungen. Zwei Wochen vor Behandlungsbeginn (Prä-Messung), eine Woche nach Behandlungsende (Post1-Messung) sowie nach der letzten Auffrischungssitzung (Post2-Messung) wurde zur Erhebung der BES Diagnose und komorbider Störungen nach DSM-5 (APA, 2013) das diagnostische Kurzinterview bei psychischen Störungen per Telefon durchgeführt (MiniDIPS; Margraf & Cwik, 2017). Zum Zeitpunkt der Erhebungen nach Behandlungsende (Post1-Messung) und nach den Auffrischungssitzungen (Post2-Messung) wurden nur noch jene Bereiche des Interviews abgefragt, die vor Behandlungsbeginn auffällig waren. Die Validität und Reliabilität des Mini-DIPS ist empirisch belegt (Margraf, 1994; Margraf, Cwik, Pflug, & Schneider, 2017). Alle Interviewer wurden in der Durchführung des Mini-DIPS geschult. Essstörungspathologie. Der Eating Disorder ExaminationQuestionnaire (EDE-Q ; Hilbert & Tuschen-Caffier, 2016) wurde zwei Wochen vor Behandlungsbeginn (Prä-Messung), bei Behandlungsende (Post1-Messung) und nach den Auf frischungssitzungen (Post2-Messung) von den Patienten im ASH-Programm ausgefüllt (Selbstberichtsfragebogen). Der EDE-Q erfasst die Anzahl objektiver Essanfälle in den letzten 28 Tagen (Essen einer objektiv außergewöhnlich großen Nahrungsmenge einhergehend mit dem Gefühl des Kontrollverlusts). Daraus wurde die Abstinenzrate bezüglich Essanfälle abgeleitet (keine Essanfälle innerhalb des letzten Monats). Zudem erfasst der EDE-Q auf vier Subskalen und einer Gesamtskala den Schweregrad verschiedener Aspekte der Essstörungspathologie (restriktives Essverhalten, Figursorgen, Gewichtssorgen, essensbezogene Sorgen). Die Reliabilität und Validität des EDE-Q wurden in verschiedenen Stichproben bestätigt (Hilbert, de Zwaan, & Braehler, 2012; Hilbert, Tuschen-Caffier, Karwautz, Niederhofer, & Munsch, 2007; Mond, Hay, Rodgers, Owen, & Beumont, 2004). Zusätzlich wurde wöchentlich vor den Sitzungen im ASH-Programm von den Patienten der Weekly Binges Questionnaire (WBQ ; Munsch et al., 2007) ausgefüllt. Dieser dient der Erfassung von selbstberichteten wöchent
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lichen Essanfällen mit Kontrollverlust und weiteren Kernmerkmalen der Essanfälle, sowie der Anzahl Tage mit regelmäßigem Essverhalten und ob auf Essanfälle mit Kompensationsverhalten reagiert wurde. Body Mass Index. Körpergröße und Gewicht wurden zwei Wochen vor Behandlungsbeginn (Prä-Messung), bei Behandlungsende (Post1-Messung) und nach den Auffrischungssitzungen (Post2-Messung) im Rahmen des MiniDIPS (Margraf & Cwik, 2017) und des EDE-Q (Hilbert & Tuschen-Caffier, 2016) erhoben. Der Body Mass Index (BMI) berechnet sich aus dem Gewicht in Kilogramm, dividiert durch die Körpergröße in Metern im Quadrat (kg / m2). Depressive- und Angstsymptomatik. Ebenfalls zwei Wochen vor Behandlungsbeginn (Prä-Messung), bei Behandlungsende (Post1-Messung) und nach den Auffrischungssitzungen (Post2-Messung) füllten die Patienten das Beck Depressions-Inventar (BDI-II; Hautzinger, Keller, & Kühner, 2006) und das Beck-Angst-Inventar (BAI; Margraf & Ehlers, 2007) aus, zwei gut etablierte Messinstrumente zur Erhebung der Schwere von depressiven- und Angstsymptomen. Zufriedenheit mit dem Selbsthilfeprogramm. Die Patienten beantworteten bei der Post2-Messung einen selbstent wickelten Fragebogen bestehend aus 9 Items zur Zufrieden heit mit der Behandlung.
Statistische Analysen Die primären Ergebnisvariablen zur Berechnung der Wirksamkeit des angeleiteten Selbsthilfeprogramms sind die Anzahl wöchentlicher Essanfälle, die Abstinenz von Essanfällen im vergangenen Monat und die allgemeine Essstörungspathologie (restriktives Essverhalten, Figursorgen, Gewichtssorgen, Essensbezogene Sorgen). Zu den sekundären Ergebnisvariablen gehört der BMI und die depressive- und Angstsymptomatik. Die Zufriedenheit mit dem Selbsthilfeprogramm wurde explorativ untersucht. Bis auf die Variable „wöchentliche Essanfälle“, für welche 15 Messzeitpunkte vorliegen, wurden die Ergebnisvariablen zu den drei Messzeitpunkten „Prä“ (vor Behandlungsbeginn), „Post1“ (nach aktiver Behandlungsphase) und „Post2“ (nach Auffrischungssitzungen) erhoben. Die Ergebnisvariablen wurden falls nötig transformiert, die Darstellung der Mittelwerte in Tabellen und Grafiken erfolgt in jenem Fall jedoch für die rücktransformierten Werte. Um die zeitlichen Verläufe der wöchentlichen Essanfälle zu ermitteln, wurde ein Mehrebenenmodell (linear mixed model) verwendet (Singer & Willett, 2003). Die zwei Ebenen stellen dabei die Patienten (obere Ebene) sowie die innerhalb der Patienten verwendeten Messzeitpunkte (untere Ebene) dar. Für die Analyse der Zielvariable „wöchentliche Essanfälle“ wurde ein diskontinuierliches Mehrebenenmodell verwendet, welches die Zeit in drei Abschnitte (Warte-
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zeit, aktive Behandlung und Auffrischungssitzungen) unterteilt. Für jede dieser drei Zeitabschnitte wurden dabei als feste Effekte jeweils ein linearer Verlauf der Zeit in Wochen geschätzt. Dieses Modell enthielt als zufällige Effekte ein Intercept sowie die beiden Steigungen für die aktive Behandlung und die Auffrischungssitzung. Das Mehrebenenmodell enthielt für alle andern Zielvariablen als einzigen festen Effekt die Zeitvariable als Faktor, wobei gleiche Kovarianzen („Compound Symmetry“) zwischen den drei Zeitpunkten Prä, Post1 und Post2 angenommen wurde. Zusätzlich wurden die drei Mittelwerte zwischen Prä-Post1, Prä-Post2 und Post1-Post2 miteinander verglichen, unter Verwendung der Tukey Anpassung für multiples Testen.
Ergebnisse Dropouts Fünf Patienten (22.7 %) beendeten das Behandlungsprogramm vorzeitig (Dropouts): zwei (9.1 %) während der aktiven Behandlungsphase, drei (13.6 %) weitere während den Auffrischungssitzungen.
Compliance und Zufriedenheit mit dem Programm Im Durchschnitt beschäftigten sich die Patienten pro Sitzung 75.89 Minuten (SD = 28.22) mit dem ASH-Programm. Auf einer Skala von 1 (trifft nicht zu) bis 5 (trifft voll und ganz zu) resultierte im Durchschnitt über alle Sitzungen hinweg ein Wert von 4.50 (SD = 0.47) bezüglich der Frage, wie sehr sich die Patienten beim Bearbeiten der Sitzung an den Leitfaden zum Aufbau und Inhalt der Sitzung gehalten haben.
Auf einer Skala von 0 – 100 betrug der Mittelwert der subjektiven Beurteilung des Programms („Wie zufrieden waren Sie insgesamt mit dem ASH-Programm?“) durch die Patienten 89.23 (SD = 16.40). Ein Mittelwert von 80.85 (SD = 24.73) resultierte auf der gleichen Skala hinsichtlich der Beurteilung der Patienten in welchem Ausmass sie vom Programm profitiert haben („Wie sehr haben Sie vom ASHProgramm bezüglich der Bewältigung Ihrer Ess störung profitiert?“).
Wirksamkeit der Behandlung Primäre Ergebnisvariablen Die Abstinenzrate stieg von 4.5 % bei der Prä-Messung auf 15 % bei der Post1- und 47.1 % bei der Post2-Messung an. Die Anzahl wöchentlicher Essanfälle wurde zu 15 Messzeitpunkten erhoben, was eine detailliertere Beobachtung der Veränderung der wöchentlichen Essanfälle währen drei Phasen ermöglicht (siehe Abbildung 1): Wartezeit (Prä-Messung bis und mit Sitzung 1), aktive Behandlungsphase (Sitzung 1 bis und mit Post1-Messung) und Auffrischungssitzungen (Post1Messung bis und mit Post2-Messung). Die Anzahl wöchentlicher Essanfälle reduzierte sich signifikant während der Wartezeit (b(40) = –.135, (SE = 0.06), p = .033) und während der aktiven Behandlungsphase (b(169) = –.067, (SE = 0.02), p = .001). Während den Auffrischungssitzungen bis zur Post2-Messung zeigt sich keine weitere signifikante Abnahme der Essanfälle mehr (b(59) = –.013, (SE = 0.01), p < .095). Während sich der Verlauf der wöchentlichen Essanfälle in der Wartezeit nicht vom Verlauf in der aktiven Behandlungsphase unterschied (p = .277), zeigte sich in der aktiven Behandlungsphase eine signifikant höhere Reduktion der Essanfälle als in den Auffrischungssitzungen (p = .021). Die Mittelwerte zur Prä-Messung, Post1-Messung und Post2Messung sind der Tabelle 2 zu entnehmen. Ebenfalls eine
Tabelle 2. Geschätzte Mittelwerte aus dem Mehrebenenmodell der primären und sekundären Ergebnisvariablen zu den drei Messzeitpunkten Prä, Post1 und Post2 mit Standardfehlern in Klammern. Prä (n = 22)
Post1 (n = 20)
Post2 (n = 17)
Primäre Ergebnisvariablen Abstinenzrate (%)*
4.5
WBQ Anzahl wöchentlicher Essanfälle
4.36 (–0.68 / 0.77)
15.0 1.30 (–1.06 / 1.95)
47.1 0.60 (–0.27 / 0.33)
EDE-Q Gesamtwert
3.70 (–0.20 / 0.18)
2.95 (–0.26 / 0.24)
2.52 (–0.30 / 0.28)
BMI
27.35 (–1.12 / 1.15)
27.58 (–1.13 / 1.16)
27.00 (–1.13 / 1.15)
BDI-II
14.02 (–2.52 / 2.77)
10.84 (–2.24 / 2.50)
8.23 (–1.99 / 2.27)
9.86 (–1.93 / 2.14)
9.47 (–1.91 / 2.13
6.22 (–1.56 / 1.78)
Sekundäre Ergebnisvariablen
BAI
Anmerkungen: WBQ = Weekly Binges Questionnaire; EDE-Q = Eating Disorder Examination-Questionnaire; BMI = Body-Mass-Index; BDI-II = Beck- Depressions-Inventar II; BAI = Beck-Angst-Inventar. *Die Abstinenzrate ist definiert als das Ausbleiben von Essanfällen während des vergangenen Monats.
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Abbildung 1. Zeitlicher Verlauf der Anzahl wöchentlicher Essanfälle während der Wartezeit, der aktiven Behandlung und den Auffrischungssitzungen. Es handelt sich um geschätzte Werte aus einem Mehrebenenmodell, wobei diese zurücktransformiert wurden. Aus diesem Grund sind Verläufe innerhalb der einzelnen Zeitabschnitte ganz leicht nicht linear. Beachte: WBQ = Weekly Binges Questionnaire, AS 1 = Auffrischungssitzung 1 (1 Monat nach Sitzung 8), AS 2 = Auffrischungssitzung 2 (3 Monate nach Sitzung 8), AS 3 = Auffrischungssitzung 3 (6 Monate nach Sitzung 8). Die drei Zeitphasen setzen sich aus folgenden Messzeitpunkten zusammen: Wartezeit (Prä-Messung bis und mit Sitzung 1), aktive Behandlungsphase (Sitzung 1 bis und mit Post1-Messung) und Auf frischungssitzungen (Post1-Messung bis und mit Post2-Messung).
signifikante Reduktion zeigte sich hinsichtlich der allgemeinen Essstörungspathologie im EDE-Q Gesamtwert von der Prä-Messung zur Post1-Messung (p = .014) respektive Post2Messung (p = .0005). Die Abnahme des EDE-Q Gesamtwerts von der Post1-Messung zur Post2-Messung war nicht signifikant (p = .368) (siehe Tabelle 2 für die Mittelwerte zu den einzelnen Messzeitpunkten). Sekundäre Ergebnisvariablen Beim BMI zeigten sich von der Prä-Messung zur Post1Messung (p = .798) respektive Post2-Messung (p = .627) keine signifikanten Veränderungen. Weder die BDI noch die BAI Werte reduzierten sich signifikant von der PräMessung bis zur Post1-Messung (p = .191, p = .940). Der BAI Wert verzeichnete eine signifikante Reduktion von der Post1-Messung zur Post2-Messung (p = .014), im Gegensatz zum BDI (p = .275). Über den Gesamtverlauf betrachtet (Prä-Messung bis Post2-Messung) verzeichneten allerdings beide Werte eine signifikante Abnahme (BDI: p = .007, BAI: p = .006). Die Mittelwerte zu den drei Messzeitpunkten sind der Tabelle 2 zu entnehmen.
Diskussion Das Ziel der vorliegenden Studie bestand in einer ersten Evaluation der kurz- und längerfristigen Wirksamkeit eines buchbasierten ASH-Programms zur Therapie der
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BES (Munsch et al., 2018b) basierend auf dem Therapiemanual von Munsch und Kollegen (Munsch et al., 2018a) in einem ambulanten psychologisch-psychotherapeutischen Behandlungssetting. Es konnte festgestellt werden, dass das ASH-Programm von den Patienten sehr positiv bewertet wurde (hohe selbstberichtete Zufriedenheit mit dem Programm) und dass die Compliance (erfasst anhand der von den Patienten investierten Zeit pro Sitzung und anhand dessen, wie sehr sich die Patienten an den Leitfaden zu den Sitzungen hielten) hoch war. Die Dropout-Rate von 9.1 % während der aktiven Behandlungsphase erwiese sich als vergleichbar bzw. etwas geringer als jene anderer ASH-Programme, wie z. B. dem Programm von Grilo und Masheb (2005), in dem die Dropout-Rate 13 % betrug. Die gesamte DropoutRate bis zur letzten Auffrischungssitzung war dagegen mit 22.7 % höher als im ursprünglichen Gruppenpsychotherapieprogramm (Munsch et al., 2018a), welches eine Dropout-Rate von 13.2 % verzeichnete (Schlup et al., 2009). Dies kann darauf hinweisen, dass im vorliegenden Selbsthilfesetting, in welchem der direkte Kontakt zur Behandlungsperson primär über einen schriftlichen Kontakt bestand, die Hemmschwelle zur vorzeitigen Beendigung des Behandlungsprogramms aufgrund der höheren Anonymität tiefer ist als in einer herkömmlichen Therapie in direktem Kontakt, wo sich P atienten von einer Sitzung formal abmelden müssen. Der geringe finanzielle Aufwand, den die Patienten als Pauschalbetrag für das ASH-Programm zu leisten hatten, könnte ebenfalls ein Grund für eine höhere Dropout-Rate sein. Vielfach erforscht und gut bestätigt ist, dass die therapeutische Beziehung ein bedeutsamer Faktor ist, der Dropout-Raten vorhersagt (Roos & Werbart, 2013). Erste Ergebnisse aus den nach jeder Sitzung im ASH-Programm von den Patienten ausgefüllten Stundenbogen weisen jedoch darauf hin, dass der Aufbau einer stabilen therapeutischen Beziehung gelungen ist. Durch das vorliegende ASH-Programm reduzierte sich die Anzahl der Essanfälle über den gesamten Studienverlauf deutlich von durchschnittlich fast 4.4 auf ca. 0.6 Essanfälle pro Woche zum Zeitpunkt 6 Monate nach Beendigung der Sitzung 8 (d = 1.72). Interessanterweise zeigte sich dabei bereits in der zweiwöchigen Wartezeit eine signifikante Reduktion der Anzahl Essanfälle, die gleich stark ausfiel, wie während der aktiven Behandlungsphase. Dies könnte auf eine positive Erwartungshaltung in Anbetracht des kurz bevorstehenden Starts des ASH-Programms zurückzuführen sein (vgl. dazu z. B. Greenberg, Constantino, & Bruce, 2006; Linden, 2017; Rief & Glombiewski, 2016; Wampold, 2015). Es kann vermutet werden, dass die aktive Entscheidung der Patienten am ASH-Programm teilzunehmen, wie auch das am Telefon durchgeführte diagnostische Interview mit der Behandlungsperson therapeutisch wirksame Prozesse angestoßen haben, wie der Aufbau po-
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sitiver Erwartungen hinsichtlich des Therapieerfolgs, die Induktion von Hoffnung auf eine Besserung durch die begonnene Therapie sowie der Einstieg in die therapeutische Beziehung. All dies sind bestätigte unspezifische Wirkfaktoren, die unabhängig von störungs- oder symptomspezifischen Behandlungsinhalten zum Therapieerfolg beitragen können (Greenberg et al., 2006; Linden, 2017; Rief & Glombiewski, 2016; Wampold, 2015). Es ist jedoch zu beachten, dass in die Berechnung der Wartezeit lediglich 3 Messzeitpunkte einbezogen wurden, während es in der aktiven Behandlungsphase 9 Messzeitpunkte waren. Die Berechnung des Verlaufs in der Wartezeit ist also weniger reliabel und sollte in Anbetracht der kleinen Stichprobe mit Vorbehalt interpretiert werden. Eine weitere signifikante Reduktion der Essanfälle auf durchschnittlich 1.3 pro Woche stellte sich bis zum Ende der aktiven Behandlungsphase (Post1-Messung) ein. Während den Auffrischungssitzungen bis zur Post2Messung nahm die Anzahl wöchentlicher Essanfälle tendenziell weiter ab, auch wenn diese Abnahme nicht signifikant war. Daraus kann auf eine zufriedenstellende Übertragung und selbstständige Aufrechterhaltung der erreichten Veränderungen im Alltag der Patienten geschlossen werden. Das Ausmaß der Reduktion der Essanfälle ist vergleichbar mit anderen Studien. Die Abstinenzrate von 15 % am Ende der aktiven Behandlungsphasen liegt jedoch teils deutlich unter den Abstinenzraten anderer ASH-Programme (Grilo & Masheb, 2005; Striegel-Moore et al., 2010; Wilson, Wilfley, Agras & Bryson, 2010) und unter jener aus dem herkömmlichen Gruppen- und Einzelsetting (z. B. Grilo, Masheb, Wilson, Gueorguieva & White, 2011; Munsch et al., 2007; Wilfley et al., 2002). Sie sind aber mit jenen Abstinenzraten vergleichbar, die in der Studie von Schlup und Kollegen (2009) gefunden wurden, die das vorliegende Behandlungsmanual im Gruppensetting getestet haben. Die Unterschiede in den Abstinenzraten zwischen den Studien könnte durch eine unterschiedliche Behandlungsdauer und Unterschiede im methodischen- und statistischen Vorgehen erklärt werden. Zudem wurden im vorliegenden ASH-Programm auch Patienten mit subklinischer BES (andere näher bezeichnete Fütter- oder Essstörungen gemäss DSM-5; APA, 2013) aufgenommen, so dass die Abstinenzrate (keine Essanfälle im letzten Monat) bereits zur Prä-Messung 4.5 % betrug. Aus wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass die Anzahl Essanfälle mit dem Leidensdruck und dem Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung bei Betroffenen der BES zusammenhängt (Mitchison et al., 2018). Selbst wenn ein Großteil der Teilnehmer des vorliegenden ASH-Programms nach Beendigung des Programms weiterhin Essanfälle erlebt und damit keine Vollremission der BES eingetreten ist, kann die Reduktion der Anzahl Essanfälle eine bedeutsame © 2019 Hogrefe
Reduktion des Leidensdrucks und Steigerung des Funktionsniveaus bewirken (Mitchison et al., 2018). Das zeigt sich dadurch, dass sich im vorliegenden ASHProgramm einerseits neben der Anzahl Essanfälle auch die allgemeine Essstörungspathologie (restriktives Ess verhalten, Figursorgen, Gewichtssorgen, essensbezogene Sorgen) bis zum Ende der aktiven Behandlung deutlich reduziert hat und längerfristig stabilisiert werden konnte. Andererseits haben auch die moderat ausgeprägten depressiven- und Angstsymptome zur Prä-Messung über den gesamten Verlauf betrachtet bis zur Post2-Messung signifikant abgenommen, so dass die Patienten 6 Monate nach Beendigung des ASH-Programms keine klinisch auffälligen Werte mehr berichtet haben. In Übereinstimmung mit bisherigen Therapiestudien zur Behandlung der BES, unabhängig vom Setting, ergaben sich im BMI keine signifikanten Änderungen während der aktiven Behandlungsphase (Fischer et al., 2014; Grilo & Masheb, 2005; Schlup et al., 2009; Striegel-Moore et al., 2010; Vocks et al., 2010). Studien, die den Verlauf des BMI über längere Katamnesen von einem bis zu 6 Jahren nach einer BES-Behandlung untersuchten, konnten eine leichte Abnahme des BMI um ca. 5 % feststellen (Fischer et al., 2014; Munsch, Meyer & Biedert, 2012a; Ricca et al., 2010). Die ausbleibende Veränderung des BMI in den Auffrischungssitzungen des vorliegenden ASH-Programms könnte dadurch erklärt werden, dass die Katamnesephase von 6 Monaten nach Behandlungsende zu kurz war, um Änderungen im BMI feststellen zu können. Die Ergebnisse bestätigen, dass durch die Behandlung der BES zwar keine kurzfristige Gewichtsreduktion während der aktiven Behandlungsphase erreicht, dass aber auch mit einem ASHProgramm das Gewicht kurz- und längerfristig stabilisiert werden kann. Diese Gewichtsstabilisierung ist ein wichtiges Behandlungsergebnis hinsichtlich der längsschnitt lichen Assoziation zwischen der BES und einer stetigen Gewichtszunahme (z. B. Fairburn, Cooper, Doll, Norman, & O'Connor, 2000; Sonneville et al., 2013). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie müssen in Anbetracht einiger Limitationen interpretiert werden. Erstens sind die Validität und Aussagekraft durch die kleine Stichprobe eingeschränkt. Zweitens bestand die Stichprobe fast ausschliesslich aus Frauen, was keine Generalisierung auf Männer erlaubt. Drittens wurden aufgrund der natürlich klinischen Rahmenbedingungen und um die Machbarkeit der Studie zu erhöhen, auch Patienten eingeschlossen, die zwar keine essstörungsspezifische Therapie erhielten, aber sich sonst in psychotherapeutischer Behandlung befanden. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirksamkeitsbefunde des ASH-Programms von anderen Behandlungsansätzen beeinflusst worden sind, insbesondere während den Auffrischungssitzungen. Viertens wurde in der vorliegenden Studie kein
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RCT (randomized controlled trial) Studiendesign verwendet, sondern ein Eigen-Warte-Kontrollgruppen Design, weshalb beispielsweise nicht für die natürliche Remission der BES Symptome oder unspezifische Wirkfaktoren kontrolliert werden konnte. Fünftens wurden nur selbstberichtete Daten erhoben, weshalb insbesondere beim BMI mit Verzerrungen gerechnet werden muss. Insgesamt zeigt sich aber, dass das vorliegende ASHProgramm wirksam ist bezüglich der Reduktion der Anzahl der Essanfälle und der Essstörungspathologie, wobei sich längerfristig auch positive Effekte auf die allgemeine Psychopathologie (depressive- und Angstsymptomatik) zeigen. Durch die Unabhängigkeit von Ort und Zeit, sind ASH-Programme sinnvolle und wirksame Ergänzungen zu herkömmlichen Behandlungsangeboten, da sie die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Behandlungsangeboten erhöhen und somit positiv zur psychotherapeutischen Versorgungssituation beitragen können. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen damit die Sinnhaftigkeit einer schrittweisen Behandlung im Sinne des „stepped care“ Ansatzes, wie er von NICE (2017) empfohlen wird.
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CME-Fragen 1. Die Binge-Eating-Störung (BES) ist eine weitver breitete Störung. Sie tritt in der Allgemeinbevölke rung von allen Essstörungen am häufigsten auf. Welche weitere Aussage zur Epidemiologie und Ätiologie der BES ist richtig? a. Das Ersterkrankungsalter liegt bei den meisten Patienten in der Kindheit. b. Beim Beginn der BES kann es zuerst primär zu Essanfällen kommen (z. B. emotionales Essen) oder Essanfälle folgen nach / während einer stark restriktiven Phase (z.B. Kontrolldurchbruch aufgrund von Diäthalten). c. Die BES ist zwar eine schwerwiegende Belastung für Betroffene, jedoch dauert die Störung meist nicht lange an (die durchschnittliche Erkrankungsdauer beträgt ca. 1 Jahr). d. Es sind deutlich weniger Männer als Frauen von der BES betroffen. e. Über die ätiologischen Zusammenhänge der BES weiss man wenig. Es wird primär eine genetische Veranlagung vermutet. 2. Welches der genannten Merkmale unterscheidet die Binge-Eating-Störung (BES) von der Bulimia Nervosa (BN)? a. Im Gegensatz zur BN sind Patienten mit einer BES immer übergewichtig. b. Betroffene einer BES leidet nicht unter Körperbild sorgen, während dies ein Hauptmerkmal und diagnostisches Kriterium bei der BN ist. c. Bei Patienten mit einer BN folgen auf Essanfälle Gegenmassnahmen (z. B. selbstherbeigeführtes Erbrechen) um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken. Dies ist bei der BES nicht regelmässig der Fall. d. Der Leidensdruck, welcher durch die Essstörung entsteht, ist bei Patienten mit einer BES geringer als bei Patienten mit einer BN. e. Während die Anzahl der Essanfälle bei der BN die Beeinträchtigung der Betroffenen erhöht, gibt es diesen Zusammenhang bei der BES nicht. 3. Welche der Aussagen zum „stepped care“ Ansatz ist korrekt? a. „Stepped care“ bedeutet, dass ein Patient selbstständig die nötigen Schritte einleitet, um eine Behandlung zu erhalten.
b. Unter „stepped care“ versteht man die stufenweise Reduktion der Intensität einer Behandlung. c. „Stepped care“ wird als Begriff in der Psychotherapie nicht verwendet; es handelt sich um ein Konzept aus der Medizin. d. Der „stepped care“ Ansatz im Gesundheitsversorgungssystem sieht vor, dass ein Patient stufenweise so viel Unterstützung / Therapie erhält, wie nötig ist. Dabei wird im Sinne der Ressourceneffizient mit niederschwelligen Behandlungsangeboten begonnen. e. Das Hauptmerkmal des „stepped care“ Ansatzes ist, dass der Patient selbst bestimmt, welche Art und Intensität der Behandlung er möchte. 4. Angeleitete Selbsthilfeprogramme zur Behandlung der Binge-Eating-Störung (BES) … a. … sind bisher weitestgehend unerforscht. b. … dürfen nicht als alleinige Behandlung angeboten werden, sondern müssen immer in Kombination mit einer psychopharmakologischen oder einer psychotherapeutischen Behandlung angeboten werden. c. … sind nur für Kinder und Jugendliche geeignet. d. … führen bei Betroffenen einer BES mit Komorbidität höchstwahrscheinlich zu einer Verschlechterung des Zustandsbilds. e. … sind eine mögliche Alternative zu einem herkömm lichen Behandlungsangebot und weisen in empirischen Studien eine gute Wirksamkeit auf. 5. Welche der folgenden Aussagen zu den Behand lungsmöglichkeiten der Binge-Eating-Störung (BES) ist korrekt? a. Die beste empirische Evidenz zur Behandlungs wirk samkeit liegt bislang für die Kognitive Verhaltenstherapie und die Interpersonelle Psychotherapie vor. b. Mit Psychotherapie können nur sehr geringe Remissionsraten von max. 15 % erreicht werden. c. Die Leitlinien zur Behandlung der BES empfehlen eine psychopharmakologische Behandlung. d. Gruppenpsychotherapien sind bei der BES aufgrund der hohen Stigmatisierung und des Modelllernens nicht empfehlenswert. e. Kinder mit einer BES müssen nicht behandelt werden, die Störung wächst sich in den allermeisten Fällen aus.
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Um Ihr CME-Zertifikat zu erhalten (mind. drei richtige Antworten) schicken Sie bitte den ausgefüllten Frage bogen mit einem frankierten Rückumschlag bis zum 13.02.2019 an die untenstehende Adresse. Später eintreffende Antworten können nicht mehr berücksichtigt werden.
Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 28359 Bremen Deutschland fpeterm@uni-bremen.de
Fortbildungszertifikat Die Ärztekammer Niedersachsen erkennt hiermit 2 Fortbildungspunkte an.
«Binge-Eating-Störung» Die Antworten bitte deutlich ankreuzen! 1
Stempel Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 01/2019
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Ich versichere, alle Fragen ohne fremde Hilfe beantwortet zu haben. Name Berufsbezeichnung, Titel Straße, Nr. PLZ, Ort Datum Unterschrift
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Interview
Transfer von Wissenszuwachs in die klinische Praxis: Möglichkeiten und Hürden, heute und morgen? Interview mit Prof. Dr. med. Gabriella Milos
Prof. Dr. med. Gabriella Milos, Klinik für Konsiliarpsychiatrie und Psychosomatik, Zentrum für Essstörungen, UniversitätsSpital Zürich, Culmannstr. 8, 8091 Zürich, Schweiz
Es wird immer wieder auf die Relevanz hingewiesen, evidenzbasierte Therapien wie die moderne Kognitive Verhaltenstherapie (im traditionellen Setting oder als geleitete Selbsthilfe), die Interpersonale Therapie oder die dialektisch behaviorale Therapie für bulimische Ess störungen sowie für die Binge-Eating-Störung in die klinische Praxis zu implementieren. Für die Anorexia nervosa liegt weniger systematische Evidenz vor und erste vergleichende Untersuchungen ergeben bisher wenig Hinweise auf die Überlegenheit eines spezifischen Ansatzes. Wissenstransfer findet bisher in Europa und den USA nur unzureichend statt. Als mögliche Ursachen wird eine negative Einstellung praktisch tätiger Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen gegenüber evidenzbasierter Therapie angeführt. Diese wird meist darin begründet, dass überprüfte standardisierte Ansätze im klinischen Setting nicht einsetzbar oder nicht effektiv sind oder dass
diese nicht mit dem persönlichen klinischen Stil der Behandlungspersonen übereinstimmen. Als Maßnahmen zur Verbesserung des bisher begrenzten Zugangs zu evidenzbasierter Psychotherapie wird von den Autoren ein adäquates Training einer grösseren Zahl von Psychothe rapeuten angeführt. Dieses Training sollte nicht nur die Vermittlung der Inhalte und Techniken, sondern auch die Unterstützung bei der Implementierung der Inhalte be inhalten. Zudem könnte die vermehrte Empfehlung von geleiteten Selbsthilfeangeboten zu einer Verbesserung des direkten Wissenstransfers führen. Lilienfeld und Kollegen (Lilienfeld et al., 2013) sowie auch Cooper & Bailey-Straebler (2015) weisen auf die Relevanz hin, evidenzbasierte Therapien wie die moderne Kognitive Verhaltenstherapie (im traditionellen Setting oder als geleitete Selbsthilfe), die Interpersonale Therapie oder die dialektisch behaviorale Therapie für bulimische Essstörungen sowie für Binge-Eating-Störung in die klinische Praxis zu implementieren. Für die Anorexia nervosa liegt weniger systematische Evidenz vor und erste vergleichende Untersuchungen ergeben bisher wenig Hinweise auf die Überlegenheit eines spezifischen Ansatzes (Zipfel et al., 2014). Gemäss Lilienfeld und Kollegen sowie Cooper und Bailey-Straebler findet dieser Wissenstransfer bisher in Europa und den USA nur unzureichend statt. Als mögliche Ursachen wird eine negative Einstellung praktisch tätiger Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen gegenüber evidenzbasierter Therapie angeführt. Diese wird meist darin begründet, dass überprüfte standardisierte Ansätze im klinischen Setting nicht einsetzbar oder nicht effektiv sind oder dass diese nicht mit dem persönlichen klinischen Stil der Behandlungspersonen übereinstimmen. Als Massnahmen zur Verbesserung des bisher begrenzten Zugangs zu evidenzbasierter Psychotherapie wird von den Autoren ein adäquates Training einer grösseren Zahl von Psychotherapeuten angeführt. Dieses Training sollte nicht nur die Vermittlung der Inhalte und Techniken, sondern auch die Unterstützung bei der Implementierung der Inhalte beinhalten. Zudem könnte
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die vermehrte Empfehlung von geleiteten Selbsthilfeangeboten zu einer Verbesserung des direkten Wissenstransfers führen. Mit Frau Prof. Dr. med. Gabriella Milos, Zentrum für Essstörungen Zürich, Schweiz beantwortet eine langjährige klinische Expertin und Wissenschaftlerin die folgenden Fragen in der Diskussion mit Frau Prof. Dr. phil. Simone Munsch, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Universität Fribourg, Schweiz.
Einführung und Rückblick Gabriella, wie kamst du mit dem Thema Essstörungen in Berührung und wie verlief deine Aus- und Weiterbildung? Ich bin zufällig auf den Bereich Essstörungen gestoßen. Die Idee, eine spezifische Behandlung für Menschen mit diesen Erkrankungen zu entwickeln, stammt von P rofessor Jürg Willi, dem Direktor der Psychiatrischen Poliklinik am Universitätsspital Zürich, wo ich arbeitete. Er hatte die Vision, eine spezialisierte Einrichtung zu gründen. Auf seine Empfehlung konnte ich in zwei für Essstörungen konzipierten Abteilungen in Löwen und Kortenberg (Belgien) hospitieren. Anschliessend war ich an einem europäischen Forschungsprojekt zu Essstörungen beteiligt und erhielt dadurch vermehrt die Möglichkeit, andere Institutionen zu besuchen. Gleichzeitig hat es mir sehr geholfen, an essstörungsspezifischen Kongressen im Ausland teilzunehmen und mich mit Fachleuten, die langjährige klinische Erfahrung hatten, auszutauschen; ein solcher Austausch war damals in der Schweiz kaum möglich. Seit wie vielen Jahren arbeitest du bereits klinisch und wissenschaftlich im Bereich der Essstörungen und welches sind deine Tätigkeitsfelder? Ich bin bereits seit mehr als 20 Jahren im Bereich der Essstörungen tätig. Meine Arbeit besteht aus einer regen klinischen Tätigkeit, die immer auch inspirierend für wissenschaftliche Fragestellungen ist. Auch Lehre, Forschung und Konzeptentwicklung gehören zu meinen alltäglichen Aktivitäten. Wenn du auf den Beginn deiner klinischen Tätigkeit zurückblickst, wie wurde in deiner Ausbildungszeit der Wissenstransfer aus der Forschung in die Klinik gewährleistet? Mein Eindruck ist, dass allgemein innerhalb der Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie der Wissenstransfer aus der Forschung in die Klinik nicht optimal funktioniert. Als ich meine Ausbildung begann, fand ein solcher Transfer im Bereich der Essstörungen beinahe gar nicht statt. Erst als ich © 2019 Hogrefe
spezifische Kurse besuchte, Mitglied der Eating Disorder Reearch Society (ERDS) wurde und regelmäßig an Kongressen teilnahm, fand bei mir ein rapider Wissenszuwachs statt, den wir auch in unser klinisches Konzept zu integrieren versuchten. Ich möchte hier sagen, dass leider – obwohl die Situation sich in den letzten Jahren leicht gebessert hat – immer noch ein grosses Unverständnis für die Erkrankung der Essstörungen besteht. Dies betrifft nicht nur die Bevölkerung, sondern auch Fachpersonen. Es bestehen immer noch viele Vorurteile und sehr oft werden Anorexia und Bulimia nervosa und die Binge-Eating-Störung entweder bagatellisiert oder als nicht behandelbar dargestellt. An Essstörungen, wie z. B. schweren Formen der Anorexie oder an schwerer Adipositas haftet das Stigma der „selbstverschuldeten“ Erkrankung, was die Haltung gegenüber den Erkrankten innerhalb der Gesellschaft und innerhalb der Fachwelt negativ beeinflusst. Damit ein Wissenstransfer aus der Forschung in die Klinik stattfindet, müssen – als erste Voraussetzung – die Essstörungen und deren Folgen ernst genommen und deren Behandelbarkeit erkannt werden. Wie wurde zu deiner Ausbildungszeit neues klinisches Wissen in Forschungsfragen integriert? Als ich meine Ausbildung begann, fand ein Transfer aus der Klinik in die Forschung nur selten und nur sehr begrenzt statt. Meiner Meinung nach lassen sich klinisches und Forschungsinteresse nicht trennen: Wenn man sich intensiv mit Patienten mit einer schweren Psychopathologie auseinandersetzt, kann es nicht anders sein, als dass wissenschaftliche Fragen entstehen. Dies gilt auch für die Therapie von Menschen mit Essstörungen. Im Austausch mit unserem – sehr erfahrenen – Pflegeteam entstehen häufig interessante Fragestellungen, in der Klinik ist es jedoch leider häufig problematisch, die zeitlichen und finanziellen Ressourcen zu finden, um klinische Probleme in Forschungsprojekte zu transferieren und zu untersuchen.
Hürden heute und morgen Welches ist deine Einstellung zur Forderung, evidenzbasiertes Wissen in den klinischen Alltag zu implementieren? Es ist essentiell, dass evidenzbasierte Wissen in den klinischen Alltag zurückfliesst. Es bräuchte eine entsprechende didaktische Infrastruktur, um dieses Wissen zu implementieren, was im Bereich der Essstörungen ungleich in anderen Bereichen psychischer Störungen, wie z. B. der Behandlung depressiver oder Angststörungen oder Störungen aus dem Schizophreniespektrum, praktisch nicht vorhanden ist. All die ist zum Nachteil der Betroffenen.
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Welche hauptsächlichen Schwierigkeiten bezüglich des Forschungs-Praxis-Transfers siehst du heute in deinem Alltag? Was hörst du von medizinischen und psychologischen Assistenten, Praktikern etc.? Die Schwierigkeiten liegen vor allem im beschränkten Wissen über die Phänomenologie, Psychopathologie und die breite somatische und psychische Komorbidität von Essstörungen sowie in mangelndem Wissen bezüglich der therapeutischen Möglichkeiten. Gesunde Ernährung, Bewegung, Figur, Leistung sind wichtige Inhalt der modernen Gesellschaft. Die Grenzen zwischen gesund und krank sind oft fliessend, dies erschwert die Identifikation und Einschätzung der Behandlungsbedürftigkeit von Essstörungen. Diese fehlende Information führt dazu, dass sich Kolleginnen und Kollegen aus der Psychiatrie und Psychologie oft scheuen, Menschen mit Essstörungen zu behandeln. Es ist wichtig, anzumerken, dass es tatsächlich sehr schwierig bis unmöglich ist, Schwerkranke alleine in der Praxis zu behandeln. In solchen Fällen muss die Behandlung und die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden: So kann z. B. die Prüfung des somatischen Zustands bei dem Hausarzt erfolgen, während, die Ernährung bei der Ernährungsberatung thematisiert wird. Die Psychotherapie soll bei einer Psychiaterin oder Psychologin erfolgen. Zusätzlich braucht es fachspezifische Supervision. Das Management von solchen Behandlungen ist komplex und zeitaufwendig. Um dies zu lernen braucht es eine didaktische Infrastruktur, die momentan fehlt. Entsprechende Gremien könnten den Respekt vor der Behandlung dieser Krankheiten, die als schwierig und gefährlich gilt, reduzieren. Wichtig ist es, die neue Generation an Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen zu gewinnen, um Essstörungen besser zu erkennen, zu verstehen und vorurteilslos zu behandeln. Ich erlebe, dass vor allem junge Kollegen grosses Interesse am neuen Lernen haben. Was ist für dich kritischer in Bezug auf die Dissemination evidenzbasierter Techniken: die Einstellung der Praktiker oder die mangelnde Verfügbarkeit gut trainierter Psychotherapeuten? Auf die Schweiz bezogen ist beides ein Problem. Es braucht vor allem Ausbildungsstrukturen, um Fachpersonen zum Thema zu sensibilisieren und zu trainieren. Zielgruppen wären Hausärzte, Internisten, Psychiater, Psycho logen und andere involvierte Fachpersonen. Ein Thema der Sensibilisierung müsste meiner Meinung nach den Umgang mit dem Körperkult im Alltag und die Akzeptanz der Individualität des Körpers, Gewichts und Aussehens betreffen. Hier ist noch viel (auch präventive) Arbeit zu tun. Zu oft wird gut gemeinter aber ebenso schädlicher Druck auf normalgewichtige und leicht übergewichtige Menschen ausgeübt, ein deutlich tieferes Körpergewicht zu erreichen. Weiter scheint eine gesunde Ernährung und
ausreichend Bewegung zum moralischen Anspruch und nicht zur Selbstverständlichkeit zu werden. Diese Entwicklungen schaden vor allem jungen Menschen, bei denen sich im Verlauf der Pubertät der Körper rasch und unkontrollierbar verändert. Haben Praktiker den Eindruck, dass die von ihnen erlebten Schwierigkeiten von der Forschung aufgenommen und berücksichtigt werden? Ich erlebe leider eine Kluft zwischen Fachpersonen, die in der Praxis sind und der Forschung. Dies ist sehr schade, denn, wer in der Praxis arbeitet, kennt die relevanten Probleme und Fragestellungen und davon können alle profitieren. Auch ist es wichtig, dass dieser Austausch institutionalisiert wird und nicht auf Freiwilligkeit beruht. Gibt es politische Hürden, die Kluft zwischen Forschung und Klinik zu überwinden? Ja, die gibt es. Spezialisierte Einrichtungen zur Behandlung oder Forschung bei Essstörungen sind noch immer selten. Die Versorgungspolitik für diese Erkrankungen ist zu wenig umfassend geplant und die Entwicklungen sind oft beliebig. Das zu geringe Verständnis über die Störung ist auf vielen Ebenen wie dem Gesundheitssystem, Behörden, Krankenversicherer präsent. Am Vergleich zwischen Anorexia nervosa und Schizophrenie kann man sehen, wie diese schweren Erkrankungen vom Gesundheitssystem unterschiedlich wahrgenommen und behandelt werden. Die Lebenszeitprävalenz der Anorexia nervosa bei Frauen zwischen 15 und 60 Jahren liegt bei ca. 1 %, die Lebenszeitprävalenz für die Schizophrenie ist etwas niedriger. Beide Erkrankungen können einen chronischen Verlauf nehmen oder episodisch rezidivierend verlaufen. Beide Erkrankungen können nach Behandlung in eine vollständige oder in eine partielle Remission übergehen oder bereits bei jungen Menschen zur Invalidität führen. Wenn man die Zahl der Einrichtungen für betrachtet, ist es frappant wie wenig Behandlungsplätze und Einrichtungen es für die Therapie der Anorexie im Vergleich zur Behandlung der Schizophrenie gibt. Warum gibt es diese Unterschiede? Sehr wahrscheinlich spielt dabei eine Rolle, dass Menschen, die an einer Störung aus dem Schizophreniespektrum leiden, auffällig sind und ohne Behandlung aus sozialen Bezügen herauszufallen drohen, während Menschen, die an einer Anorexie leiden, häufig lange noch leistungsfähig, angepasst und „unauffällig“ bleiben. Ist das Selbststigma psychischer Störungen eine Hürde? Gehen Betroffene lieber zur Akupunktur als zur evidenzbasierten Psychotherapie?
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Ja, Menschen, die an einer Essstörung leiden denken, selber aus dem Problem herauskommen zu können und versuchen dies häufig jahrelang ohne professionelle oder inadäquate bzw. zu wenig störungsspezifische Massnahmen. Das führt oft zu einer längeren Erkrankungsdauer und zu einer grossen Gefahr der Chronifizierung und der Invalidisierung bis zum Todesfall. Welche Rolle spielen Berufsverbände oder Expertennetzwerke? Spezifische Berufsverbände für Essstörungen in der Schweiz sind noch zu wenig etabliert. Diese sollen stärker wahrgenommen werden. Auch andere Schweizer Berufsverbände haben in meinen Augen das Problem der Essstörungen zu wenig erkannt.
Möglichkeiten heute und morgen Welche Rolle spielen Internet-basierte Programme, Messenger Systeme für dich bei der Dissemination evidenzbasierter Programme? Internet-basierte Programme sind eine gute Option, auch weil der Problematik der Scham Rechnung getragen wird. Diese Programme sind vor allem wirksam bei Binge-Eating-Störung und Bulimie und leider weniger bei der Anorexia nervosa. Diese modernen Behandlungsansätze können die Schwelle der Inanspruchnahme verringern, da die Distanz zum Therapeuten oder zur Institution keine Rolle spielt. Die Indikation zu Internet-basierte Therapien muss jedoch genauso vorsichtig erfolgen wir zur Behandlung im traditionellen persönlichen Setting. Zudem ist es wichtig, dass Fachpersonen den Betroffenen beistehen und bemerken, in welchen Fällen diese Unterstützung unzureichend ist. Es hat sich bezüglich Internet- und Email-basierter Programme gezeigt, dass eine Anleitung die Compliance und (somit) die Wirksamkeit steigert. Was meinst du, sind diese Anwendungen dennoch geeignet, die Evidenz an eine grössere Population anzubieten? Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Internet-basierte Behandlungen sollten nicht als Billigvariante einer Behandlung verstanden werden. Wenn sie regelmässig durch Behandlungspersonen begleitet werden, sind sie kosten- und personalintensiv. Deswegen fehlt häufig die konkrete (finanzielle und personelle) Möglichkeit diese Angebote ausserhalb von Institutionen zu implementieren.
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Welche Möglichkeiten siehst du in der Aus- und Weiterbildung von medizinischen und psychologischen Fachkräften, evidenzbasierte Techniken zu implementieren? (was hältst du z. B. von Apps, die nicht nur die Compliance der Patienten, sondern die Compliance der Therapeuten fördern, sich an evidenzbasierte Inhalte zu halten?) Das spezifische Wissen muss und soll weitergegeben werden. Es ist sehr wichtig dabei auch alle technischen Möglichkeiten in Fortbildung, Weiterbildung und im dichten klinischen Alltag zu nutzen. Es ist wichtig diese Pflicht, sich immer nach der möglichst wirksamen Behandlungsvariante richten, wahrzunehmen. Wo können Mediziner und Psychologen zusammenarbeiten? Mediziner und Psychologen stellen ein ideales Tandem dar, um Menschen mit schweren Essstörungen zu behandeln, was nur im interdisziplinären Kontext wirkungsvoll stattfinden kann. Die Zusammenarbeit zwischen Mediziner und Psychologen ist sehr empfehlenswert und erfolgsversprechend. Wichtig ist zwischen den verschiedenen Akteuren (Psychologe; Arzt, Patient und weitere involvierte Fachpersonen) eine gute Kommunikation und Transparenz zu pflegen. Was müssten Forscher tun, um ihre Akzeptanz bei den Klinikern zu verbessern? Ich bin der Meinung, dass die Kommunikation zwischen Klinik und Forschung als Regel durchgesetzt werden müsste. So kann eine Brücke geschaffen werden; damit steigt der gegenseitige Respekt und beide Seiten würden profitieren. Wie können wir Nachwuchskräfte fördern, die es schaffen, Klinik und Forschung in der aktuellen hoch kompetitiven akademischen Karriere zu vereinbaren? Das Feld der Essstörungen eignet sich gerade deshalb besonders für die Kombination von Klinik und Forschung als es im Spannungsfeld von Psychologie, Psychiatrie, Neurobiologie, Medizin und Soziologie steht. Gerade deswegen sollte man die neue akademisch und klinisch interessierte Generation dafür motivieren. In der Essstörungsforschung liegt ein enormes wissenschaftliches Potenzial, das es jungen Nachwuchskräften ermöglicht, sich in einem hoch kompetitiven akademischen Milieu mit dieser Thematik gut zu positionieren.
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Literatur Cooper, Z., & Bailey-Straebler, S. (2015). Disseminating evidencebased psychological treatments for eating disorders. Curr Psychiatry Rep, 17 (3), 551. Lilienfeld, S. O., Ritschel, L. A., Lynn, S. J., Brown, A. P., Cautin, R. L., & Latzman, R. D. (2013). The research-practice gap: bridging the schism between eating disorder researchers and practitioners. Int J Eat Disord, 46 (5), 386–394. Zipfel, S., Wild, B., Gross, G., Friederich, H. C., Teufel, M., Schellberg, D., … group, A. s. (2014). Focal psychodynamic therapy, cognitive behaviour therapy, and optimised treatment as usual in outpatients with anorexia nervosa (ANTOP study): randomised controlled trial. Lancet, 383 (9912), 127–137.
Prof. Dr. Simone Munsch Klinische Psychologie und Psychotherapie Departement für Psychologie Universität Fribourg 2, Rue de Faucigny 1700 Fribourg Schweiz simone.munsch@unifr.ch
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Buchbesprechung Preuss, H., Schnicker, K. & Lengenbauer, T. (2018). ImpulsE zur Verbesserung der Impuls- und Emotionsregulation. Göttingen: Hogrefe, 179 Seiten, 49,95 Euro, ISBN: 978-3-8017-2754-3 Franz Petermann Das vorliegende Manual zur Behandlung von Patienten mit Adipositas und pathologischem Essverhalten ist kognitiv-behavioral orientiert. Es ist im einzeltherapeutischen und Gruppensetting einsetzbar. Das Manual entstand im Rahmen einer dreijährigen Therapiestudie am Behandlungs- und Forschungsschwerpunkt für Essstörungen der Poliklinischen Institutsambulanz für Psychotherapie der Universität Mainz. Das Programm trägt das Akronym ImpulsE, wobei die Abkürzung für Impulsivität und ihre Interaktion mit Emotionsregulation steht. Unter patho logischem Essverhalten wird vor allem die Binge-EatingStörung verstanden, wobei der Bezug zur Adipositas anhand des emotions- und impulsgesteuerten Essverhaltens hergestellt wird. Zentrales Behandlungsziel des Ansatzes besteht in der Vermittlung einer nahrungsbezogenen Handlungskontrolle (= „interruptive Inhibition“), die im Manual auf Seite 8 als Fertigkeit zur Impulskontrolle definiert wird, „einen bereits initiierten Handlungsimpuls auf schmackhafte Nahrungsstimuli zu hemmen“.
Aufbau des Manuals Das vorliegende Manual gliedert sich in zwei Hauptteile: Einem ungefähr 20 Seiten umfassenden Theorie-Teil und einem ca. 130 Seiten umfangreichen Teil, der als therapeutischer Leitfaden den praktischen Einsatz des Vorgehens beschreibt. Erwähnenswert ist auch das 15 Druckseiten betragende Literaturverzeichnis. In Kapitel 1 wird ausführlich auf den Erkenntnisstand zum Thema „Adipositas und pathologisches Essverhalten“ (incl. der DSM-5-Kriterien für Binge-Eating-Störung) eingegangen. Die verschiedenen Komorbiditäten und die notwendigen Schritte einer Differenzialdiagnostik werden diskutiert. In Kapitel 2 steht die Begrifflichkeit „Impulsivität, Emotionsregulation und Essverhalten“ im Mittelpunkt. Beeindruckend sind u. a. Ausführungen zur Mehrdimensionalität des Konstruktes „Impulsivität“, die sehr grundlegend © 2019 Hogrefe
auch die historischen Wurzeln (z. B. Kagan, 1966) dieser Begrifflichkeit beleuchten. In diesem Kapitel wird auch kurz der Stand der Therapieforschung zur Thematik des Buches aufgeführt. In Kapitel 3 (S. 30) wird ein umfassendes Störungs modell mit nahrungs- und emotionsbezogenen Entwicklungspfaden eines enthemmten Essverhaltens vorgestellt. Als prädisponierende Faktoren werden yy biologische (Genetik, impulsiver Antrieb), yy unspezifische und störungsspezifische psychosoziale und yy soziokulturelle Risiken aufgeführt. Bei den auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren wird im Hinblick auf enthemmtes (emotionales) Essverhalten und Essanfälle in zwei Bereiche unterschieden: (a) Gestörtes Hunger- und Sättigungsverhalten: Defizite in der Hemmung von Störfaktoren im Belohnungs aufschub und in der Handlungskontrolle sowie Grübeln, Belohnungswahrnehmung, Erleben von Craving. (b) Erhöhte emotionale Verletzlichkeit: Defizite in der Ge fühlswahrnehmung und Gefühlsregulation sowie unbewältigte belastende Gefühle. Vor dem Hintergrund dieses breitangelegten Störungsmodells wurden vielfältige Therapiemaßnahmen von der Autorengruppe entwickelt, die eine Stärkung der Impulskontrollfertigkeiten und der Emotionswahrnehmung / -regulation bewirken sollen. In Kapitel 3 wird auch kurz auf die Ergebnisse einer Evaluationsstudie eingegangen, wobei dazu auf eine separate Publikation von Preuss, Pinnow, Schnicker und Lengenbauer (2017) verwiesen wird. Im therapeutischen Leit faden (Kapitel 4 – 7) werden Aspekte der Therapievorbereitung (Erstgespräch, diagnostische Empfehlungen) sowie eine kompakte Zuordnung der Therapieziele zu den Therapiebausteinen (S. 55 / 56) vorgenommen. In Kapitel 5 wird für das Gruppensetting ein exemplarischer Ablauf von ImpulsE (für 12 Sitzungen) vorgestellt. Ganz zentral sind hierbei Hinweise zur Gruppenzusammenstellung, den Gruppenvereinbarungen und Hinweise zur Stärkung der Gruppenkohäsion; leider werden nur in wenigen Publikationen solche Hinweise gegeben (vgl. positive Ausnah-
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men bei der Behandlung von Erwachsenen: Sipos & Schweiger, 2016; bei Kindern: Petermann, 2018). Bei der Darstellung der ImpulsE–Module (Kapitel 6) und Zusatzmodule (Kapitel 7) wird sehr stark auf die praxisnahe Umsetzung Wert gelegt. Die Modulbeschreibungen sind sehr systematisch aufgebaut (inklusiver konkreter Instruktionen und Therapiebeispiele). Im Einzelnen erhält der Anwender Informationen zu: y den Therapiezielen, y der therapeutischen Umsetzung dieser Ziele, y den benötigten Arbeitsmaterialien und y dem Zeitbedarf. Der Praxistransfer des Manuals wird auch dadurch optimiert, dass die Dokumentation des Vorgehens durch von Patienten bearbeitete Materialien illustriert wird.
Bewertung ImpulsE stellt einen eklektischen Behandlungsansatz dar, der verschiedene klassische und moderne VT-Prinzipien und VT-Methoden miteinander verbindet. Das Vorgehen wurde ursprünglich als gruppentherapeutisches Verfahren für den ambulanten Bereich entwickelt; es kann – so die Autorengruppe – als eigenständige Intervention oder als Add-on zur Richtlinienbehandlung eingesetzt werden. Aufgrund der guten Dokumentation des Vorgehens (incl. einer CD-ROM mit allen Materialien zum Ausdrucken) lässt sich die Intervention in leicht modifizierter Form auch im einzeltherapeutischen und stationären Rahmen anwenden. Ich bewerte die theoretische Begründung und praxisnahe Umsetzung des Vorgehens uneingeschränkt positiv. Die Abgrenzung von Impulskontrolle und gelungener Emotionsregulation war mir bei der Lektüre des Manuals jedoch
nicht immer klar. Vermutlich hätte man die verschiedenen denkbaren Emotionsregulationsstrategien auch noch stärker im Programm beachten können; es ist jedoch denkbar, dass ich an dieser Stelle zu sehr als Klinischer Kinderpsychologe an die Thematik herangehe (vgl. Petermann, 2017).
Fazit Ich empfinde das Manual als wichtige Innovation für die kognitiv-behaviorale Verhaltenstherapie!
Literatur Kagan, J. (1966). Reflection-impulsivity: the generality and dynamics of conceptual tempo. Journal of Abnormal Psychology, 71, 144 – 156. Petermann, F. (2017), Emotionsregulation. Kindheit und Entwicklung, 26, 129 – 132. Petermann, F. (2018). Gruppentherapie. Kindheit und Entwicklung, 27, 195 – 198. Preuss, H., Pinnow, M. Schnicker, K & Legenbauer, T. (2017). Improving inhibitory control abilities (ImpulsE)- A promising approach to treat impulsive eating? European Eating Disorders Review, 25, 533 – 543. Sipos, V. & Schweiger, U. (2016). Therapie der Essstörung durch Emotionsregulation (2., überarb. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
Prof. Dr. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Str. 6 28359 Bremen Deutschland fpeterm@uni-bremen.de
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Buchbesprechung Pauli, D. (2018). Size Zero – Essstörungen verstehen, erkennen und behandeln. München: Beck, 223 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3406726675 Armita Tschitsaz Die Sehnsucht nach Schlankheit – vermeintlich die amerikanischen Konfektionsgröße Null – lässt junge Frauen „geilen Salat“ und „Erniedrigungen“ aushalten. Schlankheit wird mit Schönheit verwechselt und soll dazu führen, dass Frau und Mann erfolgreich und ein besserer Mensch wird. Dahinter steht die Fehlattribution, dass physisch attraktive Menschen intelligenter und erfolgreicher seien als weniger attraktive (Halo-Effekt, Nisbett & Wilson, 1977). Diese Studien sind heute widerlegt; sie zeigen aber, dass eine große Menge an Menschen ähnliche Vorstellungen darüber haben was als attraktiv eingeschätzt wird. Dieser Blick auf gesellschaftliche Wertigkeiten bildet den Rahmen des Buches. Die Autorin ist Chefärztin und stv. Klinikdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, sie ist klinische Dozentin der Universität Zürich. Ihr Engagement als Präsidentin für das Expertennetzwerk Essstörungen Schweiz (ENES) sowie ihre Öffentlichkeitsarbeit sind zu erwähnen, wobei ihr die Übersetzung von Elfenbeinturmforschung in verstehbare klinische Implikation für den Endkunden gelingt – so wie in Size Zero. Im ersten Teil des Buches beschreibt die Autorin die Auswirkungen einer gesellschaftlichen Essstörung, welche sich als kollektiver Diät- und Schlankheitswahn zeigt, aber auch in der Stigmatisierung von Adipositas. Im zweiten Teil werden Früherkennung und Symptomatik der individuellen Essstörung beschrieben und Essstörungen definiert. Im dritten Teil werden Behandlungsmöglichkeiten der Essstörung aufgezeigt. Es werden Therapieformen wie Psychotherapie oder Hometreatment vorgestellt sowie konkrete Handlungsanweisungen. Diese individuellen Maßnahmen ergänzt die Autorin mit konkreten Forderungen an Politik, Prävention und Gesellschaft. Als Besonderheiten des Buches sind Erkenntnisse aus der Forschung zu nennen, aber auch der ansprechende Humor. Es wird die Emotion „Scham“ erklärt, welche auftritt, wenn wir unsere eigene Unzulänglichkeit preisgeben müssen. Der gesellschaftliche Druck zur Perfektion des Körpers verursacht Scham, wenn wir annehmen, dass unser Körper nicht vollkommen ist. Mit dem Ziel, unseren © 2019 Hogrefe
Körper zu perfektionieren, führe dies zu einseitigem oder gestörtem Essverhalten. Hier führt heutzutage nicht nur die Entblößung des Körpers zu Scham, sondern die Scham für den Körper ist wichtig, dies wird Body-Shame genannt. Es meint, dass nicht die Entblößung an sich Scham auslöst, sondern dass die gezeigten Körperteile nicht den geforderten gesellschaftlichen Idealen entsprechen. Um die Scham zu reduzieren, werden Ernährung und Sport für die körperliche Ertüchtigung eingesetzt. Eine weitere psychologische Dynamik ist der faszinierende Befund, dass wiederum Gedanken zu körperlichen Veränderungen führen können. So steigt das Sättigungshormon Ghrelin stärker, wenn Menschen ihre eingenommene Nahrung hochkalorisch einschätzen als wenn sie von einem Diätprodukt ausgehen (Crum et al., 2011). Die essgestörte Gesellschaft meint gesellschaftliche Standards, die in allen Altersklassen gestörtes Essverhalten forcieren und somit Kindheit und Jugend prägen, so dass Körperunzufriedenheit und Selbstwertdefizite geschürt werden, welche die Basis bilden für die Entwicklung einer Essstörung. Zu diesen gesellschaftlichen Standards gehört der Machbarkeitsglaube gemäß dessen jeder seines Glückes Schmieds ist und Versagen somit die Folge eigener Inkompetenz. Aber auch der ZweitgenerationenEffekt prägt die moderne Gesellschaft, d. h. Schlankheit wird bereits in der zweiten Generation verehrt und somit direkt erzieherisch auf die Kinder übertragen und nicht nur durch die Gesellschaft. Size Zero ist als Plädoyer zu verstehen für ein gesellschaftliches Umdenken in Schule, Werbung und Modebranche (z. B. mit einer All-Size-Modenschau), was die Bereitschaft zu finanzieller Investition und politischen Strategien bedingt. Diese essgestörte Gesellschaft wirkt auf die junge Psyche, die in dem sensiblen Fenster der Adoleszenz ihren Umgang mit Körper, Selbstwert und Scham erlernen muss, aber auch mit Perfektionismus oder (Mikro-)Traumatisierungen. Size Zero bietet eine Übersicht über Präventionsmaßnahmen (Beispiel Adipositas) und praktische erzieherische Hilfestellungen (z. B. am Tisch). Es werden Therapieangebote wie Psychotherapie oder Hometreatment vorgestellt, so u. a. die Familientherapie zur Bearbeitung
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aufrechterhaltender Faktoren, in der die Familien Anleitungen für Tischregeln erhalten. Wir finden Aufklärungen über Diätieren, Orthorexie und Gesundheit. Weiter konkretisieren Forschungsbefunde und Statistiken, theoretische Modelle aus der Psychologie und Fallbeispiele die Informationen über Essstörung. Die Fülle an Informationen wird durch einen leserlichen Schreibstil kompensiert. Didaktisch kreativ gelöst sind therapeutische Hilfestellungen, indem in direkter Rede ein Brief an die Jugendlichen und Empfehlungen zu Kommunikation und Mahlzeitenplanung an dessen Eltern formuliert sind. Die Autorin betont, dass Essstörungen multifaktoriell bedingt sind und setzt einen besonderen Schwerpunkt auf die gesellschaftlichen Trends von Fitness und Schlankheit. Sie argumentiert, dass bei früher Erstmanifestation in der Adoleszenz die gesellschaftliche Essstörung besonders wirksam sei. Die Dynamik weiterer Einflüsse auf eine Essstörungsentwicklung wie genetische Faktoren, gestörte motivationale Bedürfnisse nach Kontrolle und Autonomie, Bindungs störungen, familiäre Belastungen oder Traumatisierungen werden erwähnt (Herpertz-Dahlmann et al., 2011). Wenn wir Medien, Veranstaltungen und Werbung beobachten, dann ist die maximal hohe Bedeutung von Schönheit unbestritten. Der Anspruch an und Standard für weibliche Attraktivität ist höher als je zuvor in der Zivilisationsgeschichte zur Erlangung von Selbstwert und beruflichen Erfolg. Physische Defizite werden mit drakonischen Behandlungen der Makel ausradiert wie plastischer Chirurgie, Botoxbehandlungen oder Face liftings. Die Konfektionsgröße Size Zero wurde erweitert auf „Size Triple Zero“, was der Größe 28 entspricht. Bildbearbeitungen sind einfach sowie deren unbändige Verbreitung auf Facebook, Instagram und Snapchat, sie verzerren die Realität. Fraglich ist aber, ob dieses Streben nach Schönheit in unserer Gesellschaft verleugnet wird und solange dem so ist, kann nichts verändert werden (Hess, 2018). Ein Blick in die Geschichte zeigt uns, dass ein Umdenken nur durch Idole passiert. Eine gesellschaftliche Trendwende kann also nur mit der Unterstützung unserer Helden, Gesellschaftsträgern und Alphapersonen initiiert werden. Die von uns als wichtig attribuierten Personen müssen Vorbild sein und ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft nutzen. Hier stellt sich danach die Frage, inwiefern die Gesellschaft eine
olitische Steuerung des Privaten toleriert. Zudem haben p auch Forschungsbefunde und Fakten eine hohe Wertigkeit und beeinflussen politische Stoßrichtungen, dies allerdings nur in einer Welt, in der Fake-News verstanden und hinterfragt werden können.
Bewertung Das Buch bietet eine leicht lesbare Übersicht für Einsteiger in das Thema Essstörungen, Interessierte, Betroffene und Angehörige und kann damit als Bibliotherapie empfohlen werden. Es richtet sich aber auch an Kliniker, Lehrende oder Forschende, weil es eine unabdingbare Zusammenfassung aktueller und wirksamer Behandlungsstrategien für Essstörungen ist.
Literatur Crum, A. J., Corbin, W. R., Brownell, K. D. & Salovey, P. (2011). Mind over milkshakes: mindsets, not just nutrients, determine ghrelin response. Health Psychology, 30, 424 – 429. Herpertz-Dahlmann, B., Seitz, J. & Konrad, K. (2011). Aetiology of anorexia nervosa: from a ‘psychosomatic family model’ to a neuropsychiatric disorder? European Archives of Psychiatry and Clinical Neurosciences, 261, 5177 – 5181. Hess, A. (23.04.2018). ‘I Feel Pretty’ and the Rise of Beauty- Standard Denialism. New York Times. Nisbett, R. E. & Wilson, T. D. (1977). The halo effect: Evidence for unconscious alteration of judgments. Journal of Personality and Social Psychology, 35, 250 – 256.
Dr. phil. Armita Tschitsaz Leiterin Therapiezentrum für Essstörungen Vorstandsmitglied Experten-Netzwerk Essstörungen Schweiz (ENES) Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Universitäre Psychiatrische Dienste Bern Lindenweg 4 3302 Moosseedorf Schweiz armita.tschitsaz@upd.ch
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Bewegung ist Leben!
Annette Höhmann-Kost (Hrsg.)
Integrative Leib- und Bewegungstherapie (IBT) Theorie und Praxis 3., akt. u. erg. Aufl. 2018. 240 S., 22 Abb., Kt € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85760-2 Auch als eBook erhältlich
17.09.17 18:02
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Die Integrative Leib- und Bewegungstherapie (IBT) verbindet körpertherapeutische und psychotherapeutische Methoden und wird in vielen psychosomatisch-psychotherapeutischen, psychiatrischen Kliniken, Suchtkliniken, ambulanten Praxen und Beratungsstellen eingesetzt. Erlebniszentrierte sowie konfliktaufdeckende Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen fördern den Zugang zum Unbewussten und helfen bei heilsamen Neuorientierungsprozessen.
Die 3. Auflage wurde komplett überarbeitet und um aktuelle Themen ergänzt: • Umgang mit aggressiven Impulsen und schwierigen Gefühlen • Natur- und Landschaftstherapie mit schwer traumatisierten Patienten • Bewegungstherapie auf der Basis der Kampfkunst (Budotherapie) • Ressourcenorientierte Arbeit mit „Jungen Erwachsenen“ Das Werk fokussiert insbesondere auf die Behandlung von Erwachsenen mit psychosomatischen Erkrankungen und erläutert in verständlicher Sprache die Grundlagen der Methode. Der ausführliche Praxisteil ermöglicht durch zahlreiche Beispiele auch die Übertragung auf andere Arbeitsbereiche.
Mehrachsige psychodynamische Diagnostik bei Sucht
Arbeitskreis OPD – Abhängigkeitserkrankungen / Arbeitskreis OPD (Hrsg.)
OPD-2 – Modul Abhängigkeitserkrankungen Das Diagnostik-Manual Anwendungen der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik 1 2., korr. Aufl. 2017. 144 S., 1 Abb., 3 Tab., Gb € 29,95 / CHF 39.90 ISBN 978-3-456-85805-0 Auch als eBook erhältlich
Eine Abhängigkeit entwickelt sich vor dem Hintergrund der Persönlichkeit, und deshalb ist eine hinreichende Diagnostik der Abhängigkeitsentwicklung ohne eine Diagnostik der Persönlichkeit für die psychodynamische Psychotherapie nicht denkbar. Dabei wird die Abhängigkeit ebenso durch diese Persönlichkeit mit ihren Beziehungsinteraktionen, ihren inneren Konflikten und ihren strukturellen Fähigkeiten bestimmt wie durch das Konsumverhalten selbst. Auch für die Abhängigkeitserkrankungen gilt deshalb, dass die psychodynamische Diagnostik einer Person mit der OPD-2 die Grundlage zur Diagnostik und Therapieplanung darstellt.
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Das vorliegende Modul „Abhängigkeitserkrankungen“ ergänzt und vertieft die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD-2) in Bezug auf stoffbezogenen Missbrauch oder Abhängigkeit. Die Foki aus der Grundpersönlichkeit werden dabei mit der Dynamik der abhängigkeitsbedingten Persönlichkeitsveränderungen zu einem Abbild der „Suchtspirale“ verknüpft.