Buchbesprechung Pauli, D. (2018). Size Zero – Essstörungen verstehen, erkennen und behandeln. München: Beck, 223 Seiten, 16,95 Euro, ISBN 978-3406726675 Armita Tschitsaz Die Sehnsucht nach Schlankheit – vermeintlich die amerikanischen Konfektionsgröße Null – lässt junge Frauen „geilen Salat“ und „Erniedrigungen“ aushalten. Schlankheit wird mit Schönheit verwechselt und soll dazu führen, dass Frau und Mann erfolgreich und ein besserer Mensch wird. Dahinter steht die Fehlattribution, dass physisch attraktive Menschen intelligenter und erfolgreicher seien als weniger attraktive (Halo-Effekt, Nisbett & Wilson, 1977). Diese Studien sind heute widerlegt; sie zeigen aber, dass eine große Menge an Menschen ähnliche Vorstellungen darüber haben was als attraktiv eingeschätzt wird. Dieser Blick auf gesellschaftliche Wertigkeiten bildet den Rahmen des Buches. Die Autorin ist Chefärztin und stv. Klinikdirektorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, sie ist klinische Dozentin der Universität Zürich. Ihr Engagement als Präsidentin für das Expertennetzwerk Essstörungen Schweiz (ENES) sowie ihre Öffentlichkeitsarbeit sind zu erwähnen, wobei ihr die Übersetzung von Elfenbeinturmforschung in verstehbare klinische Implikation für den Endkunden gelingt – so wie in Size Zero. Im ersten Teil des Buches beschreibt die Autorin die Auswirkungen einer gesellschaftlichen Essstörung, welche sich als kollektiver Diät- und Schlankheitswahn zeigt, aber auch in der Stigmatisierung von Adipositas. Im zweiten Teil werden Früherkennung und Symptomatik der individuellen Essstörung beschrieben und Essstörungen definiert. Im dritten Teil werden Behandlungsmöglichkeiten der Essstörung aufgezeigt. Es werden Therapieformen wie Psychotherapie oder Hometreatment vorgestellt sowie konkrete Handlungsanweisungen. Diese individuellen Maßnahmen ergänzt die Autorin mit konkreten Forderungen an Politik, Prävention und Gesellschaft. Als Besonderheiten des Buches sind Erkenntnisse aus der Forschung zu nennen, aber auch der ansprechende Humor. Es wird die Emotion „Scham“ erklärt, welche auftritt, wenn wir unsere eigene Unzulänglichkeit preisgeben müssen. Der gesellschaftliche Druck zur Perfektion des Körpers verursacht Scham, wenn wir annehmen, dass unser Körper nicht vollkommen ist. Mit dem Ziel, unseren © 2019 Hogrefe
Körper zu perfektionieren, führe dies zu einseitigem oder gestörtem Essverhalten. Hier führt heutzutage nicht nur die Entblößung des Körpers zu Scham, sondern die Scham für den Körper ist wichtig, dies wird Body-Shame genannt. Es meint, dass nicht die Entblößung an sich Scham auslöst, sondern dass die gezeigten Körperteile nicht den geforderten gesellschaftlichen Idealen entsprechen. Um die Scham zu reduzieren, werden Ernährung und Sport für die körperliche Ertüchtigung eingesetzt. Eine weitere psychologische Dynamik ist der faszinierende Befund, dass wiederum Gedanken zu körperlichen Veränderungen führen können. So steigt das Sättigungshormon Ghrelin stärker, wenn Menschen ihre eingenommene Nahrung hochkalorisch einschätzen als wenn sie von einem Diätprodukt ausgehen (Crum et al., 2011). Die essgestörte Gesellschaft meint gesellschaftliche Standards, die in allen Altersklassen gestörtes Essverhalten forcieren und somit Kindheit und Jugend prägen, so dass Körperunzufriedenheit und Selbstwertdefizite geschürt werden, welche die Basis bilden für die Entwicklung einer Essstörung. Zu diesen gesellschaftlichen Standards gehört der Machbarkeitsglaube gemäß dessen jeder seines Glückes Schmieds ist und Versagen somit die Folge eigener Inkompetenz. Aber auch der ZweitgenerationenEffekt prägt die moderne Gesellschaft, d. h. Schlankheit wird bereits in der zweiten Generation verehrt und somit direkt erzieherisch auf die Kinder übertragen und nicht nur durch die Gesellschaft. Size Zero ist als Plädoyer zu verstehen für ein gesellschaftliches Umdenken in Schule, Werbung und Modebranche (z. B. mit einer All-Size-Modenschau), was die Bereitschaft zu finanzieller Investition und politischen Strategien bedingt. Diese essgestörte Gesellschaft wirkt auf die junge Psyche, die in dem sensiblen Fenster der Adoleszenz ihren Umgang mit Körper, Selbstwert und Scham erlernen muss, aber auch mit Perfektionismus oder (Mikro-)Traumatisierungen. Size Zero bietet eine Übersicht über Präventionsmaßnahmen (Beispiel Adipositas) und praktische erzieherische Hilfestellungen (z. B. am Tisch). Es werden Therapieangebote wie Psychotherapie oder Hometreatment vorgestellt, so u. a. die Familientherapie zur Bearbeitung
Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie (2019), 67 (1), 71–72 https://doi.org/10.1024/1661-4747/a000374