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Symbol einer Zeitenwende: Das Löwendenkmal, Dr. Peter Omachen
Luzern blickt auf eine lange Militärtradition zurück. Seit den Glaubenskriegen nicht mehr angegriffen, verblieb die Stadt in ihrem spätmittelalterlichen Festungsgürtel. Das militärische Handwerk wurde in Luzern allerdings nicht zur Verteidigung gepflegt, sondern als Solddienst – neben der Landwirtschaft bildete dieser die Haupteinkommensquelle des Patriziats. Das Versiegen der sogenannten Reisläufertradition bedeutete einen Bruch im kulturellen Wertgefüge der Luzerner. Den Wendepunkt bezeichnet das Löwendenkmal von 1821: Obwohl das Monument wieder an die alte Ordnung anknüpfen wollte, zeigte es selbstverräterisch das untergehende Söldnertum in Gestalt des sterbenden Löwen. Das Löwendenkmal ist die symbolische Kippfigur vom alten zum neuen Luzern: Geschaffen zur Feier der überholten Vasallentreue von Kriegsdienern, verdankt der sterbende Löwe von Luzern seine Berühmtheit dem modernen Tourismus, dessen Bestand vom internationalen Frieden abhängig ist. Unversehens waren aus Söldnern in fremden Diensten Diener der Fremdenindustrie geworden. Hauptinitiant für den Denkmallöwen war Carl Pfyffer von Altishofen (1771–1840), ein ehemaliger Offizier der königlichen Schweizergarde in Paris. Früh verwaist, hatte er seine Schulbildung im Kloster St. Urban und bei den Jesuiten in Freiburg erhalten. Anschliessend absolvierte er die Militärschule in Paris, wo er 1787 zum Leutnant avancierte und der Schweizergarde zugeteilt wurde. Gegen seinen Willen musste der Hauptmann im Sommer 1792 einen Urlaub in Luzern antreten und entging so dem Massaker, das revolutionäre Milizen im Louvre anrichteten. Aufgabe der rund 1’000 Mann starken Schweizergarde wäre es gewesen, den französischen König Louis XVI. vor dem aufgebrachten Volk zu beschützen. Am 10. August 1792 stürmten die Revolutionäre jedoch mit grosser Übermacht die von den Schweizern heldenhaft verteidigten Tuilerien. Die Garde wurde beinahe restlos vernichtet. Auch die 200 Schweizergardisten, die den König während des Sturmes auf die Tuilerien in die Nationalversammlung begleitet hatten, mussten ihre Pflichterfüllung mit dem Leben bezahlen: Vom Revolutionstribunal zum Tode verurteilt, wurden sie alle hingerichtet. In den folgenden Jahren war Pfyffer weiterhin als Offizier in fremden Diensten engagiert, bis er 1801 endgültig nach Luzern zurückkehrte, wo er schon bald höhere Ämter bekleidete. Er wurde Luzerner Militärdirektor, nahm Einsitz im Grossen Rat und war Mitglied des Stadtgerichts. Von 1819 bis 1836 führte er die Geschicke der Luzerner Kunstgesellschaft als deren erster Präsident. Seit Langem
115 hatte er den Wunsch gehegt, seinen gefallenen Waffengefährten der Schweizergarde ein würdiges Denkmal zu setzen. Als Standort bestimmte er den zu seiner Liegenschaft gehörenden Steinbruch unterhalb des Wesemlin. Für die Finanzierung des Denkmals veranstaltete er eine Geldsammlung. Im Frühling 1818 setzte sich Pfyffer mit dem in Rom wirkenden dänischen Künstler Bertel Thorvaldsen (1768/70–1844) in Verbindung, der damals ein berühmter Bildhauer war. Dieser fertigte für Pfyffer zwei Modelle an, die in Luzern wegen unzureichender Verpackung in stark lädiertem Zustand eintrafen. Da Pfyffers finanziellen Mittel nicht ausreichten, um Thorvaldsen persönlich für die Ausführung des ausgewählten Models zu engagieren, wurde der Solothurner Bildhauer Urs Pankraz Eggenschwyler (1756–1821) ausgewählt. Leider stürzte dieser kurz nach der Arbeitsaufnahme vom Gerüst und erlag wenig später seinen Verletzungen. An seiner Stelle kam nun der Konstanzer Bildhauer Lukas Ahorn (1789–1856) zum Zuge, der innerhalb von 14 Monaten den Thorvaldsen-Löwen aus dem Fels meisselte. Am 7. August 1821 war das Werk vollendet. Als sakrales Gegenstück zum profanen Denkmal entstand 1819 am Eingang des Parkgeländes anstelle der baufälligen Antoniuskapelle eine kleine Gedenkrotunde mit Altar und den Wappen der gefallenen Offiziere im Innern. In seinen bescheidenen Ausmassen zitiert der überkuppelte Zylinder mit vorspringendem Portikus das Pantheon in Rom. Die Enthüllungsfeier des Löwendenkmals am 10. August 1821, am 29. Jahrestag des Tuilerien-Sturms, wurde zum Fest der Aristokratie.
«Mit der gleichen Schablone wie Paris» – Das Weyquartier Der Bau des ersten Luzerner Bahnhofs im Jahr 1859 brachte eine wesentliche Veränderung des Stadtgefüges mit sich und verlieh der Stadtentwicklung eine neue Dynamik. In der Folge berief der Stadtrat 1860 eine Baukommission mit dem Auftrag, je einen Bebauungsplan für das Bahnhofsgebiet sowie für das Gebiet auszuarbeiten, das sich vom «Neuen Platz» unterhalb der Hofkirche bis zum Löwendenkmal erstreckte.
1861 wurde der Zofinger Architekt Samuel Senn als Stadtbauinspektor nach Luzern berufen und mit der Ausarbeitung eines Bebauungsplans für das «Hofquartier» beauftragt. Sein «Plan zur Erweiterung der Stadt Luzern» wurde im November 1861 öffentlich aufgelegt. Er umfasste das rechte Seeufergebiet, das sich von der Mitte des Schweizerhofquais bis zum äusseren Ende des Haldengebiets erstreckte und enthielt das gesamte Wohngebiet der «Äusseren Weggis», des späteren Weyquartiers bis zum Löwendenkmal sowie
die Umgebung des Stiftsbezirks. Senns Projekt zeigte neben den bestehenden baulichen Verhältnissen des Wey- und Hofquartiers die Linienführung einer neuen, grosszügig geplanten Stadtanlage. Dieser erste bedeutsame Entwurf machte die Absicht deutlich, gegenüber den kleinteiligen Verhältnissen der «mehreren Stadt» und der alten Wohnviertel ein modernes Quartier erstellen zu wollen. Dieses sollte die Stadt durch ein breites und geometrisch angelegtes Strassennetz dem Verkehr öffnen und durch die Schaffung geräumiger Bauplätze den Schwerpunkt gegen Osten und gegen den See hin verlagern. Es war vorauszusehen, dass der neue Bebauungsplan wegen seiner grosszügigen Konzeption und seiner Eingriffe in die bestehenden Strukturen zunächst eher skeptische, teilweise ablehnende Reaktionen auslöste. Das Luzerner Tagblatt vom 5. Dezember 1861 meinte dazu: «Vor einigen Tagen bekamen wir den für das Quartier Hof angefertigten neuen Plan zu Gesicht, über dessen grossartige Dimensionen wir nicht wenig erstaunten. Die mit dieser Arbeit betraute Kommission mag sich wohl die Vorgänge in den grösseren Städten Frankreichs und Deutschlands zum Muster genommen haben, für unsere auf kleine Verhältnisse beschränkte Lage finden wir selbe durchaus unpassend [...]. Ein grosser Theil der durch den Plan berührten bestehenden Gebäulichkeiten wird entweder von anzulegenden Strassen durchschnitten und ist somit auf Kosten der Gemeinde zu expropriiren oder kommt so ungeschickt in die neuen Quartiere zu stehen, dass auf Generationen hin selbe auf eine Art entstellt werden, wie solches gegenwärthig nirgends zutage tritt. Überhaupt scheint es, man habe die jetzt bestehenden Verhältnisse zu wenig ins Auge gefasst, statt die nothwendigen Korrekturen zu planiren, deren Ausführung die Gemeinde nicht übermässig in Anspruch genommen hätte». Bereits Anfang 1862 setzten als unmittelbare Folge dieses Bebauungsplans die ersten Spekulationen um das künftige Baugelände im Wey- und im Hofquartier ein. So bewarben sich etwa die Gebrüder Hauser, seit 1861 Besitzer des Hotel Schweizerhof, im Februar 1862 beim Stadtrat um die «billige Abtretung» der zwischen dem Stiftsbezirk und dem Schweizerhof gelegenen Bauparzellen. Der Stadtrat liess die Anträge der Unternehmer vorerst unberücksichtigt und beauftragte im April 1862 Samuel Senn unter Beizug des Architekten und Zeichnungslehrers Joseph Plazidus Segesser mit der «zweckmässigen Verbesserung» des ersten Bebauungsplans. Dieser zweite Entwurf, der im Dezember 1862 vorlag, bestand in einer wesentlich grosszügigeren Neugestaltung des Haldengebiets. Doch auch dieses überarbeitete Projekt fand keine ungeteilte Zustimmung. In der Folge beauftragte der Stadtrat die Architekten Ferdinand Stadler aus
117 Zürich und Bernhard Simon aus St. Gallen «die Zweckmässigkeit der Pläne zu überprüfen». In wesentlicher Abweichung vom Projekt Senn schlugen die Architekten vor, durch ein halbkreisförmiges Gelenk eine organische Verbindung zwischen den beiden Quaianlagen herzustellen. Dieses «Rondeau mit Treppen mit einem Musikzelt in der Mitte, von welchem aus man den malerischen Prospekt gegen den See und die Gebirge zu geniesst» sollte zusammen mit dem als Garten gestalteten Vorplatz vor den Stiftshäusern den Mittelpunkt der Anlage bilden. Als eine nach Norden verlaufende Hauptachse sollte von hier aus ein breiter, baumbestandener Boulevard direkt zum Löwendenkmal führen. In seinem Bericht an den grösseren Stadtrat führte der Stadtrat zur Anlage des neuen Quartiers aus: «Wir halten uns für überzeugt, dass Luzern es bereuen würde, wenn die noch unbebauten Plätze und Wiesen im Wey, beim Löwen und noch mehr am Quai für alle Zukunft zu einem blossen Netze von Gassen umgeschaffen würden, was mit der Zeit unfehlbar geschähe, wenn nicht dermalen, wo die Baulust im Wachsen begriffen, halt geboten und auch für Luzern vorbereitet wird, was man in anderen Städten als eine Wohlthat anstrebt und was dort mit Opfern von Millionen erkauft werden muss». In Bezug auf die Ausführung des Projekts äusserte die Behörde vorerst keine Bedenken, da sie mit einer starken Beteiligung von privaten Bauunternehmern rechnete. Im Gegensatz zur optimistischen Haltung des Stadtrates wurde der neue Bebauungsplan von der Öffentlichkeit erneut sehr skeptisch aufgenommen. Die Luzerner Zeitung schrieb am 6. März 1864: «Der nach diesen Dispositionen angefertigte neue Plan macht auf jeden unbefangenen Beobachter einen sehr befriedigenden Eindruck. Derselbe erscheint selbst grossartig in Folge seiner Verbindung mit der schönen Stiftskirche, mit dem See und durch die Nähe der Gebirgswelt, welche erhabenen Schöpfungen glücklicherweise schon vorhanden sind und keiner Kostenrechnung unterliegen. Der Plan selbst, der schön ausgearbeitet ist und mit seinen bunten Farben einen freundlichen Anblick biethet, gereicht den fremden Architekten, die uns etwas Glänzendes, Grossartiges darreichen wollten, nicht zur Unehre. Sie hatten aber keinen Blick in unseren inneren Haushalt, der nicht gestattet Luzern mit der gleichen Schablone wie Paris zu behandeln». Nachdem der Bebauungsplan am 27. Oktober 1864 vom Stadtrat provisorisch genehmigt worden war, gelangten die Anwohner des Wey- und des Hofquartiers und des Haldengebietes, die sich in ihren eigentumsrechtlichen Verhältnissen gefährdet sahen, in einer gemeinsamen Zuschrift an den Regierungsrat und forderten eine
weitgehende Abänderung des Stadtbebauungsplans. Die Proteste richteten sich vor allem gegen die breite, spöttischerweise als «Boulevard du Lion» bezeichnete Hauptachse, deren Erstellung umfangreiche Enteignungen erfordert hätte. Ablehnend äusserten sich die Gegner des neuen Bebauungsplans auch in Bezug auf das grosszügig bemessene Baugelände des Haldengebiets: «Durch schöne Gebäude und grossartige Strassenanlagen werden überhaupt die Fremden nicht nach der Schweiz gezogen, wohl aber hört man sie nicht selten über einen übertriebenen, einem einfach sein sollenden Hirtenvolke übel anstehenden Luxusaufwand sowohl auf Bergen als im Thal klagen». Infolge der zahlreichen Einsprachen sahen sich die Behörden veranlasst, im Frühjahr 1865 eine weitere Neufassung des Plans auszuarbeiten. Die breite, zum Löwendenkmal führende Allee wurde in Vereinfachung gegenüber dem Projekt von 1864 durch eine Fahrstrasse ersetzt und den angrenzenden, parallel nach Norden verlaufenden Strassenzügen angeglichen. Unverändert hingegen blieb die geplante Bebauungszone des Haldengebiets, dessen Anwohner, wie es aus den Verhandlungsprotokollen des Stadtrats hervorgeht, untereinander zerstritten waren und sich offenbar nicht auf ein gemeinsames Konzept einigen konnten. Der modifizierte Bebauungsplan wurde, nachdem er zuvor dem Stadtrat zur Stellungnahme vorgelegt worden war, am 18. September 1865 endgültig durch den Regierungsrat genehmigt. Innerhalb der Luzerner Baugeschichte stellt der Bebauungsplan für das Hofquartier die erste öffentliche und rechtsverbindliche Massnahme zur Anlage eines neuen Stadtteils dar. Es wird deutlich, dass man bestrebt war, die bauliche Entwicklung der Stadt zugunsten des rechtsufrigen Gebietes zu fördern und Luzern durch breite, geradlinige Strassenzüge, elegante Park- und Quaianlagen und grosszügig bemessene Bauparzellen ein grossstädtisches Gepräge zu verleihen. Hauptzweck dieser städtebaulichen Konzeption war es zweifellos, das neue Bebauungsgebiet gewinnbringend in den Dienst des Tourismus zu stellen. Mochten gegnerische Stimmen den Plan zu Anfang noch als Utopie bezeichnet haben, so liess doch der seit Beginn der 1860er-Jahre durch die Eisenbahn stetig zunehmende Reiseverkehr die Hoffnung auf neue Erwerbsquellen aufkommen. Deren Erschliessung erforderte die Schaffung neuer Unterkunftsmöglichkeiten und entsprechender städtebaulicher Anlagen. Die allgemein eintretende Erkenntnis, dass Luzern im Wettbewerb mit den übrigen Fremdenverkehrsorten der Schweiz einer städtebaulichen Gesamtplanung bedurfte, veranlasste das Luzerner Tagblatt am 3. März 1866 zu der Feststellung: «Man betrachtet jetzt die Stadt
119 nicht mehr wie einen Sack, in den man die Fremden hinein, aber möglichst lange nicht mehr hinaus lassen will. Man erkennt jetzt daselbst, dass je mehr gute und bequeme Zufahrtsstrassen die Stadt hat, sie von den Fremden desto besuchter und Handel und Verkehr desto blühender ist».
In den folgenden rund 30 Jahren wurde der vorgegebene Strassenraster des neuen Weyquartiers kontinuierlich überbaut. Wie von Anfang an vorgesehen, entwickelte sich das Quartier zur eigentlichen Touristenmeile, die den See mit dem Löwendenkmal verbindet. Hotels, Cafés und Restaurants, Souvenirläden, Museen und weitere, im Lauf der Zeit wechselnde Touristenattraktionen reihen sich seither dicht an dicht entlang der Löwen- und der Alpenstrasse sowie am Löwenplatz.
Dr. Peter Omachen
Omachen, Peter: Luzern – eine Touristenstadt. Hotelarchitektur 1782 bis 1914. Baden 2010. Riedler, Michael: Idyllisches Luzern. Luzern 1987. Wyss, Beat; Rüesch, Edgar: Inventar der neueren Schweizer Architektur INSA, 1850–1920, Luzern (Bd. 6). Zürich 1991.