Forum 167/2021 – Das Magazin der IPPNW

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FRIEDEN

Feindbilder überwinden Von der Notwendigkeit, sich zu erinnern

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ie Erinnerungen an den Krieg“ sind immer auch ein „Krieg der Erinnerungen“, wie es die Historikerin Dr. Ekaterina Makhotina formuliert. „Hamburgs Umgang mit dem NS-Erbe“ hieß 2019 eine eine Podiumsveranstaltung am 27. Januar, zu der die KZ Gedenkstätte Neuengamme eingeladen hatte anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers in Auschwitz. Auschwitz wurde am 27. Januar 1945 befreit. Ein Jahr davor, nämlich am 27. Januar 1944, war Leningrad durch die Rote Armee von der Blockade der Wehrmacht befreit worden. Die 872 Tage dauernde Belagerung hatte fast 1,3 Millionen Leningrader das Leben gekostet – überwiegend Zivilist*innen. Sie stellte damit eines der größten Kriegsverbrechen der Wehrmacht dar. Die Belagerung der Stadt war Teil des rassenideologischen Weltanschauungskrieges. Von Anfang an war geplant, die Stadt gar nicht einzunehmen, sondern auszuhungern. Doch der 75. Jahrestag des Endes der Blockade findet an diesem Tag keine Erwähnung, obwohl Hamburg seit 1957 Partnerstadt von St. Petersburg, dem ehemaligen Leeningrad, ist. Es gibt keine Kultur des Gedenkens an diesen wichtigen Tag.

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eindbilder vertragen sich nicht mit Erinnerungskultur, denn sie verweigern die Empathie. Feindbilder sind eine unerlässliche Voraussetzung für Aufrüstung und Krieg. Sie haben die zentrale Funktion, Rüstung und Kriege zu rechtfertigen, Herrschaftssysteme zu stabilisieren und das Selbstbild zu erhöhen. So können militärische Aktionen besser legitimiert werden. In der Zeit des Kalten Krieges verlief die Erinnerungsdebatte entlang den jeweiligen politischen und ideologischen Feindbildern und Linien. In der frühen Sowjetunion traten im Gedenken die Leiden der Zivilbevölkerung hinter der Schilderung der „kämpfenden Frontstädte“ und des

„großen Vaterländischen Kriegs“ zurück. In der anti-kommunistischen Grundstimmung der jungen Bundesrepublik wurde die historische Verantwortung für den Vernichtungskrieg im Osten schlicht geleugnet. Man sah sich nicht als Täter, sondern als Opfer. Die Blockade Leningrads wurde als eine Militäroperation von vielen dargestellt, unterstützt durch ein starres anti-sowjetisches Feindbild. Erst mit dem allmählichen Auflösen der Ost-West-Konfrontation und dem Abbau von Feindbildern durch die Entspannungspolitik Willy Brandts änderte sich auch auf beiden Seiten die Wahrnehmung der Geschichte. Anfang der 70er Jahre entwickelte Bundeskanzler Willy Brandt zusammen mit Egon Bahr das Konzept des „Wandels durch Annäherung“. Die friedliche Koexistenz wurde der Rivalität der Systeme entgegengesetzt. Das Konzept der „gemeinsamen Sicherheit“ entstand. Am 9. Juli, 2015, kurz vor seinem Tod fasste Egon Bahr seine Gedanken zusammen: „Wenn es denn richtig war, dass West wie Ost über die atomare Zweitschlagsfähigkeit verfügten, also beide ganz unberechenbar und unannehmbar Schlägen ausgesetzt wären, würde die klassische Hoffnung auf Sieg im Krieg sinnlos werden. Wer zuerst schlägt, stirbt als Zweiter, setzt die verrückte Bereitschaft zum eigenen Ende voraus. Mit anderen Worten: Die Theorie der Abschreckung war eine unverwendbare Theorie geworden. Praktisch bedeutete dies, dass Sicherheit voreinander nur noch stimmte, solange sie nicht erprobt wurde. Die abstrakte Konsequenz hieß dann also: Sicherheit voreinander muss durch Sicherheit miteinander ersetzt werden.“

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m Zuge der Entspannungspolitik und der Wiedervereinigung in den 90er Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, die ehemaligen Feinbilder von Ost und West würden der Vergangenheit angehören. Doch wenn man sich das heutige Verhältnis zwischen Deutschland und Russland 8

ansieht, muss man feststellen, dass dieses nicht von Vertrauen, sondern von äußerstem Misstrauen und einer ausgeprägten Bedrohungswahrnehmung geprägt ist. Die Aufrüstung hat dementsprechend auch wieder bedrohliche Formen angenommen. Wie ist das zu erklären? Haben wir eine einseitige Wahrnehmung? Wurden die russischen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die NATO-Osterweiterung im Sinne einer gemeinsamen Sicherheit ausreichend berücksichtigt? Oder schlummerten die alten Ressentiments und Feindbilder vielleicht weiter im Untergrund, da sie nie wirklich aufgearbeitet wurden? Am 21. Juni 2021 erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer beeindruckenden Rede: „…was am 21. Juni 1941 begann, war die Entfesselung von Hass und Gewalt, die Radikalisierung eines Krieges hin zum Wahn totaler Vernichtung. Vom ersten Tage an war der deutsche Feldzug getrieben von Hass: von Antisemitismus und Antibolschewismus, von Rassenwahn gegen die slawischen und asiatischen Völker der Sowjetunion (…) Der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion war eine mörderische Barbarei. (…) Es werden am Ende 27 Millionen Tote sein, die die Völker der Sowjetunion zu beklagen hatten. 27 Millionen Menschen hat das nationalsozialistische Deutschland getötet, ermordet, erschlagen, verhungern lassen, durch Zwangsarbeit zu Tode gebracht. 14 Millionen von ihnen waren Zivilist*innen. Niemand hat in diesem Krieg mehr Opfer zu beklagen als die Völker der Sowjetunion. Doch sind diese Millionen nicht so tief in unser kollektives Gedächtnis eingebrannt, wie ihr Leid und unsere Verantwortung es fordern.“ Das gilt auch für das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen. Von den 7,5 Millionen in deutsche Gefangenschaft geratenen Soldaten haben nur ca. die Hälfte die unmenschlichen Verhältnisse überlebt.


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