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Sicherheit bei der E-Mobilität im Fokus
from Blaulicht 6/2024
by IV Group
Seit 2018 engagiert sich Fabian Knecht, Gründer der Bergetechnischen Vereinigung BTV und seit Dezember 2023 alleiniger Inhaber der Autohilfe Zürich AG, für mehr Sicherheit im Bereich Elektromobilität. Er erklärt, welche positiven Entwicklungen es im Bereich der Elektromobilität gibt und weshalb er selbst im Patrouillen- und Abschleppeinsatz auf zwei potente E-Fahrzeuge von BMW vertraut.

Leave it or love it. Kaum ein anderes Thema abseits der Politik gibt bis heute Anlass zu hitzigeren Diskussionen als die Elektromobilität. Dabei kursieren noch immer viele Halbwahrheiten und selbst mehrfach widerlegte Fehlinformationen halten sich hartnäckig.
Was ist der Grund für diese Skepsis, wo steht die Elektromobilität in puncto Sicherheit tatsächlich und weshalb sind Aus und Weiterbildung im Bereich Sicherheit bei der Elektromobilität gerade für Blau und Gelblichtkräfte weiterhin eminent? Mit diesen und weiteren Fragen konfrontierten wir Fabian Knecht, Gründer der auf die sichere Bergung, den Transport und die Entsorgung havarierter Elektrofahrzeuge spezialisierten Bergetechnischen Vereinigung BTV und früher Geschäftsführer, seit knapp einem Jahr alleiniger Inhaber der Autohilfe Zürich AG.
Herr Knecht,weshalbengagierenSiesichseitmittlerweile fast zehn Jahren im Bereich sichere E-Mobilität – und welche Entwicklungen konnten Sie dabei beobachten?
Als gelernter Fahrzeugelektroniker und Elektroniker sowie Fahrzeugtechnikexperte beschäftige ich mich seit den Anfängen der EMobilität intensiv mit deren Technologien, ihren Chancen und natürlich auch den potenziellen Risiken. In den vergangenen Jahren haben wir unzählige havarierte EFahrzeuge geborgen und dabei jeden Tag sehr viel Neues und Wichtiges gelernt. Mein Fazit aus dieser Zeit ist eindeutig. E-Fahrzeuge sind nicht erst seit heute sehr sicher – und sie werden kontinuierlich noch sicherer.
Natürlich gab – und gibt es auch heute noch – technische Spielereien an E-Fahrzeugen, welche zwar schick und modern aussehen mögen, hinsichtlich Sicherheit im Schadensfall aber nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss sind. Ein Beispiel sind die elektrisch ausklappbaren Türgriffe bei Tesla. Bleiben diese nach einem Crash eingefahren, bekunden Retter allergrösste Mühe beim Versuch, die Türen des Autos zu öffnen. Dadurch verlieren sie Zeit –und im Notfall zählt bekanntlich jede Sekunde.
Abgesehen von solchen leicht vermeidbaren Unzulänglichkeiten sind Fahrzeuge mit alternativen Antrieben heute aber mindestens ebenso sicher wie konventionell angetriebene Autos. Die Hersteller ziehen, wie wir auch, aus jedem Unfall wichtige Lehren und implementieren entsprechende Sicherheitslösungen in ihre Fahrzeuge. Die Akkus sind hervorragend geschützt und werden durch leistungsstarke Systeme kontinuierlich überwacht. So können Fahrzeugbrände weitgehend ausgeschlossen werden – selbst bei sehr heftigen Unfällen. Und technische Defekte, die zu Fahrzeugbränden führen, sind bei EAutos um ein Vielfaches seltener als bei konventionellen Verbrennerfahrzeugen.
Leider wird in den Medien ausschliesslich prominent über Unfälle berichtet, welche völlig aus der Norm fallen. So entsteht ein verzerrtes Bild, das auf die oberste Spitze einer Pyramide fokussiert – unter völliger Ignoranz des grossen Ganzen. Denn wirft man einen Blick auf die Resultate von Crashtests und Studien der Unfallversicherer, zeigt sich, dass Elektroautos aufgrund ihrer auf Sicherheit optimierten Strukturen bei Unfällen nicht selten besser abschneiden als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor. Auch brennen – entgegen der weitverbreiteten Meinung – Elektrofahrzeuge laut Statistik nicht häufiger als Fahrzeuge mit Benzin oder Dieselantrieb. Laut Studien des US Autoversicherers AutoinsuranceEZ geraten von 100’000 batterieelektrischen Fahrzeugen lediglich 25 aufgrund eines technischen Defekts in Brand. Bei Verbrennern sind es mehr als 1’500, bei Hybriden sogar knapp 3’500 Fahrzeuge.
Hinzu kommt, dass E-Fahrzeuge in den vergangenen Jahren hinsichtlich Reichweite, Zuladung und Zugkraft kontinuierlich besser wurden. So gut, dass sie heute nicht nur bei zahlreichen Blaulichtorganisationen im täglichen Einsatz stehen, sondern auch von uns bedenkenlos und mit bestem Gewissen im Patrouillen, Abschlepp und Bergedienst eingesetzt werden können. Entsprechend sind die von uns verwendeten BMW iX in erster Linie hervorragende Einsatzmittel – und nur in zweiter Linie ImageTr äger.
Wie setzen Sie Ihre E-Fahrzeuge konkret ein, welche Sonderausstattungen wurden installiert und welche Erfahrungen haben Sie im praktischen Alltagsbetrieb damit gemacht?
Unsere beiden BMW iX xDrive 50 werden von mir, meinem Teamleiter sowie anderen Mitarbeitenden als Patrouillenund Abschleppfahrzeuge sowie für Fahrzeugtransporte eingesetzt. Mit einer Anhängelast von derzeit 2,5 Tonnen, können wir sie nahezu vergleichbar einsetzen wie die zuvor genutzten, stark motorisierten Verbrenner SUVs à la BMW X5, welche bis zu 3,5 Tonnen Last ziehen können. Dabei sind die beiden E-Fahrzeuge weitgehend serienmässig. Einzig der Gelblichtbalken sowie ein von Haberl Electronics entwickelter Heckausbau, wie ihn beispielsweise auch Polizeikorps nutzen, wurden nachgerüstet.
Im täglichen Einsatz realisieren wir Reichweiten von etwa 500 Kilometern respektive 250 bis 350 Kilometern bei Fahrten mit Fahrzeuganhänger. Einzig im Zugbetrieb mit geschlossenen Anhängern, die seitlich und in der Höhe deutlich über die Abmessungen des BMW iX hinausragen, schrumpft die Reichweite aufgrund des enorm hohen Luftwiderstands des Anhängers drastisch. Das war aber auch früher der Fall, als wir Verbrenner SUVs als Zugfahrzeuge nutzten. Bei diesen stieg mit grossen geschlossenen Anhängern der Treibstoffverbrauch vergleichbar exorbitant.
Was wir ebenfalls festgestellt haben: Die Fahrzeuge kommen selbst mit härtesten Bedingungen problemlos klar. Egal, ob ich im Hochsommer bei 32 Grad im Schatten einen Fahrzeugtransport nach Davos durchgeführt habe oder ob ich im Winter bei tiefen Minustemperaturen einen Lieferwagen abschleppen musste: Der Hochvoltantrieb des BMW iX funktioniert bislang ohne jedwede Beanstandungen. Wir können keine schwindende Akkukapazität feststellen, noch nie traten bei einem Fahrzeug Überhitzungsanzeichen auf und selbst im tiefsten Winter ist die Reichweite für unsere Einsatzszenarien jederzeit ausreichend.
Spürbar ist allerdings das vergleichsweise hohe Eigengewicht der Fahrzeuge, das in unserem Fall inklusive voller Beladung und Fahrer etwas über drei Tonnen beträgt. Problematisch ist dies aber nie – weder hinsichtlich des Fahrverhaltens noch bezüglich der Einsatzfähigkeit.
Entsprechend ziehen wir bis dato ein sehr zufriedenstellendes Fazit zum BMW iX xDrive 50.
Bei allem Verständnis für Ihre Begeisterung: Es gibt doch sicher auch Dinge, welche noch verbesserungswürdig sind?
Wir würden uns wünschen, dass wir – wie bei konventionell angetriebenen Einsatzfahrzeugen – jederzeit sicherstellen könnten, dass nicht nur die Gelblichter, sondern auch die Fahrzeugscheinwerfer und die Warnblinklichter selbst bei abgestelltem und verriegeltem Fahrzeug weiterlaufen. Denn diese stellen sich manchmal, beispielsweise wenn man das Fahrzeug über das Mobiltelefon entriegelt und startet, ab, wenn sich der Fahrer samt seinem in der Hosentasche befindlichen Mobiltelefon zu weit vom Fahrzeug entfernt.
Ein weiteres Manko, das wir allerdings auch bei Verbrennerfahrzeugen haben, betrifft den Heckausbau. Dieser schränkt die Zugänglichkeit zu gewissen in den Seitenteilen des Kofferraums platzierten technischen Komponenten des Fahrzeugs ein. Zudem verdeckt er, da er bis zum Fahrzeugdach hinaufragt, die Sicht durch die Heckscheibe quasi vollständig. Wir haben bereits bei BMW eine Anfrage für eine Sonderlösung deponiert, die es ermöglichen würde, die Heckkamera auch bei Vorwärtsfahrt dauerhaft in Betrieb zu lassen und deren Aufnahmen live auf das Infodisplay zu übertragen. So wäre es möglich, das auf dem Anhänger transportierte Fahrzeug optisch zu überwachen, was insbesondere bei heiklen Transporten, beispielsweise eines E-Fahrzeugs mit potenziell beschädigtem Hochvoltakku und entsprechend erhöhter Selbstentzündungsgefahr, sehr hilfreich wäre.
BMW hat sich dieses Themas ebenso bereits angenommen wie der Lichtschaltungs-Problematik, welche auch von Polizeikreisen angesprochen wurde. Für 2025 wurde die Implementierung entsprechender Sonderlösungen in Aussicht gestellt.
Ihre beiden vollelektrischen Einsatzfahrzeuge nutzen Sie im Dienst der Autohilfe Zürich AG. Bei dieser waren Sie lange Zeit Geschäftsführer – und vor knapp einem Jahr haben Sie das vorher zu einem Konzern gehörige Unternehmen komplett übernommen. Weshalb haben Sie sich zu diesem Schritt entschlossen? Welche Vorteile versprechen Sie sich?
Die Entwicklungen im Bereich EMobilität sind schnell und vielfältig. Entsprechend wichtig ist für uns, dass wir flexibel auf entsprechende Veränderungen reagieren können. Dies gelingt in einem Konzernkonstrukt aufgrund dessen Schwerfälligkeit bekanntermassen oftmals nur verzögert. Durch die Übernahme wurde die Autohilfe Zürich AG agiler und schneller bei allen Entscheidungen. Zudem kann ich meine persönlichen Visionen und Vorstellungen noch besser und vor allem schneller umsetzen – was mir sehr wichtig war.
Parallel zur Autohilfe Zürich AG führen Sie seit 2018 die BergetechnischeVereinigungBTV,überderenEngagement wir in Ausgabe 1 des Jahres 2022 ausführlich berichtet haben. Welche Veränderungen gab es dort in den letzten knapp drei Jahren?
Die BTV ist weiterhin auf gutem Weg und konnte auch Neuzugänge bei den Mitgliedern, deren Zahl bis dato auf 89 geklettert ist, verzeichnen. Das ist sehr erfreulich, denn es bestätigt uns in unserem Handeln und zeigt uns, dass wir grundsätzlich auf dem richtigen Weg sind. Auch Importeure und Versicherungen sind mittlerweile Mitglieder, da sie den Mehrwert der BTV auf dem Markt erkannt haben.
Dennoch hat sich am Tätigkeitsfeld nichts verändert. Die BTV bietet weiterhin allen mit der Thematik «Sicherheit in der EMobilität» befassten Institutionen, namentlich Polizeikorps, Feuerwehren, Bergungsdiensten, Versicherungen und Importeuren, Lösungen sowie Aus und Weiterbildungen rund um Fahrzeuge mit alternativen Antriebskonzepten an. Zudem stehen wir den Mitgliedern mit unserer 24/7Notfallnummer 071 272 38 38 sowie mit Fachpersonal, Ausrüstung und Wissen hinsichtlich des sicheren Umgangs mit Elektrofahrzeugen, welche in einen Unfall verwickelt waren oder eine Panne erlitten haben, zur Verfügung.
Ergänzend zum Angebot der BTV gibt es seit Ende März 2023 zudem das «Hochvolt Center Schweiz», kurz «HVCS», welches die Rettungskette für havarierte EFahrzeuge sinnvoll ergänzt.
Was konkret bietet das Hochvolt Center Schweiz – und wie ist es entstanden?
Das HVCS ist ein kommerziell ausgerichtetes Spinoff der Bergetechnischen Vereinigung. Diese selbst kann und will als Vereinigung rechtlich nicht wie ein marktwirtschaftlich orientiertes Unternehmen im Markt agieren. Dessen ungeachtet bestehen vonseiten zahlreicher im Bereich der EMobilität engagierten Unternehmen und Institutionen vielfältige Bedürfnisse für Dienstleistungen im Zusammenhang mit havarierten Fahrzeugen mit Alternativantrieben, welche weit über deren reine Bergung hinausreichen.
Aus diesem Grund gründeten Patrick und Hubert Frei, Vorstandsmitglieder der BTV, die Hochvolt Center Schweiz GmbH. Diese agiert seit nunmehr gut 18 Monaten als zweites Glied der Rettungs und Bergekette im Bereich Fahrzeuge mit Alternativantrieben in der Schweiz.
Während die BTV auf Schulung von Fachpersonen, Prävention und Information sowie konkrete Hilfe im Notfall fokussiert, konzentriert sich das HVCS auf die Schritte, welche nach der situationsadäquaten Bergung eines Fahrzeugs gesetzt werden müssen. Insbesondere reden wir dabei über den sicheren Transport von Unfall oder Pannenfahrzeugen mit Alternativantrieben, über den Ausbau, die Quarantänerespektive Zwischenlagerung von Hochvoltbatterien in entsprechend sicheren Containern sowie auch über deren Transport zum Zweck der Reparatur oder der Entsorgung. Ergänzend engagiert sich das HVCS im Bereich Transport, Handling, Lagerung sowie Recycling von Hochvoltakkus und in der Sicherheitsforschung.
Im Bedarfsfall ist das HVCS übrigens jederzeit über die 24/7Notfallnummer der BTV erreichbar – und die Inhaber unterstützen die BTV weiterhin im Bereich Kurswesen, Ausund Weiterbildung.
Beim Blick auf den Heckausbau des BMW iX war zu sehen, dass die Autohilfe Zürich AG, ebenso wie unzählige Rettungsdienste und Feuerwehren, im Einsatz auf die hochmobil nutzbare Lösung «Crash Recovery System» von Moditech vertraut. Wie gut funktioniert das digitale Fahrzeuginformationssystem Ihrer Erfahrungen nach im Segment der Fahrzeuge mit Alternativantrieben?
Angesichts der schieren Flut ständig neuer (Elektro )Fahrzeuge, die auf unseren Strassen unterwegs sind, ist das CRS Tool für uns ein unverzichtbares Hilfsmittel für den Einsatz. Dies umso mehr, als die von uns verwendete Edition «Road Assist» erweiterte Komponenteninformationen und Deaktivierungshinweise für Elektro , Hybrid so wie auch Wasserstoff respektive Brennstoffzellenfahrzeuge liefert –auf sehr intuitive Art sowie hochübersichtlich und dank interaktiver fotorealistischer Grafiken schnell erfassbar.
Gerade bei Havarien von Fahrzeugen mit Alternativantrieb ist das Tool eine mehr als willkommene Unterstützung für die Strassenretter. Dank der hinterlegten Daten gelingen das Absichern des Fahrzeugs, der Zugang zu den Insassen sowie auch die Bergung des Fahrzeugs schnell und sicher – auch in Fällen, in denen unsere Mitarbeiter das allererste Mal mit einem bestimmten, möglicherweise sehr seltenen Fahrzeugtyp konfrontiert werden.
Was mich etwas verwundert, ist, dass ich bei Aus und Weiterbildungen im Rahmen meines Engagements bei der BTV immer wieder feststellen muss, dass es tatsächlich noch Blaulicht re spektive Gelblichtorganisationen gibt, welche dieses Tool bislang nicht nutzen, ja teils sogar noch nicht einmal kennen.
Das zeigt mir, dass noch viel Arbeit vor uns liegt und wir auch in Zukunft intensive Überzeugungsarbeit sowie umfassende fachliche Aufklärung im Bereich «Sicherheit der E-Mobilität» leisten müssen.