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Ende eines langen Leidens Lipödem diagnostizieren und behandeln

Unförmige Arme und Beine, der Rest des Körpers ist normal: Wer an einem Lipödem leidet, dessen Fetthaushalt ist gestört. Oft beginnt die Krankheit bereits in der Pubertät, ohne dass es die Betroffenen – 95 Prozent sind Frauen – wissen. Viele haben einen langen Weg vor sich, bis die Krankheit diagnostiziert und ihnen richtig geholfen wird. So auch Miriam W. (Name geändert), die durch mehrere Liposuktionen in der Klinik für Plastische Chirurgie des Klinikums Nürnberg fast 40 Liter Fett verlor und nun wieder Lebensqualität hat. (ik)

Schließlich empfahl ihr der Arzt die Klinik für Plastische Chirurgie am Klinikum Nürnberg. Dort wird im Schnitt rund 60 bis 70 Patientinnen im Jahr operativ geholfen. Als die leitende Oberärztin Dr. med. Martina Kaiser die Patientin zum ersten Mal begutachtete, war ihr sofort klar, dass die Krankheit schon sehr weit fortgeschritten war und sie mit ambulanten Therapien nicht mehr in den Griff zu kriegen sein würde.

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„In diesem Stadium des Lipödems haben die betroffenen Frauen oft massiv Schmerzen, ganz unabhängig davon, dass sie natürlich sehr unter ihrem Aussehen leiden“, sagt die erfahrene Medizinerin. „Sie sind oft schon Jahre von Pontius zu Pilatus gelaufen und richtig verzweifelt“. Nach vielen Gesprächen mit der Ärztin entschied sich Miriam W., eine Liposuktion machen zu lassen. „Ich wollte so einfach nicht mehr weiterleben.“

Doch trotz der ausführlichen medizinischen Begründung verweigerte die Krankenkasse von Miriam W. die Kostenübernahme für die Operation. „Mir blieb nur der Klageweg“, schildert Miriam W. Vier Jahre zog sich dieser hin, während Miriam W. trotz begleitender ambulanter Therapien immer mehr Probleme hatte. „Ich trug rund um die Uhr Kompressionsstrümpfe und konnte selbst kurze Strecken nur noch unter Schmerzen zurücklegen“, schildert sie rückblickend. Ende 2018 endlich dann die ersehnte Bewilligung der Kostenübernahme. „Ich habe vor Erleichterung geweint“.

Im Juni 2019 operierte Dr.med. Martina Kaiser die damals 44-Jährige erstmals. Seither wurden Miriam W. in insgesamt fünf Operationen mehr als 40 Liter Fettgewebe an Ober- und Unterschenkeln sowie an den Armen abgesaugt. Ihre Beine sind um zwei Drittel im Umfang geschrumpft, die ständigen

Der Leidensweg der 47-Jährigen aus der Region Nürnberg dauerte Jahre. Schon in der Pubertät wurden ihre Arme und Beine immer praller und fingen an, zu schmerzen. „Ich habe versucht, mich beim Essen zu zügeln, aber das hat nichts gebracht“. Die Krankheit schritt Jahr für Jahr voran, Schmerzen, Druckempfindlichkeit kamen hinzu. Doch die Ärzte, bei denen die Kinderpflegerin vorstellig wurde, erkannten die Krankheit nicht. Sie empfahlen ihr lediglich, abzunehmen und sich mehr zu bewegen. „Dann werde das schon besser.“

2012 sah Miriam W. dann durch Zufall einen Bericht im Fernsehen über das Phänomen Lipödem und war erschrocken und erleichtert zugleich. „Ich wusste auf einmal, das ist das, was ich habe“, sagt sie. Ein Lymphologe bestätigte die Diagnose. „Ich habe dann nochmal Anlauf genommen, war auf Reha und habe 50 Kilo abgenommen. Ich wollte es selbst in den Griff bekommen. Aber die Schmerzen blieben und auch das Fett kam wieder.“

Schmerzen sind weg und wer Miriam W. heute begegnet, trifft eine lebenslustige, positive Mittvierzigerin, die gerne auch mal aufs Fahrrad steigt. „Die Absaugung des Fettes ist kein Spaziergang, man braucht viel Geduld, es dauert lange, bis alles abheilt, man hat blaue Flecken und nach den Operationen überschüssige Haut. Aber es ist ein ganz neues Lebensgefühl“, sagt sie.

Dass die Krankenkassen dank eines Urteils des Bundessozialgerichtes nun angehalten sind, das Lipödem als chronische Krankheit anzuerkennen und die Kosten für die Liposuktion zumindest im fortgeschrittenen Stadium zu übernehmen, freut sie unendlich für andere Frauen in ihrer Situation. „Ich habe meine OP wahrlich unter Schmerzen durchgefochten“.

Ambulanz für Plastische Chirurgie

im Klinikum Nürnberg Süd | Tel. 0911 398 2415

Ambulantes BehandlungsCentrum

am Klinikum Süd | Tel. 0911 398 7755

Interview:

Frau Dr. Kaiser, viel ist bis heute nicht über das Lipödem bekannt, obwohl es Schätzungen zufolge etwa acht bis zehn Prozent der weiblichen Bevölkerung betrifft. Was genau passiert da im Körper?

Dr. med. Martina Dr. med. Martina Kaiser: Der genaue Kaiser Mechanismus, wie und warum ein Lipödem entsteht, ist noch unbekannt. Man vermutet, dass weibliche Hormone eine Ursache der Erkrankung sind. Oft bricht die chronische Fettverteilungsstörung in Zeiten hormoneller Umstellung, wie etwa in der Pubertät oder Schwangerschaft, aus, manchmal auch vor oder während der Wechseljahre. Auch erbliche Faktoren spielen eine Rolle. Es ist eine schleichende chronische Erkrankung. In den Zellen läuft ein Entzündungsprozess ab.

Woran erkennt man ein Lipödem?

In der Regel sind die Körperproportionen der Betroffenen sehr ungewöhnlich: Typisch sind breite Hüften und Beine und dicke Arme bei einem normalen Oberkörper. Die Fettpolster enden an den Füßen und Händen. Die Patienten reagieren empfindlich auf Berührung oder Druck. Oft beginnt die Krankheit nach der Pubertät. Auch wenn die Patientinnen abnehmen, geht das Fett an Armen und Beinen nicht weg. Sie haben ein ständiges Schweregefühl, Spannungs- und Druckschmerz. Bis heute gibt es keine Labortests, um ein Lipödem nachzuweisen. Deshalb ist die Diagnose manchmal nicht einfach. Wir schauen uns das Fettgewebe im Ultraschall an, da kann man sehen, ob Entzündungen vorhanden sind. Außerdem vermessen wir die erkrankten Gliedmaßen. Ergänzend können apparative Untersuchungen erforderlich sein. So können wir die Erkrankung gegen andere wie etwa Adipositas abgrenzen.

Warum erkranken überwiegend Frauen an einem Lipödem?

Das liegt am Aufbau des Fettgewebes. Man vermutet, dass die weiblichen Hormone eine Mitursache sind, die das Lipödem fördern. Das sieht man daran, dass bei Männern diese Erkrankungen nur bei relevanten Störungen des Hormonhaushaltes auftreten.

Was genau passiert bei der Liposuktion?

Wir saugen das Fett in mehreren Operationen, zwischen denen einige Monate liegen, unter Vollnarkose ab. Manchmal, wenn wir viel Fett entfernen, schließt sich noch eine HautstraffungsOperation an. Natürlich birgt jede OP auch ihre Gefahren, hier können beispielsweise durch das Absaugen Lymphödeme entstehen. Das braucht gute Aufklärung und eine qualitativ hochwertige Methodik sowie eine gute Nachsorge. Wir empfehlen deshalb immer einen stationären Aufenthalt und halten mit unseren Patientinnen auch nach den OPs engen Kontakt.

Sind die Fettzellen nach der Operation für immer weg?

Was einmal abgesaugt ist, kommt nicht wieder. Allerdings können sich die noch vorhandenen Fettzellen theoretisch noch vergrößern. Die OP ist eine große Hilfe für die Frauen, aber kein Freifahrtschein. Gute Ernährung und viel Bewegung sind, wenn alles abgeheilt ist, das allerwichtigste.

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