HINTERGRUND
„Die Chinesen sind nicht bös‘, sondern wir Europäer zu satt“ „Z
um Zeitpunkt, als wir in Europa mitten im Lockdown im Vorjahr waren, hatten die Chinesen schon Maßnahmen getroffen, durch ihr diktatorisches System begünstigt, damit sie die Krise überwinden. Als bei uns in Europa und in der westlichen Welt Stillstand und Schockstarre war, haben die Chinesen bei uns schon wieder für neue Angebote und Aufträge angefragt. Diesen Vorsprung haben sie sich erarbeitet, indem sie bereits in der Pandemie für die Zeit danach geplant haben.“ Das ist der Eindruck von Jochen Pildner-Steinburg, dem geschäftsführenden Gesellschafter der GAW Group*. Die Industrieholding macht seit mehr als 40 Jahren Geschäfte mit China. Es sei daher falsch, wenn sich die Europäer hinsetzen und behaupten: „Die bösen Chinesen.“ Steinburg: „Sie sind nicht bös’ in dem Sinne, sondern sie haben uns natürlich überfahren. Und warum haben sie das geschafft? Weil wir als Europäer ein saturiertes Volk sind und, überspitzt gesagt, nur noch warten, dass das Geld vom Himmel runterfällt oder vom Susi-SorglosStaat kommt, der alle versorgt. Das ist unser Fehler.“ Geostrategisch hätten die Chinesen mit ihren Projekten und Konzepten den Rest der Welt bereits überholt. Da müsse man sich jetzt nicht wundern. „Der Zug fährt bereits und der fährt sehr, sehr schnell.“ Verstärkt setze China auch zu einer Selbstversorgungspolitik an – nach dem Motto: „Wir brauchen die Euro-
päer in Zukunft gar nicht mehr.“ Auf diese Entwicklung – besonders für Krisen, so wie jetzt in der Pandemie – müsse Europa reagieren. „Es wurde der Fehler gemacht, dass alles, was in Asien, z.B. China oder Malaysia billiger zu produzieren ist, ausgelagert wurde – nur weil es um einige Cent billiger war und man damit die Gewinne erhöhen konnte. Das war sicher nicht der richtige Weg“, so Steinburg. „Wir müssen also die geschäftspolitischen und die politischen Überlegungen überdenken.“ Vielen Menschen machen die Chinesen mit ihren Überwachungssystemen der Bevölkerung Angst. Steinburg: „Ja. Es ist so, dass das mit unseren Vorstellungen von Wirtschaft, von Freiheit, freier Meinungsäußerung nicht vereinbar ist.“ Dann sollten die westlichen Länder einfach die Aufträge dort abziehen. Steinburg: „Das wird es nicht geben. Wir können nicht einen Markt von 1,3 Milliarden Menschen negieren. Wenn wir das tun, dann ist die europäische Wirtschaft tot. Um es klar zu sagen. Wir brauchen ja
Jochen-Pildner-Steinburg, geschäftsführender Gesellschafter der GAW Industrieholding (GAW Group), macht seit 40 Jahren Geschäfte mit der „gelben Gefahr“ nur auf die deutschen Exporte nach China schauen. Und wir in Österreich sagen: ,Na ja, unsere Exporte nach China sind nicht so hoch.‘ Wir lügen uns da selbst an. Über Deutschland gerechnet sind unsere Exporte viel, viel höher. Wir liefern an deutsche Großunternehmen und die nehmen uns mit nach China. Also, ein Boykott gegen China, politischer Aktivismus, wird nicht funktionieren. Da werden sich die Chinesen darüber amüsieren. Das muss man zur Kenntnis nehmen hier in Europa und in Amerika.“ „Jetzt könnte man sagen, erschließen wir andere Märkte. Aber wo sind die – Indien, Afrika? Die Inder sind da nicht so ökonomisiert“, so der GAW-Eigentümer, „wie es die Chinesen geschafft haben. Aus
Mit westlichem Kapital Ideologie global ausgebreitet Jahrelang galt China in den Augen der westlichen Welt despektierlich als „billige Werkbank der westlichen Welt“. Das gilt heute nicht mehr. China erfüllte jahrzehntelang brav die Aufträge, die aus den USA, aus Europa und sonst wo her kamen, arbeitete diese ab, machte sich von Jahr zu Jahr aber unabhängiger vom westlichen Know-how. Allzu oft wurden auch westliche Produkte einfach kopiert, Lizenzen missachtet. Aber es gab keine Sanktionen. Internationale Konzerne konnten auf den chinesischen Markt nicht verzichten – allen voran die AutoProduzenten. Vor Jahrzehnten sprach man von der „gelben Gefahr“, dass die Chinesen mit ihrer Art die Welt erobern wür-
welchen Gründen auch immer.“ Sind die Chinesen nun nicht die neuen Kolonialisten? Steinburg: „Mit welcher Arroganz sagen wir Europäer oder die Amerikaner, dass die Chinesen eine Gefahr sind? Wir Europäer sind stolz auf unsere Technologie, auf unsere Produkte, auf die Entwicklung und suchten uns einen Markt – das war China. Wir machen dort gute Geschäfte, exportieren dorthin wie wild. Die Deutschen – aber nicht nur die – haben den Chinesen auf ihr Verlangen hin ganze Fabriken hingestellt. Jeder Konzern weltweit produziert in China – für den chinesischen und asiatischen Markt. Er hat aber, wenn er vorausschauend war, Kapazitäten im eigenen europäischen Raum behalten, um produzieren zu können.
den. Die westliche Welt selbst war es, die China diese Stärke ermöglicht hat. Es ist fast ein Treppenwitz der Geschichte, dass erst westliches Kapital China die Möglichkeit eröffnet hat, seine Ideologie global auszubreiten. Nur wenn die USA und die EU gemeinsam vorgehen, dann ist China blockiert. Das System Chinas ist erfolgreicher – das wird sich zeigen, posaunen die Chinesen auch immer hinaus. Und die Amerikaner haben die Gefahr erkannt. Am Beispiel Australiens zeigen die Chinesen, was passiert, wenn man sich mit ihnen anlegt. 40 Prozent der Exporte gehen nach China. Nun gibt es für australische Waren Einfuhrblockaden und Zollerhöhungen für alle Produkte. Der einzige Trumpf Australiens: China braucht Erze von dort.
18 Juli/August 2021
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