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CINECITTA: Die römische Filmstadt steht vor einer Renaissance

FILMSTUDIO NEUER GLANZ FÜR CINECITTA

Die legendären Cinecittà-Filmstu dios stehen vor einer Renaissance: Künftig soll an alte Zei ten angeknüpft werden.

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NEUER GLANZ FÜR CINECITTA

Die legendären Cinecittà-Filmstu dios stehen vor einer Renaissance: Künftig soll an alte Zei ten angeknüpft werden.

Legendäre Studiofront: Die Studios im Süden Roms beherbergten zahlreiche Filmsets, in denen große Klassiker entstanden.

Federico Fellini drehte in Cinecittà unter anderem den Klassiker „Achteinhalb“ mit Marcello Mastroianni.

Die Meldung schlug Anfang Dezember 2020 in Cineastenkreisen ein wie eine Bombe: Der italienische Staat hat große Pläne für die legendären Filmstudios Cinecittà vor den Toren Roms. Sie sollen zu „Europa Hollywood“ werden, wenn es nach dem Willen von Italiens Kulturminister Dario Franceschini geht. Dann sollen hier, südlich von Rom, große nationale und internationale Produktionen entstehen, das Studioareal von gut 60 Hektar könnte flächenmäßig verdoppelt werden. „Wir stellen die Weichen für einen großen Qualitätssprung. Wir wollen ein europäisches Hollywood aufbauen. Dies soll mit Partnerschaften und der Förderung ausländischer Produktionen geschehen“, sagt der Minister.

Das Interesse des Staates an einer florierenden Filmproduktionsstätte ist nicht neu. 1937 wurde Cinecittà gegründet, und zwar von niemand Geringerem als dem „Duce“ Benito Mussolini - der übrigens auch die Filmfestspiele von Venedig anregte und dort in faschistischer Architektur Prunkbauten für das Kino errichten ließ. Dem Kino als MassenManipulator wurde von den Faschisten viel zugetraut, und daher war das Engagement entsprechend groß, in Italien wie auch in Deutschland. Für die Studios Cinecittà bedeutete das Größe, Wachstum und Budgets ohne Ende.

Auch 2020 - inmitten einer veritablen Krise - sehnen sich die Menschen wieder nach Ablenkung und Zerstreuung, was die Zulaufraten zu den großen Streamingdiensten beweisen, die derzeit zweistellige User-Zuwächse verzeichnen können. Dass der italienische Staat, dem die Cinecittà-Holding, der Betreiber der Studios, seit 2017 gehört, weckt Erinnerungen an die große Einflussnahme der Politik auf die Kunst in den 30er Jahren, aber es soll diesmal freilich unter ganz anderen Vorzeichen geregelt sein wie damals. Es geht dem Kulturminister natürlich nicht um Propaganda, sondern allein um die Wachstumschancen der italienischen Filmindustrie, die durch die Streamingdienste enorm seien. Netflix hat schon sein großes Interesse bekundet, in den neu belebten Studios etliche italienische und internationale Produktionen drehen zu wollen, der italienische Staat macht dafür 150 Millionen Euro locker, um die Studios auf Vordermann zu bringen. Praktischerweise stammt das Geld aus einem aktuellen Corona-Fonds und ist sofort einsetzbar.

3000 PRODUKTIONEN Mehr als 80 Jahre Filmgeschichte wurden in Cinecittà geschrieben, über 3.000 Filme wurden hier gedreht, mehr als 50 wurden zu Legenden der Filmgeschichte und gewannen begehrte Oscars. Doch der Glanz ist lange her. Das neue Licht am Horizont steht am Ende einer beinahe tristen Entwicklung: Zuletzt dienten die Cinecittà-Studios vermehrt als Ort für billige TV-Produktionen, Shows und als Kulisse für die italienische Version von „Big Brother“. Vorbei die Zeit, als hier Elizabeth Taylor als Königin „Cleopatra“ über das Gelände schritt, oder als sich Regiegrößen wie Visconti oder Rossellini hier zwischen den Ateliers über den Weg liefen.

Vor gut zehn Jahren schien es mit Cinecittà überhaupt zu Ende zu gehen. Die Regierung kürzte das staatliche Budget auf 7,5 Millionen Euro, was nicht einmal für die Gehälter der Fixangestellten reichte. Der Grund für die miserable Situation der Studios war die Verlagerung der Produktionen in den Osten: In Tschechien oder Rumänien fanden prestigeträchtige US-Produktionen nicht nur reale Kulissen aus weitgehend intakt gebliebenen historischen Straßenzügen und die unterschiedlichsten Landschaften, sondern auch gleich das Profipersonal dazu - allerdings zu einem Bruchteil des Lohns, den man in den USA oder auch in Italien dafür hätte einkalkulieren müssen. Cinecittà konnte mit den aufstrebenden ehemaligen Ländern des „Ostblocks“ nicht mithalten.

Früher war das anders: Die Idee zu Cinecittà, der „Stadt des Kinos“, kam auf, nachdem 1935 die alten römischen Filmstudios einem großen Feuer zum Opfer fielen. Der neue Studiokomplex wurde in nur 15 Monaten hochgezogen, charakteristisch ist ein Einfahrtsportal mit dem Namen darauf, geprägt von

Klassiker aus der Hoch-Zeit des Studios: „Cleopatra“ (1963) und „Ben Hur“ (1959)

faschistischer Architektur, aber doch erinnernd an die großen Vorbilder wie Warner, Universal und Paramount in Hollywood. So etwas Pompöses wollte der „Duce“ in Italien eben auch haben. Mussolini schuf damit die größten Filmstudios Europas, mit mehr als 20 riesigen Hallen und drei künstlichen Seen. Zunächst entstanden hier wie geplant die Propagandafilme der Faschisten aber auch jede Menge Unterhaltungskino. Bald war es auch der Ort für Filmkunst: Roberto Rossellini schuf hier die essenziellen Werke seines neorealistischen Kinos, große Regisseure wie Vittorio de Sica oder Luchino Visconti arbeiteten hier. Letzterer setzte 1952 mit „Bellissima“ dem Leben in der italienischen Traumfabrik selbst ein Denkmal.

Was aber wäre Cinecittà ohne die Filme von Federico Fellini? Er hat in den meisten der Hallen seine Meisterwerke gedreht. Für „La dolce vita“ (1960) ließ er hier in der Pampa die noble römische Via Veneto nachbauen. Wer Cinecittà heute besucht, der findet zahlreiche Kulissen und Objekte aus den einst legendären Filmen vor, etwa eine riesige Büste aus Fellinis „Casanova“, ganze Straßenzüge aus Martin Scorseses „Gangs of New York“ oder Requisiten aus Ridley Scotts „Gladiator“ - Hollywood kann man in Europa also nirgends näher sein als in Rom.

SANDALEN-EPEN In den 1950er Jahren hatte sich das Geschäft in Cinecittà nämlich internationalisiert. Es entstanden Monumentalfilme wie „Ben Hur“ (1959) mit dem berühmten Wagenrennen, „Quo vadis?“ (1951) mit Peter Ustinov als verrücktem Kaiser Nero oder „Cleopatra“ (1963) mit Liz Taylor, der zum Megaflop für das Studio wurde. Riesige Kulissen wurden gebaut, tausende Statisten kamen zum Einsatz. Der Grund war der gleiche wie jener, aus dem die großen Produktionen heute fehlen: Italien war damals für die Amerikaner ein billiger Drehort. Und außerdem ergab sich der marketingtechnisch nicht blöde Schmäh, die alten, in Rom spielenden Sandalenschinken quasi an „Originalschauplätzen“ zu drehen. Mitten in Rom.

Schnell erarbeitete sich Cinecittà den Ruf, das „Hollywood am Tiber“ zu sein. Und Fellini, der hier am Studiogelände sogar eine eigene kleine Wohnung hatte, war der lokale Zampano, der hier seine größten Erfolge, darunter auch „8 1/2“ (1963), drehte, noch so ein Film, der sich mit dem Filmemachen an sich befasste. Es scheint, als wäre Cinecittà ein guter Boden für das Kino gewesen, um über sich selbst zu reflektieren.

Das Fernsehen hielt bald Einzug, die großen Monumentalfilme waren aus der Mode gekommen, da wurde Cinecittà zum Schauplatz des Italowesterns der 1960er Jahre. Viele italienische Filme dieses Genres wurden hier gedreht, aber auch internationale Erfolge. Sergio Leone filmte hier etwa die Innenaufnahmen von „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968).

Auch mitten im Niedergang der Studios entstanden immer wieder Teile von Filmperlen, darunter „Der Name der Rose“, „Gladiator“, „Der englische Patient“, „Die Passion Christi“ oder eben „Gangs of New York“. Dazwischen aber viel TV-Ware und eine gute Einnahmequelle aus Ausstellungen und Führungen, die den Mythos von Cinecittà beschwörend hochhalten wollen. Erst Anfang 2020 hat im ehemaligen Kopierwerk der Studios, das lange leer stand, ein neues, multimediales Museum eröffnet, seit Juli gibt es mit der „Roma World“ eine neue Attraktion im Freizeitpark „Cinecittà World“, der den Besuchern, so sie coronabedingt anreisen dürfen, die Welt des antiken Rom nahebringen will. Kein Wunder: Ist man doch auch den Monumentalschinken treu geblieben - die Streaming-Mehrteiler „Ben Hur“ und „Rom“ wurden auch hier gedreht.

STEUERLICHE ANREIZE Die neue Initiative des italienischen Staates betreffend der Ausweitung des Areals und des Ausbaus werden begrüßt. „Cinecittà ist ein riesiger Schatz für die italienische Kultur, der im staatlichen Besitz bleiben muss und nicht gefährdet werden darf“, findet beispielsweise der italienische Star-Regisseur Marco Bellocchio. Auch Roberto Benigni setzte sich stets für eine Rettung der Studios ein. Der Clou, den Italiens Politik nach vielen Jahren endlich kapiert zu haben scheint: Mit steuerlichen Anreizen und attraktiven Konditionen wieder mehr internationale Produktionen anzulocken - ein Konzept, das übrigens auch in Österreichs Filmbranche seit Jahren debattiert und gefordert wird. Cinecittà könnte durchaus zum Modellprojekt für das ganze europäische Filmschaffen werden. DORIS NIESSER

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