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ULRIKE KOFLER spricht über ihr Drama „Was wir wollten“, das um den Oscar kämpft
INTERVIEW
ZU SEHEN AUF NETFLIX
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KINDERLOSIGKEIT IST EIN TABU-THEMA
Regisseurin Ulrike Kofler über ihr Kinderwunsch-Drama „Was wir wollten“, das pandemiebedingt nun bei Netflix gestartet ist. Eine spätere Kinoauswertung wird jedoch überlegt.
Eigentlich hätte dieses Interview bereits Mitte November erscheinen sollen, denn für damals war der österreichische Kinostart von „Was wir wollten“ geplant. Doch der Lockdown verunmöglichte selbst die Galapremiere in Wien. Ulrike Kofler trug es mit Fassung: Das Regiedebüt der Schnittmeisterin - sie saß etwa an allen Filmen von Marie Kreutzer am Schneidetisch - ist nämlich inzwischen weltweit auf Netflix zu sehen, und kann dort ab 22. Dezember auch in Österreich gestreamt werden. „Es ist schade um den Kinostart“, sagt Kofler, aber wenigstens könne der Film sein Publikum finden.
Inhaltlich setzt sich „Was wir wollten“ mit dem Thema Kinderwunsch auseinander: Alice (Lavinia Wilson) und Niklas (gegen den Typ besetzt: Elyas M’Barek) sind ein glückiches Paar - aber leider kinderlos, trotz etlicher In-VitroVersuche. Die Ärztin rät dem Paar zu einer Auszeit, ein Urlaub auf Sardinien soll es auf andere Gedanken bringen. Aber wie, wenn in der Ferienwohnung nebenan ausgerechnet ein Ehepaar aus Tirol einzieht, das mit gleich zwei aufgeweckten Kindern gesegnet ist und dem Paar ständig die eigene Sehnsucht nach Nachwuchs in Erinnerung ruft. „Was wir wollten“ wurde von Österreich zur Vorauswahl für die Oscar-Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“ eingereicht.
Ulrike Kofler
Pamela Russmann
celluloid: Frau Kofler, wie ist das Gefühl, aus dem Schneideraum heraus auf den Regiestuhl zu wechseln?
Ulrike Kofler: Es ist ein langer Prozess gewesen, denn ich bin sehr gerne Cutterin und werde das auch sicher bleiben. Aber mein Wunsch, eigene Geschichten zu erzählen, war immer schon da, ich habe schon etliche Drehbücher geschrieben, schon während meines Studiums in Köln.
Wieso das Thema Kinderwunsch?
Der Film basiert auf einer Kurzgeschichte von Peter Stamm, die mich sehr berührt hat: Es gibt da dieses Paar, das den Urlaub einfach nicht genießen kann. Die beiden sehen immer nur das Glück der anderen, nie ihr eigenes. Das Thema Kinderwunsch ist für jedes Paar sehr persönlich, auch für mich. Ich bekam mit 33 mein erstes Kind, wollte dann noch ein zweites, aber das hat nicht mehr geklappt und warf mich in eine regelrechte Lebenskrise. Ich fragte mich: Wenn ich schon so darunter litt, wie muss es dann erst Paaren gehen, die gar keine Kinder haben? Ungewollt kinderlos zu sein, das betrifft in Europa jedes fünfte Paar.
Ist unsere auf den Beruf fokussierte Gesellschaft daran schuld?
Es ist ein Tabuthema, und gerade bei Akademikern sind über 40 Prozent kinderlos, weil sich im Leben alles nach hinten verschiebt, Studium, Job und Karriere sind erst einmal wichtiger, und dann ist es oft schon zu spät.
Haben Sie recherchiert, welchen Einfluß die Psyche hat, wenn Paare kinderlos bleiben? Machen sie sich zu viel Druck?
Die Psyche spielt sicher eine Rolle und es ist Zeit, diesem Thema eine laute Stimme zu geben. Aber mich hat auch ein anderer Faktor interessiert: Wir leben in einer Zeit, wo alles möglich und käuflich ist. Dieser neoliberale Gedanke ist auch
Lavinia Wilson und ein völlig gegen den Typ besetzter Elyas M‘Barek in Österreichs Oscar-Einreichung „Was wir wollten“.
in der Reproduktionsmedizin verankert. Jeder hat das recht, dass es mit dem Nachwuchs klappt. Wenn es nicht klappt, empfindet man das als persönliches Versagen.
Wie haben Sie Ihre persönliche Krise gemeistert?
Die Krise dauerte ein paar Jahre, aber inzwischen habe ich ein Pflegekind. Das war mir erst möglich, als ich die Idee eines leiblichen Kindes losgelassen habe. Wie ich das überwunden habe, kann ich allerdings kaum in Worte fassen.
Sie haben die meisten Filme von Marie Kreutzer geschnitten, diesmal hat Kreutzer auch am Drehbuch mitgeschrieben und Sie haben die Rollen getauscht: Der Filmschnitt von „Was wir wollten“ geht auch auf Kreutzers Konto. Wieso?
Wir haben deshalb Rollen getauscht, weil einen der erste eigene Film sehr fordert. Es war eine sehr inspirierende Erfahrung für mich, wenn man das eigene Material nicht selbst schneidet. Es gab Momente im Schneideraum, da dachte ich: Das wird nix. Marie sprach mir dann gut zu: „Das wird schon“. Ich habe dann erkannt, wie sehr ich als Cutterin eigentlich auch Seelenanwalt der Regisseure bin, die mit mir arbeiten. Ich habe es oft erlebt, dass jemand im Schnitt verzweifelt und ich dann mit großer Ruhe und dem Blick des Außenstehenden Struktur in das Projekt bringen kann. Das war mir bis zur eigenen Filmarbeit gar nicht bewusst. Den Druck einer Regisseurin hat man als Cutterin nicht.
Ihre Figuren sind hochinteressant: Die Frau, gespielt von Lavinia Wilson, nicht gerade sympathisch, der Mann, mit Elyas M’Barek völlig gegen den Typ besetzt.
Elyas wollte einmal etwas anderes machen, und ich fand die Idee spannend, ihn gegen den Typ zu casten. Bei Lavinias Figur brachte das auch Probleme bei der Fördereinreichung. Die Frau hat unsympathische Züge, und Frauen, die nicht ganz der Norm entsprechen, die haben es als Filmfigur immer schwer. Immer wieder musste ich bei der Einreichung darauf hinweisen, dass es in Ordnung ist, wenn man auf der Leinwand nicht immer nur glückliche, lachende Frauen zeigt, die perfekt sind. Interessant: Eine unsympathische männliche Figur ist hingegen nie ein Problem.
Immerhin ist es positiv, dass durch Filme wie „Was wir wollten“ auch mehr Frauen in höheren Positionen hinter der Kamera sitzen. Werden Sie weitermachen?
Ja, ich will auf jeden Fall beides machen: Regie führen und am Schneidetisch sitzen. Ich habe Blut geleckt, aber die Finanzierung der Filme bleibt schwierig. Mein nächstes Projekt ist schon geschrieben, es geht darin um eine 22-jährige, heillos überforderte Mutter, die das vierte Kind erwartet.
Also quasi ein Sequel in der Gegenrichtung?
Die Geschichte ist inspiriert von meinem Pflegekind, und ja, es ist eine Art Gegenentwurf zu „Was wir wollten“. Das Thema Kinder hat einfach unzählige Fa-