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Neue Bücher: Verschwundene Kinos im Weinviertel, 100 Jahre Karl May im Kino
LESE STOFF
Edition Winkler-Hermaden
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DER CHARME VON DAMALS
Das Buch „Verschwundene Kinos im Weinviertel“ spürt alte Lichtspielhäuser auf.
Ein alter Kinosaal hat eine ganz besondere Atmosphäre, weil er von etwas Vergangenem erzählt; von einem gemeinsamen Traum, den das Publikum hat, wenn es ihn betritt. Vom gemeinsamen Lachen, Weinen, vom Angsthaben und vom Gerührtsein. Das Kino entführte in eine andere Welt, zumindest für zwei Stunden.
Jetzt, in der Pandemie, wo die Kinos wieder zu sind und die Menschen zuhause bleiben sollen, wird das Defizit, das ein geschlossenes Kino hinterlässt, wieder besonders deutlich. Und auch die beiden Autoren des liebevoll gestalteten Buches „Verschwundene Kinos im Weinviertel“ hegen eine deutliche Zuneigung für die Laufbilder. „Der Genuss begann schon mit dem Aufgehen des Vorhangs“, erinnert sich Karl Zellhofer, Jahrgang 1951. Sein Sohn Martin, geboren 1977, hat in seinem Heimatort in den Lichtspielen Leobendorf das erste Mal Kinoluft geschnuppert. „Der dunkle Saal war mir unheimlich und erschien mir unermesslich groß“, sagt Martin Zellhofer.
Für das Vater-Sohn-Gespann war es ein Herzensanliegen, sich der einstigen, blühenden Kinolandschaft des Weinviertels, „ihres“ Viertels, anzunehmen. Es ist ein bildreiches Buch, das stark lokal verortet ist, das aber dennoch eindrucksvoll zeigt, wie drastisch sich die Filmrezeption über die Jahrzehnte geändert hat; viele kleine Einsaalkinos in den Dörfern am Land mussten schließen, die Kinoketten konzentrierten darauf hin ihre Multiplexe in den Peripherien der Ballungsräume; der Status quo ist kein erfreulicher: Durch Corona machen gerade die Großen der Branche so viele Verluste wie nie zuvor - und das Publikum sucht sich seine Unterhaltung bei den Streaming-Portalen.
Da ist der Hauch von Nostalgie, den das Buch verströmt, gerade willkommen: Die Zellhofers haben sich auf eine Entdeckungsreise zu den Ruinen der einstigen Kinos begeben und dabei allerlei Kurioses ausgehoben. Viele der einstigen Kinos sind längst abgerissen, an ihrer statt stehen dort nun Geschäfte, Büros oder Wohnungen. „Noch lohnt sich die Recherche, noch können Suchende den Fingerzeig der Geschichte spüren“, so die Autoren, die natürlich auch in alten Filmprogrammen, Aushangfotos, Filmplakaten und Kinokarten stöberten.
BELIEBTE FOTOMOTIVE In manch raren Fällen sind die lange geschlossenen Kinos noch beinahe vollständig erhalten. Die Front der 1953 eröffneten und 1977 geschlossenen Groß-Kadolzer Lichtspiele etwa, mit dem markanten Schriftzug „Tonkino“ darauf, ist heute ein beliebtes Fotomotiv, und auch im Inneren ist alles weitgehend erhalten. „Es wirkt, als ob der Filmvorführer bloß eine kurze Pause machen würde“, so die Autoren. Nicht so gut in Schuss sind die Lichtspiele Großkrut, wo der Verputz von den Wänden bröckelt. In Haugsdorf ist vom „Pariser Ideal Kino“ nur mehr ein verblasster Schriftzug an der Hauswand sichtbar, der Kinosaal dient heute als Garage.
Das einstige, 1987 geschlossene Tonkino Poysdorf hat auch eine Nachnutzung gefunden: In dem 1932 aus der Pfarrscheune zum Kino umfunktionierten Saal baut eine Tischlerei heute Särge, inmitten des Ambientes eines Kinos - der Projektionsraum ist seit der Schließung gar nicht verändert worden, in ihm stehen nicht nur zwei Projektoren und Umspulgeräte, sondern es hängt dort auch ein Kalender aus dem Jahr 1987 - mit viel Staub darauf.
Die Autoren erzählen bei ihrer Entdeckungsreise von ihren Eindrücken, die sie beim Wiederfinden dieser Orte erlebten, unterfüttern diese mit zahlreichen Fotos und Dokumenten und lassen auch Zeitzeugen zu Wort kommen, etwa Josef Pauker, einst Vorführer in den Lichtspielen Großkrut. „Einmal brannte eine Filmrolle ab“, erinnert sich Pauker, „sinnigerweise passierte das bei einem Film mit dem Titel ‚Berge in Flammen‘.“
Das Buch macht auch deutlich, wie viele Kinos es einmal gab: Auch kleinere Gemeinden wie Hadres, Herrenbaumgarten, Prottes, Sitzendorf an der Schmida oder Wildendürnbach hatten einmal ein Kino. Sie alle verströmten die magische Atmosphäre, die man sich nach der Lektüre dieses Buches so bald als möglich wieder zurückwünscht. KIKI ADLER
„Verschwundene Kinos im Weinviertel“. Karl und Martin Zellhofer, 116 Seiten, Edition Winkler-Hermaden, 21,90 Euro
Bis aus den abenteuerlichen Büchern von Karl May veritable Kinohits wurden, verging viel Zeit. Ein neuer Bildband zeigt: Es brauchte etliche Flops, bis Winnetou & Co. endlich zu den Legenden wurden, die sie heute sind.
LESE STOFF DER DR. NO DES KARL MAY
Am Anfang von Karl Mays Eroberung der Kinoleinwände stand viel Herzblut - und ein kapitaler Flop. Als sich die glühende May-Verehrerin Marie Louise Droop (1890-1959) im Alter von 13 Jahren ein Herz fasste und begann, ihrem Lieblingsautor Briefe zu schreiben, da ahnte sie noch nicht, dass sie einmal die erste sein würde, die eine Verfilmung eines MayRomans produzieren würde. Droop traf den Abenteuer-Autor sogar noch persönlich, ehe dieser 1912 starb. Zu Lebzeiten ist nichts bekannt davon, dass sich findige Produzenten um die Filmrechte zu Mays Oeuvre bemüht hätten, da hatten Kollegen wie Jack London mehr Strahlkraft (er wirkte in der Verfilmung seines Buches „Der Seewolf“ 1913 sogar selbst mit). Aber Marie Louise Droop erkannte die Breitenwirksamkeit des relativ neuen Mediums und konnte Mays Witwe Klara davon überzeugen, die Rechte für drei Verfilmungen herauszugeben. Für die Umsetzung gründete Droop in Berlin die Ustad-Filmgesellschaft; das persische Wort Ustad steht für einen Ehrentitel (etwa „Maestro“), bezeichnet aber auch eine Figur aus Karl Mays „Im Reiche des silbernen Löwen“. Die Produktionsfirma sollte sich voll und ganz der visuellen Umsetzung von Mays Werk widmen, und die ersten drei Produktionen waren auch innerhalb eines Jahres fertig: „Auf den Trümmern des Paradieses“, „Die Todeskarawane“ und „Die Teufelsanbeter“ (der einen frühen Leinwandauftritt des späteren Dracula-Darstellers Bela Lugosi enthält) wurden allesamt 1920 gedreht, zu einer Zeit, als es deutschlandweit 3000 Kinos und 350 Millionen zahlende Zuschauer gab. Ein Riesenpotenzial also.
Doch das Publikum verweigerte den Filmen seine Zustimmung. Die Stummfilme, die aufwändig in Studios in Berlin und bei Außendrehs in der Sächsischen Schweiz entstanden, konnte dramaturgisch nicht überzeugen, das sagten zumindest die damaligen Filmkritiker. Den hellen Geist Karl Mays, seine Leidenschaft für das Abenteuer, für Exotik und Spannung konnten die Filme offenbar nicht reflektieren. Überprüfen lässt sich das allerdings nicht: Alle drei Filme gelten heute als verschollen, es gibt davon keinerlei Kopien.
Sie sind dennoch der Anlass für den neu im Karl-May-Verlag erschienenen Bildband „100 Jahre Karl May im Kino“, eine liebevoll zusammengestellte Hommage an die Filme, die Karl May zum Straßenfeger machten. Autor Stefan von der Heiden versammelt auf den rund 200 Seiten Fotos und Anekdoten, die die Herzen der May-Fans wohl höher schlagen lassen dürften, die aber auch gut als Einführung in das filmische May-Werk dienen können.
ZU ANFANG EIN FLOP Die Bewerbung der ersten May-Verfilmungen mit den Worten, sie hätten „eine sensationelle Wirkung“ auf den Zuschauer, ging jedenfalls daneben: Der Flop der May-Trilogie von 1920 führte direkt in die Pleite der Ustad-Film; zu ambitioniert war die Idee, kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Menschen an exotische, ferne Orte zu entführen. Mehr als 15 Jahre lang wagte sich niemand an die Bücher Karl Mays, und das, obwohl sie (im deutschen Sprachraum) fast jeder kannte. Auch, wenn Mays Werk in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde, zum Weltautor hat er es nicht gebracht - er blieb bis heute ein sehr deutsches Phänomen. 1935 wagte sich die Berliner LotharStark-Film an die Adaption von „Durch die Wüste“ - und ging einen anderen Weg als die Stummfilme: Um wirkliche Exotik zu zeigen, reiste das Filmteam für die Außenaufnahmen nach Ägypten - aber die zeitgenössische „Filmkritik“ der NSPresse war erbarmungslos: Zu langatmig, zu wenig Spannung - und am Ende noch ein halb-jüdischer Regisseur, was die Firma unter der NS-Herrschaft zuverlässig ins Aus manövrierte.
Wieder vergingen Jahrzehnte. Erst mit den beiden in Spanien gedrehten „Die Sklavenkarawane“ (1958) und „Der Löwe von Babylon“ (1959) wagte man sich wieder an zwei May-Vorlagen, wobei ersterer von Georg Marischka, dem Neffen des „Sissi“-Regisseurs Ernst Marischka, inszeniert wurde und es immerhin zum Achtungserfolg brachte, sodass hinterher gleich der zweite folgte.Der jedoch floppte - und wieder ging der Plan, aus Karl Mays Romanen serienhafte Kinoerfolge zu produzieren, daneben. Auch, als man die beiden Filme Anfang der 60er Jahre nochmals in die Kinos brachte, wollte sie kaum jemand sehen, was nicht an der Besetzung mit Georg Thomalla und Theo Lingen lag, die ihre Sache recht ordentlich machten. Aber der Erfolg von Karl May auf der großen Leinwand sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Pierre Brice und Lex Barker wurden durch ihre Rollen als Winnetou und Old Shatterhand in den WinnetouFilmen berühmt. Im Karl May-Verlag ist nun der Titel „100 Jahre Karl May im Kino“ erschienen.
Denn es kam: 1962. Im selben Jahr, in dem auch James Bond mit „Dr. No“ seinen Siegeszug um die Welt antrat und dem bis 1970 weitere fünf Abenteuer folgten, gelang es auch, Karl May im Kino zur absoluten Gelddruckmaschine zu führen. Initialzündung für den Erfolg, also quasi der „Dr. No“ des Karl May, wurde Harald Reinls Verfilmung von „Der Schatz im Silbersee“, der zum Überraschungshit wurde. Das Branchenblatt „Filmecho/ Filmwoche“ vermeldete zu Weihnachten 1962: „Schlangen vor den Kinokassen, wie man sie nur noch in blasser Erinnerung hatte, beweisen, dass es sich bei diesem Film offenbar um einen Goldschatz handelt“.Und die May-Anhänger waren viel produktiver als Bond: In nur sieben Jahren wurden 17 Filme gedreht, die mehr oder weniger auf Mays Büchern basierten, darunter die „Winnetou“Trilogie (1963-1965), „Old Shatterhand“ (1964), „Der Schut“ (1964) oder „Durchs wilde Kurdistan“ (1965). Allein 1965 kamen sieben Karl-May-Verfilmungen heraus, in denen zumeist die jugoslawische Landschaft als Kulisse für die USA herhalten musste. Überzeugt hat das damals wie heute jeden Fan. Bis in die 70er Jahre hielten sich Proteste der Kinobetreiber gegen eine TV-Ausstrahlung dieser Filme, weil die bei jeder Wiederaufnahme in den Kinos so viel Publikum anlockten. Und: Es war die Zeit ikonografischer Helden im deutschen Kino, an deren Spitze der Beliebtheitsskala ausgerechnet ein Franzose und ein Amerikaner standen: Pierre Brice gab seinem Winnetou - den holzschnittartigen Vorzeichen der Filmreihe getreu folgend - eine Sanftheit und Anmut, eine Güte und eine Heroik, die kein Schauspieler im US-Kino über Native Americans je auf die Leinwand brachte. Und Lex Barker, der Hüne und ColtAkrobat, wurde als kongenialer Partner des Indianers schnell zum Helden jedes Kinderzimmers. Man darf behaupten, dass die Faschingsspiele vom „Cowboy und Indianer“ hier ihren wahren Ursprung hatten.
USCHI APANATSCHI Für viele Darsteller wurde diese Filmreihe zu einem Karriereturbo: Uschi Glas wurde mit „Winnetou und das Halbblut Apanatschi“ (1966) berühmt, auch für Götz George, Eddi Arent oder Mario Girotti bedeutete die Reihe Aufwind. Letzterer wurde später bekanntlich als Terrence Hill sogar noch zum Weltstar, in komödiantischen Variationen des Western-Genres.
Historisch akkurat waren die Karl May-Verfilmungen eher nicht - denn sie sollten in erster Linie das deutschsprachige Unterhaltungskino befeuern, was auch famos gelang. Zeitgleich entwickelte sich in der DDR allerdings ein ähnlicher Trend. Dort drehte die DEFA in den 60er Jahren auch etliche Indianer-Filme, die jedoch wesentlich genauer auf den historischen Umgang der kapitalistischen Amerikaner mit den unterjochten Indianern eingingen.
Wie dem auch sei: Jeder Trend hat mal ein End‘, und auch die Hoch-Zeit der KarlMay-Verfilmungen ging vorüber. 1974 fokussierte das Bio-Pic „Karl May“ - hochkarätig besetzt mit Helmut Käutner (als Karl May), Attila Hörbiger, Lil Dagover, Rudolf Prack und „Reichswasserleiche“ Kristina Söderbaum (die zur NS-Zeit in vielen Filmen ihres Mannes Veit Harlan mitwirkte und in „Jugend“ und „Jud Süss“ ihren Tod im Wasser fand, was ihr diesen Spitznamen einbrachte) - auf die letzten 12 Lebensjahre des sächsischen Schriftstellers. Es folgten ein paar TV-Filme, aber der nächste große Kinofilm rund um Karl May war dann eine Parodie: „Der Schuh des Manitu“ (2001) von Michael „Bully“ Herbig durfte sich lange der erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten nennen.
Humor war Karl May nicht fremd, und dieser Ulk hatbis heute Kultstatus. Vielleicht auch deshalb, weil seither nicht mehr viel passierte. Vielleicht ist die Zeit noch nicht reif für einen neuen Winnetou. Vielleicht denken einige Produzenten aber schon im Geheimen nach, wie „Der Schatz im Silbersee“ als Remake aussehen könnte: Mit Elyas M’Barek als Winnetou, Lars Eidinger als Old Shatterhand und Nora Tschirner als Apanatschi. Warum denn nicht? Lustig wär‘ das schon. SOPHIE BRAUNER