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HEADS AND NEWS

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„Viele Wohnbau-Projekte sind reine Anlegerprojekte – das ist weder familienförderlich noch sonderlich nachhaltig.“

ROLAND JAGERSBACHER

Geschäftsführer s Real Steiermark

„Ich wünsche mir Verantwortung von allen, nicht nur kurzfristig zu denken, sondern für unsere Kinder und Enkelkinder vorzudenken.“

RAINER WÜHRER

Architekt und Stv. Vorsitzender der Sektion Architekt:innen in der Kammer der Ziviltechniker:innen Steiermark und Kärnten

Markt bietet vielfach nicht den Wohnraum an, den die Menschen wirklich benötigen.

Inwiefern?

Jagersbacher: Viele Wohnbau-Projekte sind reine Anlegerprojekte – das ist weder familienförderlich noch sonderlich nachhaltig.

Wührer: Hier sehe ich ein Problem, weil die Stadt dann plötzlich zu einem Puzzle aus Einzelobjekten wird. Dabei muss man sich eine Stadt wie einen Organismus, als Ganzes, vorstellen.

Schrempf: Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen. Wir müssen Stadtentwicklung aus einer gesellschaftsorientierten Sichtweise betrachten. Der Mensch steht im Mittelpunkt und alle anderen Aspekte leiten sich von diesem zentralen Punkt ab. Dieses sogenannte Society-centered Design sollte an oberster Stelle stehen.

Herr Schrempf, Graz ist Weltkulturerbe und City of Design. Inwiefern ergänzt sich das beziehungsweise widerspricht sich das?

Schrempf: Beide Titel gemeinsam haben weltweit nicht viele Städte. Graz ist UNESCO-Weltkulturerbe und hat dadurch im Altstadtkern begrenzte Möglichkeiten für Neues, das sie als UNESCO City of Design einbringen kann. In dieser Polarität liegt eine riesige Chance, mittels Design die gesamtstädtische Entwicklung voranzutreiben – und das nachhaltig und in allen Bereichen. Die Kombination ist perfekt.

Was braucht gute Stadtplanung?

Wührer: Proaktives Handeln. Man darf nicht erst warten, bis irgendwo ein Projekt realisiert wird, um dann erst zu schauen, was man machen darf oder kann. Man muss sich schon im Vorfeld ein Bild davon machen, wohin die Reise geht. Und diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf die Architektur alleine – von der Mobilität bis zum Grünraum gehört alles mitbedacht.

Welche Rolle wird der Klimawandel spielen?

Wührer: Wir werden in Zukunft mit mehr Hitzetagen, mehr Starkregenereignissen und vielem mehr kämpfen müssen. Das heißt, wir müssen das auch in der Planung mitbedenken – und da geht es um ganze Stadtteile, aber auch um einzelne Objekte. Wir beschäftigen uns in der Kammer sehr intensiv mit dem Thema, Quartiere klimafit zu machen. Das fließt auch stark in die Fort- und Weiterbildung ein.

Wird sich der öffentliche Raum in Zukunft ändern?

Jagersbacher: Durch die steigenden Preise am Immobilienmarkt wird der leistbare Wohnraum kleiner, dadurch wird der öffentliche Raum an Bedeutung gewinnen.

Werle: Wir sind in Jahren des Wandels, auch was die Thematik des Klimas angeht. Der öffentliche Raum wird immer wichtiger. Gerade in zentralen Bereichen muss man daher engagiert den öffentlichen Raum neu verteilen. In dieser Hinsicht sind sich auch alle politischen Parteien einig. Aber dafür braucht es auch viel Geld.

Schrempf: Gerade der öffentliche Raum wird wesentlich sein für das Lebensgefühl – und das Lebensgefühl ist eigentlich der zentrale Wert für eine Stadt.

Das bringt uns zu einem der bekanntesten und wohl meistdiskutierten öffentlichen Freiräume der Stadt: die Grazer Innenstadt. Was wäre Ihr Wunsch diesbezüglich?

Schrempf: Ich verstehe nicht, dass wir nicht schon längst den Verkehr viel radikaler aus der Innenstadt verbannt haben. Auf der einen Seiten stehen die Befürchtungen der Wirtschaftstreibenden. Dem entgegen stehen aber gute Beispiele aus

Setzen sich mit proaktivem Handeln für eine zukunftsfähige Stadt ein: Bertram Werle, Roland Jagersbacher, Eberhard Schrempf und Rainer Wührer (v. l.)

anderen Städten, wo das wunderbar funktioniert hat.

Welche zum Beispiel?

Schrempf: Ljubljana in Slowenien, mit einer ähnlichen Größe wie Graz, hat seine Innenstadt großflächig zur Fußgängerzone umstrukturiert. Die Folge: Der Leerstand hat sich dramatisch reduziert. Unterstützt wird das Ganze mit einer ganz simplen Idee. Elektrische Golfcarts werden zur Gratis-Beförderung für ältere Menschen oder für größere Einkäufe zur Verfügung gestellt. Es gibt vieles, was man von anderen Städten lernen kann. Das vermisse ich in Graz, bei uns wird oftmals vieles neu erfunden.

Werle: Das stimmt. Das Beispiel Ljubljana zeigt gut, dass man sich nicht fürchten muss, etwas „zu Tode zu beruhigen“, sondern dass solche Maßnahmen den öffentlichen Raum attraktiver machen. Trotzdem möchte ich noch eine Lanze für Graz brechen. In anderen Städten sieht man oftmals nur das Positive und vergleicht es mit dem Negativen in der eigenen Stadt. Ich erlebe aber umgekehrt sehr oft Graz-Besucher, die von der Stadt und ihren erfolgreichen Entwicklungen begeistert sind.

Das Thema „leistbares Wohnen“ rückt im Stadtbereich immer mehr in den Fokus. Viele ziehen aus der Stadt raus, um sich noch Eigentum leisten zu können. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Jagersbacher: Diese Entwicklung ist sehr schade, weil die Stadt qualitativ sehr viel bietet. Graz ist seit einiger Zeit Ausweichmarkt für Großinvestoren aus Wien, die Graz aufgrund der attraktiveren Preise als neuen Markt für sich entdeckt haben. Durch die erhöhte Nachfrage steigen die Grundstückspreise und in Kombination mit den sowieso steigenden Baupreisen wird Wohnen immer schwerer leistbar. Zusätzlich sind viele der Projekte anlegeroptimiert, was kleine Wohnungen und erhöhte Leerstände mit sich bringt. Meiner Meinung nach eine nicht sehr nachhaltige Entwicklung.

Wie könnte man dem entgegenwirken?

Wührer: Eine Möglichkeit wäre eine Förderung des Städtebaus, indem wir uns proaktiv Stadtteile – auch bestehende Stadtteile – anschauen und entwickeln. Damit könnten Transformationen – wie in der Gegend Lendplatz gut geglückt – initiiert werden.

Welche Aspekte gilt es hinsichtlich der Mobilität zu beachten?

Werle: Das Mobilitätsbedürfnis in der Stadt selbst ist schon eine große Herausforderung – aber noch mehr in der Region. Hier versuchen wir, von jenen 80 Prozent, die mit dem Auto nach Graz pendeln, möglichst viele zum Umsteigen in die S-Bahn und aufs EBike oder Fahrrad zu bewegen. Das funktioniert natürlich nur, indem man ein attraktives Park-and-Ride-Angebot in der Region schafft. In der Stadt selbst haben wir schon ein sehr gutes öffentliches Verkehrssystem, das natürlich weiter verdichtet gehört. Es ist aber auch zu beobachten, dass der Rad-

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