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QUO VADIS, GRAZ?
Eric Kirschner,
Leiter Forschungsgruppe
Regionalökonomie und
Strukturpolitik am Joanneum Research
tur zu nutzen, müssen einige Rahmenbedingungen erfüllt werden, mahnt der Forscher. „So wird es nötig sein, die Flächen rund um die Bahnhöfe zu sichern und strategisch zu entwickeln, weil diese extrem wertvoll werden. Es wird Firmen brauchen, die Wachstumspotenzial haben, die in die Region passen, damit man proaktiv Regionalentwicklung betreiben kann“, sagt Kirschner, der sich innovative Jungunternehmen wünscht, die qualifizierte Arbeitsplätze schaffen – und keine Fastfood-Ketten. In der Studie zum Wirtschaftsraum weist er auch darauf hin, dass es nachhaltige Verbesserung bei der öffentlichen Erreichbarkeit und Schieneninfrastruktur über die 130 Kilometer lange Koralmbahn hinaus brauchen wird. Auch der flächendeckende Glasfaserausbau als Begleitmaßnahme wird unerlässlich sein, um den neu angesiedelten Unternehmen eine ausreichend schnelle Verbindung zum Internet zu ermöglichen.
Die schnelle Verbindung zwischen den Tourismusregionen – Vormittag in der steirischen Weinstraße, Nachmittag am Wörthersee – bringe Vorteile für den Fremdenverkehr. Der Koralmtunnel erleichtere gemeinsame touristische Angebote und erhöhe so den Mehrwert für Besucher. Für die Forschungsstandorte Graz und Klagenfurt sollen sich auch neue Chancen eröffnen. Die unmittelbare geografische Nähe der Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen werde vom Koralmtunnel zusätzlich befeuert, was einer engeren strategischen Vernetzung zugutekomme. „Die Herausforderung wird darin liegen, KMU verstärkt in der Wissenschaft zu positionieren. Bereits bestehende Netzwerke und Initiativen können als ‚Enabler‘ für eine tiefergehende Kooperationsbereitschaft zwischen den beiden Bundesländern dienen“, sagt Kirschner, der im zusammenwachsenden Südraum eine höhere wirtschaftliche Dynamik, höhere Attraktivität, stärkere Bildungsinstitutionen und internationale Anziehungskraft ausmacht.
ZUR PERSON
Max-Peter Menzel ist Vorstand des Instituts für Geographie und Regionalforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Menzel studierte von 1996 bis 2002 Geographie an der Universität Bayreuth in Bayern, seit 2018 lehrt und forscht er in Kärnten.
Was passiert mit zwei Städten, die durch ein Infrastrukturprojekt nah aneinanderrücken? Der Geograf Max-Peter Menzel erklärt den Präzendenzfall anhand des Beispiels Öresundbrücke.
TEXT: JOSEF PUSCHITZ, FOTOS: AAU/PHOTO RICCIO, ÖBB/CHRIS ZENZ
Professor Menzel, über die Auswirkungen des Koralmtunnels kann derzeit viel gemutmaßt werden, genaue Prognosen erweisen sich aber aufgrund der Komplexität der Materie als schwierig. Wie lassen sich dennoch belastbare Aussagen treffen?
Max-Peter Menzel: Indem man Vergleiche sucht, die eine ähnliche Ausgangsposition vorweisen. Die Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö ist dafür ein gutes Beispiel, weil sie eine größere Stadt mit einer kleineren verbindet und ähnlich wie bei Graz und Klagenfurt die Fahrzeit deutlich verringert.
Was lässt sich aus diesem Beispiel lernen?
Eine Studie, die sich mit den Veränderungen in den zehn Jahren nach Bau der Brücke beschäftigt hat, zeigt, dass sich die Prozesse zunächst erst langsam entwickeln. In den ersten paar Jahren nach der Fertigstellung tat sich noch nicht viel. Bis sich etwa die Verflechtungen am Arbeitsmarkt zeigen, dauert es eine gewisse Zeit, weil die Entscheidungen für einen Wohnortwechsel bei den Arbeitnehmern oft erst über einen längeren Zeitraum reifen. So etwas passiert nicht von heute auf morgen.
Als es dann so weit war, wie hat sich der Arbeitsmarkt durch die Öresundbrücke verändert?
Profitiert hat vor allem die kleinere Stadt Malmö in Schweden. Sie erfuhr durch die Brücke eine positive Entwicklung hinsichtlich des Bevölkerungswachstums. Viele Dänen, denen es in Kopenhagen zu teuer war, wurden von den günstigeren Mieten angezogen und haben sich in Malmö niedergelassen. Diese Entwicklung ist gerade aus der Klagenfurter Sicht heraus sehr interessant.
Zahlt sich so ein Zusammenwachsen also vor allem für die kleinere Stadt besonders aus?
Zumindest was den Innovationsaspekt angeht, gibt es dahingehend wissenschaftliche Untersuchungen. Eine Studie hat sich damit beschäftigt, wie sich der Innovationsgrad von Malmö nach der Eröffnung der Öresundbrücke entwickelt hat. Gemessen an der Rate von angemeldeten Patenten war Malmö vor der Eröffnung der Brücke eher unterdurchschnittlich im Vergleich zu Städten wie Göteborg oder Stockholm. Nach der Eröffnung ist der Anteil an Patenten angestiegen, Malmö wurde innovativer als vergleichbare Orte.
Wodurch kann man das erklären?
Letztlich wurden dafür zwei Aspekte angeführt. Erstens sind nach Öffnung der Brücke mehr Wissenschaftler nach Malmö gezogen, wohl weil der Standort attraktiver wurde. Zweitens wurden diese auch produktiver. Anscheinend hat die bessere Verkehrsanbindung dazu geführt, dass sie schneller mit anderen interagieren können. So fiel es ihnen leichter, neue Ideen aufzunehmen.
ZUM PROJEKT
Mit einer Länge von 33 Kilometern verkürzt der Koralmtunnel mit zwei Röhren die Zugreise zwischen den Landeshauptstädten Klagenfurt und Graz auf flotte 45 Minuten. Gebaut wird am Großprojekt seit März 2009, die Fertigstellung wird mit Ende 2025 angepeilt. Schätzungen zufolge soll der Koralmtunnel insgesamt über zehn Milliarden Euro kosten, Förderungen kommen allerdings aus dem Topf für die Transeuropäischen Netze der Europäischen Union.
Weil man für Erfolg etwas unternehmen muss.
Erfolg kommt nicht von alleine. Dafür benötigt es Visionen, Durchhaltevermögen und ein starkes Team, auf das man zählen kann. Erfolg fängt an, wo man vertraut.
Quo vadis, Graz? Eine Frage, auf die sich nicht leicht eine Antwort finden lässt. Wir haben trotzdem einen Versuch gestartet und im großen Round-TableGespräch spannende Aussichten gefunden.
TEXT: LISSI STOIMAIER, FOTOS: THOMAS LUEF, SHUTTERSTOCK
GRAZ?
QUO VADIS,
„Gerade in zentralen Bereichen muss man engagiert den öffentlichen
Raum neu verteilen.“
BERTRAM WERLE Stadtbaudirektor
„Wir müssen Stadtentwicklung aus einer gesellschaftsorientierten
Sichtweise betrachten … mit dem Menschen im Mittelpunkt.“
EBERHARD SCHREMPF
Geschäftsführer Creative Industries Styria
Lebensraum, Wohnbereich, Arbeitsplatz, Freizeitfläche … Graz ist vieles und noch viel mehr. Aber vor allem ist die Stadt lebenswert. Das stete Bevölkerungswachstum sowie der Klimawandel erfordern aber ein aktives Handeln, um dieses lebenswerte Gefühl zu erhalten. Was es dafür braucht, aber auch wie man es schafft, Wohnen leistbar zu machen und statt Quantität auf Qualität zu setzen, hat der BUSINESS MONAT in einem Round-TableGespräch rund um die Grazer Stadtentwicklung vier Experten gefragt: Bertram Werle, Stadtbaudirektor, Eberhard Schrempf, Geschäftsführer Creative Industries Styria, Roland Jagersbacher, Geschäftsführer s Real Steiermark, und Rainer Wührer, Architekt und Stv. Vorsitzender der Sektion Architekt:innen in der Kammer der Ziviltechniker:innen Steiermark und Kärnten. Das Ergebnis: Visionen, Visualisierungen und Voraussagen, die einen spannenden Ausblick in die Zukunft bieten.
BUSINESS-MONAT-Chefredakteurin Lissi Stoimaier im Gespräch mit der Expertenrunde
Werfen wir zuerst einen Blick auf den Status quo. Mit welchen großen Herausforderungen in puncto Stadtentwicklung muss man sich aktuell beschäftigen?
Werle: Wir haben seit 2001 einen gewaltigen Bevölkerungszuwachs mit einem Plus von rund 70.000 Hauptwohnsitzen zu verzeichnen. Das ist mehr als die Gesamteinwohnerzahl von Villach. Diesem Zuwachs muss man unter Einbezug aller relevanten Aspekte – von Mobilität bis Wohnbau, von Energie bis Grünraum – Rechnung tragen.
Wührer: Graz ist eine sehr lebenswerte Stadt, das ist auch im internationalen Vergleich immer wieder zu sehen. Das weckt natürlich den Wunsch, hier zu wohnen. Dadurch entsteht unter anderem der Bedarf nach neuen Wohnungen. Der