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Harener Schifffahrt im Wandel der Zeit

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Autorenverzeichnis

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Kapitel iii

TExT rEInHArD WESSElS Schon vor 1400 wandten sich die Neu-Harener aus wirtschaftlicher Not der Flussschifffahrt auf der Ems zu und kauften Waren an der Küste auf, um sie mit Gewinn im Landesinneren zu veräußern. „Lewer en lütt Herr – as en groot Knecht“ war Jahrhunderte lang das Motto des selbstständigen Püntkers aus Haren. In den Reihen der Schifffahrtstreibenden vererbte sich der schwere Beruf des Püntkers oft vom Vater auf den Sohn und damit auch die Kenntnis von zahlreichen Untiefen der Ems, die ein Befahren des stets wechselnden Fahrwassers mit großen Schwierigkeiten verknüpfte. Dabei bleibt es der historische Verdienst der Püntker, dass sie die einzige Wasserstraßenverbindung des nördlichen Westfalens mit der Nordsee über viele Jahrhunderte hinweg aufrecht erhielten.

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„Heute wenige haben leider nur noch Selbstständige Zeit für die Politik. Der berufliche Stress, besonders in der Schifffahrt, macht es leider nicht mehr möglich.“ (Stefan Sibum)

Mit der sogenannten „Harener Emspünte“, die entweder getreidelt oder gesegelt werden konnte, übernahmen die Püntker zum großen Teil den Emsverkehr zwischen Meppen und Emden, verkehrten aber auch im Oberlauf der Ems bis Greven. Sie galten als „verlängerter Arm“ der Seeschifffahrt, denn die großen Segelschiffe kamen über Leerort und Papenburg nicht hinaus. 1810 zählte Haren 32 Schiffe mit 91 Mann Besatzung. Der Schiffsbestand vergrößerte sich, so dass Haren um 1850 bereits 80 Pünten mit einer Ladefähigkeit von 50 bis 100 t besaß. Nach Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals im Jahre 1899 änderte sich das Bild der Emsschifffahrt durch die zahlreichen Schleppschiffe völlig. Mit der Pünte THEA wurde 1958 das letzte Fahrzeug dieser Art aus dem Verkehr gezogen. Die Emspünte wurde auch „Harener Pünte“ genannt, weil sie fast ausschließlich in Haren gebaut wurde und hier beheimatet war. Die eigentliche Form passte sich der Schifffahrt auf der Ems an. Gefordert war ein Fahrzeug mit relativ kleinen Dimensionen, einer stabilen Bauweise und wegen der zahlreichen Untiefen einem flachen Boden mit geringem Tiefgang.

Harener Pünte an der Hasemündung vor dem Bau des Dortmund-Ems-Kanals. Foto: Sammlung Schifffahrtmuseum Ein regelrechter Aufschwung setzte in der Binnenschifffahrt ein, nachdem die linksemsischen Kanäle und der Dortmund-Ems-Kanal zum Ende des 19. Jahrhunderts in Betrieb genommen wurden. Doch mit den von Dampfschleppern gezogenen eisernen Schiffen privater Großreedereien, die über die dreifache Tragfähigkeit verfügten, konnte die Pünte als „Universal-Binnenschiff“ nicht konkurrieren. Der Zusammenschluss zu einer Genossenschaft, dem Schiffer-Transport-Verein Haren im Jahre 1906, half zwar im Preiskampf um die Frachtraten, jedoch waren die Schiffer gezwungen sich wirtschaftlich und technisch umzustellen. Sie ließen sich zuerst größere Holzschiffe bauen und kauften dann verstärkt „Kastjes“ aus den Niederlanden. Diese wurden als Schleppschiffe in der Binnenfahrt eingesetzt. Stadtgeschichte(n)

Nach dem 2. Weltkrieg setzte sich die Motorisierung der Schleppschiffe immer mehr durch. Harener Schiffer wurden „Selbstfahrer“. Sie kauften Seeleichter, Schuten sowie anderen billig zur Verfügung stehenden Schiffsraum von bis zu 350 t Tragfähigkeit und rüsteten ihre Fahrzeuge mit Dieselmotoren aus, deren Einbau zuerst bei der Elfring-Werft am Haren-Rütenbrock-Kanal und später bei der Fa. Klene am Alten Hafen erfolgte. Kleinere Schiffe wurden durch Verlängerung, Verbreiterung oder Erhöhung vergrößert. Vereinzelt wurden auch Neubauten in Auftrag gegeben. Im Jahre 1965 betrug die Anzahl der Binnenschifffahrtsbetriebe 208.

Durch die folgende Expansion der Binnenschifffahrt kam es innerhalb weniger Jahre zu einer internationalen Überkapazität, die Druck auf die freien Fahrten auslöste und viele Kleinunternehmer in Bedrängnis brachte. Viele mussten nicht selten wochenlang auf Ladung warten. Diese Situation war auch für die über zweihundert Harener Binnenschiffsunternehmen besonders schlimm. Nachdem am 1.1.1969 die Novelle des Binnenschifffahrts-Verkehrs-Gesetzes in Kraft trat, gaben viele Harener Binnenschiffer im Rahmen dieser staatlich initiierten Abwrackaktion ihren Kleinbetrieb auf. Sie gingen in Rente oder suchten sich Arbeit an Land; andere kauften sich ein größeres Schiff. Die Anzahl der Betriebe verringerte sich auch in den folgenden Jahren rapide, weil viele Schiffe nicht mehr wirtschaftlich fahren konnten. Im Jahre 1975 gab es nur noch 115 Betriebe, 1995 waren es noch 60 Betriebe. Nachdem die Abladetiefen für die Flüsse und Kanäle durch Ausbaumaßnahmen kontinuierlich weiter erhöht wurden, wuchsen auch die Anforderungen an die Beschaffenheit und technische Ausrüstung der Schiffe. Auf Druck der Häfen bauten auch die Harener ihre Fahrzeuge nach und nach in Einraum- bzw. Zweiraumschiffe mit glatten Laderaumwänden um, sodass sie den Forderungen des Marktes entsprachen. Schiebeoder Stapelluken, die schnell und einfach bewegt werden können, sind die Regel.

Heute sieht der Fahrstand eines modernen Ruderhauses aus wie das Cockpit eines Flugzeugs: Radargerät, Wendeanzeiger, Echolot, Autopilot und eine mehrfach abgesicherte Steuerung für sichere Fahrt; UKW-Geräte, Mobiltelefon und Fax für die Kommunikation; Kontrollanzeigen und Bedienungselemente für die Hauptmaschine, das Bugstrahlruder und die Aggregate.

War die Wohnung früher im Sommer heiß, während der Fahrt sehr laut, ihre Abmessung klein und die Einrichtung eher spartanisch, bietet sie heute durch ihre Größe und Ausstattung wesentlich mehr Komfort. Eine Klimaanlage sorgt für angenehme Temperaturen und eine elastische Lagerung an Deck absorbierten die von Hauptmaschine und Schraube erzeugten Geräusche und Vibrationen nahezu vollständig.

ANTONIA (Baujahr 1905, 190 t) als Schleppschiff Foto: Reinhard Wessels Pünte im Rohbau auf der Werft Bernhard Sibum an der Telkenmühle Foto: Sammlung Schifffahrtmuseum

Die Bevorratung mit Proviant war lange Zeit recht schwierig. Fleisch wurde durch Pökeln, Räuchern oder Kochen haltbar gemacht. „Fietsebohnen“ und Sauerkraut waren die Grundlage für die üblichen Eintopfgerichte. Fast jede Familie versorgte sich zum größten Teil selbst. Nur frische Lebensmittel kaufte man im Laufe der Reise in Schleusenläden oder von Proviantbooten. Heute sorgen elektrisch betriebene Kühl- und Gefrierschränke für wesentlich längere Haltbarkeit der Lebensmittel. Elektroherd, Spülmaschine und Wäschetrockner sind die Regel.

Die 45 Harener Binnenschiffe sind heutzutage auf allen europäischen Wasserstraßen zu Hause. Ihre Ladung besteht hauptsächlich aus Massengütern wie Kohle, Dünger und Erz, aber auch aus Stückgut verschiedenster Art. Andere verdienen ihr Geld in der Tank- oder Containerschifffahrt. Befrachtet werden sie von großen Reedereien. Ihre Fahrzeuge werden zunehmend größer und erreichen in der Containerschifffahrt über 3.000 t. In der Tankschifffahrt werden sogar Schiffe von über 6.000 t Tragfähigkeit gebaut.

Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise hinterlässt aber auch ihre unmittelbaren Spuren in der Harener Binnenschifffahrt und eine durchgehende konjunkturelle Erholung ist derzeit noch nicht in Sicht. Immer mehr Partikulierunternehmer geraten in Zahlungsschwierigkeiten und müssen an ihre Ersparnisse gehen, um in der schwersten Krise seit der Nachkriegszeit zu überleben. In der Trockenschifffahrt hat es in den letzten Jahren bei den Container- und Massengutschiffen nur schwach positive Impulse gegeben. Die Angebotsseite ist zwar von einem starken Rückgang der Neubaurate gekennzeichnet, dennoch hat die hohe Neubautätigkeit der früheren Jahre zu Überkapazitäten geführt, die eine Erholung der Frachtraten verhindert.

Eine leicht bessere Entwicklung gibt es in der Tankschifffahrt, doch auch hier wird das Verhältnis zwischen beiden Teilsegmenten der Flotte, nämlich Einhüllen-Tankschiffen zu Doppelhüllen-Tankschiffen, maßgeblich sein. Da aber ein allmählicher Abgang alter Einhüllenschiffs-Tonnage in Gang kommt, könnte sich dieser Sektor bald einigermaßen erholen.

Insgesamt befinden sich die Harener Binnenschiffer weiterhin in einem schwierigen Fahrwasser. Chancen liegen aber in der zunehmenden Auslastung von Straße und Schiene und einem erwarteten Anstieg des Güterverkehrs.

Begegnungsverkehr auf der Ems bei Haren Foto: Anton Meyering

Wohnung auf der Bernd (1956) Foto: Bernd Hermes

Wohnbereich auf der AVISO I (2000) Foto: Manfred Deymann

Tankmotorschiff MAxINE DEYMANN (Baujahr 2014, 6.300 t) Foto: Reederei Deymann

Wattschifffahrt

Ab 1935 wurden verstärkt viele Harener Schleppschiffe umgebaut und motorisiert. Zugleich wurde der Einsatzbereich dieser Schiffe über das eigentliche Verkehrsnetz hinaus ausgedehnt: dazu gehörte auch das Befahren des Wattgebietes.

Diese seegehenden Binnenschiffe bezeichnet man ganz allgemein als Wattschiffe. Sie nutzten bei Flut die mit Pricken gekennzeichneten Priele, um die der deutschen Küste vorgelagerten Inselhäfen zu erreichen. Um die Seetüchtigkeit der Wattschiffe zu gewährleisten, musste unbedingt auf ein höheres Freibord geachtet werden. Auch verstärkte Luken mit Persenningabdeckung und ein Rettungsboot waren für dieses Fahrtgebiet vorgeschrieben.

Die Harener Wattfahrer sorgten mit ihren umgebauten Schiffen für die Anbindung der Ostfriesischen Inseln und der Häfen an Ems-, Jade- und Wesermündung an das nordwestdeutsche Kanal- und Flussnetz. Sie beförderten insbesondere Kohle und Briketts aus dem Ruhrgebiet zu den Inseln, später erwies sich der Transport von Baustoffen als gute Einnahmequelle. Insgesamt gab es in Haren 60 Wattschiffe.

Nachdem immer größere reedereieigene Versorgungsfahrzeuge, die wetterunabhängiger waren und auch ganze LKW-Ladungen befördern konnten, eingesetzt wurden, neigte sich die Ära der Harener Wattschiffe ab 1970 nach und nach ihrem Ende zu.

Seeschifffahrt

Aufgrund wirtschaftlicher Existenznot wurden die Harener Püntker ab 1860 zu Küsten- und Seeschiffern. Mit sogenannten Spitzpünten unternahmen sie wagemutige Fahrten, die mit der HELENE sogar bis nach Brasilien führten.

Viele Schiffe gingen auf See verloren, doch noch heute ist der stolze Satz aus jener Zeit bekannt: „ Die Harener haben hölzerne Schiffe, aber eiserne Schiffer“. Mit dem Aufkommen des Stahlschiffbaus war die eigentliche Zeit der hölzernen Segler vorüber.

Nach dem 1. Weltkrieg bestimmten die Motorsegler die neue Entwicklung. Es waren fluss-, kanal- und seegehende Schiffe, die mit Dieselmotoren in der Stärke von 50 bis 100 PS angetrieben wurden. Zusätzlich zur Maschinenkraft führten diese Schiffe bei günstigem Wind aber noch Segel und konnten dadurch 1-2 Knoten mehr Fahrt machen. Ihre Größe machte die Motorsegler sehr flexibel. Sie waren daher ideal geeignet für den kombinierten Binnen-See-Verkehr.

Insgesamt waren in Haren 83 Motorsegler im Einsatz. Sie sorgten für einen wirtschaftlichen Aufschwung des Ortes und seiner Bewohner.

1935 hatte der Trend zum Motorsegler seinen Höhepunkt erreicht. Schon bald wurden alle Beisegel weggelassen und die Neubauten führten nur noch aus Tradition und für Notfälle Segel mit. Damit war in den letzten Vorkriegsjahren der Durchbruch zum reinen Küstenmotorschiff (Kümo) geschafft.

Während des 2. Weltkrieges wurden viele Harener Küstenschiffe beschlagnahmt. Sie waren als Nachschubschiffe und Vorpostenboote im Einsatz. Insgesamt gingen 14

Motorsegler MARIA (Baujahr 1927, 210 t) Foto: Margret Riddering Harener Motorsegler unterhalb der Emsbrücke Foto: Mathias Gravelaar

Schiffe verloren. Während der polnischen Besatzung Harens dienten einige Schiffe als Wohnung der heimischen Bevölkerung. Als die Flüsse und Kanäle wieder befahren werden konnten, leisteten die Harener Schiffer unschätzbare Dienste beim Wiederaufbau.

Nach dem 2. Weltkrieg war die erste Zeit in der Harener Seeschifffahrt besonders durch den „Tonnage-Ersatz-Gedanken“ geprägt. Im Zeitraum von 19501953 wurden zwanzig Neubauten für Harener Reeder ausgeliefert; gleichzeitig konnten noch sechs gebrauchte Fahrzeuge erworben werden. Zahlreiche Harener Kapitäne ergriffen in diesen Jahren die Chance, sich eine neue Existenz aufzubauen.

Auch in der 2. Hälfte der fünfziger Jahre ebbte die Modernisierungswelle nicht ab und der Transport von Schnittholz aus Skandinavien brachte sehr guten Ertrag. Mit der KATHARINA überschritt ein Harener Neubau im Jahre 1954 erstmals die Vermessungsgröße von 300 BRT bei 510 t Ladefähigkeit.

War jahrzehntelang die schiffbauliche Qualität in den Vordergrund gestellt worden, so änderte sich die Situation ab 1960 grundlegend. Der individuelle Neubau war nicht mehr gefragt, sondern ein Serienschiff mit größeren Rauminhalten und neuen Konstruktionstechniken. Entsprechende Typschiffe mit einer Ladefähigkeit von 1.350 t bei einer Vermessungsgröße von nur 499 BRT waren besonders begehrt. In den Jahren von 1960 bis 1970 entstanden 41 Neubauten und zusätzlich wurden noch 43 „Secondhandschiffe“ in Fahrt gesetzt.

Traditionell war die Harener Schifffahrt eine reine Partikulierschifffahrt, denn der Eigner befand sich als Kapitän an Bord und das Schiff

bedeutete die Existenzgrundlage der Familie. Das Kapital zum Bau eines Schiffes wurde in dieser Zeit weitgehend vom Eigner erspart und das fehlende Geld, gedeckt durch Bankkredite, sollte möglichst rasch zurückgezahlt werden. Anfang der siebziger Jahre erwiesen sich diese Prinzipien als nicht mehr praktikabel. Es fehlte eine breite Kapitalbasis und die Betriebsform des Ein-Schiff-Eigners hatte sich überlebt. Es entstanden daher „Partenreedereien“, denen zumeist Küstenschiffer vorstanden. Die Kapitalmenge zum Neubau wurde durch Banken, Parten (Teilhaber) oder Firmen aufgebracht.

Zu Beginn der siebziger Jahre kam es zu einem radikalen Umbruch in der Harener Seeschifffahrt. Die Bedürfnisse des Marktes hatten sich stark verändert. Gefordert wurden jetzt Schiffe mit einem Laderaum und großer Luke: das zeitraubende Stauen sollte entfallen. Harener Reeder entwickelten eine Vielzahl moderner Rhein-Seeschiffe. Diese Mehrzweckfrachter wurden in Serie gebaut.

Auch das Fahrtgebiet der Nord- und Ostsee wurde auf das Mittelmeer ausgedehnt, weil das Ladungsaufkommen des traditionellen Marktes stagnierte. Für diese Transportaufgaben wurden 999 BRT Schiffe mit Tragfähigkeiten von 2.800 t gebaut. Etwa gleichzeitig setzte in Europa der Roll-on/roll-off-Verkehr ein. Ro-Ro-Schiffe verfügen über große Heck-, Bug- oder Seitenklappen und können somit jede Art „rollender Ladung“ schnell an Bord nehmen oder löschen. Zur Finanzierung wurden Bereederungs- und Kommanditgesellschaften gegründet, die oftmals unter dem Dach einer Reederei zusammengeschlossen waren und der Minderung des unternehmerischen Risikos dienten.

Spitzpünte HELENE, Kapitän Hermann Kiepe Foto: Sammlung Schifffahrtsmuseum

ADELGUNDE als Schleppschiff Foto: Sammlung Schifffahrtsmuseum

HERMA (Baujahr 1930, 270 t) Foto: Elisabeth Cloppenburg Stadtgeschichte(n)

Die ADLER (Baujahr 1934, 280 t) an der Fährstelle zur Insel Moon Foto: Hans Husmann

RUDOLF SCHEPERS (Baujahr 1950, 420 t) Foto: Rudolf Schepers

HELENA HUSMANN (Baujahr 1965, 1.326 t) Foto: FotoFlite inc. Skyfotos KATHARINA (Baujahr 1954, 510 t) während der Probefahrt. Foto: Wilhelm Schepers

WÜRZBURG (1955 Bebr. Schöning, 1.96 t) Foto: Anna Wolfsteller

Mitte der siebziger Jahre führte der Container zur Revolution im Seeverkehr und beherrschte schnell das Marktgeschehen. Die Harener Reederschaft nutzte die neuen Möglichkeiten und gab frühzeitig moderne Containerschiffe in Auftrag. Diese wurden zunächst als Feederschiffe eingesetzt und übernahmen im europäischen Raum Verteiler- und Zubringerdienste. Bald wurde aber auch der Fernverkehr erschlossen, sodass sich heutzutage zahlreiche Schiffe in weltweiter Fahrt befinden. Waren 1985 in Haren noch 574-TEU Schiffe (TEU: Twenty-foot-Equivalent Unit) eine Besonderheit, erreichte die LA PALOMA im Jahre 1993 bereits 1.661 TEU; zurzeit ist die ANNA SCHEPERS mit 2.432 TEU das größte Harener Containerschiff.

Die Harener Küstenschiffer sind zwar in der europäischen Küstenfahrt verankert, agieren mit ihren Schiffen aber auf einem globalen Markt, der die unterschiedlichsten Interessen und Erwartungen an sie stellt. In diesem Sinne werden Schwergutschiffe, Mehrzweckfrachter, die sowohl für konventionelle Güter als auch für Container geeignet sind und Massengutschiffe durch die maritime Wirtschaft in Haren bereedert.

Mit zurzeit rund 250 Seeschiffen ist Haren (Ems) einer der größten Reedereistandorte Deutschlands. Die globale Schifffahrtskrise führt aber auch in Haren zu erheblichen Schwierigkeiten.

Die Schifffahrtskrise begann im Sommer 2008 als Folge der sich anbahnenden Weltwirtschaftskrise ab 2007. Deutsche Reedereien sind davon besonders stark betroffen: sie betreiben fast 10 Prozent der weltweiten Handelsflotte; so gehören über ein Drittel der auf der Welt betriebenen Containerschiffe deutschen Reedereien.

HEINZ-OTTO (Baujahr 1935, 310 t) auf Rheinfahrt Foto: Gerhard Schöning

CARGO LINER I (Baujahr 1973, 1.470 t) Foto: Reederei Wessels ADELE J (Baujahr 1979, 2.650 t) Foto: FotoFlite inc. Skyfotos

In den Jahren vor 2008 war das Transportaufkommen stark gewachsen; die Frachtschiffe waren weitgehend ausgebucht und wurden zu hohen Tagessätzen verchartert. Aufgrund veränderter Finanzierungsmöglichkeiten wurden viele Neubauten in Auftrag gegeben und die Schiffe fuhren mit hoher Geschwindigkeit, um die günstige Marktlage zu nutzen.

Seit Mitte 2008 haben sich Angebot und Nachfrage geändert. Aufgrund großer Orderbücher gibt es Überkapazitäten auf dem Markt und die Fracht- und Charterraten bewegen sich meist auf einem niedrigen Niveau. Viele Charterreeder können noch nicht einmal ihre Betriebskosten decken und Zins und Tilgung nicht mehr bezahlen. Deshalb kommt es vermehrt zu Insolvenzen kleinerer Reedereien und Zwangsverkäufen. Die gesamte Branche steht unter Konsolidierungsdruck, dem sich auch die Harener Reederschaft nicht entziehen kann. Die Schifffahrtsunternehmen mindern durch gewolltes Langsam fahren („Slow Steaming“) zwar ihren Kraftstoffverbrauch und binden mehr Frachtraum, anderseits müssen sie sich auf verschärfte Umweltanforderungen in wichtigen Fahrtgebieten vorbereiten. Notwendige Investitionen können die Reedereien kaum vornehmen, weil sie von den Banken keine Kredite erhalten. In der Presse gibt es immer wieder Schlagzeilen, die von den schwerwiegenden Problemen

JOHANNA SCHEPERS (Baujahr 2011, 803 TEU, 7.852 t) Foto: Reederei HS Schifffahrt

Schwergutschiff URSA J (Baujahr 2000, 500 TEU, 7.000 t) Foto: FotoFlite inc. Skyfotos

der Schifffahrt und auch der Schiffsbeteiligungen berichten. Manches erwies sich als ein Albtraum, denn durch Schiffsfonds wurde es auch Privatanlegern möglich, sich an dem scheinbar unersättlichen Markt zu beteiligen. Sie gehören jetzt ebenfalls zu den Verlierern.

Im siebten Jahr der Krise hofft man auf bessere Zeiten, legt die Aktivitäten zusammen, nimmt Schiffe zeitweise außer Betrieb und versucht zusätzliche Finanzquellen zu gewinnen. Die Hoffnung der Reeder richtet sich nun auf die nächsten Jahre. Dann sollen Angebot und Nachfrage auf den weltweiten Frachtmärkten wieder annähernd in ein Gleichgewicht kommen, denn die Orderbücher sind in vielen Teilbereichen auf einem sehr niedrigen Niveau und die Verschrottung alter Tonnage nimmt stetig zu.

Haren (Ems) blickt auf eine imponierende Schifffahrtsgeschichte zurück. Das bekannte Schiffer-Ehrenmal mit seiner Inschrift deutet aber die Entbehrungen an, unter denen unsere Vorfahren gelebt und gearbeitet haben, zugleich drückt es die Trauer der Bevölkerung über den Seemannstod der vielen Fahrensleute aus. Vor fast 50 Jahren war es die HEINZ-BERND, die in der Ostsee überrollt wurde - alle sechs Besatzungsmitglieder starben.

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