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Wirtschaft
Der World-Wine-Web-Pionier Jan Martel übernahm mit 32 Jahren die Leitung von Martel AG in St.Gallen und führt seither das 144-jährige Familienunternehmen in fünfter Generation. Die Martel AG, mit aktuell drei Standorten und 45 Mitarbeitern, ist eine der ältesten Weinhandlungen der Schweiz. «Martel am Bahnhof» in der St.Galler Innenstadt zählt zu den schönsten Weinhandlungen der Ostschweiz; «Martel am Bellevue» in Zürich geht gar im Barguide 2020 als Top-Weinbar der Schweiz als Siegerin hervor. Doch wie geht es dem Weinhändler aktuell, mit Corona?
Jan Martel, anfangs Oktober haben die NZZ-BellevueLeser Ihren «Californio Syrah Hyde Vineyard 2013» zu ihrem Syrah-Favoriten gekürt. Wie hoch in der Gunst der Weinliebhaber liegen Syrah-Weine allgemein? Syrah ist eine der faszinierendsten Rotweinsorten der Welt. Winzer wie Jean-Louis Chave oder eben Hyde de Villaine erzeugen langlebige Spitzenweine mit Struktur und einmaliger Aromatik. Solche Weine sind bei Weinfreaks sehr beliebt. Obwohl sich Syrah in den letzten Jahren weltweit unter die fünf wichtigsten Sorten gemausert hat, erstaunt es, dass die Sorte von vielen Konsumenten immer noch nicht entdeckt wurde.
«Da die Onlineverkäufe fast explodierten, konnten wir den Verkaufsausfall in der Gastronomie nahezu kompensieren.» Und welche Rebsorte ist im Moment der absolute Renner? Pinot Noir aus dem Burgund und der Schweiz sowie Nebbiolo aus dem Piemont sind bestimmt die heissesten Anwärter, wenn es um Spezialitäten geht. Trotzdem bleiben Cabernet Sauvignon, Merlot, Tempranillo und Chardonnay die Spitzenreiter. Und davon welcher Wein? Das ist sehr unterschiedlich. Viele Konsumenten suchen eher die fülligen, mächtigen Weine aus heissen Regionen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass auch immer mehr Personen auf der Suche nach Eleganz und eigenständigen Charakter sind. Und dann landet man zwangsläufig bei den grossen Burgundern. Sie waren Mitte der 1990er Jahre die erste Weinhandlung Europas, die einen Onlineshop implementiert hatte. Können Sie sich noch an die erste Bestellung erinnern? LEADER | Nov./Dez. 2020
Selbstverständlich! Das Internet war noch komplett unbekannt, als wir online gingen. Martel betrachtete das Projekt als Experiment. Wir hatten keine Erwartungen, und so waren wir sehr überrascht, als die ersten Bestellungen nicht aus der Schweiz, sondern von IT-Freaks aus Norwegen, Spanien und England eintrafen. Ihnen ging es nicht um das Produkt an sich, sondern viel mehr darum, zu erfahren, was da eigentlich passiert und ob auch ausgeliefert wird. Ein Jahr später, Google war noch nicht geboren, listete Yahoo als Marktleader für Internet-Recherchen erst 49 Wein-Webshops weltweit auf. Eine rührend winzige Anzahl aus heutiger Sicht. Wer nämlich heute bei Google «Wein Webshop» eintippt, erhält in 0.49 Sekunden ungefähr 760 000 Einträge. Was gab damals den Ausschlag, Ihre Weine auch online zu verkaufen? Von Verkaufen konnte noch keine Rede sein. Viel mehr handelte es sich um Neugier und Zufall. Mein Schwager war damals an der HSG tätig und suchte nach einem Produkt, das er in einem Online-Shop abbilden konnte. Seine Schwester und ich, heute sind wir verheiratet, vermittelten zur Weinhandlung. Onkel und Vater waren bereit für dieses Experiment, speziell da mein Onkel damals eine grosse ICT-Begeisterung hatte. Hat sich diese Strategie bewährt, sprich bestellen heute die Menschen ihre Weine vorzugsweise online? Mit Strategie hatte das damals wenig zu tun. Der Pioniergeist hat uns angesteckt und erst Jahre später entwickelten wir eine eigentliche Online-Strategie. Schrittweise wurde dieser Verkaufskanal professionalisiert und weiterentwickelt. Heute haben wir eine klare Strategie und arbeiten an der Zielerreichung. Und das hat sich sehr gelohnt, waren wir doch gerade in diesem Jahr mit Lockdown und anderen Einschränkungen bereit für das veränderte Einkaufsverhalten. Mittelfristig betrachten wir diesen Kanal als ausgezeichnet Ergänzung zu Ladenverkäufen, klassischen Papiermailings sowie Beratungen direkt beim Gastronomiekunden. Wir gehen davon