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MOKO HIRAYAMA Bäckerin und Miteigentümerin von Mokonuts

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FUSSNOTEN

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Ein Keks als Delikatesse – eine neue Idee in der Restaurantszene

MOKO HIRAYAMA

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B Ä C K E R I N U N D M I T E I G E N T Ü M E R I N V O N M O KO N U T S

ES DUFTET NACH FRISCH GERÖSTETEM KAFFEE und getoasteten Backwaren – so wird Moko Hirayama jeden Morgen an ihrem Arbeitsplatz begrüßt. Und das ist so gewollt. Wenn sie um Viertel vor neun am Morgen ihre Töchter in die Schule gebracht hat und in diesem außergewöhnlichen Restaurant-Café-Bäckerei ankommt, das sie mit ihrem Ehemann und Chef Omar Koreitem e r öffnet hat, wartet bereits eine Tasse mit frisch gebrühtem Kaffee auf sie. Sie kommt ganz pünktlich, um die morgendlichen Stammgäste zu begrüßen. Einige kommen mit einem Stapel Zeitungen un d ihren Notizbüchern unter dem Arm, andere mit ihren Computern oder einem Freund. Und alle möchten ihren Kuchen des Tages probieren und Hirayama und Koreitem dabei zuschauen, wie sie ein Mittagessen für die Gäste des bereits voll ausgebuchten Restaurants zubereiten.

Betritt man das Mokonuts – der Name könnte liebevoll an Hirayamas unbändige Energie hin weisen, ist aber ein Kosename, den ihr ein früherer Kollege verliehen hat –, hat man das Gefühl, in die Küche einer Familie zu kommen: Manchmal ist es ruhig, manchmal dröhnend laut und meist steht man irgendwie im Weg, aber Hirayama sieht das immer gelassen.

Das Mittagessen, das meist Wochen im Voraus ausgebucht ist, ist eine Mischung aus Aromen und Inspirationen aus den Erfahrungen der beiden Inhaber – französisch, libanesisch, amerika nisch, japanisch – und ändert sich täglich. Hirayama besteht darauf, dass ihre Küche sich in keine Kategorie pressen lässt, obwohl das schon häufig versucht wurde. »Die Menschen erinnern mich mehr an meinen Hintergrund als ich selbst denke«, sagt sie. »Die Franzosen versuchen immer, unserer Küche – genauso wie mir – ein Etikett aufzudrücken. Aber so einfach kann man nicht Kategorien bilden.«

Und für die treuen Kunden sind sie auch nicht wichtig, denn sie haben sofort verstanden, dass das Paar etwas Anderes anbieten möchte, das keinem genau definierten Konzept folgt. Genau diese Kunden sind auch unsere Stammkunden. Wer noch kein Stammkunde ist, möchte auf jeden Fall wiederkommen, ist verzaubert von der Umgebung und dem Essen, beides erfrischend einfach

und raffiniert. Omar und sie beanspruchen nur einen taschentuchgroßen Platz für ihr Geschäft, der aber eine ganz besondere Aura hat. Gekocht wird auf einer höheren Ebene in ungezwungener Umgebung, bedient wird extrem langsam, sodass man sich auf die Mahlzeit und sein Gegenüber konzentrieren muss. Hirayama steht grinsend hinter der Theke und scherzt mit ein paar Kunden, während sie eine Torte anschneidet. Aus der Küche dringt freundliches Geplauder. »Lass uns heute damit etwas machen«, erklärt Koreitem und zeigt auf ein Gewürz oder eine andere obskure Zutat. In Zeiten des überschwemmenden Angebots und rasant schneller Entscheidungen geht das Leben im Mokonuts langsam und bleibt fast stehen. Ganz so, wie wir es eigentlich nur aus dem Urlaub kennen. Die Qual der Wahl gibt es nicht. Das ist das Besondere am Mokonuts und bringt auf unfassbare Weise viel Freude.

Untergebracht in einer alten Metallwerkstatt mit Mosaikfußboden ist es quasi der verlängerte Arm der Wohnung des Paares. Und in diesem Sinne wirkt es auch nicht überladen oder stickig. Die beiden halten ihr Restaurant minimalistisch und transparent, damit die Aufmerksamkeit auf die Zutaten gelenkt wird, die in der offenen Küche in Boxen und eindeutig beschrifteten, trans parenten Plastikdosen aufgereiht stehen. Ihr Lieblingskochbuch steht auf dem Regal über der Si tzbank und eine Auswahl an natürlichen Weinen und Konserven ist an der Wand gegenüber zu bewundern. Für viele – P ariser und Auswärtige, die bei jedem Parisbesuch wiederkommen – i st dies ein Rückzugsort. Hirayama kennt die Namen, die Lieblingstische und die Lieblingskekse ihrer Gäste und erinnert sich an wichtige Augenblicke aus früheren Gesprächen. Für viele ihrer Gäste ist das Mokonuts das Café um die Ecke, obwohl viele weit reisen, um es zu besuchen.

Wie oft habe ich nicht schon dort gesessen mit einem Morgenkaffee und einem Labneh-Toast, bei einem ausgiebigen Mittagessen oder einer wohlverdienten Kekspause am Nachmittag? Ich treffe Hirayama an einem Herbsttag, nachdem fast alle Gäste mit Mittagessen bedient wurden. Sie trägt wie immer Crocs, enge Jeans und eine Schürze über einem ausgebleichten T-Shirt. Ihr Haar ist zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden, der über ihre Schulter fällt, als sie hinter der Theke hervorkommt, um einem Stammkunden einen Teller mit Keksen und eine Tasse Hibiskustee zu servieren. Als ich zur Tür hereinkomme, streckt sie mir ihren Kopf entgegen und begrüßt mich freudig. »Lindsey! Ça vaaa?«, singt sie. »Setz’ dich; ich komme gleich zu dir. Einen Kaffee?« »Yep, comme d’hab«, antworte ich in dem französisch-englischen Mischmasch, in dem wir uns gewöhnlich unterhalten. Koreitem schneidet Gemüse und bereitet die Küche für ein privates Abendessen vor, zu dem er am selben Abend Gäste empfängt. Hirayama schlüpft hinter die Theke, um ihre Hände abzutrocknen, gießt mir einen Kaffee ein und nimmt eilig ihre Schürze ab. »Ich muss noch Aly und Mia abholen. Bin gleich zurück. Bleib einfach!«, sagt sie und stellt die Tasse vor mir ab.

Gegenüberliegende Seite: Die legendären mit Meersalz bestreuten Chocolate-Chip-Kekse von Moko Hirayama.

Blitzartig schwingt die Tür auf und die beiden quirligen Schwestern im Alter von acht und fünf Jahren stürmen in ihr zweites Zuhause, schmeißen ihre Rucksäcke in die Ecke und springen in die Küche, um Koreitem zu begrüßen. Während unseres Gesprächs spielen und malen sie und unterbrechen uns dann und wann, um eine Frage zu stellen oder einen Streit zu schlichten. »Gehen wir j e tzt?«, fragt Aly nach einer Weile. »Erst musst du mir mit dem Teig helfen!«, antwortet Hirayama und legt ein Stück Teig auf die Ecke der Theke, damit sie es ausrollen kann. Dann kehrt Hirayama zu mir zurück und flüstert: »Die meisten Mütter hier haben ihre Kinder nach der Schule bei einem

Babysitter untergebracht. Aber sie werden so schnell groß und ich glaube, dass es jetzt für sie wichtig ist, dass ich für sie da bin.« Vielleicht geht sie mit diesem Arbeit-Mutter-Gleichgewicht oder -Ungleichgewicht anders um als andere, aber für sie sind die gemeinsamen Momente sehr wertvoll, wie sie zugibt. »Wenn die Mädchen uns hier im Restaurant sehen, verstehen sie, warum wir nicht genauso wie andere Eltern Zeit für sie haben. Und sie können sich mit diesem Ort identi fizieren. Manchmal sagen sie sogar ›Wir gehören zur Nuts-Familie‹. Das Restaurant ist auch ein Te il von ihnen.«

Hirayama wurde in Kōbe in Japan geboren, wuchs aber zwischen San Francisco und Tokio auf und hat so eine lebenslustige Persönlichkeit entwickelt, die beide Kulturen in sich trägt. Ihre Eltern ließen sie selbst über ihre Zukunft entscheiden und gaben ihr damit eine für die Kultur ihres Geburtslandes, wo strikte Erwartungen an das Leben und das Verhalten gestellt werden, ungewöhnliche Freiheit. »Ich bin nicht die einzige, die atypisch ist. Meine Eltern haben kein tra ditionelles japanisches Leben geführt. Sie waren liberaler und weniger konformistisch«, erklärt sie. N a ch ihrem Schulabschluss zogen die Eltern zurück in die USA, aber Moko rührte sich nicht vom Fleck. »Ich wollte in Japan zur Universität gehen. Aber das hat mich gelangweilt. Meine Eltern erklärten mich für verrückt (»nuts«) dafür, dass ich unbedingt auf eine Mädchenschule gehen wollte. Das war überhaupt nicht das Richtige für mich. Aber nun musste ich dadurch. Ich war sieb zehn, lebte allein und mir war langweilig – Moko, die Verrückte (Moko nuts)!«, scherzt sie. Aber das sollte nur eine von vielen impulsiven Entscheidungen in ihrem Leben sein. Nach einer Weile kam sie in ihre zweite Heimat, dieses Mal nach New York City, zurück und studierte an der NYU (New York University) Urbanistik – eine Herausforderung, an der sie viel Freude hatte.

Nach dem Studienabschluss versuchte sie einen Karrierestart in Tokio, wohin ihre Eltern wieder zurückgekehrt waren. Allerdings stellte sich ihre für Japan atypische Persönlichkeit als Hindernis heraus, das sie nie so richtig überwinden konnte. »Bei den meisten Jobs wurde ich schon beim Vorstellungsgespräch rausgekickt, weil ich nicht passfähig war: Mein Rock war zu kurz, die Farbe meines Anzugs zu hell, meine Absätze zu hoch. Es gab einen Dresscode, den ich nicht einmal kannte. Und die Personalverantwortlichen sagten mir, dass mein Vater mich hätte warnen müssen – kannst du dir das vorstellen?« Komme nicht nach Japan zurück. Du wirst hier nicht über leben!, riet ihr ihr Vater.

»Es ist gut, anders zu sein – das musst du deinen Kindern immer wieder sagen.«

Zurück in New York bekam sie eine Stelle als Arbeitsvermittlerin für das New York City Department of Parks and Recreation (Behörde der New Yorker Stadtverwaltung, die für die öffentlichen Parks zuständig ist), wo sie Koreitem traf, den einzigen Ausländer, der in diesem Amt arbeitete. Später machte sie eine Ausbildung zur Finanzanwältin und musste sehr viel arbeiten, während Koreitem in den Nächten eine Kochschule besuchte, um seinen Traum, Koch zu werden,

zu verwirklichen.

Als ihre Kanzlei vergaß, sich um die Verlängerung ihrer Greencard zu kümmern, wurde sie in das Londoner Büro abgesandt. Kurze Zeit später folgte ihr Koreitem nach London, wo er einen Job als Chef de Partie im Savoy Grill von Gordon Ramsay fand. Die beiden legten ein hohes Tempo an den Tag. »Ich hatte kein Privatleben. Die Arbeit und meine Tage nahmen kein Ende. Ich hatte die Nase voll und war völlig ausgebrannt.« Aber der nächste Hoffnungsschimmer ließ nicht auf sich warten. Ladurée, die Hochburg der Pariser Backkunst, hatte gerade eine Filiale bei Harrods eröff net. Hirayama, die vom Backen fasziniert war, rief dort an und fragte, ob sie kommen dürfe, um zu s e hen, wie die Produkte hergestellt werden. »Das war wohl sehr spontan, aber ich wollte dazulernen«, lacht sie und rollte noch mehr Teig aus. Eineinhalb Jahre arbeitete sie morgens bei Laudrée un d dekorierte Backwaren, bevor sie zu ihrer eigentlichen Arbeit ging.

Insgesamt war das Leben in London für die beiden allerdings recht erbärmlich. Hirayama wurde depressiv und verlor sich im Hamsterrad ihrer Jobs. Als die Probleme unüberwindlich wurden, kündigten beiden ihre Jobs und zogen nach Paris. Es sei das einzig Richtige gewesen: »Hier gibt es sowieso das beste Essen!«

Während Koreitem schnell in der Restaurantwelt eintauchte und in Sternerestaurants kochte, wollte Hirayama die Backkunst von Grund auf erlernen. Sie übersprang Backschulen und sonstige offiziellen Ausbildungsprogramme und wurde von Fabrice le Bourdat unterrichtet, dem früheren Eigentümer der beliebten Bäckerei Blé Sucré. »Er gab mir eine Chance – j eden Morgen um 3:30 Uhr!« Sechs Monate lang lernte sie alle Techniken, mit denen sie die großen Chefs und Restau rants beeindrucken konnte. Ihre Arbeitspapiere bekam sie später vom Restaurant Senderens, die Ar beitsumgebung war hingegen sehr entmutigend. »Ich bekam keine Unterstützung vom Chef, obwohl ich hart arbeitete. Das wurde einfach ausgenutzt. Man fragte nach meinen Ideen, hat sie aber nie umgesetzt.« Als sie bei Adeline Grattard, dem Star und der Chefin von Chef’s Table: France im Sternerestaurant Yam’Tcha anklopfte, fand sie schließlich einen konstruktiven Ort, um sich fortzubilden. »Ich hatte mein Leben auf den Kopf gestellt und fragte mich, ob das nicht alles ein großer Fehler war. Aber dann zeigte mit Adeline, was alles möglich war. Sie ließ mich die

Backwaren herstellen, die ich wollte«, erklärt Hirayama ihre ungewöhnlichen Produkte, in denen sie mit Kräutern, Gewürzen, Früchten und ungewöhnlichen Verzierungen spielt. Dann wurde sie schwanger und stand damit wieder ganz am Anfang.

Daher erinnerte sie sich wieder an die Dessertrezepte ihrer Mutter und gab sich zunächst mit althergebrachten amerikanischen Backwaren zufrieden. Kekse wurden zu ihrer Leidenschaft. Dann experimentierte sie so lange mit Rezepten, bis das perfekte glücksbringende Gebäck vor ihr lag: außen knusprig, innen weich in Sorten wie zum Beispiel Weizen-Cranberry mit Schokoladen stücken, Tahini-Misosesam-Vollkorn mit dunkler Schokolade und Erdnussbutter-Vollmilchschokolade. Diese Kekse waren sofort ein Erfolg und Hirayama lieferte sie bald an andere Cafés, bis sie u n d Koreitem Ende 2015 die Türen des Mokonuts öffneten. Heute ist sie für alles verantwortlich,

von Sauerteig- und Pitabrot bis zu Halvah-Kuchen, Labneh-Käsekuchen und den überwältigenden Hefekuchen-Babka. Nebenbei spielt sie während der Mittagszeit Barista, Sommelier und Kellnerin. Aber ihre Kekse sind unbestrittener Kult.

Immer wenn ich das Restaurant betrete, lachen sie mich von der Theke aus verführerisch an, und wenn dort mal kein Gebäck liegt, dann wartet Nachschub ganz sicher schon ordentlich auf gereiht auf dem Backblech in Regalen unter dem Ofen. »Ich glaube, ich muss sie bald rationieren!«, l a cht Hirayama. Diese unglaubliche Beliebtheit kommt auch vom (mehr als verdienten) Lob von Bestseller-Autoren und Bäckern wie Dorie Greenspan, Melissa Clark und David Lebovitz – R uhm, über den sie nach wie vor erstaunt ist. Denn schließlich hat sie sich das Backen selbst beigebracht, hat aus einem Hobby einen intensiven Vollzeitberuf gemacht, der zwar sehr anstrengend, aber sehr bereichernd ist.

»Wir kommen hier mit unglaublich vielen Menschen zusammen«, sagt sie und fügt hinzu, dass die Aufmerksamkeit, die den beiden zukommt, ein seltsames, aber glückliches Gefühl hervorruft. Und diese Aufmerksamkeit scheint überhaupt nicht nachzulassen. Sehr erstaunlich, denn das Format ist recht eingeschränkt: Hirayama und Koreitem bieten kein Abendessen an und haben am Wochenende geschlossen, um mehr Zeit mit ihren Mädchen verbringen zu können. Könnten sie mehr verdienen, wenn sie mehr arbeiteten? Sicherlich. Wäre das ein Risiko für die Familie? Das liegt für sie auf der Hand: »Ich möchte in jederlei Hinsicht und in allen Bereichen etwas anders machen. Und ich möchte die Botschaft aussenden, dass es OK ist, eigene Regeln aufzustellen.«

Gegenüberliegende Seite: Im Mokonuts, der Café-Bäckerei von Moko Hirayama, die sie im 11. Arrondissement mit ihrem Ehemann Omar Koreitem eröffnet hat.

Zuhause in Paris

DEIN VON EINER FRAU GEFÜHRTES LIEBLINGSGESCHÄFT?

Yam’Tcha von Chefin Adeline Grattard. Sie ist die menschlichste Chefin, die ich je hatte, und gleichzeitig die produktivste Mutter der Stadt. Außerdem kümmert sie sich wirklich um ihre Mitarbeiter. Ich habe höchsten Respekt vor ihr.

DEIN LIEBLINGSSTADTTEIL?

Die Grenze zwischen dem 11. und dem 12. Arrondissement, wo wir leben und arbeiten. Hier ist das Leben unprätentiös, leicht, es gibt viele Menschen unterschiedlicher Kulturen und unterschiedlicher Altersgruppen und man hört viele Sprachen. Meine Kinder fühlen sich hier nie als etwas Besonders, weil sie mehrere Sprachen sprechen.

WAS TUST DU FÜR DICH SELBST?

Ich habe sehr wenig Zeit für mich selbst, aber wenn es mal klappt, dann gehe ich zum Joggen in den Parc de Vincennes. Das wirkt befreiend!

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