10 minute read

Fokus Friedensförderung

Next Article
Projekt aktuell

Projekt aktuell

«Frieden ist ein Prozess»

Der Krieg in der Ukraine zeigt uns, wie schnell Zerstörung gehen kann. Frieden (wieder) aufzubauen hingegen ist ein langfristiger Prozess. Mission 21 begleitet ihre Partner in verschiedenen Ländern bei der Friedensförderung. Katharina Gfeller, Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen bei Mission 21, berichtet, worauf es bei der Friedensförderung ankommt, schildert Beispiele aus unseren Partnerländern und sagt, warum sie die Hoffnung nicht verliert.

Advertisement

Interview: Miriam Glass, Mission 21

Blaise Fiewkiwo

Es ist Krieg in Europa. Was löst das in Dir aus?

Es macht mir deutlich, dass Frieden nicht einfach gegeben ist. Ich sehe Frieden wie eine Pflanze, die man pflegen muss, damit sie wächst und gedeiht.

Mission 21 hat keine Projekte in der Ukraine. Hat dieser Krieg eine Auswirkung auf Deine Arbeit?

Ich sehe einige Bezüge zu meiner Arbeit: Bei Mission 21 ist die Friedensförderung ein wichtiger Wirkungsbereich. Was wir dabei tun, lässt sich in verschiedenen Konfliktsituationen anwenden. Bei Konflikten weltweit ist es zentral, dass wir keine Wertung vornehmen. Ich hoffe sehr, dass die Solidarität mit Menschen, die von Gewalt und Kriegen betroffen sind, anhält oder steigt, mit Blick auf die Ukraine und auf andere Regionen der Welt. Es geht bei der Hilfe für bestimmte Regionen nicht um ein «entweder-oder», sondern ein «sowohl als auch». Wie sieht die Friedensförderung konkret aus?

Frieden besteht daraus, dass Beziehungen gewaltfrei gelebt, Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden. Darauf arbeitet Friedensförderung hin. Frieden bedeutet dabei mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist ein Prozess. Wie er sich entwickelt, hängt von vielen Faktoren ab.

Welche Faktoren sind das?

Wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturellreligiöse, historische, politische und persönliche Faktoren. Ohne Frieden ist Entwicklung kaum möglich. Umgekehrt ist Frieden ohne eine gewisse Stabilität kaum zu verwirklichen. Er hängt stark zusammen mit der Frage nach den Lebensgrundlagen – sind Ernährung, Bildung, Gesundheit gesichert? Ist die Umwelt intakt, kann man mitentscheiden? Fühlen sich die Menschen verstanden oder werden Gruppen ausgegrenzt? Wurden Wunden aus der Vergangenheit geheilt? Arbeit am Frieden

Katharina Gfeller mit Carlson Ngwa von der kamerunischen Partnerorganisation SwissLink und dem Koordinator Lumumba Mukong (Mitte) in Kamerun.

ist ganzheitlich zu sehen. Wie sie konkret aussieht, ist je nach Konfliktgebiet verschieden.

Kannst Du ein Beispiel machen?

In Nigeria ist die Friedensförderung zur Zeit zentral. Dort gibt es Konflikte zwischen nomadisierenden und sesshaften Gruppen, die meist unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen angehören. Dazu kommt, dass Verbrechen kaum geahndet werden. Viele junge Leute sind arbeitslos und haben kein Einkommen. Und so gibt es gewalttätige Zusammenstösse, Entführungen, Viehdiebstähle. Unsere Arbeit in dieser Situation: Wir bringen junge Menschen aus den verfeindeten Gemeinschaften zusammen. Sie leben eine Weile miteinander, übernachten auch am selben Ort.

Was passiert dabei?

Durch das Zusammensein merken sie, dass die jeweils anderen teilweise ganz ähnliche Wünsche und Ziele haben wie sie selbst: Am Ende

Katharina Gfeller: Zur Person

Katharina Gfeller leitet bei Mission 21 die Abteilung Internationale Beziehungen. Dazu gehören die Teams, die in Asien, Afrika und Lateinamerika die Projekte und Programme begleiten und koordinieren. Zuvor war Katharina Gfeller 12 Jahre lang Programmverantwortliche für Asien bei Mission 21.

Ihren Einsatz für die Friedensförderung begann sie mit 27 Jahren mit einem Engagement für «Peace Brigades International» in Indonesien. Dort war sie Teil der internationalen Teams, die die Arbeit von Menschenrechts-Organisationen und Friedensaktivistinnen begleiteten.

Katharina Gfeller hat Soziologie studiert und einen MAS-Studiengang in Non Profit Management absolviert. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern im Kanton Baselland.

Bettina Schucan

Abschlussfeier eines interreligiösen Computerlehrgangs in Jos, Nigeria.

wollen sich alle sicher fühlen, ein Einkommen erzielen, vielleicht eine Familie gründen. Gemeinsame Interessen kommen zum Vorschein. So können Vorurteile überwunden, manchmal auch traumatische Erfahrungen geheilt werden.

Das ist sicher hilfreich in kleinem Rahmen, auf individueller Ebene. Trägt es tatsächlich zur Veränderung der Situation bei?

Ja, davon gehen wir aus. Es gibt im Rahmen dieser Friedensförderungen auch Schulungen, wie man als Friedensstifter*in aktiv wird. Die Beteiligten analysieren ihren Kontext, um die Ursachen von Spannungen herauszuarbeiten. Sie überlegen gemeinsam, wo man den Hebel für Veränderungen ansetzen kann. Dann entwickeln sie Pläne, um ihre Ideen umzusetzen.

Wie zum Beispiel?

Zum Beispiel mit Projekten zur Einkommensförderung. Unsere Partner in Nigeria leiten Berufsbildungskurse für junge Leute, die unterschiedliche religiöse und kulturelle Hintergründe haben. Hier ist der Ansatz, dass wir nicht in erster Linie explizit Friedensförderung betreiben, sondern an der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation arbeiten und dabei die Gräben zwischen den religiösen und ethnischen Gemeinschaften überwinden. Denn das hat klar auch einen friedensfördernden Aspekt.

Was, wenn sich die Leute an der Basis verständigen, aber zugleich einflussreiche Personen, etwa Staatschefs, Konflikte weiter anheizen?

Gewalt kann wie in einer Spirale immer weiter eskalieren. Wir arbeiten daran, dass die Eskalation im Alltag nicht immer weiter geht, indem wir mit den Menschen gewaltfreie Reaktionsmöglichkeiten erproben. Frieden und die Friedensförderung ist auch immer eine Frage der Haltung. Wo und wie verorte ich mich? Wie nehme ich andere Menschen wahr und wie sie mich? Wovon sind meine Bilder und meine Erfahrungen und diejenigen der «anderen» geprägt? Wie kommt es zu Stereotypisierungen oder auch blinden Flecken und wie erkennen wir diese? Aber da hört Friedensförderung nicht auf. Viele Partner von Mission 21, gerade Kirchen und kirchliche Dachorganisationen, haben Einflussmöglichkeiten auf nationaler und kontinentaler Ebene bis in die Schaltzentralen der Politik.

Wo ist das der Fall?

Zum Beispiel im Südsudan. Da sehen wir, dass Führungspersonen der Partnerkirche und des Kirchenbunds in den Friedensprozess sehr

Viele Wege führen zum Frieden

Mission 21 arbeitet auf die Ziele der «Agenda 2030» der Vereinten Nationen hin. Im Zentrum unserer Arbeit steht das Ziel 16+: «Friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften». Das bedeutet, dass in allen Projekten die Förderung des Friedens, der Gerechtigkeit und der Teilhabe aller Menschen zentral sind.

Zum Wirkungsbereich der Friedensförderung gehören alle Projekte von Mission 21, die Sie unter folgender Web-Adresse finden: www.mission-21.org/friedensprojekte

involviert sind und in politischen Fragen angehört werden.

Welche Rolle spielt die Nothilfe in der Friedensförderung?

Sie ist eines von vielen Elementen zur Unterstützung in Notsituationen. Was für alle unsere Projekte gilt, ist hier besonders wichtig: Wir müssen immer darauf achten, mit unserer Arbeit bestehende Spannungen abzubauen und nicht etwa zu verstärken. Nothilfe ist da sehr heikel: Es gibt einen grossen Bedarf, man kann nie alle erreichen. Die Auswahl der Begünstigten ist sehr konfliktanfällig. Da ist es sehr wichtig, dass wir und unsere Partner klare Kriterien haben, transparent sind und in Netzwerken arbeiten. Nothilfe ist bei uns immer interreligiös ausgerichtet und je nach Kontext auch ethnisch übergreifend.

Mission 21 ist eine glaubensbasierte Organisation. Welche Rolle spielen die Kirchen?

Durch die Verankerung in religiösen Gemeinschaften sind wir in ein globales Netzwerk eingebunden. Unsere Partner geniessen in der Bevölkerung hohes Vertrauen. Zugleich haben sie ein Netzwerk auf nationaler und internationaler Ebene. Wichtig ist, dass dieses über die eigene Religion und Kirche hinaus geht. Wir arbeiten zum Beispiel mit muslimischen und interreligiösen Partnerorganisationen zusammen.

Was ist die Rolle des Glaubens?

Glauben und Spiritualität geben eine zusätzliche Dimension, um in schwierigen Situationen Hoffnung zu schöpfen, aber auch Trauer zu verarbeiten. Das spielt in unserer Arbeit eine wichtige Rolle. In vielen unserer Partnerländer kann man die Menschen über Religion gut abholen. Kirchen oder Moscheen sind Orte der Gemeinschaft und des Teilens von Erfahrungen. Pfarrpersonen können Bezug nehmen zu Geschichten aus der Bibel, um aktuelle Ereignisse zu reflektieren. Das ist auch in Kontexten wichtig, in denen man sich nicht frei äussern kann. Ich denke da zum Beispiel an Hongkong. Da ist die Meinungsfreiheit so gut wie abgeschafft. Indem eine Pfarrperson für ihre Predigt eine gewisse Geschichte auswählt, kann sie eine Botschaft transportieren, die die Menschen ohne weitere Kommentare verstehen.

Die Friedensförderung spielt in zahlreichen weiteren Projekten eine Rolle. Im Wirkungsbereich «Bildung für den sozialen Wandel» erhalten Theolog*innen Weiterbildung in gewaltfreier Konflikttransformation. Bildungsinstitutionen unserer Partner erarbeiten zudem Lösungen für soziale Probleme und bieten Hilfe für benachteiligte und schutzbedürftige Menschen. Auch die Projekte zur Einkommensförderung und Existenzsicherung sind ein Beitrag an eine friedlichere Welt. Projekte zu Nothilfe und Wiederaufbau versorgen Vertriebene mit den nötigsten Gütern und bieten ihnen auch Bildung. Die Förderung des friedlichen Zusammenlebens hängt stark mit der Überwindung von geschlechtsspezifischer Gewalt zusammen. Mission 21 engagiert sich hierfür im Wirkungsbereich Gendergerechtigkeit. Im Bildungsangebot von Mission 21 weltweit ist Friedensförderung ein wichtiger Aspekt. In der Schweiz bieten wir Kurse zu Themen wie interreligiöse Friedensförderung, Gendergerechtigkeit oder Hassrede im Internet an. Die Kurse richten sich an Gruppen von Erwachsenen oder Jugendlichen und werden auf Anfrage durchgeführt, zum Beispiel in Kirchgemeinden oder Schulen.

Kunst als Brücke zwischen Kulturen

Auch Kunst hat friedensförderndes Potential. Wie dieses aussieht und wie es genutzt werden kann, lotete die Fachtagung von Mission 21 im März aus. Expert*innen aus verschiedenen Kunstsparten zeigten auf, wie Kunst Menschen verbinden kann. Die Tagung machte deutlich, wie wichtig Friedensarbeit angesichts globaler Konflikte ist, auch in der Schweiz. Gerade in einer Zeit, in der Staaten sich für militärische Aufrüstung entscheiden, ist es wichtig, bisherige gewaltfreie und nachhaltige Friedensbemühungen weiterzuführen und auszubauen. Mehr unter: https://www.mission-21.org/friedenskunst

In der Friedensförderung gibt es immer wieder Rückschläge. Verlierst Du manchmal die Hoffnung oder die Geduld?

Nein, eigentlich nicht. Es gibt immer auch Ermutigung. Ich habe extreme Hochachtung vor den Menschen in unseren Partnerländern. Sie leben in konfliktgeprägten Kontexten, und sie wirken und arbeiten am Frieden, ohne die Hoffnung aufzugeben. Ich finde es ein Privileg, dass wir uns gegenseitig ermutigen können, dass wir Teil einer weltweiten Gemeinschaft sind und dass es eine Solidarität gibt, mit der wir uns gegenseitig stützen. Auch so können wir gemeinsam zum Frieden beitragen.

Das gesamte Kursangebot finden Sie unter www.mission-21.org/kurse

«Die Menschen sollen konvertieren – von Intoleranz zu Offenheit»

Das interreligiöse Jugendnetzwerk Jakatarub setzt sich in Indonesien mit Kreativität, Expertise und Humor für interreligiösen Dialog ein.

Text: Miriam Glass, Mission 21

Mirsi trägt ihre Haare kurz und ein einfaches weisses T-Shirt mit kurzen Ärmeln. Wenn die 31-Jährige ihre Eltern besucht, sieht sie anders aus. «Dann lege ich den Hijab an», sagt sie. «Denn für meine Familie ist meine Veränderung schwer zu ertragen.»

«Meine Veränderung», das bedeutet: Mirsi hat die Religion gewechselt und gehört nun statt dem Islam dem sundanesischen Glauben an, einer Naturreligion auf der Insel Java. Der Wechsel hat zu Konflikten geführt. «Die Begegnungen mit meiner Familie sind heute voller Kälte», sagt Mirsi, ihre Stimme zittert.

Als ihr Tränen in die Augen treten, ruft ihr Kollege Christo schnell: «Ja, ja, sie halten Mirsi für verhext» und die Runde am Tisch bricht in Gelächter aus. Mirsi stimmt mit ein. «Meine Freunde machen Spässe über die Situation, das ist gut, so ist das Ganze nicht so traurig.»

Erlebnisse statt Theorie

Ihre Freunde, das sind die Mitglieder des interreligiösen Netzwerks Jakatarub. Am Tisch neben Mirsi sitzen Asifa und Anissa, beide sind Musliminnen und tragen das Kopftuch. Asifa hat ihre Abschlussarbeit an der islamischen Universität über die Aktivitäten von Jakatarub geschrieben. Christo, Muslim und Generalsekretär von Jakatarub, sagt: «Wir möchten, dass alle Menschen konvertieren – von Intoleranz zu Offenheit.» Neben ihm sitzt William, ein Katholik. Er hat ein interreligiöses Lager von Jakatarub besucht und sagt: «Ich habe erwartet, dass wir theoretische Diskussionen über Religion führen würden. Aber statt Theorie bekam ich Erlebnisse, es ging mehr um Freundschaft als um Konzepte. Das war eine neue Erfahrung.»

Die interreligiösen Camps sind eine der wichtigsten Aktivitäten von Jakatarub. Junge Menschen verschiedener Glaubensrichtungen verbringen gemeinsam Zeit, teilen den Alltag und ihre Ansichten miteinander. Viele der Teilnehmenden, darunter William und Asifa, gründen im Anschluss in ihrem Umfeld eigene interreligiöse Gruppen.

Das alles sind wichtige Puzzleteile in der Friedensförderung in Indonesien, die Mission 21 unterstützt. In dem Land mit der weltweit grössten muslimischen Bevölkerung ist Religionsfreiheit in der Verfassung verankert. Doch Radikalismus und die Diskriminierung von Minderheiten nehmen zu. 2017 wurde der chinesischstämmige christliche Gouverneur Jakartas wegen angeblicher Gotteslästerung eingesperrt, Kirchen werden geschlossen oder Anlässe verhindert. Die Mitglieder der muslimischen Minderheit Ahmadiyya sowie auch die Schiiten sind besonders unter Druck und erleben gewalttätige Übergriffe.

Eine Aktion von Jakatarub im öffentlichen Raum in Bandung, Indonesien.

Die eigene Religion kritisch betrachten

Die jungen Menschen von Jakatarub stellen sich solchen Tendenzen entgegen. Sie führen öffentliche Aktionen durch, lancieren Filme und Kartenspiele zum Thema Vielfalt und Glauben und nehmen diese Themen auch in Schule und Universität auf. Als Friedensbotschafter*innen arbeiten sie für Verständigung und Frieden in einem Gebiet, wo viele Konflikte unter der Oberfläche schlummern oder im Privaten ausgetragen werden, wie in Mirsis Familie. Mirsi sagt: «Ich habe Freunde mit eher radikalen Einstellungen. Ich bin mit ihnen nicht einverstanden, aber es bleiben meine Freunde.» Im Kontakt reflektiert sie eigene Einstellungen. Denn, so sagt sie: «Seit ich konvertiert bin, sehe ich: Radikales Denken gibt es auch in Minoritäten. Man muss in der eigenen Religion über Frieden und Toleranz sprechen. Die Grundlage jeder Religion sind das Gute, die Liebe und der Frieden.»

Mirsi setzt sich für Vielfalt und Toleranz ein.

This article is from: