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Kloster Jerichow

Neue Dauerausstellung „Spuren im Backstein“

Ordensjubiläum wird Anlass für Neugestaltung des Museums im Kloster Jerichow Autorin: Lisa Firlus

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Foto: Die romanische Klosteranlage liegt am Rande der Stadt Jerichow unweit der Elbe. © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Das Kloster Jerichow liegt im idyllischen Norden des Jerichower Landes an der Grenze zur Altmark in Sachsen-Anhalt. Schon von Weitem sind die hohen Türme der Stiftskirche in den grünen Elbauen zu bestaunen. Als ältester Backsteinbau Norddeutschlands ist das Kloster Jerichow einer der beliebtesten Standorte der Straße der Romanik. Von hier aus verbreitete sich die wiederentdeckte italienische Bauweise und prägt das Erscheinungsbild der Region bis heute. Die Kirche und Räume im Erdgeschoss der Klausur sind noch immer in ihrer romanischen Ausprägung erfahrbar. Der Klostergarten ist mittelalterlichen Vorbildern nachempfunden und ergänzt die Anlage mit Obstwiesen und Hoch- und Flachbeeten. Heute kann das Kloster auf eine über 875 Jahre alte bewegte Geschichte zurückblicken.

Das Wirken der Prämonstratenser

1144 bestätigte der deutsche König Konrad III. die Gründung des Prämonstratenser-Stifts in Jerichow aus den Besitzungen der Grafen von Stade. Noch im selben Jahr zogen die ersten Chorherren aus dem Kloster Unser Lieben Frauen aus Magdeburg in das ehemalige slawische Fischerdorf und bildeten damit einen der ersten Missionsstützpunkte östlich der Elbe. Der Mangel an Natursteinen und reiche Lehm- und Schlickvorkommen in den Elbauen begünstigten die Verbreitung der Backsteinbauweise von Jerichow aus. Auch der Orden hinterließ seine Spuren im Backstein und verwandelte das Stift in ein Zentrum der Wirtschaft und des Wissens. Doch politische Konflikte und eine hohe Verschuldung schwächten das Kloster und trugen – gemeinsam mit der Reformation – zu seiner Auflösung im Jahr 1552 bei. Ein Versuch der geistlichen Wiederbelebung scheiterte an den Wirren des Dreißigjährigen Krieges. Fortan wurde die Klausur ununterbrochen wirtschaftlich als Domäne genutzt, bis die Anlage 2004 zu einem Museum umfunktioniert wurde.

Linke Seite, oben: Durch die Nutz- und Schaugärten lebt der Anbau von alten Pflanzen, die schon im Mittelalter Verwendung fanden, wieder auf. Foto: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt Linke Seite, unten: Gegenwart trifft auf Vergangenheit: Ein Prämonstratenser beim Besuch des Museums. Foto: © Kathrin Singer Rechte Seite: Der Backstein verleiht der Kirche eine außergewöhnliche Atmosphäre. Foto: © Achim Bötefür

Insgesamt können die Prämonstratenser seit 2021 auf ein 900-jähriges Ordensbestehen zurückblicken. Zu diesem Anlass eröffnete das Kloster Jerichow im Rahmen des Korrespondenzortprojekts des Zentrums für Mittelalterausstellungen „Das Erbe der Prämonstratenser“ mit Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt und der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland im November 2021 eine neue Dauerausstellung. Auf 400 Quadratmetern wird im Obergeschoss des Ostflügels der Klausur vor allem das regionale Wirken der Chorherren in und um Jerichow veranschaulicht.

Neben eindrucksvollen Exponaten, wie dem Brandenburger Evangelistar (frühes 13. Jahrhundert, Faksimile), laden Medienstationen Groß und Klein dazu ein, sich interaktiv mit der Wirtschaft des Klosters und seiner Baugeschichte zu befassen. So wird auf vielfältige Weise die Besichtigung der Kirche und Klausur mit dem Besuch der Ausstellung verknüpft. Schließlich ist der in großen Partien Stil rein erhaltene Gebäudekomplex das prachtvollste Ausstellungsstück. Die Ausstellung greift somit Themen auf, die bei einer Besichtigung der Klausur und Kirche ohne eine Führung nur schwer vermittelt werden können, wie beispielsweise die Bedeutung der Skriptorien und Bibliotheken, die Ordensgeschichte oder die Klosterwirtschaft. Durch die ganzheitlich zweisprachige Gestaltung in Deutsch und Englisch ist die Ausstellung für ein breites Publikum zugänglich.

Rechte Seite, oben: Die neue Dauerausstellung im ehemaligen Dormitorium ist offen und modern gestaltet. Linke Seite, unten: Illustrationen auf den Glasscheiben setzten die bauhistorischen Exponate in ihren Kontext. Fotos: © Kathrin Singer

Minimalistisch – Multimedial – Modern

Eine besondere Herausforderung bei der Konzeption stellte die schlechte Quellenlage zum Kloster Jerichow dar. Im Zuge mehrerer Plünderungen und politischer Konflikte ging das gesamte Stiftsarchiv, die Bibliothek und das mittelalterliche Inventar verloren. Heute sind nur vereinzelte Urkunden mit Jerichower Ursprung als Abschriften aus dem 16. Jahrhundert erhalten. Dementsprechend wenig Wissen existiert über die mehr als 400 Jahre des Wirkens der Prämonstratenser in Jerichow. Lediglich die Gründung und Auflösung des Stifts sind gut nachzuvollziehen. Da Objekte, die tatsächlich im Mittelalter von den Chorherren im Kloster Verwendung fanden, nicht mehr erhalten sind, musste auf verschiedene Alternativen zurückgegriffen werden. Zur Veranschaulichung des geistlichen Wirkens der Prämonstratenser in und außerhalb des Klosters dienen Leihgaben liturgischer Geräte aus umliegenden Kirchengemeinden, über welche das Kloster Jerichow nachweislich Patronatsrechte besaß. Andere Objekte wiederum stehen symbolisch für einzelne Themenbereiche. So versinnbildlicht ein Schwert aus dem 12. oder 13. Jahrhundert die kriegerischen Auseinandersetzungen, die der Gründung des Stifts vorausgegangen sind. Der Mangel an Exponaten, die direkt im Bezug zum Kloster Jerichow stehen, stellte aber auch eine Chance dar. Durch die daraus folgende minimalistische Gestaltung kommt jedem einzelnen Objekt und Text besondere Aufmerksamkeit zu.

Linke Seite: Der weiße Habit, das Gewand der Prämonstratenser, besteht aus insgesamt sechs Kleidungsstücken. Foto: © Kathrin Singer Rechte Seite: Liturgische Bücher des PrämonstratenserOrdens aus dem 17. und 18. Jahrhundert schweben scheinbar in der Luft. Foto: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Um möglichst alle Interessen zu bedienen, wurde auf multimediale Elemente gesetzt. Im Eingangsbereich erklärt ein kurzer Animationsfilm die komplexe Geschichte der Region, in der sich die Prämonstratenser 1144 niederließen – vom Fischerdorf im 7. Jahrhundert bis zum Baubeginn des Klosters 1148 in einer Minute.

Ein über drei Meter langer Panorama-Touchscreen ist der Klosterwirtschaft gewidmet. Die illustrierte Landschaft enthält interaktive Elemente. Beim Tippen auf verschiedene Tiere oder Hochbeete erfährt man Näheres zu einzelnen wirtschaftlichen Teilbereichen. Eine Karte zeigt erstmals die enormen geografischen Ausmaße des Einflussbereichs und der Besitztümer des Jerichower Stifts und lässt es so in einem neuen Licht erscheinen.

Den Bereich zur Architekturgeschichte ergänzt ebenfalls eine Medienstation. Hier kann der bauliche Fortschritt, der in drei Phasen eingeteilt wird, nachempfunden werden. Verschiebt man die Zeitleiste, ändern der Grundriss und der dazugehörige Aufriss der Kirche und Klausur entsprechend ihre Form. Bauliche Besonderheiten werden durch pulsierendes Rot hervorgehoben und erlauben beim Anklicken einen genaueren Blick hinter die Backsteinmauern.

Linke Seite: Eine interaktive Illustration des Klostergeländes mit Umgebung lädt zum spielerischen Lernen ein. Rechte Seite: Die Grund- und Aufrisse der einzelnen Bauphasen des 12. und 13. Jahrhunderts lassen die Theorie der Bauforschung greifbar werden. Unten: Leuchtende Illustrationen der Elblandschaft empfangen den Gast beim Betreten der Ausstellung. Eine Animation wird auf den Boden projiziert. Fotos: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

Kinder und Junggebliebene können zudem die Ausstellung, Kirche und Klausur mit der Klosterquiz-App als digitale Schnitzeljagd erkunden. Auf dem Gelände sind Fragen versteckt, die mit dem eigenen Smartphone erst gefunden und dann beantwortet werden müssen. Optisch sind die Stationen allerdings nicht auszumachen. Sie sind lediglich auf einer Karte eingezeichnet, die ihren ungefähren Standort angibt. Kleine versteckte Sender (Beacons) übermitteln permanent in kurzen regelmäßigen Zeitintervallen Bluetooth-Signale. Sobald sich ein Endgerät dem Beacon in einem bestimmten Abstand nähert und das Signal empfängt, taucht automatisch die entsprechende Frage auf dem Display auf und kann beantwortet werden. Die Beacons selbst bleiben unberührt im Verborgenen. Die Lösungen der Fragen lassen sich bei genauerer Betrachtung der Umgebung eigenständig herausfi nden, beispielsweise durch Lesen der Informationstafeln, Zählen oder Schätzen. Begleitet werden die Spielerinnen und Spieler von unserem eigens dafür entwickelten neuen Maskottchen des Klosters, dem Storch Nikolaus. Er verrät, ob die eingegebene Lösung korrekt ist oder nicht und freut sich über richtige Antworten. Die Frage wird dann beim Spielfortschritt als beantwortet markiert und weiter geht die Suche nach der nächsten Station. So wird die Klosterbesichtigung zu einem spaßigen Erlebnis für die gesamte Familie.

Oben: Storch Nikolaus begleitet die Kinder bei ihrer digitalen Schnitzeljagd durch die Anlage. Unten: Beacons wie dieser sind im Verborgenen für das Funktionieren der App verantwortlich. Fotos: © Kulturstiftung Sachsen-Anhalt

AUDIOGUIDE KLOSTER JERICHOW

www.museum.de/m/2818 Kloster Jerichow Am Kloster 1 39319 Jerichow Tel. 039343 - 285 museumskasse-jerichow@kulturstiftung-st.de www.kloster-jerichow.de

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