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Institut Mathildenhöhe Darmstadt

Raumkunst – Made in Darmstadt

Die neue Dauerausstellung im Museum Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe Darmstadt Autorin: Nora Mohr

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Zeitgleich mit der Anerkennung der Mathildenhöhe Darmstadt als UNESCO Welterbestätte im Sommer 2021 ist im Museum Künstlerkolonie die neue Dauerausstellung „Raumkunst – Made in Darmstadt“ fertiggestellt worden. In dieser neuen Sammlungspräsentation werden die blühende Schaffenszeit der Künstlerkolonie Darmstadt und ihre einzelnen Protagonisten vorgestellt. Die Ausstellung beleuchtet hierbei die bahnbrechenden Ideen und die internationale Strahlkraft, die von der Architektur sowie den Werken der freien und angewandten Kunst der Künstlerkolonie-Mitglieder zwischen 1901 und 1914 ausgegangen sind. Anknüpfend an die um 1900 europaweit verbreitete Kunstgewerbe- und Le-

Linke Seite: Institut Mathildenhöhe Darmstadt Foto: © Gregor Schuster

bensreformbewegung waren die von Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein nach Darmstadt berufenen Künstler bestrebt, die Grenzen von Kunst und Leben aufzuheben. Sie entwarfen Möbel, Kunst- und Gebrauchsgegenstände nicht als Einzelstücke, sondern als Ensembles, die mit der gesamten Innenausstattung zu „Raumkunst“ verschmelzen sollten. „Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst!“ – mit diesem Motto hatte Großherzog Ernst Ludwig die Künstlerkolonie Darmstadt 1899 gegründet. Zwischen 1901 und 1914 lebten und arbeiteten auf der Mathildenhöhe insgesamt 23 Architekten, Designer und Künstler. Aus München, Paris oder Wien wurden sie durch den kunstsinnigen und zugleich wirtschaftspolitisch außergewöhnlich engagierten Großherzog nach Darmstadt berufen.

Bereits 1892, als der weltgewandte Großherzog, Enkel der englischen Königin Victoria, mit 23 Jahren den Thron bestieg, begann er mit einer umfassenden Modernisierungspolitik, zu der Maßnahmen zur Verbesserung der Industrie, des Städtebaus und der Wissenschaft ebenso gehörten wie die Förderung der Künste.

Durch das Vorbild der Arts-and-CraftsBewegung angeregt, beauftragte Großherzog Ernst Ludwig 1897 unter anderem die englischen Künstler Mackay Hugh Baillie Scott und Charles Robert Ashbee mit der Neugestaltung von Räumen im Neuen Palais in Darmstadt. Nach einem gelungenen Auftritt auf der Weltausstellung in Paris im Jahr 1900 konnte die Künstlerkolonie mit ihrer ersten Ausstellung auf der Mathildenhöhe unter der Schirmherrschaft von Ernst Ludwig im Jahr 1901 die Residenzstadt zu einem international bedeutenden Zentrum der Moderne küren. Es handelte sich um die erste internationale Bauausstellung auf Dauer und erhielt eine weltweite Resonanz in unterschiedlichen Medien.

Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Foto: © Gregor Schuster

Die sieben Gründungsmitglieder – darunter Peter Behrens, Hans Christiansen und Joseph Maria Olbrich – erhielten ein festes Einkommen und sollten als Gegenleistung Entwürfe ,Made in Darmstadt‘ in künstlerischer Freiheit für regionale, aber auch internationale Firmen anfertigen. In diesen Kooperationen wurde ein neues ästhetisches Leitbild entwickelt, das Funktionalität, Einfachheit und serienmäßig hergestellte Waren mit neuen Vertriebswegen verband. Dadurch konnten moderne künstlerische Impulse mit wirtschaftsstrategischen Interessen verknüpft werden, um insbesondere die lokale kunstgewerbliche Industrie von den Aufträgen profitieren zu lassen. Ziel war es, auf den Gebieten Kunst, Architektur und Kunstgewerbe den Geschmack der Öffentlichkeit zu bilden, Arbeitsplätze zu schaffen und die Industrie mittels modernen Designs international wettbewerbsfähig zu machen.

Im Zentrum der im Museum Künstlerkolonie eingerichteten Dauerausstellung stehen die vier großen Baukunstausstellungen, die 1901, 1904, 1908 und 1914 auf der Mathildenhöhe stattgefunden haben. Zu diesen Anlässen entstanden eine Vielzahl wegweisender Raumkunstwerke, die nicht nur in Darmstadt, sondern auch darüber hinaus auf den großen internationalen Kunstschauen der Zeit präsentiert wurden. Die Gesamtkunstwerker Joseph Maria Olbrich, Peter Behrens, Hans Christiansen, Albin Müller, Edmund Körner und Emanuel Josef Margold entwickelten für ihre Interieurs ein allumfassendes Gestaltungskonzept, in dem Formelemente, Linienführung sowie Farbklänge von Möbeln, Wandgestaltung, Gebrauchs- und Ausstattungsgegenständen einen harmonischen Gesamteindruck erzeugten.

Linke Seite, oben: Südansicht des Ernst Ludwig-Hauses/ Museum Künstlerkolonie Darmstadt © Bildarchiv Foto Marburg, Foto: Norbert Latocha Linke Seite, unten sowie rechte Seite: Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Fotos: © Gregor Schuster

Institut Mathildenhöhe Darmstadt. Foto: © Gregor Schuster

Auf der ersten Künstlerkolonie-Ausstellung „Ein Dokument deutscher Kunst“ im Jahr 1901 wurden sieben Wohnhäuser, ein zentrales Ateliergebäude sowie mehrere temporäre Bauten – darunter ein Theatergebäude – im Sinne dieser Einheit aller Kunstgattungen als frei zugängliche Musterbauten präsentiert. Sämtliche Details der Inneneinrichtungen entwarfen die Künstler selbst: von Möbeln, Teppichen und Vorhängen über Skulpturen und Gemälde, Gläser und Besteck. Auch auf der zweiten KünstlerkolonieAusstellung 1904 wurde das einzig hierfür neu errichtete Wohngebäude, die Dreihäusergruppe, in diesem Sinne ausgestattet. Entworfen wurde das Wohnhausensemble von Olbrich als Beispiel künstlerisch gestalteter Eigenheime für die „gut bürgerliche Moderne“.

Fotos: Institut Mathildenhöhe Darmstadt © Gregor Schuster

Ziel der 1908 eröffneten Hessischen Landesausstellung für Freie und Angewandte Kunst war es wiederum, einen Überblick über „die hessischen Kunstleistungen der Gegenwart“ zu zeigen, für den auch die vom Großherzog berufenen KünstlerkolonieMitglieder ihren Beitrag leisteten. Auch in diesem Kontext entstanden eine Reihe wegweisender Raumkunstwerke, unter anderem im Zusammenhang mit dem Bau und der Ausstattung von Arbeiterhäusern. Im Rahmen der letzten KünstlerkolonieAusstellung 1914 orientierte sich der leitende Architekt Albin Müller verstärkt an aktuellen Wohnraumbedürfnissen und errichtete eine dreigeschossige Miethäusergruppe, in der ebenso moderne wie kostengünstige Inneneinrichtungen zu bewundern waren. Es war das erste Mal in der Geschichte von Architekturausstellungen, dass ein solcher Gebäudekomplex mit voll ausgestatteten Musterwohnungen gezeigt wurde.

Internationale Aufmerksamkeit erlangte das Gestaltungskonzept der Künstlerkolonie Darmstadt deshalb, weil ihm eine innovative Idee zugrunde lag: Im Sinne des modernen Wohnens wurden die von den Künstlern gestalteten Raumensembles in den speziell für die Schauen konzipierten Häusern präsentiert. Die vollständig eingerichteten Eigenheime, die ansonsten von den Künstlern und ihren Familien bewohnt wurden, konnten von den Besucherinnen und Besuchern – während der Dauer der Ausstellung – besichtigt und deren Ausstattungsgegenstände zudem käuflich erworben werden.

In mehreren thematischen Kapiteln und entlang der verschiedenen zeitgenössischen Großausstellungen werden die Raumkunstwerke ,Made in Darmstadt‘ in der Sammlungspräsentation vorgestellt. Mit der Rekonstruktion des Speisezimmers von Peter Behrens, das 1902 für das Berliner Warenhaus Wertheim entstanden ist, zeigt sich am eindrücklichsten, wie alle Elemente einer ursprünglichen Zimmerausstattung aufeinander abgestimmt waren.

Fotos: Institut Mathildenhöhe Darmstadt © Gregor Schuster

Trotz der unterschiedlichen Handschriften der 23 Künstlerkolonie-Mitglieder, die auf der Mathildenhöhe unter dem Einfl uss verschiedener Reformbewegungen gearbeitet haben, stellen das Architekturensemble und seine Raumausstattungen mit einer unerschöpfl ichen Vielfalt an Kunstgegenständen am Beginn des 20. Jahrhunderts ein beispielloses Gesamtkunstwerk dar.

Die Gründung der Darmstädter Künstlerkolonie umfasste so nicht nur das einmalige Ereignis des Zusammenschlusses künstlerisch-reformerischer Ideen. Es handelte sich darüber hinaus um eine ganzheitliche Architekturausstellung auf Dauer, die primär aktuellen Aufgaben und Themen des Wohnens in Verbindung mit der Erneuerung des Kunsthandwerks gewidmet war.

Die breite Resonanz auf die erste Ausstellung der Künstlerkolonie in Darmstadt 1901 und ihre internationalen Ausstellungserfolge sorgten dafür, dass die Darmstädter Beiträge vorbildhaft für die Entwicklung des Kunstgewerbes, aber auch für die Rezeption innovativer Präsentationsformen ,Made in Darmstadt‘ wurden.

Institut Mathildenhöhe Darmstadt Olbrichweg 15 64287 Darmstadt Tel. 06151 - 132808 mathildenhoehe@darmstadt.de www.mathildenhoehe.eu Facebook, Twitter, Instagram: @mathildenhoehe

Linke Seite oben: Institut Mathildenhöhe Darmstadt Foto: © Gregor Schuster Linke Seite, unten: Mathildenhöhe Darmstadt, Luftaufnahme © Bildarchiv Foto Marburg, Foto: Ingo E. Fischer

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