7 minute read

Kloster Stift zum Heiligengrabe

Next Article
Museum Théo Kerg

Museum Théo Kerg

Eingang zum Klostergelände. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Advertisement

Das Klosterstift zum Heiligen Grabe in der Prignitz und sein Museum

Autorin: Sarah Romeyke

Beschaulichkeit im nördlichen Brandenburg

Von Hamburg oder Berlin über die Autobahn kommend, verrät dem Besucher von weitem nichts, dass ihn in Heiligengrabe mehr als eine trutzige Dorfkirche erwartet. Vielmehr dürfte der Neuankömmling etwas verstört die dampfenden Schornsteine einer großen Fabrik wahrnehmen, die das Land mit Parkettfußböden versorgt. Immerhin grüßt den Reisenden von den makellosen Wänden der Industriearchitektur wie eine Verheißung ein spätgotischer Stufengiebel mit der Aufschrift „Kloster Stift zum Heiligengrabe“. Hier deutet sich an, dass der Name Heiligengrabe mehr ist als eine herkömmliche Dorfbezeichnung. Er bedeutet vielmehr eine geradezu literarische Wegleitung zum Wesenskern des Ortes. Bald bemerkt der Reisende, dass hier ein Refugium mit backsteinernen Zeugnissen der Vergangenheit vielversprechend seine Schätze, seine Geschichte und Geschichten offenbart. Schon von weitem geht der Blick auf die Heiliggrabkapelle mit ihrem berühmten Giebel aus dem frühen 16. Jahrhundert und zugleich auf die Westfassade der Kirche, die mit ihrer Gestalt auf den Giebel der Kapelle antwortet. An die Kirche schmiegt sich der alte Friedhof des Stifts, hier liegen die Stiftsdamen und Äbtissinnen der letzten drei Jahrhunderte begraben. An die Kirche grenzen die Gebäude der Abtei, gotisch im Kern, aber von vielen Generationen um- und ausgebaut, so manches Mal abgebrannt und wiedererrichtet. Noch heute befinden sich hier die Verwaltungsräume des Kloster Stifts, die Diensträume der Äbtissin und eine öffentlich zugängliche theologische und historische Bibliothek.

Anmutig liegen weitere Gebäude des Stifts verstreut inmitten einer weiträumigen Gartenanlage. Der barocke Damenplatz mit seinen Fachwerkhäusern und blühenden Vorgärten lässt den ruhigen Fluss des Lebens früherer Generationen von Stiftsdamen noch erahnen, ebenso die Quirligkeit der Mädchen aus dem preußischen Adel, die hier seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Schule gingen. Stiller wird es im Innenhof der Abtei, auf den man aus den spitzbogigen Fenstern des Kreuzgangs blickt. In einer Ecke ragt als Trumm der sogenannte Kaiserturm auf, den Wilhelm II. 1907 von seinem Hofbaumeister Ernst von Ihne entwerfen und mit Staatsmitteln errichten ließ – als beredtes Zeugnis dafür, dass man sich einst auch im fernen Berlin dem evangelischen Damenstift und den hier unterrichteten Töchtern des preußischen Adels mehr als verpflichtet fühlte.

Vom Kreuzgang kommend betritt man die Stiftskirche, einen hohen einschiffigen, kreuzgewölbten Raum. Erst kürzlich wurde die spätmittelalterliche Ausmalung der Gewölbe wieder freigelegt, wobei Lilien, Mariendisteln sowie eine riesige, das gesamte Gewölbe überspannende Passionsblüte zum Vorschein kamen. Man bekommt wieder eine Ahnung von der einst reichen Ausstattung der Kirche, die 1719 einem verheerenden Brand zum Opfer gefallen war, darunter auch der Nonnenchor, auf dem einst mehr als 70 Konventualinnen Platz fanden. Heute steht die Schlichtheit des Kircheninnern in einem angenehmen Kontrast zu den wenigen noch erhaltenen Ausstattungsstücken früherer Jahrhunderte, zu denen die barocken Epitaphien im Chor der Kirche oder die imposante barocke Orgel über der Westempore zählen, deren Klang sogar Johann Sebastian Bach einst bei seiner Durchreise nach Hamburg erprobt haben soll.

Linke Seite: Grabmal der Äbtissin Maria Magdalena Rosina von Quitzow (1726–1802) Rechte Seite, oben links: Klosterhof mit sog. Kaiserturm Rechte Seite, unten rechts: Kreuzgang im Ostflügel der Abtei mit Eingang ins Museum Fotos: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe Rechte Seite, oben rechts: Ein Geschenk des Kaisers: Kachel „Heilige Cäcilie“ im Treppenturm aus der Majolikafabrik Cadinen. Foto: Dietmar Rabich © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Das Stift Heiligengrabe ist ein einzigartiges Ensemble, nicht zuletzt weil es als die besterhaltene Klosteranlage in ganz Brandenburg gilt. Die Sicherung und Wiederherstellung seiner umfangreichen Bausubstanz sind in den vergangenen Jahrzehnten unter großen finanziellen Anstrengungen vorangetrieben worden – ein Engagement, das 2016 mit dem Deutschen Preis für Denkmalschutz gewürdigt wurde.

Fiktion und Wirklichkeit

Das Kloster Stift zum Heiligengrabe ist vor allem aber ein christlicher Ort mit bewegter politischer Geschichte. Viele Jahrhunderte haben hier seit dem Mittelalter ihre mannigfaltigen, mitunter auch verstörenden Spuren hinterlassen. Letzteres betrifft vor allem die wohl erst um 1500 herbeigedichtete Gründungslegende des Klosters, die mit Blick auf die Hoffnung eines reichen Wallfahrtsgeschäfts einen jüdischen Hostienfrevel erfand. Ganz nach dem Muster von dergleichen fingierten Hostienschändungen soll auch in Heiligengrabe ein durchreisender Jude die Hostie gestohlen, zerstückelt und dann angstvoll vergraben haben, als sie anfing zu bluten. Der Jude, so heißt es in der Geschichte, gab alles zu und wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Doch die Wunderhostie scheint in Heiligrabe nie den Erfolg bei den Wallfahrern gehabt zu haben, wie etwa die im benachbarten Wilsnack – am Vorabend der Reformation gab es für solche kruden Blutwundergeschichten offenbar keinen Platz mehr. Übriggeblieben sind von dieser Legende aber mehrere, 1532 entstandene Tafelbilder mit den Szenen dieser heute so absonderlich anmutenden Geschichte. Trotz ihres verleumderischen Kerns sind die Tafeln auch heute noch wichtige kulturhistorische Zeugnisse, deren Bedeutung weit über Heiligengrabe hinausweist. Dieser Bedeutung ist sich das Kloster Stift bewusst und steht in der Verantwortung, diese Bildzeugnisse den heutigen Besuchern zeitgemäß und kritisch zu vermitteln.

Linke Seite, oben: Oberer südlicher Kreuzgang mit Portal zur ehemaligen Nonnenempore Linke Seite, unten: Barocke Orgel von David Baumann 1725 erbaut Rechte Seite: Blick in die Stiftskirche mit floralen Gewölbemalereien Fotos: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Entrée des Museums mit den sieben erhaltenen Tafeln zur Klostergründungslegende von 1532. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Skulpturen eines Moses, zweier Apostel und eines „Christus triumphans“ von der barocken Kanzel der Klosterkirche, um 1700. Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Doch auch die Heiligengraber Gegenwart ist spannend und voller Facetten. Das religiöse Leben im Stift, das heute von einem Konvent von 9 Stiftsfrauen und einer Äbtissin getragen wird, begleiten vielfältige Aktivitäten, die der Verpflichtung des Stifts auch für die Mitgestaltung des kulturellen Lebens in der Region gewidmet sind.

Museum mit Tradition

Nicht zuletzt ist es das Museum im Klosterstift, das diese Aufgaben übernimmt. Dieses hat sogar schon eine längere, bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückreichende Tradition. Einst gehörte Heiligengrabe nämlich zu den wichtigsten vor- und frühgeschichtlichen Museen in ganz Brandenburg, begleitete Ausgrabungen in der Prignitz und war eine Anlaufstelle für die einheimische Bevölkerung, die immer wieder spektakuläre Funde von ihren Äckern dem Museum übereignete.

Neben den archäologischen Objekten zeigte das Museum aber auch eine kulturhistorische Ausstellung, verstand es sich doch seit seiner Gründung 1909 auch als Ort der Bildung für alle Schichten der Bevölkerung. Weniger stand dagegen die eigene Geschichte, die des Klosters, im Fokus. Durch Kriegseinwirkungen stark in Mitleidenschaft gezogen, wurde das Museum 1946 aufgelöst, doch verschwand es nie aus der Erinnerung.

1992 wurde es mit einer anderen Zielstellung wieder ins Leben gerufen. Zunächst waren es die landesweit vielbeachteten Sonderausstellungen, wie die 2001 gezeigte Schau „Preußens FrauenZimmer“, die das Leben im Stift im 18. Jahrhundert in den Blick nahm, oder die 2005 eingerichtete Präsentation „Von blutenden Hostien und widerspenstigen Nonnen“, die den turbulenten Ereignissen rund um die Einführung der Reformation gewidmet war. 2007 richtete das Stift dann erstmals eine ständige Ausstellung ein, die nunmehr ganz der Geschichte des Klosters und Damenstifts gewidmet war. Nach einem Standortwechsel 2017 wurde das Museum in erweiterter Form in den Räumen der Abtei neu eröffnet und gibt nun einen umfassenden und spannenden Überblick über die mehr als 700 Jahre währende Geschichte Heiligengrabes.

Linke Seite, oben: Blick in die aktuelle Dauerausstellung mit den Porträts der Äbtissinnen des Klosters im 19. und 20. Jahrhundert Foto: Lorenz Kienzle © Kloster Stift zum Heiligengrabe Linke Seite, unten: Klosterladen in der alten Lindeiner-Kurie Foto: Hagen Immel © Kloster Stift zum Heiligengrabe

Finanziert wurde der Audioguide mit Mitteln des Förderprogramms „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

AUDIOGUIDE KLOSTER STIFT ZUM HEILIGENGRABE

www.museum.de/m/45036

Kloster Stift zum Heiligengrabe Stiftgelände 1 16909 Heiligengrabe Tel. 033962 - 808-0 info@klosterheiligengrabe.de www.klosterstift-heiligengrabe.de

This article is from: