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Der Traum eines Shōguns
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Der Traum eines Shōguns AUS EDO WIRD TŌKYŌ
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Keine andere Stadt ist wie Tōkyō: Ob extravagante Mode, vorzügliche Cuisine oder spannende Unterhaltung, hier finden Reisende alles, was ihr Herz begehrt. Doch nicht immer stellte die Metropole den Mittelpunkt Japans dar. Denn erst durch die Vision eines Mannes sollte sich ein kleines Fischerdorf zu einer der größten Städte der Welt entwickeln. (Text: Maria-Laura Mitsuoka)
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Eigentlich hatte sich der Feldherr Tokugawa Ieyasu 1590 eine andere Belohnung als die marode Burg Edo vorgestellt, nachdem er dem zweiten Reichseiniger Toyotomi Hideyoshi mit etwa 30.000 Mann zum Sieg in der Schlacht von Odawara verholfen hatte. Toyotomi und Tokugawa, eigentlich Rivalen um die Vorherrschaft Japans, gingen vor dieser bedeutenden Schlacht gegen den mächtigen Hōjō-Clan eine Allianz ein. Möglicherweise erhoffte sich letzterer als Belohnung die strategisch wichtige Burg Odawara. Trotz unerfüllter Erwartungen erkannte Tokugawa schnell das Potenzial der sumpfigen Küstenregion. Aufgrund der großen Entfernung zu Ōsaka und Kyōto konnte er unabhängiger von Toyotomis Politik regieren. Außerdem war Edo zum damaligen Zeitpunkt lediglich ein kleines Fischerdorf ohne Burgherren, sodass er problemlos seine eigenen Gesetze einführen konnte. Mit diesen Hintergedanken
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Das Viertel Nihonbashi zur Edo-Zeit: Dort hatten viele wichtige Handelsrouten ihren Ausgangspunkt. Der dritte Reichseiniger Japans, Tokugawa Ieyasu. Porträt aus dem 17. Jahrhundert von Kanō Tan‘yu.
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Geschäftiger Alltag: Ein Farbholzschnitt aus der Serie „100 berühmte Ansichten von Edo“ zeigt die Einkaufsstraße Suruga-chō.
begann der Feldherr 1594 erste Pläne zu entwerfen, die Edo bis weit nach seinem Tod zu einer der wichtigsten Städte Japans machen sollten. Er ließ die Burg rundum erneuern und quartierte Vasallen in Nachbarregionen ein, um sie zu überwachen. Außerdem baute er das Küstengebiet aus und ließ Kanäle anlegen, mit denen Landwirtschaft und Handel gefördert und ausgeweitet werden sollten. Mit seiner Ernennung zum Shōgun im Jahre 1603 verlegte Tokugawa den Regierungssitz von Kyōto nach Edo und läutete damit die namensgebende Edo-Zeit ein.
Beginn einer neuen Ära
1615 führte Tokugawas Sohn Hidetada das buke shohatto ein, eine strenge Verfassung, die den Handlungsspielraum der anderen Kriegerfamilien stark einschränkte. So mussten die Clanführer etwa alle Burgen in ihrem Herrschaftsbereich mit Ausnahme der Hauptburg zerstören und durften keine neuen Bauwerke ohne die Zustimmung des Shōgunats errichten. Jeder Clanführer, der die Regeln nicht einhielt, wurde bestraft und verlor sein han (vom Shōgun verliehenes Lehen). Auf diese Weise gelang es den Tokugawa, 265 Jahre lang eine von Samurai dominierte Herrschaft über das Land auszuüben. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte entwickelte sich Edo zum wirtschaftlichen Mittelpunkt Japans. Darüber hinaus zog die Instandhaltung der Burg viele Arbeiter in die Region, deren Ansprüche neue Wirtschaftszweige eröffneten. So machten erste Badehäuser auf, die zu belebten Versammlungsorten für Arbeiter und Samurai wurden. Unterhaltungsangebote wie das Kabuki-Theater oder das Sumō-Ringen, die beim Kriegeradel beliebt waren, etablierten sich auch beim gemeinen Volk, wodurch für Edo ein blühendes Zeitalter der Kunst und Kultur anbrach.
Edos Ende, Tōkyōs Geburt
Die Ära der Samurai sollte jedoch ihr Ende finden, als der neue Meiji-Kaiser 1867 dem Shōgunat und den Clanführern befahl, ihre Privilegien und han an den Staat abzutreten. Diese Perspektiven stießen bei den mächtigen Kriegerfamilien auf Widerstand und führten Anfang 1868 schließlich zum Boshin-Bürgerkrieg, der in Edo seinen Höhepunkt erreichte. Trotz hoher Verluste auf beiden Seiten endete der Krieg ein Jahr später zugunsten der kaiserlichen Armee. Noch während der Kampfhandlungen übergab der letzte Shōgun, Tokugawa Yoshinobu, die Burg Edo an den Kaiser, der seinen Palast daraufhin von Kyōto nach Edo verlegte und es zur offiziellen Hauptstadt Japans mit dem neuen Namen Tōkyō („Hauptstadt des Ostens“) machte.
Mit dem Fall des Tokugawa-Shōgunats und der Öffnung der Landesgrenzen für den Westen nahm die Entwicklung Japans neue Dimensionen an. Die han wurden in die heutigen Präfekturen umbenannt und alle Einwohner mussten zur offiziellen Registrierung einen Familiennamen annehmen. Das gesellschaftliche Ständesystem (Krieger, Bauern, Handwerker, Kaufleute) wurde aufgelöst und ehemalige Samurai mussten ihre Schwerter abgeben. Mit der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht 1872 verlor der Kriegerstand seine Daseinsberechtigung als Verteidiger Japans gänzlich. Auch in der Architektur und der Infrastruktur Tōkyōs kam es zu großen Veränderungen. Gebäude wurden westlichen Vorbildern angepasst und die Hauptstraßen gepflastert. Im Zuge der Industrialisierung nahm 1872 die erste Eisenbahnlinie zwischen Shinbashi und Yokohama den Betrieb auf, wodurch sich nicht nur die Reisezeiten verkürzten, sondern auch der Transport von Waren und Briefen beschleunigt wurde. 1885 wurde das Kabinettssystem eingeführt, in dessen Rahmen der ehemalige Samurai und Staatsmann Itō Hirobumi das Amt als erster Premierminister antrat. Auf diese Weise entwickelte sich ausgehend von Tōkyō schnell ein moderner politischer Staatsapparat.
Turbulentes 20. Jahrhundert
Während der Taishō-Zeit nahm die Bevölkerungsdichte in Tōkyō rasch zu, gleichzeitig gediehen Industrie, Bildung
Der Bahnhof Shinbashi bildete bereits 1907 das Zentrum Tōkyōs und wies ein ähnlich hohes Besucheraufkommen wie heutzutage auf.
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Nach dem verheerenden Kantō-Erdbeben von 1923 lag die prosperierende Metropole in Trümmern.
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Die Shibuya-Kreuzung im Jahre 1990. Heute ist sie eines der beliebtesten Fotomotive Tōkyōs.
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Tōkyō heute: Ob bei Tag oder bei Nacht, die Aussicht auf die Mega-City ist stets spektakulär.
und Kunst. Doch im September 1923 ereignete sich eine Naturkatastrophe, die noch heute im kulturellen Gedächtnis der Region verankert ist: das Große Kantō-Erdbeben. Mit einer Stärke von 7,9 auf der Richterskala forderte es als eines der schwersten Erdbeben der japanischen Geschichte mehr als 140.000 Menschenleben und zerstörte über 300.000 Häuser in Tōkyō und der umliegenden Kantō-Region. Trotz dieser Ausmaße erholte sich die Stadt allmählich von den Folgen. 1927 nahm die erste U-Bahn-Linie zwischen Asakusa und Ueno ihren Betrieb auf, 1931 folgte die Eröffnung des Flughafens Haneda. Bis 1935 wuchs die Einwohnerzahl auf 6,4 Millionen an, damals vergleichbar mit New York und London. Doch mit Japans Eintritt in den Zweiten Weltkrieg 1941 sollte die Hauptstadt erneut großen Schaden nehmen: Im Laufe der Kriegshandlungen wurde sie 102-mal bombardiert, wobei der schwerste Luftangriff am 10. März 1945 erfolgte. Schließlich kapitulierte Japan im September desselben Jahres nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Fast die Hälfte der Einwohner Tōkyōs kam während des Krieges ums Leben.
Ab 1950 begann für das kriegsgebeutelte Japan eine Ära des wirtschaftlichen Aufschwungs. Technische Innovationen ermöglichten es dem Land, sich allmählich als bedeutende Wirtschaftsmacht zu etablieren. Schon bald knackte die Bevölkerung die 10-Millionen-Marke. 1964 ging in Erwartung der Olympischen Spiele der Shinkansen-Hochgeschwindigkeitszug in Betrieb, womit ein weiterer Grundstein für Tōkyōs heutigen Wohlstand gelegt wurde. Bis Ende der 1980er Jahre kannte Japans Wirtschaftswachstum keine Grenzen. Doch wie sich herausstellte, beruhte der Fortschritt auf Spekulationen, rücksichtslosen Kreditvergabepraktiken und einer unverantwortlichen Regierungspolitik. Diese sogenannte „Bubble Economy“ implodierte Anfang der 90er und warf das ganze Land in eine ökonomische und gesellschaftliche Krise. Banken gingen reihenweise insolvent, Immobilienwerte brachen ein und Aktien stürzten ab – das rasante Wachstum kam plötzlich zum Stillstand.
Zwischen Pandemie und Olympia
Durch mehrere Sanierungsmaßnahmen konnte Tōkyō die Finanzkrise überwinden und weltweit einen Spitzenplatz einnehmen. So war es keine Überraschung, dass die Olympischen Spiele 2020 wieder in die Hauptstadt zurückkehren würden. Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren, in deren Zuge ganze Stadtteile erneuert, Dienstleistungen ausgebaut sowie modernere Technologien eingeführt wurden. Doch der große olympische Traum sollte sich nicht gänzlich erfüllen, denn nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Frühjahr 2020 mussten die Sommerspiele um ein ganzes Jahr verschoben werden. Obwohl die Austragung der Olympischen Spiele unter den strikten Vorschriften litt, gelang es der Regierung, die Infektionszahlen vergleichsweise gering zu halten.
Tokugawas Traum einer kosmopolitischen Stadt ist in Erfüllung gegangen: Aus einem kleinen Fischerdorf schuf er das mächtige Edo und legte durch politisches Geschick den Grundstein für eine der bedeutendsten Städte der Neuzeit. Tōkyō hat im Laufe der Jahrhunderte viele schwierige Umstände bewältigen müssen – und doch war es immer in der Lage, sich von Rückschlägen zu erholen. Zu Recht wird Tōkyō seit Jahren unter ausländischen Touristen immer populärer. Die außergewöhnliche Geschichte der Metropole macht sie schließlich zu einem der interessantesten Reiseziele der Welt.