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Die Schweiz nach der Pandemie – die Perspektive einer Nichtregierungsorganisation
dem Gang zur Sozialhilfe praktisch aufgebraucht werden. Aufgrund dieser strikten Bedingungen verzichten viele Menschen darauf, Sozialhilfe zu be ziehen, sogar wenn sie das Recht dazu hätten. Nicht zuletzt haben die politischen Attacken auf die Sozialhilfe dazu geführt, dass Armut in der Schweiz noch immer als individuelles Versagen empfunden wird. So schämen sich viele und versuchen lieber, irgendwie durchzukommen. Auch trägt die Aussicht, später die Sozialhilfe zurückzahlen und also in Raten abstottern zu müssen, nicht dazu bei, dass Menschen ihr Recht auf Unterstützung wahrnehmen. Gar riskant ist der Gang auf das Sozialamt für Migrantinnen und Migranten. Bei ihnen hat eine kürzliche Verschärfung des Ausländer- und Integrationsgesetzes dazu geführt, dass sie um ihren Aufenthaltsstatus fürchten müssen, wenn sie längerfristig Sozialhilfe beziehen. Zwar haben Bund und Kantone versichert, dass diese Verknüpfung in der Coronakrise nicht gelten soll. Aber wie werden das Staatssekretariat für Migration oder die kommunalen Einbürgerungskommissionen in einem oder zwei Jahren oder später beurteilen, ob die Notlage direkt auf Corona zurückzuführen ist? Diese Unsicherheit führt dazu, dass die sich in Not Befindenden zögern, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zu gross scheint ihnen die Gefahr, die Zu kunft ihrer Kinder in der Schweiz aufs Spiel zu setzen. Sie suchen stattdessen die Hilfswerke auf. Diese können für kurze Zeit Überbrückungshilfe leisten, aber auf die Dauer niemals die nötige Unterstützung über einen längeren Zeitraum geben, die die Menschen brauchen. Noch verheerender ist die Lage für Sans-Papiers. Sie haben keinerlei Anspruch auf staatliche Leistungen, obwohl sie zum grössten Teil seit Jahren in der Schweiz gearbeitet haben. Etliche wurden von ihren Arbeitgebern buchstäblich auf die Strasse gestellt, fristlos entlassen und haben kein Einkommen mehr. Viele SansPapiers waren daher während der Coronakrise komplett von der Unterstützung von Hilfswerken oder spezialisierten Beratungsstellen für Sans-Papiers abhängig. Erst nach und nach haben insbesondere Städte wie Genf und Zürich Unterstützungsfonds geschaffen.
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