4 minute read
Wölfe im Taunus S
Gekommen um zu bleiben: Wölfe im Taunus (Foto: Kordesch)
Die Rückkehr des Verhassten
Advertisement
Der Wolf ist zurück im Taunus. Aber wird er auch bleiben? 150 Jahre nach seiner Ausrottung in Hessen stehen die Chancen dafür gut.
Er ist wieder da. Canis Lupus, der Wolf, erobert mit erstaunlicher Geschwindigkeit seine ehemaligen Verbreitungsgebiete in Deutschland zurück. Ein halbes Jahrtausend lang hatte der Mensch äußerst erfolgreich daran gearbeitet, dem Vorfahren der Hunde den Garaus zu machen. Noch im 18.Jahrhundert wurde er in Lexika als das „schädlichste Geschöpf Gottes“ bezeichnet, der nicht nur Schaffe, sondern auch „Menschen angreifet, zerreißet und frisst“ (Großes vollständiges Universal-Lexicon, 1758). Hintergrund für den überzogenen Hass waren vor allem die zunehmenden Konflikte, die sich mit der Ausbreitung menschlicher Siedlungen im vormals dicht bewaldeten Mitteleuropa häuften. Der Wolf war eine Bedrohung für Nutztiere, außerdem galt er als direkter Konkurrent um Wildfleisch. Groß angelegte Treibjagden und hohe Fangprämien führten schließlich zur vollständigen Ausrottung der mythenbeladenen Tiere. Doch seit der Jahrtausendwende geht die Entwicklung wieder in eine andere Richtung – zur Freude von Naturschützern und Sorge der Hirten. Aus Polen eingewanderte Wölfe hatten sich in der Lausitz niedergelassen und von dort aus über ganz Deutschland verbreitet, wo sie mittlerweile längst unter strengem Schutz stehen. Später kamen noch Tiere aus den Alpen dazu, die auch Hessen erreichten. Gab es 2012 erst 12 Rudel im gesamten Bundesgebiet, waren es zehn Jahre später bereits 190. Eines davon hat es sich im Rheingau-Taunus gemütlich gemacht. Laut dem Hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) lebt nördlich von Rüdesheim ein Rudel samt Welpen. Die Gegend beherbergt eins von nun sechs Wolfsterritorien in Hessen und das erste mit Nach-
wuchs. Nachweise von Wölfen sind in der Region in den letzten Jahren wie beinahe überall in der Republik kontinuierlich gestiegen. Auf der Internetseite der HLNUG werden sie nach Datum gelistet der Öffentlichkeit präsentiert, inklusive vorhandenem Foto- und Videomaterial. So gab es in diesem Jahr bereits 15 Wolfsnachweise, sechs davon aus dem Rheingau-Taunus-Kreis. Der letzte hessische Wolf wurde im Vogelsbergkreis gefilmt und lief quer durch das Dorf Homberg Ohm. Einen großen Anteil an der umfangreichen Datenerfassung haben ehrenamtliche Wolfsberater. Vierzig von ihnen arbeitet im Auftrag der HLNUG, die sie etwas umständlich als „ehrenamtliche sachkundige Helfer beim Monitoring großer Beutegreifer in Hessen“ bezeichnet. Große Beutegreifer, das sind hierzulande Luchse und Wölfe. Die Berater werden vor und während ihrer Tätigkeit, die vor allem aus dem Sammeln und Überprüfen von Nachweisen besteht, vom HLNUG geschult. Darüber hinaus arbeiten viele von ihnen als Jäger oder Biologen und bringen das nötige Know-how bereits mit. Sie können bei vermeintlichen Wolfssichtungen kontaktiert werden, aber auch bei dem Fund von Wildrissen oder Kot. Anhand der Kadaver lässt sich oft am ehesten erkennen, ob tatsächlich ein Wolf am Werk war oder nicht. Als Faustregel unter Jägern gilt: Hunde lassen gerissene Wildtiere in der Regel liegen, Luchse fressen die Eingeweide nicht; der Wolf nagt seine Beute bis auf die Knochen herunter. Im waldreichen, dünn besiedelten Taunus findet der Wolf auf dem ersten Blick alles, was er braucht: Rückzugsmöglichkeiten und genügend Beute, namentlich Rehe und Wildschweine. Prinzipiell ist er aber ein Nahrungsgeneralist. Das heißt, dass er neben Früchten, Aas und Hausratsabfällen eine ganze Reihe verschiedener Arten von Hasen- bis Elchgröße erbeutet. In dieser weiten Kategorie fallen bedauerlicherweise auch Weidetiere. Praktisch überall, wo der Wolf seinen alten Lebensraum zurückerobert, kommt es zu Konflikten mit Viehbesitzern. Zwar können Hirten ihre Schutzmaßnahmen entsprechend verstärken, z.B. durch erhöhte Weidezäune, doch die Anwesenheit der Raubtiere sorgt traditionell für Sorgen und Ärger unter vielen Menschen. In Hessen ist die Situation wohl auch durch die geringe Individuenzahl derweil noch entspannt: 2020 wurden hier insgesamt 20 Nutztiere gerissen.
Deutschlandweit steigen die Fälle von sogenannten Wolfsrissen seit einiger Zeit jedoch stark an, was mit der zunehmenden Ausbreitung der Tiere zusammenhängt. Viele sprechen daher auch in Hessen von der Ruhe vor dem Sturm. Maßnahmen gegen reißende Wölfe sind etwa die Förderung des Herdenschutzes und die Bera- tung von Tierhaltern durch das Land. Ist aber erst einmal ein Schaf von einem Wolf getötet worden, wird es kompliziert für den Halter: Um entschädigt zu werden, muss er nach Vorgaben des hessischen Wolfsmanagementplans per Foto oder Video beweisen, dass der Wolf die ordnungsgemäßen Herdenschutzzäune überwunden hat. Da dies in den meisten Fällen kaum möglich ist, verzichten viele Betroffene auf eine Meldung. Stattdessen steigen der Frust und die Abneigung gegenüber den Rückkehrern. Und auch sind längst nicht alle Jäger sonderlich begeistert über die neuen, alten Konkurrenten im Revier. Dabei helfen Wölfe auf natürliche Art, die nach wie vor großen Bestände von Rehen und Wildschweinen nicht ausufern zu lassen.
Der ewige Kampf um Vieh und Wild zwischen dem Wolf und dem Menschen geht offenbar in die zweite Runde. Bleibt zu hoffen, dass letzterer aus der Vergangenheit gelernt hat und ein Miteinander langfristig möglich bleibt. Doch was ist, wenn man plötzlich als unbescholtener Spaziergänger vor einem TaunusWolf steht? In dem unwahrscheinlichen Fall sollte man Ruhe bewahren, sich aufrichten und als Mensch zu erkennen geben – eine Spezies, die der Wolf meidet. Und dann schleunigst den Rückzug antreten, damit der Rückkehrer in Ruhe seine Wege durch Rheingau und Taunus ziehen kann.