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Art after the Shoah S
Wolf Vostell: „Lipstick Bomber“, 1968, Siebdruck eines Zeitungsausschnitts, Lippenstifte © VG Bild-Kunst, Bonn 2022
Mit einer außergewöhnlichen Schau beendet das Ludwig Museum in Koblenz das Ausstellungsjahr 2022. Erstmals werden die konfrontative Kunst von Boris Lurie (1924-2008) und Wolf Vostell (1932-1998) unter dem Titel „Art after the Shoah. Kunst nach der Shoah“ gemeinsam gezeigt.
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Die Ausstellung vergleicht erstmals die Künstler Boris Lurie und Wolf Vostell im Zeichen ihrer gemeinsamen Auseinandersetzung mit der „Shoah“. Im gegenseitigen Austausch und in Bezug auf ihr gemeinsames Anliegen lieferten beide Künstler entscheidende Impulse für die Kunstentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. Indem sie die entsetzlichsten Bilder von Kriegsverbrechen mit oberflächlichen Werbebildern kombinieren, richtet sich ihre Arbeit als Anklage gegen das Konsumverhalten der Nachkriegszeit, das wieder aufgenommen wurde, ohne Rücksicht auf das Trauma, das die Juden und andere Verfolgte erlitten hatten und ohne zu reflektieren, was an Verbrechen geschehen war. Boris Lurie wurde 1924 in Leningrad, in der Sowjetunion, geboren und wuchs in Riga, Lettland, auf. 1941 marschierten die Nazis in Lettland ein und ermordeten mehr als 40.000 Menschen, darunter auch Boris Luries Großmutter, Mutter, seine Schwester und seine Jugendliebe. Boris Lurie und sein Vater wurden inhaftiert.
Ein Jahr nach der Befreiung durch die Amerikaner wanderten Boris Lurie und sein Vater nach New York aus. Dort begann Boris Lurie künstlerisch tätig zu werden. Im Kreis weiterer Exilkünstler, bedingt aber auch durch die Freundschaft und Partnerschaft mit der Galeristin Gertrude Stein, stabilisierte er immer selbstbewusster seine Antikunst.
Auf breiter Linie lehnte er den oberflächlichen Glanz einer auf Profit, Glamour und medialen Ruhm ausgerichteten Kunst gänzlich ab. Durch seine Freundschaft mit Wolf Vostell Anfang der 1960er Jahre erweiterte sich das Spektrum seines Werkes. 1959 gründete Boris Lurie, zusammen mit den Künstlerkollegen Sam Goodman und Stanley Fisher die „NO!art-Bewegung“. In einer Zeit, in der die optisch ansprechendere und, Boris Luries Meinung nach, unpolitische Pop Art en vogue war, war es das Hauptziel von „NO!art“, die Realität der Nachkriegsgesellschaft offen und ehrlich darzustellen. Bis zu seinem Tod im Jahr 2008 war Lurie sowohl als Künstler als auch als Schriftsteller tätig. Seine Arbeiten sind in mehreren führenden Sammlungen vertreten,
Art after the Shoah – Kunst nach der Shoah
Boris Lurie, “A Jew is Dead...”, 1964, Farbe und Papier auf Leinwand, 295. x 169.5 cm. © Boris Lurie Art Foundation
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Wolf Vostell gilt als Pionier der Installations- und Videokunst sowie der Skulptur im öffentlichen Raum. In den späten 1950er Jahren begann er in Paris mit dem Abreißen und Dekonstruieren von Plakaten. In den frühen 1960er Jahren wurde er zu einer der treibenden Kräfte von Fluxus . Berühmt wurde Vostell durch seine Happenings, die er fotografierte und auch auf Video festhielt.
Unter der Maxime „Kunst = Leben“ reizte Vostell die Gegenüberstellung alltäglicher Welten des bürgerlichen Wohlstandes und des verdrängten Grauens von Krieg und Brutalität aus und fand dabei zu einer Ästhetik, die ihre Zeit wesentlich geprägt und darüber hinaus relevant geblieben ist. Bereits seit den 1950er Jahren thematisierte Wolf Vostell in zahlreichen Werken den Holocaust. Nicht zuletzt mit seiner Kleidung – schwarzer Hut, schwarzer Mantel und Haarlocken – wollte eran die orthodoxen Juden erinnern, die einst in Deutschland zum gewohnten Stadtbild gehörten. Boris Lurie und Wolf Vostell trafen sich vermutlich das erste Mal während des ersten Aufenthaltes von Vostell im Mai 1964 in New York. Im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeiten steht die Auseinandersetzung mit der Realität der Massenmedien, die alle kritischen Inhalte aufsaugen und relativieren. Beide Künstler nutzten die Bildtechniken der Massenmedien, um der permanenten Manipulation entgegen zu wirken. Schlimmer als die erlebten Verbrechen war es für Boris Lurie, die Gleichgültigkeit seiner Zeitgenossen zu ertragen. Mit seinen Collagen reagierte Lurie auf den Zynismus der amerikanischen „Affluent Society“, für die alle Bedürfnisse wie Liebe und menschliche Nähe und alle Bilder, unabhängig von ihrer moralischen Bedeutung, zu Waren geworden waren. Beide Künstler entschieden sich für eine die Realität aufbrechenden Kunst, die den Betrachter mit Fakten und Phänomenen der Gewalt konfrontiert, ihn ohne Erklärung und Sinnstiftung zurücklässt und ihn so zu einer Stellungnahme zwingt. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreich illustrierter Katalog „Boris Lurie and/ und Wolf Vostell. Art after the Shoah. Kunst nach der Shoah“ im Hatje/ Cantz Verlag. Ausstellung und Katalog sind eine Kooperation des Kunstmuseums Den Haag, des Kunsthauses Dahlem, des Ludwig Museum Koblenz sowie des Ludwig Múseum Budapest und verdanken sich der maßgeblichen Förderung durch die Boris Lurie Foundation, New York, und des Wolf Vostell Estate, Malpartida.
Boris Lurie und Wolf Vostell: Art after the Shoah – Kunst nach der Shoah bis 29. Januar 2023 Ludwigmuseum im Deutschherrenhaus Esther-Bejarano-Str. 1 56068 Koblenz
https://ludwigmuseum.org
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Wolf Vostell, Endogene Depression (Version Los Angeles), 1980. The Wolf Vostell Estate. © VG Bild-Kunst, Bonn 2022