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Theaterdonner S

Am Staatstheater Darmstadt wird das exzellente Ensemble der „Turandot“-Inszenierung von Valentin Schwarz für seine Spitzenleistung mit standing ovations bedacht

Ein Sommernachtstraum mit Turandot und Struwwelpeter

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TheaterDonner auf den Brettern in Wiesbaden und Darmstadt

Wenn Don Giovanni im Sommernachtstraum von Fidelio auf Prinzessin Turandot und Hiob trifft, ist Struwwelpeter nicht weit. Auf hessischen Brettern wird feinste Bühnenkunst geboten.

In Wiesbaden hat die renommierte Wagner-Sängerin Evelyn Herlitzius, 2017 hier als Brünnhilde gefeiert, die Pferde gewechselt und Beethovens Befreiungsoper „Fidelio“ stringent inszeniert. Die Titelpartie sang sie vor zehn Jahren, jetzt glänzt Sopranistin Barbara Haveman. Gegen Gefangenschaft und „Verschwindenlassen“ engagiert sich Amnesty International im Foyer und im Programmheft. Die Regie-Debütantin zeigt packende Bilder. Orchestral berückend agiert der Klangkörper unter Dirigent Will Humburg. Von Chordirektor Albert Horne perfekt einstudiert, beeindruckt der Opernchor.

Im Staatsgefängnis (Bühne/ Kostüm: Frank Schlößmann) glänzt vokales Edelmetall. Marco Jentzsch, Claudio Otelli, Dimitry Ivashchenko, Anastasia Taratorkina, Ralf Hachenbauer und Christopher Bolduc bieten einen großen Opernabend.

Intensiv berührende Szenen um eine biblisch anmutende familiäre Schicksalsgemeinschaft offeriert Henriette Hörnigk. Joseph Roths „Hiob“, von „I Giocosi“ akzentuiert begleitet mit Livemusik von Ako Karim, Jens Mackenthun & Harald Becher, fasst an bis zum Schlussgesang von Hiob: „Zehn Brider sin wir gewesen.“

Das bravouröse Ensemble spielt sich die Seele aus dem Leib, allen voran Uwe Kraus als Titelfigur und Lina Habicht als behinderter Sohn Menuchim. Anne Lebinsky, Lukas Schrenk, Christoph Kohlbacher in mehreren Rollen und Florence Schüssler bieten Charakterstudien. Langer Beifall für Bühnenkunst mit Nachhall.

„Let love rule“ in der Orwell-Diktatur. Tilo Nest setzt auf ein brillantes Ensemble: Michael Birnbaum, Paul Simon, Martin Plass, Tobias Lutze, Maria & Klara Wördemann, Rainer Kühn, Lena Hilsdorf & Noah L.

Großer Applaus für eine exzellente Ensembleleistung: Joseph Roths „Hiob“ (Uwe Kraus) hat Henriette Hörnigk mit Livemusik von Ako Karims Trio „I Giocosi“ als intensiv berührendes Bühnenereignis inszeniert.

Tilo Nest holt Shakespeares „Sommernachtstraum“ mit spektakulärer SciFi-Optik, „einstürzenden Bauten“, mit Endzeit-Karacho und einem brillanten Ensemble in die nähere Zukunft.

Perktold sind hinreißend. Poesie war gestern. Mit Endzeit-Karacho und SciFi-Optik (Bühne Robert Schweer, Kostüm Anne Buffetrille/ Mirjam Ruschka) wird aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ eine Dystopie mit Ver-Falls-Erscheinungen.

Obermatscho Theseus ist die Nummer 1 (M. Birnbaum, auch Oberon) und wird es nicht bleiben. In Athen und im Wald geht`s rund. Ingrid Domann, Eingeweihten aus der Leininger-Ära bekannt, ist als „Petra“ Squenz einsame Klasse. Matze Vogel berührt als Zettel und als Esel, der - barfuß bis zum Hals - von Christina „Titania“ Tzatzarakis (Hippolyta 811) mit szenischem Witz gezähmt wird. Rainer Kühns Puck ist ein ruppiger Troll. Köstlich.

Blick nach Darmstadt

„Stell Dir vor“ ist das Spielzeitmotto im goldisch jubilierenden Staatstheater Darmstadt. Hausherr Karsten Wiegand (Regie, Bühne, Video) eröffnete die Saison mozärtlich mit einem fesselnden „Don Giovanni“, baut auf ein exzellentes Ensemble und den furiosen Julian Orlishausen als Allzeit-Verführer.

Das Orchester ist in Höchstform unter dem packenden Dirigat von GMD Daniel Cohen. Mit vokaler Intensität und prägnanter Figurenzeichnung berühren Georg „Leporello“ Festl, „Komtur“ Zelotes Edmund Toliver, Megan Marie Hurt (Dona Anna), David Lee (Don Ottavio), Solgend Isalv (Dona Elvira), Juliana Zaras Zerlina und Eric „Masetto“ Ander in Judith Adams Prachtkostümen. Große Oper, großer Applaus.

„Nessun Dorma“. Schon vor der Pandemie war „Abschied von den Helden“ angesagt und die glanzvolle Inszenierung von Valentin Schwarz samt Terracotta-Armee brachte mit Puccinis letzter Oper „Turandot“ als reines Fragment das Haus zum Beben. Das 1000 Jahre alte persische Narrativ der eiskalten „Turan-docht“ (also „Tochter aus der Region Turan“) spielt in China und behielt die Commedia dell ´arte-Figuren Ping, Pang und Pong bei. Der Schluss mit dem Suicid Lius und Timurs Trauer geht an die Nieren. Andrea Cozzis spektakuläre Bühne, Pascal Seibickes grandiose Kostüme, Jan Croonenbroeks wunderbar feinfühliges Dirigat und Schöngesang in Perfektion ziehen in den Bann: Anhaltend starker Applaus für „Turandot“ Soojin Moon, „Calaf“ Aldo di Toro, „Liu“ Cathrin Lange, „Timur“ Johannes S. Moon, die Minister Ping (Julian Orlishausen), Pang (David Lee) und Pong (Michael Pegher), „Altoum“ Lawrence Jordan und Myong-Yong Eom als Mandarin. Prädikat: Klasse.

„Shockheaed Peter“, das fetzige Grusical der „Tiger Lillies“, war als schrecklich bizarre Familienaufstellung der Schwarzen Pädagogik á la Heinrich Hoffmann 2017 in Wiesbaden der Hit. Pink Floyd meets Bob Wilson, Addams Family & Tim Burton im TarantinoStyle. Frank Alexander Engels & Kerstin Schmidt machen sich mit sadistischer Personage & Puppen, Schattenspiel & Schwellkopp einen tiefschwarzen Jux. Martin Vogel als Peter mit den Scherenhänden, Edda Wiersch, Karin Klein, Juliane Schwabe & Hubert Schlemmer sind erkennbar lustvoll rabiat. Manche mögen`s makaber.

Text und Fotos: Gesine Werner

Die Kammerspiele als Unterhaus-Moritatenbühne: „Shockheaded Peter“ bietet mit Heinrich Hoffmanns sadistischer Personage rabenschwarze Pädagogik mit Axt & Machete, Schwellkopp & Kopfab-Attitüde. Der groteske Jux is nix für schwache Nerven.

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