6 minute read
MENSCHEN IM PORTRAIT
JOSEF STEGER Sein Glück liegt im Verborgenen
Wenn es um Mineralien geht, ist Kasern ein echtes Zentrum. Wo Südtirols nördlichstes Tal endet und der Weg nach Österreich nur über die Berge führt, gehören Kristalle dazu. Warum sie ausgerechnet hier so reichlich gewachsen sind, erzählt einer, der die Gegend kennt wie seine Westentasche. Josef Steger, Mineraliensucher seit über 50 Jahren.
Windtal, Sommer 2020. Ein Tal, das die sonst so oft vorherrschenden klimatischen Bedingungen im Namen trägt. Aber heute scheint die Sonne. Josef Steger, den im Ahrntal alle den Fuchs Seppl nennen, trägt einen Pickel in der Hand und strahlt. Das ist immer so, wenn er von der Suche nach Kristallen erzählt. Die Leidenschaft, die man auch als Sucht bezeichnen könnte, ist ihm in die Wiege gelegt worden.
PZ: Erinnerst du dich noch, wann du deinen ersten Stein gefunden hast?
Josef Steger: Mein Vater war Schäfer und hat in den 50er- und 60er-Jahren Steine gesucht. Meine zwei Brüder und ich kamen oft mit ihm mit. Mit zwölf Jahren fing ich an, auf der Suche nach Steinen selber im Felsen zu klettern. MIt 14 Jahren dann habe ich meinen ersten Stein gefunden: einen großen Bergkristall. Da meinte der Vater: Ab jetzt kannst du alleine „in die Steine“ gehen.
Was hat der Vater mit den Steinen gemacht?
Er hat sie alle verkauft. Zweimal im Jahr kamen Italiener zu uns nach Hause. Die riefen im Hotel in Kasern an, um sich anzumelden, wir hatten kein Telefon. Wenn sie am Samstag kommen sollten, bedeutete das für uns, ins Windtal aufzubrechen und Kristalle zu suchen. Wir haben sie dann in Obstkisten gelegt und kistenweise verkauft.
Wusste der Vater den Wert der Steine richtig einzuschätzen?
Er hat sich ein schönes Zubrot damit verdient, aber sicher unter Wert verkauft. Von der Sattelspitze hat er einmal Titanite heruntergetragen, sogenannte Sphene, grüne Kristalle hieß es damals. 3000 Lire hat er pro Stück dafür genommen. Das war viel Geld. Zwei Jahre später sind solche Steine
Fundstück: ein Rauchquarz-Doppelender.
Josef Steger, Jahrgang 1954, ist in seinem Heimatort Kasern und weit darüber hinaus unter dem Namen „Fuchs Seppl” bekannt. Schon als Kind hat er eine künstlerische Ader, weshalb er nach der Mittelschule die Kunstschule in Gröden besucht. Ab 1972 unterrichtet er an verschiedenen Schulen als Kunsterzieher, 42 Jahre sind es alleine in St. Johann, wo er bis zu seiner Pensionierung vor fünf Jahren tätig ist. Auch als Künstler hat er sich einen Namen gemacht. Sein Lieblingsstil: die Aquarellmalerei. Und dann ist da noch die Leidenschaft für Mineralien: Seit der frühen Jugend sucht der Fuchs Seppl nach besonderen Steinen. Er ist Mitglied im Verein der Südtiroler Mineraliensammler und gibt sein Wissen gerne dem Nachwuchs weiter. //
in Mailand um das Zehnfache verkauft worden. Viele Ahrntaler haben in der Folge die Leidenschaft fürs Steinesuchen entdeckt. Samstags und sonntags gab es im Windtal eine regelrechte Invasion. Man könnte auch sagen: Es herrschte Goldgräberstimmung.
Gab es Konkurrenz?
Natürlich! Mein Vater war zu ehrlich, er hat immer erzählt, wo er etwas gefunden hat. Später hat man Stillschweigen bewahrt. Wenn ich schöne und wertvolle Kristalle gefunden habe, habe ich oft erst nach zwei Jahren davon berichtet. Dieses gegenseitige Geheimhalten, das hat sich ein bisschen hochgeschaukelt. Viele haben die bekannten Steinesucher ja mit dem Fernrohr verfolgt. Da hat man eben an uneinsichtiger
Josef Steger mit seinem Vater Zenz: Von ihm hat er alles über Mineralien gelernt.
Stelle die Kleidung gewechselt. Heute muss ich selbst darüber lachen.
Und wenn man an einer Stelle vorbeikam, an der Werkzeug lag?
Hat jemand sein Werkzeug an einer offenen Stelle deponiert, dann hätte niemand einen Stein angerührt. Früher zumindest, heute ist die Moral vielleicht eine andere.
Was ist das für ein Gefühl, einen besonderen Kristall zu finden?
Ein unbeschreibliches. Das Herz schlägt höher, wenn du ihn erblickst. Es ist wie das Ende einer Schatzsuche. Am Anfang war ich oft richtiggehend nervös und habe deshalb auch Fehler gemacht und viel zu schnell gearbeitet. Dabei sind auch Stücke kaputt gegangen. Heute hat sich das gelegt, trotzdem ist es für mich immer noch ein besonderer Moment.
Was hat die Gegend hier, die andere Gegenden nicht haben?
Eine besondere Geologie. Hier befinden wir uns mitten im Tauernfenster, wo sich alle vier festen Erdschichten an der Oberfläche treffen. Deshalb ist es ein interessantes Gebiet für Mineralien. Windtal, Röttal, bis hinüber nach Osttirol und Zillertaler Alpen: Für Steinesucher ein Paradies, zumindest früher.
Und heute? Alles abgegrast?
Im Talschluss des Ahrntals hat man wirklich alle möglichen Mineralien finden können. Kleinere Klüfte auch heute noch, mit viel Glück auch mal etwas Größeres. Aber das kommt vielleicht einmal im Jahr vor. Früher haben wir Rucksäcke voller Steine vom Berg getragen.
Ist es heute sogar reizvoller zu suchen?
Ja, weil es nicht mehr so einfach ist. Man muss hoch hinaus, rein in die Wände. Auch an den Stellen, wo die Gletscher zurückgehen, gibt es Kristalle zu finden. Das sind aber auch die gefährlichen Stellen, da sind schon Steinesucher umgekommen.
Wie entstehen Kristalle?
In erster Linie braucht es dafür Zeit. Die Alpen sind vor 30 bis 60 Millionen Jahren entstanden. Kristalle bilden sich durch chemische Prozesse und durch thermische und mechanische Abläufe. Man kann das mit der Entstehung von Eiskristallen bei Frost vergleichen. Im Fachjargon würde man sagen: Wenn Atome oder Moleküle eine regelmäßige Struktur mit Fernordnung ausbilden.
Wenn man dich so bei der Suche nach
Kristallen beobachtet hat man den Eindruck, du könntest sie riechen. Woher kommt diese Spürnase?
Im übertragenen Sinn habe ich wohl wirklich eine. Das hat viel mit der Erfahrung zu tun und mit den geologischen Kenntnissen, die ich mir im Laufe der Zeit angeeignet habe. Man muss den Entstehungsprozess der Alpen rückverfolgen. Wo Grünschiefer und Kalkglimmerschiefer übereinander liegen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, fündig zu werden. Genau wie an Stellen, wo sich Gesteinsmassen verkeilt haben, weil sich dann Hohlräume bilden. Mein Vater hat immer gesagt: Mit dem Buch findet man keinen Stein. Für mich hat sich das Einlesen in die Geologie aber ausgezahlt.
Wenn du zwei deiner liebsten Fundstücke wählen müsstest, welche wären das?
Mein absoluter Liebling ist ein Euklas, eine echte Seltenheit. Im gesamten Alpenbogen gibt es nur wenige Fundstellen. Im naturhistorischen Museum in Wien ist einer ausgestellt, der wurde hier im Windtal gefunden, heißt es zumindest. Bei der Angabe der Fundstellen muss man nicht immer allem Glauben schenken (lacht). Und dann habe ich noch einen Rauchquarz, auf den ich stolz bin. Den habe ich auf dem Weg zur Lenkjöchelhütte gefunden, als ich etwas abseits unterwegs war.
Bist du an dem Tag noch zur Hütte gekommen?
Natürlich nicht. Ich habe mein Werkzeug geholt, das habe ich in der Gegend an allen möglichen Stellen deponiert, und habe den Stein aus dem Felsen gearbeitet.
Bergkristall: typisch aus dem Windtal.
Miniatur: ein Euklas, nur einen Zentimeter groß.
Ich wusste, dass Euklas in alpinen Zerrklüften zu finden ist. Diese Klüfte muss man aufmachen und hoffen, dass etwas drin ist. Euklas kommt immer in Kombination mit Beryllium, Aluminium und Paragneisen vor. Mit dieser Information im Hinterkopf habe ich mich auf die Suche gemacht. Den Stein habe ich dann zu Geologen nach München und nach Mailand geschickt, um die Bestätigung zu erhalten.
Was hat dieser Stein für dich: Sammler- oder Schmucksteinwert?
Auf jeden Fall Sammlerwert. So einen Stein würde ich nie verkaufen.
Wem gehören Mineralien?
Laut Bestimmung gehört alles, das in einer Tiefe von mehr als 50 Zentimetern gefunden wird, dem Staat oder Land. Ich habe eine Abbaulizenz, weshalb ich graben und schürfen darf. Zwei meiner Fundstücke haben es in Museen geschafft. Ein Euklas ist im naturhistorischen Museum in Turin ausgestellt, ein Titanit im britischen Museum und mein geliebter Rauchquarz war schon in München, Wien und Verona zu sehen. Ich bin aus meinem Tal nie weg, aber einige meiner Steine schon. Das hat sich doch gut ergeben, finde ich. // Interview: Verena Duregger