The Red Bulletin DE 10/21

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DAS F IK T IV E PHILO S O PHEN- IN T ERV IE W

EPIKUR SAGT:

„So lernst du die Kunst der Freude“

the red bulletin: Herr Epikur, Sie haben be­ hauptet, der Sinn des menschlichen Lebens bestehe darin, Lust und Freude zu emp­ finden. In der Welt von heute gibt es viele Menschen, die viel Zeit und Geld dafür aufwenden, extreme Erfahrungen zu machen, um ­extrem viel Spaß zu haben. Etwa, indem sie mit einem Seil am Fuß Hm, aber dann wäre Freude von einer Brücke springen. ja so etwas wie eine Droge, die Was halten Sie davon? ­einen irgendwann in den Abgrund epikur: Keine Ahnung, ich habe so stürzt. Und die Lust an Extrem­ etwas noch nie ausprobiert. Wer sich erfahrungen wäre das Symptom zu meiner Zeit selbst erproben wollte, ­einer gesteigerten Abhängigkeit. konnte das bei einem unserer vielen Könnte sein, ja. Und deshalb ist Kriege tun. Aber das war nie so es so wichtig, beizeiten die Kunst „Das Geheimnis mein Ding. Ich habe es vorgezogen, liegt darin, so zu leben, der Freude zu lernen. Darum ging in meinem Garten zu lustwandeln, es in meinen Büchern. dass man sich gute Gespräche zu führen und mich am Licht der Sonne zu erfreuen. an ­allem freut, was ist, Und worin besteht diese Kunst der Freude? und nicht an dem, Vor allem darin, sich an den Aber Sie haben doch gesagt, was man will.“ Dingen zu erfreuen, die wirklich wir Menschen täten gut daran, zu einem passen – die irgendwie ein Leben der Freude zu führen. Wenn jemand Freude daran hat, extreme Heraus­ naturgemäß und unbegrenzt vorhanden sind. Wie forderungen zu bestehen, dann ist das doch etwas gesagt: Ich habe immer die größte Freude, wenn ich Gutes, oder? mit g ­ uten Freunden durch meinen Garten schlendere­. Jaja, ich weiß, was Sie meinen, aber so einfach ist es Denn ich bin dann völlig frei davon, irgendetwas nicht. Nicht überall, wo Freude draufsteht, ist auch ­Tolles oder Extremes erfahren zu müssen. Ich bin Freude drin. Vorderhand sieht es doch so aus: Sie dann auch frei von Angst und Sorge. Ich glaube, das ­nehmen sich etwas vor, artikulieren einen Wunsch. ganze Geheimnis der Freude liegt darin, so zu leben, Und siehe da, es kommt so, wie Sie es wollten, und dass man sich an allem freut, was ist, und nicht an dann freuen Sie sich. Das war’s. Und was dann? dem, was man will. Du möchtest dich freuen? Dann hör auf, dich freuen zu wollen! Na ja, man freut sich, und wenn die Freude nach­ lässt, gibt es bestimmt ein nächstes Ziel, das man EPIKUR (um 341 – 271/270 v. Chr.) gilt als Philosoph der Freude. Damit hat er sich nicht nur Freunde gemacht. Im Gegenteil: Zu sich setzt. Und wenn man auch das erreicht hat, allen Zeiten war er die Hassfigur von Moralpredigern, die ihn als dann ist die Freude doppelt so groß. Ahnherrn eines zügellosen Hedonismus verdammten. TatsächIm Gegenteil, mein Freund, die Freude wird schwächer. lich ging es Epikur aber nicht um ein Maximum an Spaß, sondern Erst unmerklich, aber dann umso mehr. Und wissen Sie, um Selbstgenügsamkeit, die das Leben so nimmt, wie es ist. warum? Weil deine Freude nicht mehr frei ist. Besser: CHRISTOPH QUARCH, 57, ist deutscher Philosoph, Gründer weil du nicht mehr frei bist. Du verhedderst dich im der Neuen Platonischen Akademie (akademie-3.org) und Hamsterrad, brauchst immer neue Anreize, immer ­Autor zahlreicher philosophischer Bücher. Zuletzt erschienen: neue Wünsche, immer neue Ziele. Klar, du freust dich, „Kann ich? Darf ich? Soll ich? Philosophische Antworten auf alltäg­liche Fragen“, legenda Q, 2021. wenn du wieder einmal etwas erreicht hast, aber diese 16

THE RED BULLETIN

BENE ROHLMANN

Freude verpufft so schnell, wie sie kam. Und noch während sie verpufft, wirst du immer abhängiger von deinen kleinen Kicks der erfüllten Wünsche. Bis du auf die glorreiche Idee kommst, deine Ziele immer größer und extremer werden zu lassen – in der Hoffnung, dass dann auch die Freude extremer wird. Was aber nicht passiert. Stattdessen kannst du dich irgendwann gar nicht mehr freuen: Fünfzig Kilometer gelaufen? Okay, dann sechzig. Sechzig Kilometer gelaufen? Okay, dann siebzig. Das nimmt kein Ende, außer du fällst vorher tot um.

DR. CHRISTOPH QUARCH

Glücklich sein ist der Sinn des Lebens. Aber wie ist wirkliche Freude zu finden? Der alte Grieche Epikur meint in unserem fiktiven Interview mit Christoph Quarch: nur, ­indem man nicht krampfhaft nach ihr sucht.


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