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DER POTT KOCHT

Der Ruhrpott hat seine eigenen Regeln, speziell wenn es um die richtig coolen Autos geht. Im uneigennützigen Selbstversuch haben wir uns mit der Essen Motor Show befasst, um den kulturellen Wert individuell getunter Fahrzeuge zu ermitteln.

Essen.Motor.Show.

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DER POTT KOCHT!

Text: Fotos: Joachim Fischer Essen Motor Show

Wir sprechen hier über Motoren, Show und Essen –die Stadt Essen im Ruhrgebiet. Und ja, das Ruhrgebiet ist sehr groß. Nimmt man mal grob die Region zwischen Duisburg im Westen und Dortmund im Osten, zwischen Dorsten im Norden und Hattingen im Süden, leben hier über fünf Millionen Menschen – mehr als in irgendeinem anderen Ballungsraum in Deutschland. In wohl keiner anderen Region in Deutschland gilt das Auto als wichtigeres Statussymbol als im Ruhrgebiet. Ich spreche da aus eigener, herber Erfahrung. Als ich vor zig Jahren in meinem alten Alfasud vor Ort war, war ich noch weit von dem entfernt, der ich heute bin … Vor einiger Zeit hingegen war ich einmal wieder in Essen. In einem 911er Porsche. Bei dem Michelin-Stern-dekorierten Koch Nelson Müller im Restaurant Schote und zuvor beim Red Dot im UNESCO-Welterbe Zollverein. Gefühlt ist alles wie früher – aber anders. Aus diesem Grund komme unweigerlich auf die wohl aktuellsten Themen vor Ort zurück: Motoren, Show und Essen, und all das nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.

Essens Rangliste der Wichtigkeiten ist sicherlich kein Einzelfall unter der Vielfalt von Balzverhalten im Rest der zivilisierten Welt. Aber hier wird der automobile Jahrmarkt der Eitelkeiten mittels Kraftfahrzeug wenigstens mit offenen Karten ausgetragen – selbst wenn diese getunt sind: Hier kann man mit viel Hoffnung auf Erfolg angeben, inmitten von Industrieanlagen und Vorgärten. Hier wird viriles Protzen nicht nur erwartet, sondern mit Applaus belohnt. Was mich zum Thema bringt: Um jene Ruhrpott’sche Effektivität des persönlichen Fortbewegungsmittels zu messen, wollen wir mit dieser vorgestellten Auswahl an Fahrzeugen auf die Essen Motor Show hinweisen. „Der Pott kocht“ – oder „Feel the beat“, wie es offiziell heißt. Und der Beat geht so: Im Ruhrgebiet wird bei Kiosk, Büdchen und Trinkhallen vorgefahren, nichts mit „Valet Parking“, das den 12-Töpfer prestigewirksam vor dem Eingang des Nobelhotels abstellt. Um festzustellen, welches Automobil in der ruhrpottschen Gesellschaftsordnung am meisten Aussicht auf anhalte Bewunderung stößt, müsste man also nur auf die ParkPositionierung achten – je näher am In-Büdchen, desto vielversprechender. Aber wozu, frag ich mich, braucht eine brave Familienkutsche ausgestellte Radkästen und abgedunkelte Scheiben?

Tuning ist zu einem großen Teil eine Lebenseinstellung –eine Leidenschaft, die zusammenschweißt

Ähnlich verhält es sich mit matter Lackierung, die ebenfalls salonfähig geworden ist. Früher war sie etwas für Motoraver-Typen. Die pinselten ihren alten Mercedes mattschwarz an und pappten Totenköpfe drauf. Heute wird die Originalität auf die technisch machbare Spitze getrieben. Fünfloch-Felgen werden auf serienmäßige Vierloch-Anbindung angepasst, unter der Haube arbeiten hochgemotzte Motoren und meist wird den Fahrzeugen noch eine auffällige wie aufwendige Lackierung verpasst. Die schier endlose Liste der Modifikationen kann neben dem Motorentuning unter anderem innenbelüftete Scheibenbremsen, Fünfgang-Sportgetriebe, Überrollkäfig und Sportsitze umfassen. Eine Höllenqual bis alles eingetragen ist, inklusive ständige Lauferei zum TÜV. Um am Ende des Tages festzustellen: Billig sind die Umbauten ohnehin nicht. Dafür hätte man bestimmt auch einen gebrauchten BMW M3 oder eine A-Klasse von AMG bekommen. So scheint es. Aber ach, wie schön das alles am Ende aussieht! Und was lernen wir daraus? Den ersten wichtigen Grundsatz in Bezug auf das Autotuning: Tuning ist in der Regel nicht das, was von außen so scheint. Wer ein aufgemotztes Auto fährt, ist nicht unbedingt ein Rowdy. Tuning bleibt zu einem großen Teil eine Lebenseinstellung – eine Leidenschaft, die zusammenschweißt.

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