ChemieXtra 10/2020

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BIOWISSENSCHAFTEN

Lichtgetriebene Natriumpumpe

Mechanismus ist aufgeklärt Forschenden des Paul-Scherrer-Instituts PSI ist es erstmals gelungen, eine lichtgetriebene Natriumpumpe von Bakterienzellen in Aktion aufzunehmen. Die Erkenntnisse versprechen Fortschritte bei der Entwicklung neuer Methoden in der Neurobiologie. Für ihre Untersuchungen nutzten die Forschenden den neuen Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin «Nature».

Natrium, das auch in handelsüblichem Kochsalz enthalten ist, spielt eine wesent­ liche Rolle für Lebensvorgänge der meis­ ten Zellen. So bauen viele Zellen ein Kon­ zentrationsgefälle zwischen ihrem Inneren und der äusseren Umgebung auf. Dazu transportieren spezielle Pumpen in der Zellmembran Natrium aus der Zelle he­ raus. Mithilfe eines solchen Konzentrati­ onsgefälles nehmen beispielsweise Zellen des Dünndarms oder der Niere bestimmte Zucker auf. Auch in den Membranen von Bakterien finden sich solche Natriumpumpen. Sie zählen zur Familie der sogenannten Rho­ dopsine. Das sind spezielle Proteine, die durch Licht aktiviert werden. Diese trans­ portieren beispielsweise bei im Meer le­ benden Bakterien wie Krokinobacter eikastus Natrium aus der Zelle heraus. Die entscheidende Komponente des Rhodop­ sins ist das sogenannte Retinal, eine Form von Vitamin A. Es ist von zentraler Bedeu­ tung für Menschen, Tiere, bestimmte Al­ gen und viele Bakterien. In der Netzhaut des menschlichen Auges stösst Retinal beispielsweise den Sehvorgang an, wenn es unter Lichteinfluss seine Form verän­ dert.

Blitzschnelle Aufnahmen Forschenden des Paul-Scherrer-Instituts PSI ist es gelungen, die Natriumpumpe von Krokinobacter eikastus in Aktion auf­ zunehmen und dabei die molekularen Veränderungen zu dokumentieren, die für den Natriumtransport notwendig sind. Da­

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Paul-Scherrer-Institut, Villigen

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Bild: PSI/Mahir Dzambegovic

Sebastian Jutzi 1

Petr Skopintsev (links), Jörg Standfuss (Mitte) und Christopher Milne (rechts) an der Experimentierstation Alvra am Freie-Elektronen-Röntgenlaser SwissFEL

für nutzten sie ein Verfahren, das als serielle Femtosekunden-Kristallografie bezeichnet wird. Dabei wird die zu unter­ suchende Probe – in diesem Fall eine kristallisierte Natriumpumpe – zeitversetzt erst von einem Laser- und dann von ei­ nem Röntgenstrahl getroffen. Im Fall des bakteriellen Rhodopsins aktiviert der Laser das Retinal und der anschliessend auftref­ fende Röntgenstrahl liefert Daten über Strukturveränderungen innerhalb des ge­ samten Proteinmoleküls. Da der SwissFEL 100 Röntgenpulse pro Sekunde produ­ ziert, sind zeitlich hochaufgelöste Aufnah­ men möglich. «Eine zeitliche Auflösung im Femtosekundenbereich erzielen wir am PSI nur mithilfe des SwissFEL», sagt Chris­ topher Milne, der die Experimentierstation Alvra mitentwickelt hat, an der die Aufnah­ men gemacht wurden. «Eine der Heraus­

forderungen dabei ist, die Kristalle so in die Versuchsapparatur zu injizieren, dass sie punktgenau mit den Pulsen des Lasers und des Röntgenstrahls zusammentref­ fen.»

Pumpe in Aktion In dem aktuellen Versuch betrugen die Zeitintervalle zwischen Laser- und Rönt­ genstrahl zwischen 800 Femto- und 20 Millisekunden. Durch jeden Röntgen­ puls entsteht eine einzelne Aufnahme ei­ nes Proteinkristalls. Und so wie ein Kino­ film letztlich aus einer Vielzahl einzelner Fotos besteht, die aneinandergereiht und dann schnell abgespielt werden, so lassen sich auch die einzelnen Bilder, die mithilfe des SwissFEL gewonnen werden, zu einer Art Film zusammensetzen. 10/2020


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