ZUM W ER K
JOH A N NES BR A HMS Ein deutsches Requiem
12
ER NEUERU NG K L ASSISCHER TR A DITIONEN
VON MICH A EL STA L L K N ECHT
Der Mensch ist das Wesen, das weiss, dass es sterben wird, «dass ein Ende mit mir haben muss», wie es in Psalm 39 heisst. Johannes Brahms wählte diese und andere Passagen aus Luthers Übersetzung des Alten und des Neuen Testaments, als er den Text für sein Deutsches Requiem nach Worten der Heiligen Schrift zusammenstellte. Ihren klassischen Ort hatte die Auseinandersetzung mit dem Tod im lateinischen Text der katholischen Totenmesse. Doch diesen einfach erneut zu vertonen, wäre nicht nur für den P rotestanten Brahms schwer vorstellbar gewesen. Das religiöse Moment ging im
19. Jahrhundert in seiner musikalischen Gestalt auch zunehmend von den K irchen in die Konzertsäle über. Die bürgerl iche Gemeinschaft fand hier ihren eigenen Ausdruck, hatte doch schon Brahms’ Vorbild Robert Schumann älteren Gattungen neue Formen verliehen. Schumanns Tod im Jahr 1856 mag bei Brahms den ersten Anstoss zu einem deutschsprachigen Requiem gegeben haben, entsprechende Pläne und Skizzen rei chen jedenfalls weit zurück. Der endgültige Auslöser aber war wohl 1865 der Tod seiner Mutter, nach dem der zentrale Mittelsatz «Wie lieblich sind deine Wohnungen» entstand. Im Jahr darauf vollendete Brahms das Werk (bis auf den 5. Satz) bei Aufenthalten in Karlsruhe, in Winterthur als Gast seines Verlegers sowie im Sommer auf dem Zürichberg. Der verschlungenen Entstehungsgeschichte entspricht eine ebenso verschlungene Geschichte von Teil aufführungen. Ihren Abschluss fand sie