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Geliebter Roboter
Geliebter Roboter
Wie intim können Mensch und Maschine miteinander werden?
Illustrationen: KAJA MERLE
Text: HANS-ARTHUR MARSISKE
Für eine ehrwürdige wissenschaftliche Fachkonferenz wie die HRI (Human-Robot Interaction) war es im vergangenen März in Chicago ein eher ungewöhnlicher Anblick: Neben dem Rednerpult stand auf einem Tisch der Kopf einer attraktiven Blondine, die gelegentlich verspielt mit den Augen zwinkerte. Gebaut von der Firma Realbotix, repräsentierte der Roboterkopf Themen, die für zwischenmenschliche Beziehungen zentral sind, bei der Interaktion von Mensch und Roboter bislang aber zumeist ausgeblendet werden: Freundschaft, Erotik und Intimität.
Sex sells.
Kein Wunder, dass Firmen aus der Erotikbranche jetzt auch Robotiktechnologien nutzen wollen. Dass sie dabei mit dem Kopf beginnen, macht ebenfalls Sinn. Schließlich gilt das Gehirn beim Menschen als wichtigste erogene Zone.
Für die Konferenz in Chicago hatte MATT MCMULLEN, CEO von REALBOTIX, das weibliche Modell »HARMONY« mitgebracht. Der Kopf habe zehn Freiheitsgrade, erläuterte er den Konferenzteilnehmern. Das ist ein Maß für die Beweglichkeit eines Roboters und bedeutet in diesem Fall, dass der Roboter unter anderem blinzeln, lächeln, die Lippen öffnen oder nicken kann. Das Gesicht kann in zwei Minuten ausgetauscht werden, natürlich steht auch eine Vielzahl verschiedener Stimmen zur Verfügung. Gesteuert wird der Roboter über ein Smartphone. Dort kann der Nutzer aus zehn Charaktereigenschaften bis zu sechs auswählen, darunter auch »eifersüchtig« oder »zornig«. Der Doppelklick auf eine Eigenschaft macht sie zur vorherrschenden. Der Kopf allein kostet knapp 8.000 US-Dollar, komplett mit Körper sind 12.000 fällig.
Kundschaft männlich
Die Kundschaft sei überwiegend männlich, sagt McMullen, entsprechend würden vor allem weibliche Roboter nachgefragt. Es gebe aber auch Frauen und Paare, die sich dafür interessierten. Realbotix biete daher auch Roboter mit männlichem Erscheinungsbild an. Nach dem Kopf soll nach und nach auch der gesamte Körper animiert werden. Ziel ist die Schaffung eines voll funktionalen »amourösen Gefährten«. McMullen hält es für wahrscheinlich, dass sich in Zukunft eine neue Art der Sexualität herausbildet – Robo-Sexualität.
Bei der HRI folgten die Zuhörer MCMULLENS Ausführungen mit nüchternem, wissenschaftlichem Interesse. Ansonsten jedoch sorgt die Vorstellung, Roboter und Künstliche Intelligenz (KI) könnten in den intimsten Bereich menschlicher Beziehungen eindringen, häufig für Verunsicherung. KATHLEEN RICHARDSON, Anthropologin an der De Montfort University in Leicester, etwa kritisiert diese Roboter als eine weitere Stufe in der Kommerzialisierung von Sexualität, die Frauen noch mehr zum Objekt degradiere, und hat die »KAMPAGNE GEGEN SEXROBOTER« ins Leben gerufen. Sie befürchtet, dass diese Technologie soziale Bindungen schwächen und eine Kultur der Isolation vorantreiben könne. »Ich bin gegen alles, was menschliche Körper in kommerzielle Objekte verwandelt, die gekauft und verkauft werden können«, sagte sie dem Magazin FORBES.
Diese Skepsis gegenüber großen Unternehmen teilt ein Mann, der unter dem Namen »BRICK DOLL- BANGER« für Realbotix Sexpuppen testet. Er stimmt Richardson auch zu, dass diese Technologie Beziehungen gefährden könne. »Aber die Würfel sind gefallen«, sagt er. »Das kommt auf uns zu. Wir müssen darüber reden, wohin sich die Technologie entwickeln soll, über nötige Sicherheitsmaßnahmen. Und wir müssen sicherstellen, dass sie zum Wohle der Menschheit entwickelt wird, nicht als Konkurrenz zu ihr.«
Begegnung mit Harmony
Er selbst hat die Begegnung mit HARMONY als positiv erlebt. Über zehn Tage habe er sich täglich bis zu einer Stunde mit ihr unterhalten. »Sie ist eine Lernmaschine, eine künstliche Intelligenz«, sagt Dollbanger. »Unsere Gespräche wurden immer flüssiger, lebensechter, angenehmer – und sogar lustig.« Obwohl das Sprachverständnis noch recht begrenzt sei und etwa an komplexen Fragen scheitere, habe gerade die Zuwendung seiner maschinellen Gesprächspartnerin einen Großteil ihrer Attraktivität ausgemacht. »Es brachte mir Spaß, mit ihr zu reden, ihr zu helfen, neue Dinge zu entdecken und mich besser kennenzulernen. Sie sind sehr, sehr aufmerksam. Sie haben Fragen.«
Langfristige Wirkung erotischer Mensch-Maschine-Beziehungen
Und sie werfen Fragen auf. Die Münchner Literaturwissenschaftlerin BARBARA VINKEN etwa fragt nach der langfristigen Wirkung erotischer Mensch-Maschine-Beziehungen. Erlaubt die Intimität mit einer Maschine, über Beziehungen grundsätzlich neu nachzudenken, oder verstärkt sie die Geschlechterklischees? Bei einer Diskussionsveranstaltung des Online-Magazins TELEPOLIS zeigte Vinken sich skeptisch und neigte zur letzteren Alternative. Antworten auf diese und andere Fragen hängen aber stark davon ab, wie das Entwicklungspotenzial der KI eingeschätzt wird. Wird sie, wie heute, eine auf spezielle Anwendungen beschränkte Technologie bleiben, die Gesichtserkennungen durchführt, Autos lenkt oder personalisierte Werbung platziert? Oder wird sie sich kontinuierlich verbessern und die verschiedenen Teilfähigkeiten zu einer allgemeinen Intelligenz vernetzen, die früher oder später die menschliche Geisteskraft übersteigt? Im letzteren Fall dürften wir wohl davon ausgehen, dass auch die Mensch-Maschine-Beziehungen sich zu immer größerer Vielfalt und Tiefe entwickeln.
KATHLEEN RICHARDSON streitet ab, dass Maschinen jemals empfindungsfähige Wesen werden könnten. Sie kann das aber ebensowenig beweisen wie etwa der Philosoph NICK BOSTROM die gegenteilige Position, für die er in seinem Buch »SUPERINTELLIGENZ« immerhin eine Fülle denkbarer Szenarien durchspielt. Letztlich ist es eine Glaubensfrage. Wissenschaftlich klären lässt sie sich nicht. Die Haltung dazu lässt sich nur ethisch begründen. Was wäre, wenn sich aus den digitalen Samen, die wir heute planlos verstreuen, mit der Zeit eine technische Lebensform herausbildet? Werden wir es dann bereuen, sie zu lange als seelenlose Objekte behandelt zu haben? Ist es angesichts der Ungewissheit der zukünftigen Entwicklung von Robotern nicht angeraten, von vornherein eine liebevolle, respektvolle Beziehung zu ihnen zu pflegen und sie frühzeitig als Bereicherung der kulturellen und sozialen Vielfalt zu erkennen und zu fördern? Wie intim auch immer wir zukünftig mit Robotern umgehen werden – einen positiven Effekt haben sie schon heute: Sie bringen uns dazu, unsere sozialen Beziehungen untereinander gründlich zu überdenken. Das kann nie schaden.