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die ernährung wirtschaft economy
Österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft
Volume 46 | 03/04. 2022
Nachhaltigkeit ist Generationenfrage Seite 4
Versorgung mit Erdgas DER ALIMENTARIUS 2022 Seite 30
© Adobe Stock – volff
Österreichische Post AG MZ 14Z040109 M SPV Printmedien GmbH, Florianigasse 7/14, 1080 Wien
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volume 46 | 03/04. 2022 ERNÄHRUNG | Nutrition Abstracted in CHemical Abstracts abstracted in scopus
Höchste Qualität von der Saat bis zum Öl
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3 inhalt content
inhalt —
Liebe Leserin, lieber Leser,
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Wirtschaft economy 4 Nachhaltigkeit ist Generationenfrage 8 Versorgung mit Erdgas 12 Weizen: Proteingehalt und -qualität 16 Exportbilanz 2021 der österreichischen Lebensmittelindustrie 18 Höchste Zeit für Bioökonomie 20 Bioökonomie
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Technik technology 24 Bedarfsgerechte Reinigung und Desinfektion
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Wissenschaft science 30 Fit für die Zukunft – der alimentarius 35 Festvortrag zur Verleihung des ALIMENTARIUS 2022 38 Impact of orgin, fermentation and roasting on the composition of coffee beans and brews 42 Chancen und Risiken des Veganismus 46 Hochwertiges Protein aus CO2 – ein ökologisch sinnvolles Konzept 48 Einblicke in das Forschungsprojekt NutriSafe – Sicherheit in der Lebensmittelproduktion und -logistik durch Distributed-Ledger-Technologie 54 Speziesidentifikation von Schimmelpilzen in Lebensmitteln mittels DNA-Barcoding und Metabolite-Profiling
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recht law 58 Starke Partner in der amtlichen Lebensmittelüberwachung: Bundesamt für Verbrauchergesundheit und das neue AGES-Kompetenzzentrum Lebensmittelkette 62 Ein rauchfreies Europa bis 2040?
66 Impressum
Nachhaltigkeit ist kein kurzfristiges Projekt, sondern eine Generationenfrage, unterstreicht Hendrik de Jong von Mars Austria im CEO-Interview. Das international erfolgreiche Unternehmen zeigt vor, wie Lebensmittelhersteller Verantwortung für Mensch, Klima und Umwelt übernehmen. Grund genug, dieses Hot-Topic der Branche erneut in den Fokus von DIE ERNÄHRUNG zu rücken. Besonders in der Energieversorgung ist nachhaltiges Handeln gefragter denn je. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen machen die Gaslieferketten fragil und treiben die Teuerung voran. Plötzlich müssen wir wieder über die Sicherheit der heimischen Lebensmittelversorgung sprechen – ein Thema, das längst vergangen schien. Unsere Forderung an die Politik ist klar: Um für den Ernstfall gewappnet zu sein, müssen Klimaministerium und Lebensmittelindustrie eng zusammenarbeiten. Nur gemeinsam lassen sich nachhaltige Lösungen für die Zukunft finden. Neue Konzepte standen auch im Zentrum unseres Wissenschaftspreises. Erstmals seit Pandemiebeginn wurde DER ALIMENTARIUS wieder im Rahmen eines Festakts in den Wiener Börsensälen überreicht. Über die Arbeiten aller fünf Preisträgerinnen und Preisträger berichten wir in dieser und den kommenden Ausgaben. Viel Freude bei der Lektüre.
Katharina Koßdorff
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Nachhaltigkeit ist Generationenfrage Die Ernährung sprach mit Hendrik de Jong, Geschäftsführer Mars Austria, über Strategien zur Nachhaltigkeit, die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf globale Lieferketten, Marktstrategien, den Standort Österreich und seine Position zur Besteuerung von Inhaltsstoffen, zu Werbeverboten und der verpflichtenden Herkunftskennzeichnung. Oskar Wawschinek
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ie Ernährung: Sie haben die Strategie „Cocoa for Genera tions“ entwickelt, um eine Ka kaolieferkette zu definieren. Wie sieht das im Detail aus? Hendrik de Jong: Mars hat seinen „Cocoa for Generations“-Plan 2018 vorgestellt und investiert über 1 Mrd. USD in die Modernisierung der Kakao-Lieferkette. Im Mittelpunkt des Plans stehen 3 zentrale Anliegen: der Schutz von Kindern, der Erhalt von (Regen-)Wäldern und die Erhöhung der Einkommen der Kakaobauern. Jedes Jahr publiziert Mars die Fortschritte. Der Rohstoff Kakao ist eine der wichtigsten Zutaten für Mars als Schokoladenmarke, aber auch die Lebensgrundlage für 350.000 Kakaobauern in unserer globalen Lieferkette. Mit der „Cocoa for Generations“-Strategie setzt sich Mars das Ziel, bis 2025 nur noch Kakao zu beziehen, der zu 100 Prozent nachhaltig und rückverfolgbar ist – und das Einkommen sowie den Lebensstandard der Kakaobauern und ihrer Familien zu verbessern. Zusätzlich ist der Erhalt der Wälder einer der Schwerpunkte des „Responsible Cacao“-Programms von Mars. Hier ist es unser erklärtes Ziel – ebenfalls bereits bis 2025 –, eine abholzungsfreie Lieferkette für den gesamten von Mars bezogenen Kakao sicherzustellen. Welche Ziele verfolgt der globale Sus tainability Plan von Mars? De Jong: Mars hat sich zum Ziel gesetzt, die Art und Weise, wie wir heute Geschäfte machen, so zu verändern, dass
wir morgen eine positive Kraft für die Menschen und den Planeten sein können. Unser „Sustainable in a Generation Plan“ bildet den Rahmen für unsere drei miteinander verbundenen Bereiche für zielgerichtetes Wachstum: „Healthy Planet, Thriving People und Nourishing Wellbeing“ – das bedeutet unter anderem, wir reduzieren unsere Umweltauswirkungen im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, wir verbessern das Einkommen der Landwirte und -wirtinnen in unseren Lieferketten oder setzen uns für verantwortungsvolles Marketing ein. Dafür investieren wir eine Milliarde Dollar sowie eine weitere Milliarde in unseren „Cocoa for Generations“-Plan. Mars Inc. verpflichtet sich den Science Based Targets (SBTi), um bis 2050 in unserer gesamten Wertschöpfungskette Netto-Null-Treibhausgasemissionen zu erreichen. Unser Zwischenziel sind -42 % Reduktion von CO2-Emissionen in den direkt von uns beeinflussbaren Prozessen. Welchen Aspekt davon halten Sie per sönlich für besonders wichtig? De Jong: Mir gefällt der ganzheitliche Ansatz unserer Nachhaltigkeitsstrategie: Wir konzentrieren uns zum Beispiel nicht nur auf die Reduktion unseres CO²-Fußabdrucks, sondern sorgen auch dafür, dass sich die Menschen, die in unseren Lieferketten arbeiten, entfalten können. Am Ende des Tages hängt alles miteinander zusammen und wir können als Gesellschaft nur erfolgreich sein, wenn alle Bereiche im Einklang stehen.
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Welche Auswirkungen haben die Verwer fungen bei Rohstoffen und Lieferketten durch den Krieg in der Ukraine? De Jong: Die anhaltenden Herausforderungen mit der entsprechenden Kostendynamik bei Rohstoffen, Energie, Verpackung und Transport betreffen die gesamte Wertschöpfungskette und sind für alle Marktteilnehmer wahrnehmbar. Es müssen alle an einem Strang ziehen, um diese Krise zu bewältigen. Welche Strategiebereiche verfolgt Mars generell? De Jong: Seit mehr als einem Jahrhundert wird Mars, Incorporated von der Überzeugung angetrieben, dass „die Welt, die wir uns morgen wünschen, damit beginnt, wie wir heute Geschäfte machen“. Heute verändert und entwickelt sich Mars auf eine Art und Weise, die das Engagement des Familienunternehmens für einen positiven Einfluss auf die Umwelt unterstreicht. Mit einem vielfältigen und wachsenden Portfolio von Süßwaren, Lebensmitteln und Produkten und Dienstleistungen für Haustiere erwirtschaften 133.000 engagierte MitarbeiterInnen weltweit einen Jahresumsatz von 40 Milliarden US-Dollar. Und in Österreich? Gibt es spezielle An sätze? De Jong: Als Teil eines Familienunternehmens bietet Mars Österreich den Konsumenten und Konsumentinnen seit über 50 Jahren starke Qualitätsmarken, denen sie vertrauen, und die einen Mehrwert brin-
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und sich zusammensetzen können, um gemeinsame Mahlzeiten zu genießen.
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Mars: Tiere im Mittelpunkt
gen, sowie Innovationen, die überraschen und für Menschen und Haustiere glückliche Momente ermöglichen. Unsere Marken unterteilen wir in die Bereiche Süßwaren, Tiernahrung und Nährmittel, in denen wir zum großen Teil auch Marktführer sind. Mit unseren karitativen Kooperationen wie mit der Caritas Österreich oder der Stiftung Kindertraum leben wir unser Versprechen, eine bessere Welt für morgen zu gestalten, indem wir heute die Gemeinschaft unterstützen.
der Umbenennung von Uncle Ben’s® zu Ben’s Original™ wurde dieser Prozess im vergangenen Jahr abgeschlossen. Die Weiterentwicklung der Marke hat das Ziel, eine integrativere Zukunft zu schaffen und gleichzeitig weiterhin den besten Reis der Welt zu produzieren. Der neue Auftritt markiert einen wichtigen Schritt in Richtung des neuen Markenversprechens „Möglichkeiten schaffen, die allen einen Platz am Tisch bieten“. Ben’s Original™ ist nicht nur eine Namens- und Verpackungsänderung – wir glauben, dass jeder es verdient, sich wohl und verstanden zu fühlen und Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu haben. Deshalb setzen wir uns auch für die Förderung von Inklusion und Gleichberechtigung ein. Wir möchten Möglichkeiten schaffen, dass mehr Menschen kochen
Die Reismarke Ben´s wurde als „Original“ neu positioniert. Was waren die Beweg gründe dafür und wie wurde vorgegangen? De Jong: Mars hatte bereits im September 2020 angekündigt, der Marke Uncle Ben’s® eine neue Identität zu geben. Mit
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Zum Unternehmen —
Mars Austria (www.mars.at), gegründet 1966, ist eine hundertprozentige Tochter von Mars, Incorporated. Das Unternehmen verfügt über eine Heimtiernahrungsfabrik in Bruck/Leitha, der Inlandsvertrieb
Wie sehen Sie die zunehmenden Ansätze zur Regulierung von Lebensbereichen, speziell im Hinblick auf Lebensmittel (z. B. Stichworte Zucker, Fett und Salz)? De Jong: Mars unterstützt die Empfehlungen der weltweit führenden Gesundheitsbehörden in Bezug auf den Zuckerkonsum und hat eine Reihe von Marketing-, Kennzeichnungs- und Portionsgrößenverpflichtungen eingeführt, um die Verbraucher und Verbraucherinnen dabei zu unterstützen, ihre Aufnahme von zugesetztem Zucker auf höchstens 10 % der täglichen Kalorien zu beschränken. Da die Ursachen von Fettleibigkeit und ernährungsbedingten Krankheiten vielschichtig sind, befürworten wir umfassende Maßnahmen, bei denen alle Elemente in einem kohärenten Rahmen zusammenwirken, um die öffentliche Gesundheit zu unterstützen und zu verbessern. Immer wieder gibt es Diskussionen über mögliche Verbote für Werbung an Kin der für bestimmte Lebensmittel. Wie se hen Sie diese Diskussionen? De Jong: Mars blickt auf eine lange Geschichte der verantwortungsvollen Vermarktung unserer Produkte zurück. Unser Marketingkodex, der erstmals 2008 verabschiedet und 2010 im Hinblick auf die Wrigley-Übernahme aktualisiert wurde, spiegelt unsere Unternehmenswerte und -prinzipien sowie unser Engagement für eine verantwortungsvolle Marketing-Kommunikation in einem dynamischen Marketing-Umfeld wider. Im Geiste der kon-
hat seinen Sitz in Wien. Zu den in Österreich bekanntesten Marken von Mars gehören: M&M's®, SNICKERS ® , TWIX ® , BALISTO®, CELEBRAT I O N S ®, O R B I T t ®, AIRWAVES ® , BEN'S ORIGINAL™, SHEBA®, WHISKAS®, KITEKAT®, CESAR®, PEDIGREE ®, CATSAN ®. Derzeit arbeiten rund 100 Mitarbeitende im Wiener Büro und circa 300 Mitarbeiter in der Tiernahrungsfabrik in Bruck an der Leitha. Mars: Produktion in Bruck an der Leitha
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Könnte eine verstärkte Ernährungsbil dung helfen, dass die Menschen einen besseren Zugang zum Thema Ernäh rung entwickeln? De Jong: Eine verstärkte Ernährungsbildung kann ein wichtiger Teil eines Maßnahmenpakets sein. Daher sind wir auch überzeugt von unserem Engagement im forum. ernährung heute, welches sich in der Ernährungsdiskussion als wissenschaftlich basierte Kommunikationsplattform zur besseren Information versteht und allgemein verständlich aufklären möchte. Die österreichische Politik plant eine verpflichtende nationale Herkunfts kennzeichnung. Wie stehen Sie aus Sicht eines internationalen Unterneh mens zu solchen Vorhaben? De Jong: Wir alle müssen Maßnahmen ergreifen, um die Missstände in den globalen Lieferketten zu beheben und den Verbraucherinnen und Verbrauchern größtmögliche Transparenz zu gewährleisten. Wir bauen auf das geltende EU-Recht und die von der EU gesetzten Maßnahmen hinsichtlich der Herkunftskennzeichnung,
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Zur Person — Biographie Der Deutsche Hendrik de Jong hat sein Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Bamberg absolviert. Seine berufliche Laufbahn in der Lebensmittelindustrie begann er als Key Account Manager bei Coca-Cola Germany. Weitere Stationen führten ihn als Sales Director zu HARIBO Germany, bevor er Sales Director Mars Aus tria und dann Geschäftsführer Mars Austria wurde. Hendrik de Jong ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Zu seinen Hobbys zählen Tennis, Joggen und Skifahren.
die faire Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer schaffen soll. Wie wird sich das Produktportfolio aus Ihrer Sicht weiterentwickeln? Wo sehen Sie die größten Potentiale? De Jong: Das Konsumverhalten hat sich während der Covid-19-Pandemie deutlich geändert. Diese Veränderungen halten weiter an und bieten Chancen für unser Produktportfolio: Bei Eiscreme und Schokolade bedeutet das, dass wir Packungsformate für den Konsum zu Hause und zum Teilen mit Freunden und der Familie anbieten. Für Kaugummi ergeben sich neue Verzehranlässe z.B. im Homeoffice oder beim Lernen zu Hause. Es wird wieder vermehrt gemeinsam gekocht, heißt, auch die Ben’s Original Reisprodukte erfreuen sich großer Beliebtheit, da sie conveniente, aber ausgewogene Mahlzeiten ermöglichen. Wie zufrieden sind Sie generell mit dem Standort Österreich? De Jong: Österreich ist ein großartiger Standort. Es ist ein Markt mit höchster Lebensqualität, einer hochentwickelten Infrastruktur, einer überdurchschnittlichen Kaufkraft nationaler Konsumenten und Konsumentinnen und zahlreichen weiteren Vorzügen wie zum Beispiel ein großer Pool an hochqualifizierten Arbeitskräften. Darüber hinaus liegt es geo-
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tinuierlichen Verbesserung haben wir erst Anfang dieses Jahres die vierte Version des Mars Marketing Kodex (MMC 4.0) publiziert. Mit unserem Bekenntnis, keine Werbung an Kinder unter 13 Jahren zu vermarkten, da wir aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse davon ausgehen, dass sie nicht in der Lage sind, die persuasive Absicht von Werbung zu erkennen und zu verstehen, sind unsere eigenen Richtlinien strenger als in vielen Ländern, in denen wir Geschäft betreiben.
graphisch günstig zentral in Europa. Aus unternehmerischer Sicht bietet Österreich alles, um erfolgreich zu wirtschaften. Haben Sie Wünsche an die Bundesre gierung? De Jong: Die Leitphilosophie von Mars ist geprägt von fünf Prinzipien, die uns seit jeher von anderen Unternehmen unterscheiden. Eines dieser Prinzipien ist die Gegenseitigkeit: Wir stützen Entscheidungen auf Gegenseitigkeit, denn von einem fairen Umgang miteinander profitieren alle Beteiligten. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung weiterhin eine Politik der Gegenseitigkeit zum Wohle aller in der Gesellschaft verfolgt. Was ist Ihr Lieblingsessen? De Jong: Ich persönlich präferiere, wann immer möglich, frisch gekochtes Essen. In Österreich gehört dazu traditionell ein gutes Wiener Schnitzel mit Ben’s Original Reis. Wenn es mal schnell gehen muss, dann greife auch ich gerne zu unserem Ben’s Original Express Reis, der in 2 Minuten fertig zubereitet ist. Zum Nachtisch nehme ich aktuell gerne einen unserer leckeren Eiscreme-Riegel der Sorten Mars, Snickers oder Bounty, die seit einiger Zeit auch viele andere Konsumenten und Konsumentinnen in Österreich erfrischende Glücksmomente bescheren.
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Versorgung mit Erdgas Vor dem Hintergrund anhaltender Kriegshandlungen zwischen Russland und der Ukraine bleibt das Risiko eines Versorgungs ausfalls für die österreichische Industrie weiterhin hoch. Um erfolgreich weiterzuarbeiten, braucht die LebensmittelBranche entsprechende Rahmenbedingungen. Daher muss die Politik die Versorgung der Betriebe mit Erdgas sicherstellen. Denn ohne Gas gibt es keine Lebensmittel. Oliver Dworak
© Wirtschaftskammer Österreich
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ie Ukraine ist ein wichtiges Durchleitungsland für russisches Gas nach Europa – selbst in Kriegszeiten. Am 11. Mai wurde ein Teil des Transits mit Verweis auf die schweren Kämpfe gestoppt. Der ukrainische Netzbetreiber OGTSU teilte mit, dass die Gas-Lieferungen durch die Ukraine nach Europa teilweise eingestellt werden müssen, da die Nowopskow-Verdichterstation in der Luhansk-Region (Ostukraine) wegen „der Einmischung der Besatzungsmächte in technische Prozesse“ nicht mehr betrieben werden kann. Luhansk und die umlegenden Gebiete sind von russischen Truppen besetzt. Der russische Staatskonzern Gazprom hatte wenige Stunden zuvor bestätigt, dass am Mittwoch nur 72 Millionen Kubikmeter Gas durch die Ukraine in Richtung Westen fließen sollen. Am Vortag habe das Auftragsvolumen noch bei 95,8 Millionen Kubikmetern gelegen. Aufträge für die im Grenzgebiet gelegene Messanlage Sochraniwka, die Teil der Sojus-Pipeline ist, würden nicht mehr angenommen, hieß es vom ukrainischen Netzbetreiber OGTSU. Die Begründung: Russlands Besatzung mache die
Oliver Dworak
Kontrolle der Anlage und die der Verdichterstation Nowopskow unmöglich. OGTSU sprach von einem Fall „höherer Gewalt“. Der russische Staatskonzern bekräftigte einmal mehr, alle seine Verpflichtungen gegenüber europäischen Kunden zu erfüllen. Die vertraglich mögliche maximale Auslastung des russischen Gas-Transits über die Ukraine liegt bei 109 Millionen Kubikmetern täglich. Den Angaben aus Kiew zufolge können
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nun bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter pro Tag wegfallen. Die Ukraine bezieht aus der Durchleitung des russischen Gases wichtige Durchleitungsgebühren – und mahnte Gazprom an, diese auch weiter wie vereinbart zu zahlen. Betroffen von dem Transit-Stopp ist eine von mehreren Leitungen durch die Ukraine, konkret die Sochraniwka-Route der Sojus-Pipeline. Das bedeutet, dass der Transit von Gas nach Österreich und Europa über diesen Übergabepunkt nicht mehr möglich ist. Ein Teil der Gasmengen konnte auf einen anderen Übergabepunkt umgelagert werden. Der Gasfluss über Nordstream 1, die die Hauptroute für den Gastransit nach Europa darstellt, ist konstant geblieben. Die Austrian Gas Grid Management AG (AGGM) schreibt in ihrem Lagebericht vom 15. Mai: „Die Gasflüsse in Richtung aller österreichischen Marktgebiete, auch die Importe über die Ukraine, laufen weiterhin stabil. Die Preissituation an den Märkten ist weiter angespannt und liegt bei knapp unter € 100,-/MWh. Die heimische Versorgung von Endkunden wird heute aus Importen gedeckt. Die Speicher werden signifikant befüllt.“
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Versorgungsausfall der Industrie unbedingt vermeiden Die Liefereinschränkung durch die Ukraine kommt, noch bevor Österreich in ausreichendem Maß alternative Gasexporteure und Transportwege für seine Energieversorgung sichergestellt hat. Es wird darauf ankommen, ob die Vorräte und bereits getroffenen Notmaßnahmen ausreichend sind, den Importverlust auszugleichen. Der monatliche Gasverbrauch der Industrie beträgt zwischen 2,6 und 4 TWh. Rund zwei Drittel davon gehen an die Großabnehmer, das sind rund 30 große Industrieanlagen bzw. -kraftwerke mit einer vertraglich vereinbarten Höchstleistung von mehr als 50 000 kWh pro Stunde, z. B. in der Raffinerie, der Stahl industrie, der chemischen Industrie und der Papierindustrie. Ebenfalls rund 30 Großabnehmer gibt es in der Energiewirtschaft. Diese Gruppe ist mit bestimmten Meldepflichten in der Erdgas-Energielenkungsdaten-Verordnung 2017 definiert. Eine weitere Gruppe sind Anlagen mit Lastprofilzählern, etwa in den Branchen Steine/Erden/Glas, Nahrungsmittel, Ma-
schinenbau, Bergbau, Gasförderung, NE-Metalle und Holzindustrie. Mögliche Energielenkungsmaßnahmen würden im konkreten Fall von mehreren Parametern abhängen, wie etwa dem aktuellen Gasverbrauch (je nach Jahreszeit und Witterung), der aktuellen Menge in den Gasspeichern, möglichen aktivierbaren Reserven der Gasproduktion, der Verfügbarkeit alternativer Versorgungsoptionen (andere Lieferanten, andere Routen), und nicht zuletzt der erwartbaren Intensität und Dauer der Lieferunterbrechung. Seitens BMK und E-Control wurden zuletzt „systemrelevante Verbraucher“ definiert, die von Energielenkungsmaßnahmen ausgenommen werden könnten, etwa in den Bereichen Nahrungsmittelindustrie, Raffinerie und Treibstoffe, Bergbau (wegen Erdgasförderung im Inland), Holzindustrie (wegen Pellets und Biomasse als mögliche Brennstoff-Substitute) sowie Kraftund Heizwerke. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass viele Branchen und Betriebe über Produktions- und Logistikketten sowie Lieferungen und Leistungen eng miteinander verbunden sind. Daher wäre die Industrie in ihrer ganzen Breite von einem Gas-Stopp äußerst kritisch beeinflusst. Zwar haben zahlreiche
Unternehmen bereits Vorkehrungen für einen möglichen Krisenfall getroffen; weitergehende Umstellungen der Produktionsprozesse bräuchten hingegen längere Zeit.
Registrierung für Strategische Gasreserve ausgeschrieben Die AGGM übt die Funktionen des Marktgebietsmanagers im österreichischen Marktgebiet Ost sowie des Verteilergebietsmanagers in den österreichischen Verteilergebieten Ost, Tirol und Vorarlberg aus und unterstützt als unabhängiger Systembetreiber in zentraler Rolle das Funktionieren des Gasmarkts im gesamten Bundesgebiet. Sie wurde durch eine Novelle zum Gaswirtschaftsgesetz 2011 (GWG) mit der Beschaffung und Verwaltung der österreichischen strategischen Gasreserve beliehen. Im Rahmen eines marktbasierten, transparenten, nichtdiskriminierenden und öffentlichen Ausschreibungsverfahrens sollen 12,6 TWh Gas aus Bundesmitteln beschafft werden, um die Versorgungsicherheit in den österreichischen Marktgebieten Ost, Tirol und Vorarlberg zu
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Abbildung: Monatlicher Gasverbrauch der Industrie gesamt; Copyright: E-Control, BMK
erhöhen. Die strategische Gasreserve ist in Speicheranlagen vorzuhalten, die für eine unmittelbare Ausspeisung in das Marktgebiet Ost genutzt werden können. Die Vorhaltung für die Marktgebiete Tirol und Vorarlberg kann auch in Speicheranlagen erfolgen, die an benachbarte Marktgebiete angeschlossen sind. Die AGGM hat zum Zweck der ausschließlichen Wahrnehmung dieser Aufgaben eine Tochtergesellschaft, die ASGM Austrian Strategic Gas Storage Management GmbH, gegründet. Die Registrierungsperiode ist am 10.5. gestartet, die Angebotsphase beginnt am 16.5., und der weitere Zeitplan des Ausschreibungsverfahrens sieht vor, dass eine Befüllung der strategischen Gasreserve ab 1.6.2022 erfolgen kann.
Überblick Gasversorgung in Österreich Der Gasverbrauch schwankt saisonal stark und ist im Winter höher. Im Jänner 2021 wurden 12,2 TWh, im Juni hingegen nur 3,6 TWh verbraucht. Bis Dezember stieg der Verbrauch kontinuierlich auf wieder 10,9 TWh an. Der Industrieanteil lag ziemlich konstant bei rund 3 TWh (2,6 -4 TWh), während
vor allem die Haushalte je nach Jahreszeit stark unterschiedliche Mengen verbrauchten. Die Produktion von Nahrungsmitteln hatte daran einen Anteil von etwa 0,5 TWh. Diesem saisonalen Verlauf entsprechend haben auch die Speicherstände unterschiedliche Höhen. Zwischen April und Oktober werden traditionell die Speicher aufgefüllt und von November bis März daraus die benötigten Mengen abgerufen. 95 TWh können in Speichern auf österreichischem Staatsgebiet gelagert werden, wobei allein der Speicher Haidach 33 TWh ausmacht. Für November 2022 wurde als Ziel eine 80%ige Befüllung der Speicher als Vorsorge für den Winter definiert. International hatte Lettland im Mai 2022 mit 62 % die höchste Speichermenge im Vergleich zum Jahresbedarf, Österreich lag mit 20 % über dem EU-Durchschnitt von 9 %. Belgien hatte nur ein Prozent Speichermenge. Es existiert ein diskriminierungsfreier Marktzugang. Auch italienische, slowenische und deutsche Unternehmen speichern in Österreich Gasmengen. Umgekehrt werden Speicher in der Slowakei primär zur Bedienung des österreichischen Marktgebiets Ost genutzt.
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Pläne für Krisen Für den Fall von Krisen gibt es einen Notfallplan mit verschiedenen Stufen von Frühwarn-, Alarm- bis zur Notfallstufe. Die Frühwarnstufe ist aktuell aktiviert. Je nach Entwicklung der Lage kann es zu Energielenkungs-Maßnahmen bei Strom und Gas kommen, die einerseits auf EU-Ebene und andererseits national im Energielenkungsgesetz (EnLG) 2012 und Verordnungen geregelt sind. Das Ziel ist die Sicherstellung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie, einschließlich jenes für Zwecke der militärischen Landesverteidigung, die Aufrechterhaltung einer ungestörten Gütererzeugung und Leistungserstellung sowie die Versorgung der Bevölkerung und sonstiger Bedarfsträger. Ab Auslösen der Notfallstufe wird die Energielenkung aktiviert. Das Ziel ist die Abwendung einer unmittelbar drohenden Störung oder die Behebung einer bereits eingetretenen Störung der Energieversorgung Österreichs, sofern diese Störungen keine saisonale Verknappungserscheinung darstellen oder durch marktkonforme Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnis-
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mäßigen Mitteln abgewendet oder behoben werden können. Eine zentrale Rolle kommt dabei dem Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) sowie der E-Control zu. Welche Maßnahmen können im Fall der Energielenkung gesetzt werden? • Zusätzliche Mengen an Erdgas aktivieren durch Entnahme aus Speichern, mehr inländische Produktion, Solidaritätslieferungen aus anderen Ländern … • Verbrauch bei bestimmten Endverbrauchern bzw. -gruppen reduzieren, indem z. B. Kessel stillgelegt werden, Produktionslevel verringert werden, die Vorlauftemperatur im Fernwärmenetz reduziert wird oder Erdgas durch Öl substituiert wird. Dabei kann es technische Einschränkungen bei Großabnehmern geben und Anweisungen zur Verbrauchseinschränkung sowohl bei lastprofilgezählten Verbrauchern als auch bei Haushalten und Dienstleistungsunternehmen. Ausnahmen sind je nach Szenario vorgesehen für die Lebensmittelindustrie, Raffinerie und Treibstoffe, Bergbau, Holzindustrie sowie Kraft- und Heizwerke. Die Lebensmittelindustrie weist dabei regelmäßig auf ihren Status als systemrelevante Industrie hin und verlangt von der Politik Garantien, dass ihre Produktion durch ausreichende Gasversorgung sichergestellt wird, weil sonst die notwendigen Mengen an Lebensmittel in Österreich fehlen würden. Es ist derzeit kein detaillierter Plan für den Energielenkungsfall bekannt. Es wird seitens des BMK argumentiert, dass zu viele Einflussgrößen als Variable zu beachten sind, wie z. B. aktueller Gasverbrauch, aktuelle Mengen in Speichern, aktivierbare Level an Gasproduktion, Verfügbarkeit alternativer Versorgungsoptionen, die Intensität und Dauer der Lieferunterbrechung sowie der Zeitpunkt, zu dem diese eintritt, Aufbau- oder Entnahmephase der Speicher). Verpflichtende Gasreserven auch in der EU geplant Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird zunehmend zu einem Energiekrieg. Russlands mächtigste Waffe: sein Gas. Nachdem die staatliche
Gazprom Anfang des Monats Bulgarien und Griechenland den Gashahn zugedreht hat, befürchtet Finnland nun Ähnliches, weil das Land aus Angst vor einem russischen Einfall der Nato beitreten möchte. Die EU-Länder unterstützen deshalb ein geplantes Gesetz für verpflichtende Gasreserven in der EU, um die Energieversorgung im nächsten Winter zu sichern. Das Gesetz sieht vor, dass die Gasreserven dieses Jahr bis zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt sein sollen, und in den nächsten Jahren zum gleichen Stichtag zu 90 Prozent. Im aktuellen Textvorschlag des französischen Ratsvorsitzes wurde auch auf Kernanliegen Österreichs eingegangen: einerseits beschränkt sich im Vorschlag die kapazitätsbasierte Speicherpflicht auf jene Speicheranlagen, die sich auf eigenem Territorium befinden, direkt ans inländische Gasnetz angebunden sind und hauptsächlich für die Inlandsversorgung genutzt werden. Andererseits wurde eine Obergrenze bei 35% des durchschnittlichen Inlandsverbrauchs der letzten fünf Jahre hinzugefügt. Österreich ist in der besonderen Lage, 100% des Erdgasjahresverbrauchs einlagern zu können; im Schnitt können andere EU-Staaten rund 25% einlagern. Eine 90%-Einspeicherquote wäre demnach mit außerordentlich hohen Kosten verbunden und könnte zu künstlichen Preisspitzen führen, was wiederum einen Nachteil für die Gasverbraucher bedeuten würde. Auch die seitens der Kommission fixierten monatlichen Einspeichervorgaben könnten künstliche Preisspitzen verursachen, was höhere Energiepreise für Industrie und Haushalte zur Folge hätte. Auch das Parlament hatte seine Position schon festgelegt, somit können die Verhandlungen beginnen, damit das Gesetz rechtzeitig zum Winter in Kraft tritt. Die EU hat sich vorgenommen, so schnell wie möglich von russischen Energie-Lieferungen loszukommen – laut einem Vorschlag der Kommission sollen Gas-Importe bis Ende des Jahres um zwei Drittel reduziert werden.
Letzte Entwicklung Die österreichische Bundesregierung hat im Ministerrat vom 18.5.2022 und in weiterer Folge der Nationalrat am 19.5. ein Maßnahmenpaket zur Gasspeicherung beschlossen.
Dieses Paket besteht im Wesentlichen aus: • der Erhöhung der Strategischen Gasreserve von 12,6 auf 20 TWh, • der Verpflichtung von Speichernutzern, ungenutzte Kapazitäten anzubieten oder zurückzugeben, was speziell den Gasspeicher Haidach im Bundesland Salzburg betrifft, • der Anbindung aller österreichischen Speicher an das österreichische Gasnetz (GWG-Novelle), ebenfalls besonders relevant für den Speicher Haidach, • neuen Entschädigungsregelungen zur Abgeltung von Vermögensnachteilen bei Energielenkungsmaßnahmen (Novelle des Energielenkungsgesetzes). Die Umsetzung dieser Maßnahmen erfordern Novellen im Gaswirtschaftsgesetz (GWG) und Energielenkungsgesetz (EnLG). Im Falle einer Energielenkung steht den Betrieben durch diese Novelle ihr eingespeichertes Gas zur Verfügung. Wer selbst Gas hat, ist von Maßnahmen wie etwa einer verpflichtenden Verbrauchsreduktion in einem ersten Schritt nicht betroffen und kann auf die eigenen Reserven zugreifen, um die Produktion fortzusetzen. Erst wenn es die Systemstabilität erfordert, greift der Staat auch auf diese Reserven zu. Sollte es zu einem Zugriff auf die Reserven der Unternehmen kommen, steht diesen dafür eine Entschädigung zu. Sie bekommen das verwendete Gas vom Staat finanziell abgegolten. Diese Maßnahmen sind für die Dauer von drei Jahren befristet und gelten für eine eingespeicherte Menge von maximal 50 % des eigenen Jahresverbrauchs. Das Bündel an Maßnahmen soll eine umfassende Einspeicherung in allen österreichischen Speichern sicherstellen und damit einerseits die Versorgungssicherheit mit Erdgas verbessern und zur Reduktion der Abhängigkeit von russischem Erdgas beitragen. DI Oliver Dworak Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer Österreich, Wien
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Weizen: Proteingehalt und -qualität Welcher Bedarf besteht für die Zukunft? Die Internationale Gesellschaft für Getreidewissenschaft und -technologie – Austria (abgek. ICC-Austria) und das Department für Lebensmittelwissenschaften und -technologie der Universität für Bodenkultur Wien haben im April 2022 ein Symposium organisiert. Ein Kurzbericht. Alfred Mar
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it wissenschaftlichem Interesse und in kritischer Betrachtung blickt die Getreidewissenschaft auf die Erntequalitäten von österreichischem Weizen. Besonders seit Mitte des letzten Jahrzehnts wird im Qualitätsweizengebiet im Pannonikum im Osten Österreichs eine signifikante Tendenz zu steigenden Proteingehalten bei gleichzeitig abnehmenden Hektarerträgen festgestellt. Steigende Proteinwerte führen zu entsprechend höheren Gehalten am technologisch qualitätsentscheidenden Gluten, dessen Qualität sich deutlich in Richtung zunehmende Elastizität entwickelte, was in der Bäckereitechnologie bereits zu Verarbeitungsproblemen führte, Stichwort „bockige Teige“. Ganz besonders betroffen zeigt sich die Erzeugung von Feinen Backerzeugnissen, allen voran Waffeln und Kekse. Die Frage stellte sich daher, wieviel Protein und in welcher Qualität wird Weizen für die Herstellung österreichischer Back erzeugnisse aus heimischem Hauptrohstoff benötigt?
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Der österreichische und internationale Getreidemarkt In den beiden einleitenden Vorträgen gaben Andreas Jirkowsky, Raiffeisen Ware Austria AG (RWA), und Ernst
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Gauhs, ehem. RWA, einen Marktüberblick. Vorangestellt die zufriedenstellende und auch für die weitere Zukunft optimistische Aussage: Die Versorgung mit österreichischem Brotgetreide ist gesichert! Auf Basis der Qualitätskriterien der Börse für landwirtschaftliche Produkte Wien gelten für Weizen folgende Mindest-Proteingehalte: Mahlweizen 12,5 %, Qualitätsweizen 14 %, Premiumweizen 15 %. Der Trend der Ernten der letzten Jahre Richtung Premiumweizen wurde bestätigt. Somit ergibt sich für Österreich Einfuhrbedarf für Weizen mit niedrigeren Proteingehalten, vorrangig für Industriezwecke (Stärke, Bio ethanol), aber je nach Erntejahr auch für die Herstellung von Feinen Backwaren. Mit einem Blick auf den internationalen Getreidemarkt wurde nicht nur auf den stark gestiegenen Preis auf den Warenbörsen (Trend von 170 Euro Richtung 400 Euro je Tonne Weizen) hingewiesen, sondern auch auf die zunehmend höheren Bedarfsmengen gegenüber den etwa stagnierenden Produktionsmengen. Dies bedeutet eine Abnahme der globalen
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Lagerbestände, die jedoch äußerst ungleichmäßig verteilt sind. Während China einen Weizenvorrat von rund einem Jahr hält, bewegen sich die Lagerbestände in Euroopa und Nordamerika bei nur etwa einem Monat. Ernst Gauhs hob hervor, dass Angebot und Nachfrage den Preis wesentlich stärker beeinflussen als der Proteingehalt. Die Qualitätskriterien der Börse für landwirtschaftliche Produkte ergeben auf Basis der angeführten Mindest-Proteingehalte je nach Marktlage unterschiedliche Zuschläge. In Erntejahren mit Verknappung an Mahlweizen sinkt der Preiszuschlag für Qualitätsweizen. Die Klassifikation nach dem Proteinwert wird zwar durch die Schnellanalytik gerechtfertigt, entscheidender in der weiteren Verarbeitung ist jedoch die Backfähigkeit. Dabei erfolgt die Einteilung nach Qualitätsgruppen mittels Semmelbackversuch, derzeit mit RapidMix-Test, nach Qualitätskriterien und dabei vorrangig dem Backvolumen. Eine Qualitätsgruppe 7 von 10 ist dabei für die Einstufung als Qualitätsweizen erfor-
derlich. Die Beeinflussung ist durch Sorte und Stickstoffdüngung im Wesentlichen determiniert. In diesem Zusammenhang steht die Frage einer Gütesiegelstrategie zur Diskussion, die bei gegebener Backqualität auch Minustoleranzen im Proteingehalt akzeptiert und somit attraktive Erzeugerpreise bei niedrigeren Proteinwerten sichert. Für Niedrigproteinweizen für die Waffel- und Kekserzeugung bietet sich der Kontraktanbau als Option an.
Weizenanbau Österreich 2030 und Saatzucht Manfred Weinhappel, Landwirtschaftskammer Niederösterreich, stellte einen klaren Zusammenhang zwischen den in den letzten 10 Jahren steigenden Proteinwerten Richtung Premiumweizen und dem Klimawandel her, wobei besonders die steigenden Temperaturmittelwerte ausschlaggebend sind. In einer gleichzeitigen Entwicklung nimmt die Bodenbonität ab, was zur zukünftigen Reduktion der Weizenanbauflächen
und somit zur Ertragsreduktion führen wird. Mit den Klimaschutzmaßnahmen des Green Deals der EU erfolgt die Zielsetzung einer Düngemittelreduktion um 20 %, was einen Beitrag zur Reduktion der Proteinwerte leisten kann. Gleichzeitig werden nationale Programme zur weiteren, teils freiwilligen Reduktion der Stickstoffdüngung gestartet. Beispiele dazu wie das Nitrataktionsprogramm, umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) und Grundwasserschutz werden daher nicht nur Klima- und Umwelteffekte zeigen, sondern auch zur Reduktion des Proteingehalts im Weizen beitragen. Verstärkt wird dieser Trend durch die steigenden Energiepreise, die stark steigende Preise für Düngemittel bedeuten. Über allem steht jedoch die gesellschaftliche Entwicklung. Es gibt die Erwartungshaltung der Konsumentinnen und Konsumenten, österreichisches Getreide in Backerzeugnissen zu verwenden. Franziska Löschenberger, Saatzucht Donau, bestätigte – abgeleitet aus den vorigen Anforderungen – die Züchtungsziele nach einer möglichst hohen Nährstoff-
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© Alfred mar
Veranstalter des ICC-Austria Symposiums v.l.n.r.: Prof. Dr. Roland Ludwig, BOKU, Dr. Elisabeth Reiter, AGES und ICC-Austria, Prof. Dr. Regine Schönlechner, BOKU und ICC-Austria, DI Alfred Mar, BOKU und ICC-Austria
nutzung, die in gleichbleibenden Proteingehalten bei höheren Hektarerträgen resultieren sollten. Weiter steht die höhere Backfähigkeit bei geringeren Proteinwerten als wichtiges Ziel fest. Selbstverständlich bewegt sich die Genetik im Rahmen der rechtlichen Vorschriften. Als Schnellmethode zur Feststellung der Backfähigkeit wurde die Glutopeak-Methode von Brabender ins Treffen geführt. Aus österreichischer Sicht ist auch im Hinblick auf den Green Deal der EU auf eine Zunahme der Züchtung von Sorten für den Biolandbau hinzuweisen.
Sortenzulassung Michael Oberforster und Stefano D´Amico, beide AGES, gaben einen Überblick über die Sortenzulassung. Hervorgehoben wurde gleich eingangs, dass zur Einstufung der Backqualität das Backvolumen, der Sedi-
mentationswert und die Energie im Extensogramm bedeutsamere Kennzahlen sind als der Proteingehalt. Michael Oberforster zog einen Vergleich der Parameter der Backqualität zwischen Österreich und den Nachbarländern. Dabei zeigten sich doch deutliche Unterschiede, auch hinsichtlich Auswirkung des Proteingehalts. Hinsichtlich Düngung wurde besonders die Stickstoff-Spätgabe in Frage gestellt, da österreichischer Weizen, wieder im Vergleich mit den Nachbarländern, die deutlich höchsten Proteinwerte aufweist. Stefano D´Amico berichtete über ein Projekt, in dem im Zulassungsverfahren die Unterschiede von Biosorten gegenüber konventionellen untersucht wurden. Der geringere Proteingehalt von Biosorten zeigte sich erwartungsgemäß in der reduzierten Wasseraufnahme und auch im geringeren Backvolumen. Die Kennzahlen zur Bewertung von Weizensorten für den
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konventionellen Anbau eignen sich daher nur bedingt für Biosorten. Vorgeschlagen wurde als modifizierte Kennzahl das spezifische Backvolumen je Gramm Protein. Besonders wurde darauf hingewiesen, dass im gegenständlichen Projekt die Knetung beim Semmelbackversuch mit dem Spiralkneter im Vergleich mit dem Rapid-Mix-Test erfolgte. Dabei wurde die Knetzeit anhand der Teigstabilität aus dem Farinogramm variabel eingestellt. Markus Löns, Fa. Brabender, führte die in der Saatzucht oben angeführte Schnellmethode Glutopeak im Detail der Labor anwendung aus. Dabei betonte er, dass Glutopeak Tendenzen aufzeigt, jedoch keine endgültigen Aussagen über die Weizenqualität zulässt. Als Sonderfälle der Anwendung wurden hochenzymatische Weizenproben bedingt durch Wanzenstich gezeigt und weiter die Untersuchung von Waffelmehlen im Niedrig-Protein-Bereich
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mit dem Ziel der Vermeidung der Agglutination von Proteinmolekülen.
Welche Proteingehalte benötigt die Backwaren erzeugung? Peter Stallberger, GoodMills Österreich, beleuchtete das Thema aus praktischer Sicht der Bäcker. Zunächst hob er am Ende der Wertschöpfungskette die Konsumentenwünsche hervor, die sich auf Gesundheitswert, Geschmackswert und auch auf Modetrends in der Ernährung beziehen wie z. B. alte Getreidesorten, keineswegs aber auf Proteingehalte. Für die Qualität des Backergebnisses ist neben Protein bzw. Gluten besonders auch die Beschaffenheit der Stärke mit über 60 % Anteil an den Mehlinhaltsstoffen und die Enzymaktivität ausschlaggebend. Gerade die Weizenernten der letzten Jahre zeigten wegen klimabedingter Trockenheit aber besonders geringe Enzymaktivitäten. Letztendlich verwies Peter Stallberger auf die hohen elastischen Kräfte der Hochproteinweizen, die zu den erwähnten „bockigen Teigen“ mit schlechter Formbarkeit führen. Die Bedeutung von Premiumweizen sieht Peter Stallberger vorwiegend im Export, z. B. als Aufmischweizen für Italien. Im Inland wird davon nur ein geringer Anteil gebraucht, z. B. bei der Bereitstellung von Mehl für die Krapfenerzeugung. Für alle anderen Arten von Backerzeugnissen,
Weizenbrot, Kleingebäck, einschließlich Tiefkühlteiglinge für die Backstationen des Handels, liegen die optimalen Qualitäten im Bereich Mahlweizen bis Qualitätsweizen. Ein adaptiertes Bezahlungssystem für die Landwirtschaft mit der Fokussierung auf Backqualität statt auf Protein wird daher die zukünftige Herausforderung sein. Waffelmehle im Niedrig-Protein-Segment werden im Kontraktanbau zu produzieren sein. Karl Tiefenbacher, T-Consulting und BOKU, ging auf die speziellen Bedürfnisse der Waffelhersteller nach Weizenmehlen mit einem Proteingehalt von nur 9 bis 10 % ein. Dabei muss die Agglutination, die zu einem Verstopfen der Düsen zum Auftragen der Waffelmassen mit hohem Wassergehalt führen würde, unbedingt vermieden werden. Bei diesem allfälligen Aggregieren von Molekülen spielen neben Proteinen auch Pentosane (Arabinoxylane) eine wichtige Rolle.
Podiumsdiskussion und Take Home Message In der abschließenden Podiumsdiskussion stellten sich Johann Birschitzky, Saatzucht Donau, Martin Holzmann, Bäckerei Haubi´s, Klemens Mechtler, AGES, und Peter Stallberger, GoodMills, den Fragen der Teilnehmenden. In abschließenden Statements wurde zusammengefasst, dass in den letzten Jahrzehnten in den Mo-
dulen entlang der Wertschöpfungskette, Saatzucht, Landwirtschaft, Mühlen und Backwarenerzeuger herausragende Ergebnisse zur Produktion von hochqualitativen Backerzeugnissen aus Weizen mit stetig zunehmendem Proteingehalt erzielt wurden. Der Klimawandel und die damit im Zusammenhang stehenden Gegenmaßnahmen verlangen jedoch eine adaptierte Vorgehensweise entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Geringere Ausbringung von Düngemitteln wird einerseits Klima und Umwelt schonen, andererseits aber auch neue Anforderungen an die Saatzucht und die Sortenzulassung stellen. Die zukünftigen Qualitätsziele von Backwaren für den österreichischen Markt verlangen eine Fokussierung auf die für die jeweiligen Endprodukte optimierten Backqualitäten. Diese und nicht die Proteingehalte allein müssen in einem neuen Preisregime für alle Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette zufriedenstellend gestaltet werden. Dazu wird es unbedingt erforderlich sein, nach der mit diesem Symposium erfolgten Initiative der ICC-Austria in weiterer Folge Round-Table-Gespräche mit allen Beteiligten entlang der Wertschöpfungskette bis zur Erzielung der erforderlichen Ergebnisse zu führen. DI Alfred Mar, Lehrbeauftragter an der Universität für Bodenkultur, Präsident der ICC-Austria
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Exportbilanz 2021 der Lebensmittelindustrie DIE VORLÄUFIGEN ZAHLEN FÜR 2021 ZEIGEN, WIE BEDEUTEND DER AUSSENHANDEL FÜR DIE RUND 200 UNTERNEHMEN WEITERHIN IST. DIE FOLGEN DES KRIEGES IN DER UKRAINE TREFFEN DIE ÖSTERREICHISCHE LEBENSMITTELINDUSTRIE IN VIELFÄLTIGER WEISE. SOWOHL BEI DEN PREISEN ALS AUCH BEI DER VERFÜGBARKEIT VON LANDWIRTSCHAFTLICHEN ROHSTOFFEN, VERPACKUNGSMATERIAL UND VOR ALLEM ENERGIE (ERDGAS) SIND BEREITS STARKE AUSWIRKUNGEN SPÜRBAR. Turbulenzen in den Lieferketten und Wetterextreme verschärfen die Situation weiter. Oskar Wawschinek
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ie Exporte der heimischen Lebensmittelindustrie legten 2021 mit fast 8,6 Mrd. Euro um 9,4 % zu und waren mit einem Anteil von deutlich über 60 % an den Gesamtagrarexporten wiederum der verlässliche Motor für den kulinarischen Exporterfolg „Made in Austria“. Während die Gesamtexporte Österreichs (Zollkapitel 1-99) um 16,1 % zulegten, machte allein der Export im Agrar- und Lebensmittelbereich (ZK 1 – 24) schon 9,4 % aus. Dem Wert von 13,9 Mrd. stehen Importe von fast 14 Mrd. Euro gegenüber. Dadurch reduzierte sich die traditionell negative Agraraußenhandelsbilanz Österreichs und liegt aktuell bei minus 7,2 Mio. Euro.
Die Erzeugnisse der Lebensmittelindustrie (ZK 16 bis 24) konnten auch 2021 ihre traditionell positive Außenhandelsbilanz mit + 2,166 Mrd. Euro weiter ausbauen (+252 Mio. Euro gegenüber 2020). Mit anderen Worten: Es wurden auch im letzten Jahr wieder deutlich mehr verarbeitete Lebensmittel exportiert als importiert. Der Bereich der Agrarwaren tierischen und pflanzlichen Ursprungs (ZK 1 bis 15) weist mit einem Minus in Höhe von 2,173 Mrd. Euro erneut eine negative Außenhandelsbilanz auf, die sich gegenüber 2020 um 244 Mio. Euro verschlechtert hat. Das bedeutet, wir importieren mehr Agrarrohstoffe als wir exportieren. Das ist leicht erklärt:
© Die Lebensmittelindustrie
Abbildung: EU bleibt wichtigster Markt für Lebensmittel „Made in Austria“
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Österreich kann sich selbst nicht ausreichend mit sämtlichen Agrarrohstoffen und Halbfabrikaten über das ganze Jahr versorgen und ist daher auf Importe angewiesen. Auch gedeihen einige Rohstoffen nicht in Österreich, etwa Kakao, Südfrüchte, Reis, Haselnüsse usw. Diese müssen daher eingeführt werden.
EU bleibt wichtigster Markt Die EU bleibt auch 2021 für die österreichische Lebensmittelindustrie der zentrale Exportmarkt: 69 % der heimischen Lebensmittelexporte gehen in die EU (5,9 Mrd. Euro; + 13,4 % gegenüber
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2020), 31 % in Drittstaaten (2,6 Mrd. Euro; + 1,4 %). Deutschland ist dabei weiterhin der wichtigste Exportmarkt innerhalb der EU (+ 11,2 % gegenüber 2020). Rückläufig waren hingegen die Lieferungen in die USA (- 20,2 %). Auch die Lebensmittelexporte nach Großbritannien gingen wegen des BREXIT und der damit verbundenen Liefer- und Logistikprobleme zurück (–10,5 %).
Kostendruck verschärft sich dramatisch Die Lebensmittelbetriebe kämpfen mit einer historischen Kostenwelle. Die Preise für Energie, Rohstoffe und Verpackung sowie für Logistik- und Frachtkosten haben sich vervielfacht, es gibt Engpässe bei Paletten, Containern und LKW-Fahrerinnen und -Fahrern. Der Krieg in der Ukraine trifft auch die österreichische Lebensmittelindustrie - direkt vor Ort betroffen oder durch Verknappung von Rohstoffen und/oder Preissteigerungen.
Problemfall Erdgas Die Lebensmittelindustrie braucht Gas für viele Prozesse – von der Verarbeitung der Rohstoffe bis zum Tiefkühlen fertiger Produkte: Die Branche benötigt rund 3,5 Terawattstunden pro Jahr. Gas als Energieträger für die Produktion kann nicht rasch ersetzt werden. Daher ist die Versorgung der Industrie im Interesse der gesicherten Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend Lebensmitteln und Getränken durch die Politik zu sichern (siehe auch den Beitrag von DI Oliver Dworak auf Seite 8).
Entlastung der Branche Die Lebensmittelindustrie zählt zu den versorgungs- und systemrelevanten Branchen in Österreich. Die Branche mit ihren 27.000 direkt Beschäftigten muss entlastet und keinesfalls belastet werden wie durch eine rein nationale zwingende Herkunftskennzeichnung
nur für österreichische Betriebe. Denn nur eine starke Lebensmittelproduktion im eigenen Land schafft weiterhin eine gesicherte und verlässliche Versorgung mit heimischen Lebensmitteln und Getränken.
Weitere Details und Informationen — www.dielebensmittel.at oesterreich-isstinformiert.at
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Höchste Zeit für Bioökonomie Die Ernährung sprach mit Hans Mayrhofer, Generalsekretär des Ökosozialen Forum Österreich & Europa, über Bioökonomie, das Denken und Wirtschaften in Kreisläufen, die Situation in Europa und wo Defizite und Chancen liegen. Oskar Wawschinek
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ie Ernährung: Was genau verstehen Sie unter Bioöko nomie? Hans Mayrhofer: Bio ökonomie steht für ein Wirtschaftskonzept, das fossile Ressourcen (Rohstoffe und Energieträger) durch nachwachsende Rohstoffe in möglichst allen Bereichen und Anwendungen ersetzen soll. Weil wir aber auch nicht unbeschränkt nachwachsende Rohstoffe zur Verfügung haben, muss die Bioökonomie in eine Kreislaufwirtschaft eingebunden sein. Also 1. weniger verbrauchen, 2. sogenannte Abfall- oder Reststoffe als wertvolles Material begreifen und nutzen, 3. Ressourcen im Kreis führen, d. h. so lange wie möglich in verschiedenen Formen nutzen, wiederverwenden, recyceln, und 4. für die Ressourcen, die wir brauchen, nachwachsende und erneuerbare Ressourcen verwenden. Dieses Wirtschaftskonzept verlangt von Produkten und Materialien, dass diese so gestaltet werden, damit man sie so effizient wie möglich, so vielfältig wie möglich und so lange wie möglich nutzen kann. Und dass sie – und hier kommt die Bioökonomie ins Spiel – möglichst auf erneuerbaren Rohstoffen und Energie basieren. Innovative Beispiele dafür reichen von Verbandsmaterial oder Kleidung aus Holz über Dämmstoffe aus Hanf bis zu Treibstoffen aus Mikroalgen oder Lebensmittelabfällen. Welche Maßnahmen hat das ÖSFO dazu gesetzt? Mayrhofer: Das Ökosoziale Forum setzt sich seit 33 Jahren für ein Wirtschaftssystem ein, das die Wirtschaft stützt, die Umwelt schützt, uns Men-
österreichweite Netzwerk „Bioeconomy Austria“ gemeinsam mit vielen weiteren Partnern aus Wirtschaft, Forschung, Politik und Gesellschaft auf. Hier steht die Kreislaufwirtschaft im Holzbereich im Mittelpunkt.
© Ökosoziales Forum Österreich & Europa
Hans Mayrhofer
schen nützt und auch morgen noch funktioniert. Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie sind die Übersetzung der Ökosozialen Marktwirtschaft in die Realwirtschaft. Wir bringen uns in die politische Debatte ein: Wir haben aktiv an der Erstellung der FTI- und der nationalen Bioökonomiestrategie sowie bei der Kreislaufwirtschaftsstrategie mitgearbeitet. In den letzten Jahren waren wir Hub-Leader für Österreich und Deutschland im EU-Projekt „BLOOM“. Ziel war es, das Wissen und Bewusstsein der europäischen Bevölkerung in Zusammenhang mit der Bioökonomie zu erhöhen. In unserem Projekt „fragen säen. antworten ernten.“ fördern wir den Austausch zwischen Wissenschaft, Land- und Forstwirtschaft sowie Konsumentinnen und Konsumenten, um eine fossilfreie und nachhaltige Land- und Forstwirtschaft im Sinne der Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Aktuell bauen wir im Auftrag des Waldfonds das
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Wohin geht aus Ihrer Sicht derzeit der Trend? Mayrhofer: Versorgungssicherheit, Resilienz, Risikovorsorge, Klimaschutz und Erhöhung der regionalen Wertschöpfung. Die aktuellen Herausforderungen zeigen uns, dass sämtliche Sektoren nachhaltiger und unabhängiger von fossilen Ressourcen werden müssen. Bioökonomie ist hier eine wichtige Stellschraube und muss in unserem gesamten Wirtschaftssystem als Prinzip verankert werden: von Nahrungs- und Futtermitteln über Materialien wie Biopolymere oder Chemikalien bis zur Bioenergie. Welche Aktivitäten gibt es auf europäi scher Ebene? Mayrhofer: Die Europäische Union positioniert sich als Vorreiterin. Etwa mit der neuen milliardenschweren Ausschreibung im „Circular Bio-based Europe Joint Under taking“ soll die Wettbewerbsfähigkeit von Innovationen weiter gefördert werden. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Im Rahmen unseres von der Europäischen Kommission finanzierten Horizon 2020 Projekts „BLOOM“ haben Trinkbecher aus Stärke, Glukose & Lignin
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Thermobox aus Stroh © R ati o
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wir mit zwölf Partnern aus neun Ländern Bewusstseinsbildung betrieben und innovative Lehrmaterialien erstellt. Besonders stolz sind wir auf unseren Lehrkoffer zum Ausborgen. Der Koffer selbst besteht aus Zucker und beinhaltet zahlreiche Anschauungsbeispiele wie Biokunststoff in verschiedenen Verarbeitungsphasen vom Rohstoff bis zum Endprodukt, eine Thermobox aus Stroh oder einen Trinkbecher aus Holz und vieles mehr. Welche Bedeutung hat die Nutzung von Reststoffen aus der Lebensmittelpro duktion derzeit? Mayrhofer: Für eine nachhaltige Bioökonomie müssen diese Reststoffe gescheit genutzt werden. Sie sind kein Abfall, sondern wichtige Ausgangsbasis für andere Produktionsschienen. Reststoffnutzung ist bereits heute (teilweise) gängige Praxis. Reststoffe kommen als Futtermittel, als organischer Dünger oder in Biogasanlagen zum Einsatz. Hier besteht jedoch noch Optimierungsbedarf – vor allem hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit. Zudem besteht ein großes Potenzial für die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Ein Beispiel, das zur Jahreszeit passt: Spargelschalen bleiben derzeit am Feld zurück und schaden der Bodenqualität. Im SpaPlast-Projekt der Hochschule Hannover wird geforscht, wie die Schalen für Bioverbundwerkstoffe eingesetzt werden können. Eine weitere Möglichkeit, Reststoffe optimal zu nutzen, ist die Bioraffinerie. Dort wird Biomasse in unterschiedliche Komponenten aufgeteilt. Die Anlage der AGRANA in Pischelsdorf produziert etwa aus Weizenstärke Lebens- und Futtermittel sowie Produkte zur Papierherstellung und Bioethanol. Die verwendeten Ressourcen werden komplett verwertet. In Europa landen bis zu einem Drittel aller Lebensmittel im Müll. Im Rahmen unseres EU-Projekts BLOOM haben wir bH m G daher die Universität WASTE
© NO
Cordoba in Spanien besucht, die versucht, aus Lebensmittelabfällen Biotreibstoff herzustellen. Das Potenzial für eine effiziente Reststoffnutzung ist riesig. Gibt es Untersuchungen dazu, wie sich solche Produkte am Markt entwickeln? Wie viel könnte es noch werden? Mayrhofer: European Bioplastics und das Nova-Institut veröffentlichten kürzlich eine Studie, in der von einer Verdreifachung der globalen Produktion in den nächsten fünf Jahren ausgegangen wird. Das meiste Wachstum weisen die meist biologisch abbaubaren PBAT, PBS und PLA auf, welche etwa für Verpackungen, Folien, Trinkbecher und Besteck verwendet werden. Knapp die Hälfte der Biokunststoffe wird aktuell für Verpackungen verwendet. Die Studienautoren prognostizieren eine Verringerung der Produktionskapazität in Europa zugunsten jener in Asien. Knapp 70 % der Biokunststoffe werden 2026 dort produziert werden. Was müsste aus Ihrer Sicht in Europa passieren bzw. gemacht werden? Mayrhofer: Wir brauchen Kostenwahrheit. Erdölbasierte Produkte verursachen gesellschaftliche Kosten, die nicht im Preis abgedeckt sind. Im Kunststoffbereich fallen diese hauptsächlich nach dem Lebenszyklus in Form von Verschmutzung, Mikroplastik und Gesundheitsschäden an. Manche Studien gehen sogar davon aus, dass die Folgekosten von Kunststoff den Marktpreis um das Zehnfache übersteigen. Es braucht Maßnahmen, die die ökologischen Vorteile von Recycling und biologisch abbaubaren Kunststoffen anerkennen. Dann würde sich auch die Marksituation zugunsten der Bioökonomie verändern. Im Begriff Bioökonomie steckt auch die Ökonomie. Wie sieht es damit derzeit aus? Mayrhofer: Um beim Beispiel Biokunststoffe zu bleiben: Aktuell sind Biokunststoffe etwa 20 Prozent teurer als konventionelle Kunststoffe. In den kommenden Jahren wird es hier zu einer Angleichung – vor allem durch Skalierungseffekte und Erdölpreissteigerungen – kommen. Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie schaffen auch zukunftsfähige Arbeitsplätze. Aktuell arbeiten über 20 Millionen Europäerinnen und Europäer in diesen Branchen. Bis 2030
werden laut Europäischer Union noch knapp drei Millionen dazukommen. Nachhaltigkeit steht hoch im Kurs: Welche Maßnahmen der Bioökonomie haben be sonders große Auswirkungen darauf? Mayrhofer: Bei der praktischen Anwendung der Bioökonomie gibt es drei Möglichkeiten zur Verwirklichung des Nachhaltigkeitsprinzips. Das erste ist die bereits angesprochene Fraktionierung in der Bioraffinerie. Also die Aufspaltung von Biomasse in mehrere Komponenten. Das zweite ist die Kreislaufführung von Rohstoffen, also Wiederverwertung und Lebenszyklusverlängerung. Eine dritte Möglichkeit stellt die Kaskadierung dar, welche den Grundsatz der höherwertigen Nutzung vor niederwertiger Nutzung verfolgt. Ein Beispiel: Ein Vollholzprodukt wird zu spanbasiertem Produkt, welches im Anschluss zu Fasern verarbeitet und im letzten Schritt thermisch verwertet wird. Wie halten Sie es persönlich – wobei ach ten Sie besonders auf Nachhaltigkeit? Mayrhofer: Regionalität ist für mich besonders wichtig. Vor allem bei Nahrungsmitteln: Wir kaufen beim Fleischhacker ein, das Mehl bei einer kleinen Mühle im Ort und möglichst viel bei lokalen Geschäften. Zu wissen, wer hinter dem Produkt steht, hat viele Vorteile und schafft Vertrauen und Verbindlichkeit. Zudem betreibe ich ein regionales BiomasseHeizwerk, bei dem regionale Reststoffe zum Einsatz kommen. Das fördert auch die regionale Wärmeversorgung.
© Ökosoziales Forum Österreich & Europa
Bioökonomie-Lehrkoffer zum Ausborgen
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Bioökonomie die Notwendigkeit für ein ethisches Wirtschaften als Alternative zum neoliberalen Zeitgeist Rainer Haas
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as Konzept der Bioökonomie geht in eine ähnliche Richtung wie der EU Green Deal und die Sustainable Development Goals (SDGs). Die strategischen Ziele streben unter anderem eine Reduktion der Abhängigkeit von fossilen, nicht-erneuerbaren Energieträgern, die Erreichung der Klimaziele und eine nachhaltige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft an (BBWUF, 2019). Die Europäische Kommission ordnet der Bioökonomie jene Sektoren und assoziierten Dienstleistungen zu, die biologische Ressourcen produzieren, verarbeiten, verteilen oder konsumieren. Damit umfasst sie die Primärproduktion wie Land- und Forstwirtschaft, Aquakultur und Fischerei, sowie Ökosystem Dienstleistungen wie z.B. zur Stärkung der Biodiversität oder Carbon Farming (i.e. Kohlenstoffanreicherung in landwirtschaftlichen Böden). Darüber hinaus gehören Lebens- und Futtermittel, Faserstoffe und die biobasierte Industrie dazu, z. B. erneuerbare Energien, Biochemie, Biokosmetik ... (Wehrheim, 2022). Trotz der Bedeutung und Größe des Bioökonomiesektors sind sich die Experten einig, dass eine Transformation unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems in Richtung Nachhaltigkeit und Resilienz nicht ohne Verzicht gehen wird.
Ethisches Handeln ist immer in einen politischen, gesellschaftlichen und technologischen Kontext eingebunden. Wirtschaftspolitik folgt implizit oder explizit bestimmten Grundannahmen, die, wenn sie eine gewisse Breite erreichen, als Zeit-
geist bezeichnet werden können. Dieser Artikel erläutert im Folgenden die Grund annahmen neoliberalen Wirtschaftens, zeigt soziale, ökonomische und ökologische Auswirkungen desselben auf und diskutiert alternative Ansätze wie die Gemeinwohl- oder die Donut-Ökonomie. Zeitgeist bezeichnet ein Gemenge an Einstellungen, Glaubenssätzen und Ideen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt unkritisch akzeptiert werden, weil sie anscheinend von jedermann geteilt werden (Roehner, 2007). Im Grunde steht dahinter die Ansicht, dass bestimmte Ideen/Konzepte ein Produkt ihrer Zeit sind. Im Oktober 2021 wurden in der Zeitschrift The Guardian die Ursachen der gegenwärtigen globalen Lieferkettenprobleme diskutiert (Stoller, 2021). Schwache Anti-Trust-Gesetze, die Deregulierung von Infrastruktur-Industrien, De-Investitionen in die heimische Industrieproduktion und eine Handelspolitik, die den Finanzsektor über den Produktionssektor stellte, werden darin als die wesentlichen Ursachen der globalen Lieferkettenprobleme angeführt. Die Auflistung dieser Maßnahmen liest sich wie ein Auszug aus einem neoliberalen Lehrbuch. Charakteristische Merkmale einer neoliberalen Wirtschaftspolitik sind: • Ablehnung staatlicher Interventionen • Deregulierung und Privatisierung von – Versorgungsunternehmen (Energie, Wasser) – Transportunternehmen (Bahn, Flug)
– Gesundheitssystemen – Universitärer Bildung und Forschung • Unterdrückung von Gewerkschaften • Globalisierung des Handels und des Finanzsektors Die „Ideologie des freien Markts“ und ein „Laissez-faire-Kapitalismus“ sind zentrale Merkmale neoliberalen Wirtschaftsdenkens (Roehner, 2007). Charakteristisch für dieses Denken ist, dass der freie, nicht durch Gesetze und Regularien behinderte Markt, die beste Form ist, um Wohlstand zu generieren und um Güter und Dienstleistungen zu verteilen. Wesentlicher Vordenker dieser Philosophie war Adam Smith, der in seinen theoretischen Überlegungen davon ausging, dass, wenn man dem egoistischen Eigennutz von Unternehmern in der Wirtschaft freien Lauf lässt, es durch diese „unsichtbare Hand“ zu einer besseren Verteilung von Gütern und einem höheren Wohlstand für die Allgemeinheit käme. Wirklich maßgebend für die Popularität des neoliberalen Denkens wurde aber die Wiener Schule der Ökonomie mit Friedrich August von Hayek als zentralem Proponent. Sein Buch „The Road to Serfdom“ wurde ein Bestseller und weltweit 2,2 Mio. Mal verkauft. 1974 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Seine grundlegende These war, dass bewusste politische Gestaltung ihre Ziele verfehle und verhängnisvoll sei (Mayer & Molden, 2021). Seine theoretischen Überlegungen beeinflussten unter anderem maßgeb-
Im November 2021 fand an der BOKU ein Bioökonomie-Workshop statt. Der vorliegende Text basiert auf dem Vortrag des Autors im Zuge dieses Workshops. Der Artikel ist ein Kommentar und stellt die evidenzbasierte Meinung des Autors dar und repräsentiert nicht zwangsläufig die Position der BOKU oder des Herausgebers.
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© Adobe stock – Romolo Tavani
lich die Wirtschaftspolitik von Ronald Reagan, Margaret Thatcher und des chilenischen Diktators Augusto Pinochet. Als Margaret Thatcher die britischen Energieunternehmen privatisierte, sagte sie, Privatisierung sei die Chance, Macht zurück zu den Menschen zu bringen. Sie privatisierte die britische Telekom, britische Ölfirmen, Fluglinien, Stahl, Elektrizität und Wasser. Jahrzehnte später kommentierte Robert Philpot, der Direktor der Progress Pressure Group: „Now, in 2012, it's clear that the result of electricity privatization was to take power away from the people. Small British shareholders have no influence over the overwhelmingly non-British owners of the firms that generate and distribute power in Britain“ (Coman, 2013). Neoliberale Wirtschaftspolitik wünscht sich einen schwachen Staat und starke Individuen und Familien, die zu einem Minimum auf den Staat angewiesen sind (Tomlinson, 2021) – die Implikationen dieser „Moral Economy“ sind weit reichend, weil es die Verantwortung auf den Einzelnen abwälzt. Wenn Individuen in einem neoliberalen Wirtschaftssys-
tem scheitern, dann ist das primär ihre Schuld. Dann waren sie nicht intelligent genug, nicht tugendhaft genug, und haben nicht hart genug gearbeitet. Das ist ein geschickter, zynischer politischer Schachzug, der die Politik von jeglicher Verantwortung befreit, lebenswerte, nachhaltige und sozial gerechte Gesellschaftssysteme zu schaffen. Genauso zynisch wie die „Trickle Down“-Theorie, die unter der Reagan-Administration als Argument gegen die höhere Besteuerung von Milliardären eingesetzt wurde, weil ihr Reichtum „tröpfelt“ ja auf die ärmeren Schichten wie das göttliche Manna herab. Wendet man die ökonomische Grenznutzentheorie an, kann man den Zynismus der „Trickle Down“-Theorie einfach visualisieren. Wie hoch ist der Grenznutzen einer vierten oder fünften Yacht für einen Milliardär? Er geht wahrscheinlich gegen Null, weil er kann eben nur in einer Yacht über die Meere fahren. Also wird er höchstwahrscheinlich sein Geld an der Börse investieren. Wie viele Arbeitsplätze schafft er damit? Wie viel Steuern zahlt er damit? Wie viel mehr Arbeitsplätze schafft eine Mittelschicht, die ihr Geld für Produkte des
täglichen Bedarfs ausgeben muss und mit jedem Kaufakt Steuern zahlt? Der Zeitgeist des Neoliberalen Paradigmas und die Globalisierung der vergangenen dreißig Jahre haben die ökonomischen Machtverhältnisse vom Produktionssektor weg, hin zum globalen Finanzsektor verschoben. Die Theorie der unsichtbaren Hand von Adam Smith aus dem 18. Jahrhundert hat sich als suboptimal erwiesen, ebenso die „Laissez Faire“-Ansätze der Wiener Schule der Ökonomie, wenn es um die Allokation für die Menschheit essenzieller Ressourcen wie saubere Luft, Wasser, Boden oder die Bewahrung der Biodiversität geht. Den freien, vollkommenen Markt gibt es im alltäglichen Leben nicht. Es gibt immer Akteure, die mehr Informationen als andere besitzen und Akteure, die ihre Macht missbrauchen. Überall dort, wo negative Auswirkung der Produktion oder eines Wirtschaftssektors (sogenannte negative Externalitäten) zu sozialer Ungerechtigkeit oder Schädigung der Umwelt führen, werden die
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wahren Kosten durch die Allgemeinheit getragen. Die globale Finanzkrise von 2008 ist ein Beispiel, wie der Bankensektor, der naturgemäß seine Gewinne privatisiert, am Höhepunkt der Krise einforderte, dass seine Verluste von der Allgemeinheit zu tragen sind (Too big to fail). Bemerkenswerterweise forderte ein Top-Manager einer großen Bank damals „We can’t control our greed, ..., you should regulate us more“ (Schwartz, 2010). Die derivativen Finanzierungsinstrumente, die zur globalen Krise führten, bezeichnete Warren Buffet als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ (Wolff, 2006). Die globale Finanzkrise von 2008 vernichtete Millionen Arbeitsplätze, und die EU-Staaten reagierten mit einer rigiden Austeritätspolitik, die zu Kürzungen bei öffentlichen Ausgaben vor allem im Gesundheitssektor führte (Morgan & Astolfi, 2015). Eines Gesundheitssektors, dessen Schwächung uns mit Covid-19 schmerzlich vor Augen geführt wurde. Damals handelten ganze Bankensektoren unethisch. Sie wussten, dass sie Kredite an Menschen vergaben, die diese nicht zurückzahlen können (deshalb „Subprime Crisis“) und bei steigenden Kreditzinsen ihre Häuser verlieren werden. Die Studien von Gibbs & Schnell (1985) und Trevino (1992) zeigen, wie es zu kollektivem unethischem Verhalten kommt. Der Kontext, i.e. die situativen Faktoren wie Erfolgsdruck, Quartalszahlen, Shareholder Value, Druck von Kollegen beeinflussen ethisches Verhalten stärker als die moralischen Werte der Individuen. Und noch etwas ist erstaunlich, unethisches Verhalten ist ansteckend. Wenn der Betrüger als Teil unserer sozialen Gruppe wahrgenommen wird, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir selbst betrügen (Christakis & Fowler, 2011; Gino, Ayal, & Ariely, 2009). In Ihrem Werk „Governing the Commons“ betont Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom, dass Gemeingüter wie beispielsweise das Gesundheitswesen, die Biodiversität oder die Atmosphäre geschützt oder reglementiert werden müssen, damit diese von allen genutzt und erhalten werden
können. Sie plädierte dafür, dass die Menschen nicht auf internationale Klimaabkommen warten sollten, sondern in ihrem Umfeld bei Kommunen, Unternehmen, Regionen selbst aktiv werden und partizipativ Regeln für ein nachhaltiges Leben festsetzen. Josef Riegler hat bereits Ende der 1980iger Jahre mit seinem Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft („ökonomisch leistungsfähig, sozial orientiert, ökologisch verantwortungsvoll“) gedanklich den Weg für die Bioökonomie oder den Green Deal der EU geebnet (Riegler, 2017). Schon damals forderte er eine steuerliche Entlastung der Arbeit und eine höhere Besteuerung fossiler Energieträger. Wie könnte nun ein alternatives, partizipatives Wirtschaftsmodell aussehen? Woran könnte sich ethisches Wirtschaften orientieren? Eine ethische Richtschnur könnte das Gemeinwohl sein. Die Gemeinwohlökonomie sieht sich als eine Form des Wirtschaftens, die auf Werten aufbaut, die das Gemeinwohl fördern. Dazu zählen die Menschenrechte, demokratische Verfassungswerte, der Respekt vor der Natur und der Schutz der Erde (Earth Charter) sowie die planetaren Grenzen (N.N., 2022). Die Gemeinwohlökonomie sieht sich als Prozess, bei dem Unternehmen mit Gemeinden/Regionen, mit Bildungseinrichtungen und der Zivilgesellschaft in einem Diskurs stehen, der den Zweck des Wirtschaftens und die Bewertung des Unternehmenserfolg nicht nur vom Profit, sondern auch von gemeinwohl-orientierten Werten abhängig macht. Der Erfolg von Unternehmen wird ähnlich wie bei einer Nutzwertanalyse anhand von Kriterien wie Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit und Transparenz bewertet. Anhand dieser Kriterien wird dann bewertet, wie das Unternehmen mit seinen LieferantInnen, seinen EigentümerInnen, mit den Mitarbeitenden, mit KundInnen und WettbewerberInnen und mit dem gesellschaftlichen Umfeld agiert. Aus dieser Gemeinwohl-Matrix resultiert dann eine Punktesumme als Vergleichsmaßstab für Unternehmen. So ermittelte ethische Unternehmen könnten dann durch Steuerreduktionen,
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durch Zugang zu günstigeren Krediten oder durch bevorzugte Auftragsvergabe bei öffentlichen Ausschreibungen belohnt werden. Die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung ist 2010 in Österreich entstanden und ist mittlerweile in zahlreichen EU-Staaten, den USA, Lateinamerika und Afrika vertreten. Rund 500 Unternehmen haben bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Ein weiterer, international viel diskutierter Ansatz geht auf Kate Raworth zurück, die sogenannte Donut-Ökonomie (Raworth, 2012). Ihre Theorie geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt kein geeignetes Maß zur Steuerung von Volkswirtschaften ist. Sie verwendet eine Reihe sozialer und planetarer Grenzen, um die Wirtschaft ganzheitlich zu bewerten. Als Indikatoren für soziale Grenzen definiert sie beispielsweise Lebenserwartung, Zugang zu Energie, Ernährung, Bildung, Einkommen/Armut, demokratische Qualität usw. Für die planetaren Grenzen verwendet sie unter anderem Luftverschmutzung, Klimawandel, Landnutzung, Biodiversitätsverluste. Die Erfüllung der sozialen Grenzen definiert das Minimum, ab welchem ein menschenwürdiges Leben möglich wird, und die planetaren Grenzen definieren den ökologischen Plafond, bei dessen Überschreitung es zur Ausbeutung und Zerstörung der natürlichen Ressourcen kommt. Daher rührt auch der Name Donut, weil man diese Grenzen als zwei konzentrische Ringe visualisieren kann, in deren Mitte sich der sichere und gerechte Raum der Menschheit befindet. Nicolas Roux, vom BOKU Department für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, hat diese Theorie gemeinsam mit internationalen Kollegen angewendet und eine vielbeachtete Publikation in Nature Sustainability mit dem Titel „The social shorfall and ecological overshoot of nations“ veröffentlicht. Basierend auf den Daten dieses Artikels kann man unter dem URL https://goodlife.leeds.ac.uk/national-trends/ country-trends/#AUT die sozialen und planetaren Grenzen Österreichs abrufen. Bis auf den Bereich Wasser haben wir in Österreich die planetaren Grenzen teilweise signifikant überschritten. Positiv zu erwähnen ist, dass wir gemeinsam mit Norwegen zu den Top-Nationen bei
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der Erfüllung sozialer Kriterien gehören (Fanning, O’Neill, Hickel, & Roux, 2021). Als Gesellschaft befinden wir uns in einem Wettstreit der Ideen, wie die Zukunft zu gestalten sei, so wie die Wissenschaft sich in einem Wettstreit der Paradigmen befindet (Kuhn, 2001). Von 1985 bis 2005 nahmen neoliberale Think Tanks in der EU von 4 auf 180 zu (Roehner, 2007). Später folgte das neoliberale Stockholm-Netzwerk mit Sitz in London, welches zeitweise aus 130 Think Tanks aus 40 Ländern bestand. Dieses Netzwerk lobbyierte, war aktiv in Medien, veröffentliche unzählige Beiträge, veranstaltete Tagungen usw., um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Die Bioökonomie erhebt den Anspruch, eine grundlegende Transformation gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Systeme anzustreben. Wenn ihr das gelänge, würde sie eine wahrhafte Innovation darstellen. Im Sinne Schumpeters ist Innovation aber die kreative Zerstörung eines bestehenden Markts/Sektors. Die Geschichte lehrt uns, dass dies nicht ohne Widerstände der etablierten Märkte abläuft. Roehner (2007) zeigte in seiner Analyse von Asbest, Rauchen, Transfetten und Passiv-Rauchen, dass in Fällen wo 1) lebensbedrohliche Risiken für KonsumentInnen oder ArbeiterInnen bestehen und 2) die Aufhebung dieser Risiken zu hohen finanziellen Verlusten der Hersteller führen würden, PR-Kampagnen zur Verschleierung der wahren Ursachen und des Ausmaßes des Problems stattfanden – oft so erfolgreich, dass Gesetzgeber erst 30 bis 40 Jahre nach Bekanntwerden der tödlichen Folgen reagierten. Die Erdölindustrie finanziert seit den 1980iger Jahren Kampagnen, um den Klimawandel zu „verniedlichen“ und ihre Verantwortung am selben zu relativieren (Supran & Oreskes, 2021), und es stellt sich die Frage, ob uns noch 30 Jahre Zeit bleiben? Die aufgezeigten Ansätze der Gemeinwohlökonomie oder der Donut-Ökonomie mögen utopisch erscheinen im Angesicht der gegenwärtigen Situation. Aber wir brauchen eine zukunftsfähige Alternative zum Status Quo. Ein neoli-
berales Wirtschaftssystem ist gut für das BIP, gut für den Profit, aber ist es das auch für unsere Demokratien und die Zivilgesellschaften? Wenn wir weiterhin die Maxime des grenzenlosen Wachstums verfolgen, könnte es sein, dass eines Tages die (Erdöl-)Revolution ihre Kinder frisst. Rainer Haas, Institut für Marketing & Innovation, Department für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, Universität für Bodenkultur Wien
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Bedarfsgerechte Reinigung und Desinfektion Bedarfsgerechte Reinigung und Desinfektion ist für die sichere und einwandfreie Produktion in lebensmittelverarbeitenden Betrieben unerlässlich. Als wesentlicher Bestandteil wird ein angepasstes bedarfsgerechtes Reinigungskonzept im Vorfeld erarbeitet – bevor neue oder geänderte Herstellungsprozesse implementiert werden. Andreas Marksteiner
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icht bedarfsgerechte Reinigung und Desinfektion bergen enormes Schadenspotential: Das Auftreten möglicher mikrobieller Verunreinigungen und Kreuz-Kontaminationen sowie Verunreinigungen durch Reinigungs- und Desinfektionsmittel stellen eine Sicherheitsgefährdung dar, die rechtliche sowie finanzielle Auswirkungen mit sich zieht. Der Verlust des Kundenvertrauens und der Mitarbeiterzufriedenheit sind die Folgen. Weiters verhindert ein nicht angepasstes Reinigungs- und Desinfektionskonzept auch eine optimale Auslastung der Anlagenleistung. Grundlegende Schritte zur Erarbeitung eines bedarfsge rechten Reinigungs- und Des infektionskonzeptes Reinigung und Desinfektion nehmen einen wichtigen Stellenwert im gesamten Hygienekonzept eines lebensmittelverarbeiten-
den Betriebs ein. Professionelle Reinigungsfirmen verwenden eine standardisierte Vorgehensweise, um bedarfsgerechte Reinigungs- und Desinfektionskonzepte zu erstellen, wie nachfolgend beschrieben: Schritt 1: Die Risikoanaly se Das Risiko ist nicht in allen Verarbeitungsbetrieben gleich und hängt unter anderem auch vom Lebensmittel ab, das hergestellt oder verarbeitet wird. Nicht alle Lebensmittel haben
das gleiche Risikopotenzial. Hinzu kommen unterschiedliche Umgebungsbedingungen, wie z. B. die Temperatur bei der Verarbeitung und Verschmutzungsarten wie Proteine, Stärke, Fett etc., die bei einer Risikobewertung beachtet werden müssen. Schritt 2: Die Auswahl ge eigneter Reinigungs- und Des infektionsverfahren Auf Basis der Risikobewertung und der vorhandenen Gegebenheiten
können geeignete Reinigungsund Desinfektionsverfahren, wie z. B. Schaum- oder Cleaning in Place (CIP)-Reinigung, ausgewählt werden. Bei der Produktauswahl der Desinfektion ist es wichtig, auf das notwendige Wirkungsspektrum zu achten. Damit die Reinigungs- und Desinfektionsverfahren kontrolliert und sicher betrieben werden können, ist eine Validierung und die Festlegung von Monitoringmaßnahmen notwendig.
Schmutz aus Rohstoffen und Lebensmitteln
Verhalten gegenüber Wasser und Reinigungsmitteln
Geeignetes Reinigungsmittel
Salze, Zucker, Säuren
Wasserlöslich
Wasser
Proteine, Stärke
Quellbar, alkalisch bzw. oxidativ zersetzbar
Alkalische Reiniger in Kombination mit z.B. Wasserstoffperoxid
Fette, Öle
Emulgierbar
Alkalische Reiniger, hohe Temperaturen
Zellulosefasern, Knochenmehl
Dispergierbar
Reiniger mit Phosphaten bzw. Carboxylaten
Milchstein, Weinstein, Bierstein
Unlöslich bzw. sauer löslich
Saure Reiniger
Adaptiert von Norm DIN10516:2009
Tabelle: Die chemische Natur der Verschmutzung
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Schritt 3: Die Validierung Die Validierung soll sicherstellen, dass die Reinigungs- und Desinfektionsprozesse den notwendigen bzw. gewünschten Qualitätsstandard erzielen. Dazu werden die erforderlichen Parameter, wie z. B. Konzentration der Produkte, erforderliche Kontaktzeit, Temperatur etc. festgelegt und geprüft. Das Ergebnis der
Reinigung und Desinfektion wird anschließend visuell beurteilt und mikrobiologisch bewertet. Die Fertigproduktkontrolle schließt den Validierungsprozess ab. Validierungen sollten bei der Einführung und bei einer Änderung von bestehenden Prozessen durchgeführt werden. Auch geänderte Produktionsbedingungen, durch z. B. Umbau von
Anlagen, spielen für die Validierung eine Rolle. Schritt 4 – Festlegung und Durchführung von Monito ringmaßnahmen Nachdem durch die Validierung sichergestellt ist, dass geeignete Reinigungs- und Desinfektionsverfahren ausgewählt wurden, wird durch geeignete Monitoringmaßnahmen die gleichblei-
bende Qualität sichergestellt. Die regelmäßige Überprüfung der Personalhygiene darf dabei nicht vernachlässigt werden (Norm DIN 10516:2020-10). Es wird empfohlen, einen Monitoringplan auszuarbeiten. Darin werden die Überprüfungsmaßnahmen und die zu prüfenden Oberflächen im Betrieb festgelegt. Gleichzeitig können Verantwortlichkeiten
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sowie Vertretungsregelungen definiert werden. Reinigungsansätze bei schwer zugänglichen Anla genbereichen Vor allem bei älteren Anlagen, die nicht nach hygienischem Design entwickelt wurden, ergeben sich in der Praxis immer wieder Reinigungsprobleme an schwer zugänglichen Anlagenteilen. Diese sind genauso in den Reinigungs- und Desinfektionsplan aufzunehmen. Worauf kann/muss in der Lebensmittelherstellung bei schwer zugänglichen Anlagen teilen geachtet werden: • Die chemische Natur der Verschmutzung: Die Tabelle liefert eine Übersicht zu den Arten der vorkommenden Verunreinigungen, deren Verhalten
HYGIENIC DESIGN.
gegenüber Wasser und Reinigungsmitteln und dem jeweils geeigneten Reinigungsmittel. • Die Temperatur, bei der die Reinigung stattfindet: Bei steigender Temperatur ist prinzipiell ein positiver Effekt zu erwarten, aber dem stehen auch negative Effekte gegenüber (z. B. Ausfällung von Härtebildnern, schlechtere Proteinentfernung) • Die richtigen Reinigungs-/ Desinfektionsverfahren: – manuell – maschinell – einschäumen – tauchen – sprühen – vernebeln • Die Erzeugung von Turbulenzen: durch wiederkehrende Veränderung der Fließrichtung von Reinigungsflüssigkeiten.
Generell zu beachten: • gute Flächenerreichbarkeit für das Reinigungsmittel • Spülen von Blindleitungen • Verhinderung der Absetzung von Mikroorganismen in Toträumen oder Strömungsschatten • Strömungsgeschwindig keiten • Wartung von Dichtungen • Sonderreinigung nach Stillstandszeiten • Umbaumöglichkeiten prüfen • Prüfung von intervall mäßigen Demontage möglichkeiten – Sonderreinigungen • Richtige Auswahl der Reinigungs- und Desinfektionsprodukte • Aufpralldruck auf der Oberfläche (abhängig von z. B. Düsendruck, Spritzabstand etc.)
Die gelisteten allgemeinen Punkte müssen immer an die jeweils individuelle Situation angepasst werden (Wildbrett, 2006). DI (FH) Andreas Marksteiner, Verfahrens- und Umwelttechniker Mit freundlicher Genehmigung aus Zand, E., Stollewerk, K., Schottroff, F., Drausinger, J., Jäger, H. (2021). Handlungsempfehlungen für die Produktionshygiene in der Lebensmittelindustrie. Entstanden aus dem Projekt „Neue Aseptik- und Dekontaminationsstrategien in der Produktions- und Gebäudetechnik“(018–2021). BOKU, Wien. ISBN 978-3-200-07736-2
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Hauptaugenmerk der MOOSHAMMER hygiene & technik liegt auf der Lebensmittel industrie. Neben der Industrie zählen führende Handwerksbetriebe in ganz Österreich, Bayern und den Grenzgebieten zu den Kunden des Schlüßlberger Unternehmens – dazu zählen insbesondere Betriebe in der Fleischverarbeitung, im Lebensmittelhandel, Schlachthöfe, Molkereien, Bäckereien, Käsereien, Brauereien u. Getränkehersteller, die Fisch- und Geflügelindustrie, Gewürzverarbeitung, Chemische Industrie usw., wie zahlreiche namhafte Referenzen belegen. www.mooshammer.at
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Messer kooperiert mit Donau Chemie
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nde März dieses Jahres haben der Industriegasespezialist Messer Austria und Donau Chemie ihre Partnerschaft beschlossen, um künftig die Produktion von anorganischen Grundchemikalien umwelt- und klimaschonender zu gestalten. Messer investiert insgesamt einen zweistelligen Millionenbetrag, um das in Landeck anfallende CO 2 zu Lebensmittelqualität zu veredeln sowie für den Transport zu verflüssigen. Die Abnehmer sind vorwiegend in Tirol, Südtirol, Vorarlberg sowie in weiteren Teilen Österreichs und in der Schweiz stationiert. Dort kommt das CO2 vor allem für das Karbonisieren von Getränken, die Gewächshausdüngung sowie für die
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Besonderes Augenmerk wurde bei den Heizern auf die schnelle und einfache Handhabung durch nur eine Person gelegt, mit dauerhaft festem Sitz, der durch integrierte Halterungen gewährleistet wird. Dies ist neben dem optimalen Wärmeeintrag in den Behälter auch ein wichtiger Sicherheitsaspekt und Vorrausetzung für die genaue Regelung der Temperatur. Das ist wichtig, um gegebene Temperaturgrenzen im Sinne der Qualitätssicherung zu gewährleisten oder das unbeaufsichtigte Betreiben der Heizer mit einer Regler-BegrenzerKombination zu ermöglichen. Beim Aufschmelzen von festen Medien und „auf den Punkt“ heizen in Stahlfässern empfehlen wir unseren WRL 430 Temperaturregler mit einem speziellen florettähnlichen zusätzlichen Mediensensor, der über ein T-Stück am Spundloch montiert wird. Über eine optimierte Differenzregelung wird dabei die Solltemperatur wesentlich schneller und punktgenau erreicht. Bei temperaturempfindlichen Medien wie Schokolade ist eine angepasste Regelung entscheidend für die Sicherstellung der Produktqualität
und die Vermeidung von Ausschuss. Der völlig neu entwickelte Fassbodenheizer mit 2 PT 100 Sensoren zur redundanten Überwachung ist wesentlich kompakter und leichter mit nur 4,9 kg und kann bis maximal 150° C betrieben werden. Durch einen Isolierdeckel mit integrierten Klappdeckeln bei den Spundlöchern ist die effizienteste Beheizung erreichbar. Zur Sicherheit, um den durch die Erwärmung unzulässigen Überdruck zu vermeiden, sind Deckel oder Spundlöcher zu öffnen. Zum langlebigen Einsatz im industriellen Bereich sind alle Heizmäntel aus hochwertigen Materialien hergestellt. An den üblichen Verschleißstellen wird ein zusätzlicher Abriebschutz eingearbeitet. Eine Neuerung sind die integrierten elektronischen Regler, die abnehmbar gestaltet sind und somit auch weiterverwendet werden können. Die bisher langjährig verbauten Kapillarregler sind neben der eher schlechten Regelgenauigkeit und Hysterese im Falle eines Defektes des Heizers zum Entsorgen gewesen. Der Betrieb einer Kapillarregler-Lösung ist nur unter Aufsicht als sicher empfohlen.
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Begrenzer-Kombination und Systemzulassung geliefert werden. Sonderheizer nach Maß sind nach Abklärung in allen Varianten möglich, dazu benötigen wir bemaßte Skizzen, Fotos, idealerweise eine 3D-STEPDatei oder den zu beheizenden Körper. Danach wird dann die Heizung maßgefertigt. Auf Wunsch kann gerne auch das Kundenlogo auf den Gebindeheizer oder Fassheizer gestickt werden.
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ei vielen Medien ist es aus Handlings-, Effizienz- und Produktionsgründen erforderlich aufzuheizen, zu schmelzen und/oder zu temperieren. Die Winkler AG produziert seit über 40 Jahren normgerechte Gebindeheizer, Gasflaschenheizer, IBC Heizer und maßgeschneiderte Heizmanschetten bis zum Hochtemperaturbereich.
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Impressum — DIE ERNÄHRUNG Österreichische Zeitschrift für Wissenschaft, Recht, Technik und Wirtschaft ∙ N UTRITION Austrian journal for science, law, technology and economy ∙ redaktion@ernaehrung-nutrition.at ∙ Offizielles Organ des Fachverbands der Nahrungs- und Genussmittelindustrie Österreichs und des Vereins zur Förderung der österreichischen Lebensmittelwirtschaft (foodalliance) ∙ Herausgeber: Fachverband der Lebensmittelindustrie; A-1030 Wien, Zaunergasse 1–3 ∙ Wissenschaftlicher Beirat: Generaldirektor Univ.-Prof. Dr. iur. et rer. pol. Walter Barfuß, Ao. Univ.-Prof. i. R. DI Dr. nat. techn. Emmerich Bergh ofer, Dr. Michael Blass, Hon.-Prof. Dr. Konrad
Brustbauer, Ass.-Prof. DI Dr. nat. techn. Klaus Dürrschmid, Prof. Dr. Christian Hauer, Univ.-Prof. Dr.-Ing. Henry Jäger, OR Dr. Leopold Jirovetz, Univ.-Prof. i.R. DI Dr. nat. techn. Wolfgang Kneifel, Univ.-Prof. Dr. Jürgen König, Dr. Andreas Natterer, Ass.Prof. Dr. Peter Paulsen, Univ.-Prof. Dr. Werner Schroeder, LL.M, Univ.-Prof. Dr. Veronika Somoza, Univ.-Doz. Mag. Dr. Manfred Tacker, Univ.-Prof. Dr. med. vet. Martin Wagner Dipl. ECVPH ∙ Chefredakteur: DI Oskar Wawschinek, MAS, MBA ∙ Redaktion Wissenschaft: Ass.-Prof. DI Dr. nat. techn. Klaus Dürrschmid ∙ Redaktion Recht: Mag. Katharina Koßdorff ∙ Verleger: SPV Printmedien Gesellschaft m.b.H.; A-1080 Wien, Florianigasse 7/14;
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Tel.: 01/581 28 90; Fax: 01/581 28 90-23; online-redaktion@blickinsland.at ∙ Lektorat: Mag. Nina Wildzeisz-Rezner, MAS ∙ Satz: Gerald Mollay ∙ Herstellung: proprint.at ∙ Anzeigenleitung: Prok. Doris Orthaber- Dättel, Tel.: 01/581 28 90-12, daettel@ blickinsland.at, Tel.: 01/581 28 90-27, smejkal@blickinsland.at ∙ Ernährung/Nutrition – ISSN 0250-1554 – erscheint sechsmal jährlich. Nachdruck sämtlicher Artikel, auch auszugsweise, nur mit Quellenangabe, gegen Belegexemplar; Zitierung von wissenschaftlichen Beiträgen: Ernährung/Nutrition. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Autors wieder, die nicht mit jener des Herausgebers übereinstimmen muss.
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Umwelt und Pharma, erweitern wir laufend unser Dienstleistungsportfolio, unsere Expertise und den Zugriff auf modernste Laborkapazitäten. Unsere Kunden sind für uns Partner, die wir begleiten. Der Nutzen ergibt sich aus der individuellen Erarbeitung von Lösungswegen zur Sicherung Ihrer Produkte. Kompetenz, Praxiserfahrung und unternehmerisches Denken für alles, was Lebensmittel ausmacht.