DIE ERNÄHRUNG VOLUME 46 | 03/04.2022

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Bioökonomie die Notwendigkeit für ein ethisches Wirtschaften als Alternative zum neoliberalen Zeitgeist Rainer Haas

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as Konzept der Bioökonomie geht in eine ähnliche Richtung wie der EU Green Deal und die Sustainable Development Goals (SDGs). Die strategischen Ziele streben unter anderem eine Reduktion der Abhängigkeit von fossilen, nicht-erneuerbaren Energieträgern, die Erreichung der Klimaziele und eine nachhaltige sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft an (BBWUF, 2019). Die Europäische Kommission ordnet der Bioökonomie jene Sektoren und assoziierten Dienstleistungen zu, die biologische Ressourcen produzieren, verarbeiten, verteilen oder konsumieren. Damit umfasst sie die Primärproduktion wie Land- und Forstwirtschaft, Aquakultur und Fischerei, sowie Ökosystem Dienstleistungen wie z.B. zur Stärkung der Biodiversität oder Carbon Farming (i.e. Kohlenstoffanreicherung in landwirtschaftlichen Böden). Darüber hinaus gehören Lebens- und Futtermittel, Faserstoffe und die biobasierte Industrie dazu, z. B. erneuerbare Energien, Biochemie, Biokosmetik ... (Wehrheim, 2022). Trotz der Bedeutung und Größe des Bioökonomiesektors sind sich die Experten einig, dass eine Transformation unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems in Richtung Nachhaltigkeit und Resilienz nicht ohne Verzicht gehen wird.

Ethisches Handeln ist immer in einen politischen, gesellschaftlichen und technologischen Kontext eingebunden. Wirtschaftspolitik folgt implizit oder explizit bestimmten Grundannahmen, die, wenn sie eine gewisse Breite erreichen, als Zeit-

geist bezeichnet werden können. Dieser Artikel erläutert im Folgenden die Grund­ annahmen neoliberalen Wirtschaftens, zeigt soziale, ökonomische und ökologische Auswirkungen desselben auf und diskutiert alternative Ansätze wie die Gemeinwohl- oder die Donut-Ökonomie. Zeitgeist bezeichnet ein Gemenge an Einstellungen, Glaubenssätzen und Ideen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt unkritisch akzeptiert werden, weil sie anscheinend von jedermann geteilt werden (Roehner, 2007). Im Grunde steht dahinter die Ansicht, dass bestimmte Ideen/Konzepte ein Produkt ihrer Zeit sind. Im Oktober 2021 wurden in der Zeitschrift The Guardian die Ursachen der gegenwärtigen globalen Lieferkettenprobleme diskutiert (Stoller, 2021). Schwache Anti-Trust-Gesetze, die Deregulierung von Infrastruktur-Industrien, De-Investitionen in die heimische Industrieproduktion und eine Handelspolitik, die den Finanzsektor über den Produktionssektor stellte, werden darin als die wesentlichen Ursachen der globalen Lieferkettenprobleme angeführt. Die Auflistung dieser Maßnahmen liest sich wie ein Auszug aus einem neoliberalen Lehrbuch. Charakteristische Merkmale einer neoliberalen Wirtschaftspolitik sind: • Ablehnung staatlicher Interventionen • Deregulierung und Privatisierung von – Versorgungsunternehmen (Energie, Wasser) – Transportunternehmen (Bahn, Flug)

– Gesundheitssystemen – Universitärer Bildung und Forschung • Unterdrückung von Gewerkschaften • Globalisierung des Handels und des Finanzsektors Die „Ideologie des freien Markts“ und ein „Laissez-faire-Kapitalismus“ sind zentrale Merkmale neoliberalen Wirtschaftsdenkens (Roehner, 2007). Charakteristisch für dieses Denken ist, dass der freie, nicht durch Gesetze und Regularien behinderte Markt, die beste Form ist, um Wohlstand zu generieren und um Güter und Dienstleistungen zu verteilen. Wesentlicher Vordenker dieser Philosophie war Adam Smith, der in seinen theoretischen Überlegungen davon ausging, dass, wenn man dem egoistischen Eigennutz von Unternehmern in der Wirtschaft freien Lauf lässt, es durch diese „unsichtbare Hand“ zu einer besseren Verteilung von Gütern und einem höheren Wohlstand für die Allgemeinheit käme. Wirklich maßgebend für die Popularität des neoliberalen Denkens wurde aber die Wiener Schule der Ökonomie mit Friedrich August von Hayek als zentralem Proponent. Sein Buch „The Road to Serfdom“ wurde ein Bestseller und weltweit 2,2 Mio. Mal verkauft. 1974 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Seine grundlegende These war, dass bewusste politische Gestaltung ihre Ziele verfehle und verhängnisvoll sei (Mayer & Molden, 2021). Seine theoretischen Überlegungen beeinflussten unter anderem maßgeb-

Im November 2021 fand an der BOKU ein Bioökonomie-Workshop statt. Der vorliegende Text basiert auf dem Vortrag des Autors im Zuge dieses Workshops. Der Artikel ist ein Kommentar und stellt die evidenzbasierte Meinung des Autors dar und repräsentiert nicht zwangsläufig die Position der BOKU oder des Herausgebers.

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