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Anders sein als Chance

Helmut Schlotterer hat gut lachen. Sein Bekenntnis zum Produkti- onsstandort Deutschland ist ein Erfolgsmodell.

Als Helmut Schlotterer vor 40 Jahren das Unternehmen Marc Cain gründete, hätte er zwei Dinge nie vermutet: Dass es ihn jemals wieder zurück in seine schwäbische Heimat nach Bodelshausen verschlagen würde und dass Mode irgendwann einmal online verkauft werden könnte. Inzwischen macht sein Unternehmen einen Jahresumsatz von 245 Millionen Euro und ist in 59 Ländern vertreten. Auch davon hätte er 1973 wahrscheinlich nicht zu träumen gewagt, obwohl es dem Unternehmer an einer Ressource nie gemangelt hat: Mut.

Text: Stephan Huber. Foto: Tom Campbell

Herr Schlotterer, muss ein guter Unternehmer heute Philanthrop sein?

Eigentlich schon. An sich bin ich auch ein Anhänger der Kant’schen Philosophie. Aus Prinzip, also nicht aus religiöser Überzeugung, weil ich Angst vor der Hölle habe oder auf das Himmelreich spekuliere, sondern weil ich sie für vernünftig halte. Sozusagen der kategorische Imperativ.

Denn Sie machen eigentlich fast alles anders, als es ge genwärtig im Lehrbuch für internationale Modemarken und Unternehmen steht. Ist das ein bewusster Plan im Sinne einer Gegenposition?

Ich denke, ich ticke einfach anders. Ich war schon immer anders und hatte auch andere Ideen. Und ich wurde letztlich auch darin bestärkt, dass das Anderssein gut ist – nicht das kategorische Dagegensein aus Trotz oder das Weltverbesserersyndrom, wo einer gegen Wände anrennt und sich freut, wenn er eine Beule bekommt. Ich war schon immer ein guter Beobachter und habe mir sehr genau angesehen, wie andere etwas machen und mich in deren Lage versetzt. Meistens, um dabei herauszufinden, dass ihr Weg eigentlich närrisch und kompliziert war. Schon als Schüler habe ich im Betrieb meines Vaters Abläufe organisiert, wo es mir einfach nicht in den Kopf ging, warum sie so komplex waren und die sich hinterher wie selbstverständlich vereinfachen ließen. Dinge zu optimieren, war schon immer meine Stärke.

Trotzdem gehört Kostenoptimierung bezogen auf Material-Sourcing, Produk tion und Personal bei Marc Cain ganz offensichtlich nicht zum Masterplan, schließlich produzieren Sie überwiegend in Deutschland und Europa – umso überraschender ist Ihre sehr positive Ertragslage.

Ja, wahrscheinlich die höchste in der Branche. Ich habe in den 1970er-Jahren sehr finstere Zeiten und finanzielle Notlagen durchlebt, wo ich mit Marc Cain als zartes Pflänzchen immer mehr Umsatz machte. Und mehr Umsatz kostet Geld. Damals wäre ich fast an der Finanzierung meines Wachstums gescheitert. Aber ich habe auch viel daraus gelernt. Der einzige Weg zum Erfolg führt darüber, ein Produkt zu haben, das so gut ist, dass der Markt den Preis zahlt, den sie wollen. Das ist eine ganz einfache Regel. Und wenn sie diesen Preis kriegen und er auskömmlich ist, dann funktioniert ihr Geschäftsmodell. Alles dreht sich darum, der Kundin ein Produkt anzubieten, für das sie bereit ist, den entsprechenden Preis zu zahlen. Wir überlegen natürlich auch, wo wir Kosten optimieren können. Nur, bei uns gibt es nicht diese Politik des Ausquetschens, die sie sofort spüren, wenn sie in Private Equity getriebene Unternehmen kommen. Als Inhaber und Vorsitzender der Geschäftsführung bin ich selbst noch unmittelbar am Geschäft dran und weiß, um was es geht. Ich mache zwar nicht mehr das unmittelbare Tagesgeschäft, aber ich kann steuern, regulierend eingreifen und vor allem Weichen stellen. Und wenn die richtigen Weichen gestellt werden, die dann ein paar Jahre später wieder aufgehen als Summe von Maßnahmen, dann stimmt der Ertrag.

Wie beurteilen Sie die Zukunft von Made in Europe in Bezug auf die Bekleidungsindustrie generell?

In den 1970er-Jahren ging es los mit der Billigproduktion, zuerst in Italien, dann in Polen und Tschechien, von dort ging es nach Ungarn und schließlich nach Rumänien. Da wurde der gesamte Balkan aufgearbeitet. Selbst Griechenland und Portugal hatten eine bedeutende Textilindustrie. Da die Produktivität in Europa mit den Kostensteigerungen nicht mithalten konnte, zog die Karawane immer weiter nach Osten. Die schlimmen Zustände in Bangladesch sind durch einen unmenschlichen Preisdruck und Gier verursacht. Wenn nur noch der Preis regiert, verfällt die Kultur der Qualität und der gerechten Entlohnung. Unsere Politik, die Produktion in Deutschland, zumindest in der EU zu halten, ist gestützt auf hohe Produktivität und Kreativität. Das wird selbst in China anerkannt.

Wie wichtig ist der chinesische Markt für Marc Cain?

Der wächst permanent, klar. Zur Zeit gibt es dort 24 Marc-CainStores, 45 Geschäftskunden, die mehrere Marken führen, sowie 24 Shop-in-Stores. Das ändert sich von Saison zu Saison sehr schnell, denn wir sind wie alle anderen Marken an die Launen der Mall-Besitzer gebunden, die manchmal von einer Saison zur nächsten ihr Konzept ändern. Dann ist man plötzlich wieder draußen und keiner weiß, warum. Aber das ist auch für uns ein sehr wichtiger Markt. Und natürlich Russland, wo wir auch stark wachsen. Mich hat es aber in der Vergangenheit immer wieder überrascht, wie viel Wachstum auch in unseren Stammmärkten noch zu holen ist.

Letztendlich ist das doch ein produktbasiertes Wachstum.

Das ist eher ein Verdrängungswettbewerb. Der Premiummarkt an sich und das Preissegment, in dem wir arbeiten, schrumpft seit zehn Jahren, weil ja auch demografisch die Kunden nicht mehr werden. Daher basiert das Wachstum aller Marken in diesem Segment, auch unser Wachstum eigentlich auf einem Verdrängungswettbewerb untereinander. In einer aktuellen Studie des Deutschen Fachverlags hat es unser Unternehmen als Erstes in der Geschichte dieser Studie geschafft, in allen 23 Kategorien – wie unter anderem Potenzialausschöpfung, Attraktivität der Marke und setzt die modischen Trends zielgruppengerecht um – zu gewinnen. Befragt wurden 150 Händler aus dem Premiumsegment. Ich war selbst beeindruckt und habe ein bisschen Schwindel bekommen, wie wir das halten sollen. Gemessen an der Differenz zum Jahr 2007 haben wir ein Plus von 22 Prozent bei der Warenleistung, 19 Prozent in der Modeleistung und 44 Prozent in der Profitleis-

tung aufgeholt. Und das nenne ich eine gute Entwicklung. Unsere Zukunftsperspektive wurde auch vom Handel äußerst positiv bewertet.

Sie bezeichnen Innovation als entscheidenden Erfolgsfaktor. Aber Innovation verlangt nicht nur nach Kapital, sondern vor allem nach Menschen. Wie schwierig ist es, diese Men schen heute zu finden?

Zunehmend schwieriger. Das ist eine Kernfrage für uns. Ehrlich gesagt, ohne die Krise 2007 und 2008 und dem schlechten Benehmen einiger Private-Equity-Unternehmen hätte ich viele Leute aus anderen Unternehmen nicht hierher bekommen. Ich spreche überwiegend von Technikern und Ingenieuren, die wissen, wie man Kleidung herstellt. Wir hatten ein Problem, leitende Ingenieure und Manager mit Produktionskenntnis zu bekommen, die nicht nur eine E-Mail nach Hongkong schicken können, sondern die wirklich wissen, wie eine Produktion abläuft. Wir wollen unser Produktions-Knowhow behalten und nicht zum Outsourcing übergehen.

Wie wird das in der nächsten Generation weitergehen?

Wir haben reagiert und bilden jetzt zunehmend selbst aus. Wir haben in den nahe gelegenen Städten Reutlingen und Sigmaringen auch sehr gute Fachhochschulen, die ausbilden, und auch Nagold, wo Textilbetriebswirte ausgebildet werden. Es gibt sehr gute Ausbildungsangebote für Ingenieure und Textiltechniker. Es ist ja nicht so, dass die Lichter total ausgegangen sind. Und ich muss sagen, dass wir unsere Leute eigentlich immer bekommen. Vielleicht liegt es daran, dass wir auffälliger geworden sind. Die beste Idee war es, dieses Gebäude hier so hinzustellen, wie es jetzt aussieht. Ich war sehr erstaunt über den Überraschungseffekt in der Umgebung. Wir wurden plötzlich ganz anders wahrgenommen.

Der klassische Fachhandel ist im letzten Jahrzehnt in eine völlig andere Wettbewerbssitu ation gekommen, als Sie es zu Beginn von Marc Cain gewohnt waren.

Wir haben in den letzten beiden Saisons alle gespürt, dass die Frequenz zurückgegangen ist. Jeder fragt sich, wo sind die Kunden? Die einen sagen, in den Outlets, weil es dort billiger ist. Auch wir hatten durch viele neue Läden, wo wir aus Marketinggründen zwei bis drei Saisons Rückgaberecht aus der Vororder eingeräumt hatten, so viel Ware zurückbekommen – potenziert durch zwei schlechtere Abverkaufssaisons –, dass wir selbst zwei Outlets eröffnet haben. Dort hängt keine aktuelle Ware, sondern ausschließlich Ware, die mindestens ein Jahr alt und schon gar nicht billiger als die unserer Handelskunden ist. Das ist der große Nachteil, wenn man als Marke eigene Stores betreibt. Einerseits kassiert man zwar die doppelte Kalkulation, weil man die Einzelhandelsspanne verdient, auf der anderen Seite hat man jede Menge Altware. Onlineshopping wird immer wichtiger. Unser Webstore zeigt enormes Potenzial, das wir nicht unbeachtet lassen können. Trotzdem sehen wir im stationären Handel Potenzial, es muss nur kreativer gelöst werden. Weitermachen wie bisher wird die Konsumenten nicht mehr anlocken.

Sie haben Private Equity einmal als Seuche bezeichnet. Aber welche Möglichkeiten haben Modeunternehmen heute noch, Wachstum zu finanzieren?

Mit einem Unternehmen zu wachsen, ist tatsächlich schwierig, vor allem gut gesteuertes Wachstum, das über Jahre hinweg funktioniert. Größe allein rettet nicht. Und deshalb sieht man in anderen Industrien, wo Vorstandsvorsitzende durch hemmungslose Zukäufe die Bilanzsummen und ihre Gehälter in die Höhe jagen, wie die Hütten letztendlich wieder zusammenkrachen. Oder anspruchsvolle Inhaberfamilien entziehen zu viel Kapital für ihren Lifestyle. Die Hausbanken verweigern dann die bisherige Kreditlinie, sodass teure Anleihen aufgenommen werden müssen. In letzter Konsequenz übernehmen Private Equitys Anteile des Unternehmens oder übernehmen diese ganz. Wer heute nicht im Schwitzkasten der Banken oder irgendeines Investors landen will, muss sein Start-up wahrscheinlich im Internet gründen. Eine Firmengründung wie damals die von Marc Cain, wo ich einfach nach Italien gefahren bin, in irgendeiner kleinen Strickerei ein paar Pullover produziert habe, auf die Messe gefahren bin, dort aus Spanplatten und Lackfolie einen Stand zusammengenagelt habe, um dann mit dem VW-Bus und ein paar Aufträgen wieder nach Italien zu fahren, um zu produzieren – undenkbar.

In der letzten Zeit gab es sehr spektakuläre Börsengänge in unserer Branche. Hat Sie die ses Thema nie interessiert?

Nein. Wenn ich an die Börse ginge, hätte ich ja weitere Inhaber. Wenn man Kasse machen will und einen Teil davon für sich selbst abräumen will, um sich danach aus dem Staub zu machen, mag das eine reizvolle Strategie sein. Nur, das ist nicht meine Strategie. Mich fragen immer wieder Leute, ob ich jetzt nicht im richtigen Alter wäre, um richtig Kasse zu machen. Der Lifestyle meiner Frau und mir ist nicht abgehoben, zudem bezahlt mir das Unternehmen ein laufendes Gehalt, das unsere Ausgaben deckt. Und ich habe keinen Nachholbedarf. Meine Erbfolge ist bereits geregelt, ich vererbe das Unternehmen an eine soziale Stiftung, die ich dafür gegründet habe, damit das Unternehmen nicht in Privathände fällt, die dann das verteilen, was ich zusammengehalten habe. So wie es bei Marc Cain läuft, ist es ein großes Vergnügen, dafür weiterzuarbeiten. Ich möchte Unternehmer bleiben, solange es geht.

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