Surprise 521/22

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«Als Filmemacher bin ich auch Sozialarbeiter» Film «La Mif» erzählt die Geschichte von sieben Mädchen in einem Genfer Heim – und wie die

Leiterin mit Regeln und Hierarchien bricht. Ein Gespräch mit Regisseur Fred Baillif.

«La Mif» heisst «Die Familie» in Verlan – dem Slangfranzösisch, bei dem die Silben verdreht werden. Der Titel ist gut, denn er bündelt diesen eindrücklichen Film, der familiäre Beziehungen von hinten aufzäumt. «La Mif» erzählt vom Zusammenleben von Novinha, Audrey, Précieuse und vier weiteren heranwachsenden Frauen in einem Genfer Jugendheim. Nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Personal erleben sie Nähe und Distanzmomente – vor allem in der Beziehung zu Direktorin Lora, die sich später gegen die eigene Institution stellt. Lange vor dem Kinostart, als «La Mif» gerade das Publikum am Zürcher Filmfestival ZFF begeisterte, sprach Surprise mit Regisseur Fred Baillif. Der einstige Basketballprofi ist selbst ausgebildeter Sozialarbeiter, fühlt sich im sozialkritischen Kino aber wohler als «im System». Fred Baillif, die Schauspielerinnen sind fast alle jugendliche Frauen, die im Film wie im Leben zusammen in einem Heim wohnten. Wie starten Sie ein solches Projekt? 22

Fred Baillif: Ganz am Anfang standen Interviews mit allen. Vor dem Dreh braucht es für mich eine gute Recherche – ich komme aus dem Dokumentarfilm, das kommt wohl daher. Nach den Gesprächen starteten wir Workshops, um die Figuren kennenzulernen. Ist «La Mif» eher fiktional oder dokumentarisch? Für mich ist klar: Es ist ein Spielfilm. In der Geschichte ist nichts aus dem echten Leben der Mädchen enthalten – ausser sie wollten was reinbringen, aber das war ihre Verantwortung. Ich versuche, da vorsichtig zu sein. Das Einzige, was den Film von anderen Spielfilmen unterscheidet: Die Schauspieler*innen spielen sehr authentisch, weil sie denselben Hintergrund wie ihre Figuren haben. Die erste und wichtigste Regel auf dem Set lautete: Sei du selbst! Versuche nie zu spielen – wenn du schauspielerst, wird es fake sein. Neben den Laien spielen aber drei Profi-Schauspieler in Nebenrollen mit – zwei davon sind im wirklichen Leben Sozialarbeiter. Surprise 521/22

FOTOS(1-3): JOSEPH AREDDY, FOTO(4): DAVID WAGNIÈRES

INTERVIEW BENJAMIN VON WYL


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