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Strassenmagazin Nr. 521 18. bis 31. März 2022

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Ukraine

Krieg ohne Ende Tod, Zerstörung, Flucht – in der Ukraine wütet der Krieg. Und das schon seit acht Jahren. Seite 14


SOZIALE STADTRUNDGÄNGE

ERLEBEN SIE BASEL, BERN UND ZÜRICH AUS EINER NEUEN PERSPEKTIVE. Menschen, die Armut, Ausgrenzung und Obdachlosigkeit aus eigener Erfahrung kennen, zeigen ihre Stadt aus ihrer Perspektive und erzählen aus ihrem Leben. Authentisch, direkt und nah. Buchen Sie noch heute einen Sozialen Stadtrundgang in Basel, Bern oder Zürich. Infos und Terminreservation: www.surprise.ngo/stadtrundgang


TITELBILD: KLAUS PETRUS, ROLAND SCHMID

Editorial

Die Menschen zwischen den Fronten Schritt für Schritt gehen zwei Kinder und eine Frau, in jeder Hand eine Tasche, eine Strasse lang. Unter dem Foto in einer Schweizer Tageszeitung, es ist der 26. Februar, steht: «Wer gehen kann, der geht: Ukrainische Flüchtlinge im Grenzgebiet zur Slowakei.» Ich stolpere über den Satz, stocke. «Ukrainisch» stand bisher vielleicht für den Dnepr, den – nach der Wolga und der Donau – drittlängsten Fluss in Europa. Für Vitali Klitschko, den ehemaligen Profiboxer, der nun Bürgermeister der Hauptstadt Kyiv ist. Oder für 24-Stunden-­ Betreuerinnen und Erntehelfer, die in der Schweiz alte Menschen pflegen oder auf Feldern Spargeln und Kürbisse ernten. «Geflüchtete» kannte man eher aus Afghanistan, der Türkei oder Eritrea. Aus Syrien, Algerien, Sri Lanka oder dem Irak. Aus diesen Ländern stellten laut dem Staatssekretariat für Migration in der Schweiz 2021 am meisten Menschen einen Asylantrag. Insgesamt taten dies knapp 15 000 Menschen. So viele, wie etwa in Langenthal oder in Locarno zuhause sind. Bis zu 4 Millionen Menschen – von über 40 Millionen Ukrainer*innen – könnten, so schätzt das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, die Ukraine verlassen.

4 Aufgelesen

7 Moumouni …

... im Schnee Surprise 521/22

Reporterin

Unter Beschuss

5 Vor Gericht

Jöööö

LEA STUBER

14 Ukraine

Fürsorgerische Unterbringung

6 Verkäufer*innenkolumne

Mein Kollege Klaus Petrus war im seit acht Jahren umkämpften Osten der Ukraine unterwegs. 2019 und 2020 sprachen er und der Fotograf Roland Schmid mit Menschen, die weit weg von der Politik, aber nah an der damaligen Front leben – Schmid im prorussischen, sepa­ratistischen Gebiet, Petrus im regierungskontrollierten. Ihre Fotoreportage, ab Seite 14, zeigt: Der Krieg gegen die Ukraine begann für diese Menschen lange vor diesem Februar. Hätte ich meinen Blick geweitet, hätte ich genau das vielleicht schon erkannt, bevor der Krieg gefährlich nahe ist und die Menschen bei uns Schutz suchen.

13 Immer mehr Zwangseinweisungen

5 Was bedeutet eigentlich …?

Die rechtlichen Schlachten

Wir brauchen neue Wortkompositionen – «ukrainische Geflüchtete» –, um zu beschreiben, was geschieht, wie wir schon in Syrien, auf dem Balkan oder in Afghanistan auf einmal nicht mehr einfach von Menschen sprachen, sondern sie auf ihr Geflüchtetsein reduzierten. Was wäre, wenn ich meinen Blick weiten und Konflikte nicht nur dann wahrnehmen würde, wenn sie uns gefährlich nahe kommen? Oder dann, wenn sehr viele Menschen gleichzeitig bei uns Schutz suchen?

22 Film 8 Enthospitalisierung

Der ganz normale Wahnsinn 11 «Die Schweiz hat

eine Tradition zum fürsorglichen Zwang»

«Als Filmemacher bin ich auch Sozialarbeiter» 25 Filmbranche

«Unsere Kritik richtet sich auf strukturelle Verhältnisse»

26 Veranstaltungen 27 Tour de Suisse

Pörtner in Muri bei Bern 28 SurPlus Positive Firmen 29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren 30 Surprise-Porträt

«Mein Leben ist ein Roadmovie» 3


Aufgelesen

News aus den 100 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 Ländern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

Gesichter der Obdachlosigkeit

FOTO: JEFFREY A. WOLIN

«Obdachlosigkeit gehört zu meinem Alltag. Wenn ich durch Chicagos Innenstadt laufe, sehe ich so viele verschiedene Gesichter, von denen jedes eine einzig­ar­tige Geschichte darüber erzählt, warum diese Menschen auf der Strasse leben müssen», sagt der US-ame­ ri­kanische Fotograf Jeffrey A. Wolin zu seinem neuen Buch «Faces of Homelessness». Er porträtiert darin Menschen ohne Bleibe und fügt den Bildern ihre eigenen Worte hinzu. «So können die Betrachter*innen Gesichter und Geschichten miteinander verbinden.» Ziel seiner Arbeit sei es, Vorurteile zu überwinden, so Wolin.

Unnütz und schädlich

Legalisierung von Cannabis

Um das Start- und Landerecht auf grossen Flughäfen nicht einzubüssen, hat allein die Lufthansa-Gruppe während der Pandemie 18 000 Flüge durchgeführt. Sie wären eigentlich wegen Mangels an Passagier*innen ­gestrichen worden.

In Italien wurden letztes Jahr 500 000 Unterschriften zur Legalisierung des Anbaus von Cannabis gesammelt. Jetzt kommt das Anliegen vors Volk. Ziel der Initiative ist die Bekämpfung des Schwarzmarktes. Auch in Deutschland wird diese Politik verfolgt. In Österreich dagegen ist man skeptisch, man fürchtet eine Zunahme der Suchterkrankungen.

BODO, BOCHUM/DORTMUND

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MEGAPHON, GRAZ

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ILLUSTRATION: PRISKA WENGER

Was bedeutet eigentlich …?

Fürsorgerische Unterbringung Ärzt*innen oder die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) können Personen auch ohne deren Willen in einer Klinik unterbringen. Voraussetzung ist gemäss Gesetz ein «Schwächezustand». Konkret ist von Menschen die Rede, die «an einer psychischen Störung oder an einer geistigen Behinderung leiden» oder die «schwer verwahrlost» sind. Ärzt*innen dürfen den Schutz von Angehörigen und Drittpersonen (z.B. Nachbar*innen, Spitex) beim Ein­ weisungsentscheid zwar berücksichtigen. Eine Fremdgefährdung alleine genügt aber nicht. Es muss eine Schutzbedürftigkeit der oder des Betroffenen vorliegen sowie eine geeignete Einrichtung vorhanden sein (üblicherweise eine psychiatrische Klinik). Zudem muss die fürsorgerische Unterbringung verhältnismässig sein, das heisst weniger einschneidende (z.B. ambulante) Massnahmen haben versagt oder kommen nicht infrage. Über eine Entlassung entscheidet die Klinik oder die KESB. ­Betroffene kön­ nen sich gegen eine Einweisung und gegen Z ­ wangs­behandlungen mit Medikamenten vor einem Gericht wehren. Allerdings besteht ein rechtlicher Ermessensspielraum. Fürsorgerische Unterbringungen sind in der Schweiz ein historisch be­ lastetes Thema. Bis 1982 gab es keine einheitliche Rechtsgrundlage und es kam zu zahlreichen willkürlichen Behörden­entscheiden. Ethisch sind Zwangseinweisungen heikel: Sie beschneiden das Selbstbestimmungsrecht massiv. Fachpersonen sind sich einig, dass sie mit mehr ambulanten Angeboten reduziert werden könnten. EBA

Quelle: Simone Münger: Fürsorgerische Unterbringung. In: Wörterbuch der Schweizer Sozialpolitik. Zürich und Genf, 2020. Surprise 521/22

Vor Gericht

Die rechtlichen Schlachten Das Weltgeschehen hält uns dieser Tage in Atem. Es ist, als ob es uns mit dem Krieg in der Ukraine lauter grosse Fragen stellte: Wer sind wir? Was genau ist Europa? Welches nochmal sind unsere gemeinsamen «westlichen» Werte? Auf der Suche nach Einordnung fliegen einem zeitgeschichtliche Begriffe nur so um die Ohren: Genfer Abkommen (Humanitäres Völkerrecht!), Helsinki-Prozess (Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa!), Genfer Konvention (Kriegsrecht!), Römer Statut (Internationale Strafgerichtsbarkeit!). Wieder einmal ist nun unentwegt von «Völkerrechtsbruch» die Rede, von «Verbrechen gegen die Men­ schlichkeit», der «Verletzung von Kriegsrecht». Wie schon während des Syrien-­ Kriegs. Oder in den Kriegen im Irak und in Afghanistan. Und man stellt fest: Politisch verurteilt ist schnell, eine rechtliche Aufarbeitung, vor allem eine internationale, hingegen fast unmöglich. Was also heisst es, wenn die Ukraine am Tag nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte Klage in Den Haag eingereicht hat? Zunächst gilt es zwei Dinge zu unterscheiden: Das holländische Den Haag ist Sitz von gleich zwei internationalen Gerichten – und an beiden kommen bezüglich der Ereignisse in der Ukraine Verfahren ins Rollen. Erstens am International Court of Justice ICJ. Das höchste rechtliche Organ der Vereinten Nationen beschäftigt sich mit Streitigkeiten zwischen Staaten. Konkret wehrt sich die Ukraine mit ihrer Beschwerde gegen die Behauptung Russlands, sie begehe im Osten des Landes einen Völkermord – und bezichtigt umgekehrt Russland des Völkermords. Der ICJ unter dem Vorsitz der US-­ Amerikanerin Joan E. Donoghue kann nach

Anhörung beider Seiten einzig darüber befinden, ob die Beschwerde berechtigt ist – eine Strafe verhängen kann er nicht. Sollte das Gericht zum Schluss kommen, der Grund für Russlands Einmarsch sei nichtig, müssten sich die russischen Streitkräfte zurückziehen. Tun sie es nicht, kann der ICJ den UN-Sicherheitsrat anrufen. Dort jedoch sitzen fünf Veto-Mächte, darunter Russland. Das zweite internationale Gericht in Den Haag ist der International Criminal Court ICC. Es ist für die vier Kernverbrechen des Völkerstrafrechts zuständig: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen. Verfolgt werden nicht Staaten, sondern Personen. Klagen können nicht direkt eingereicht werden, vielmehr können Staaten, Organisationen oder Einzelpersonen die Anklagebehörde des Gerichts ersuchen zu ermitteln. Kommt sie zum Schluss, dass ein Verbrechen vorliegt, wird Anklage erhoben. Bislang haben unter der Federführung Litauens 39 Länder den ICC angerufen, in Sachen Ukraine zu ermitteln, auch die Schweiz. Schon stellt der Chefankläger, der Brite Karim Khan, eine Anklage in Aussicht: «Wir können glaubhaft begründen, dass in der Ukraine Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind.» Nun werden erste Beweise gesichert. So schnell hat das Weltgericht noch nie gehandelt. Und gerade wird uns bewusst: Kriege wird es wohl immer geben. Umso wichtiger sind starke Institutionen, mit denen sie aufgearbeitet werden können. Y VONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin

in Zürich. 5


Verkäufer*innenkolumne

Jöööö

Es ist ruhig in der Bahnhofsunterführung zu Rapperswil, dort, wo ich meine Surprise-Hefte verkaufe. Ich trällere ein Liedchen vor mich hin und stelle den Kragen meiner Jacke. Es zieht. Ein paar Papierfötzelchen und ein grauer Staubball lassen sich von der Zugluft treiben. Etwas ist seltsam: Der Staubball macht auch gar zu komische Kapriolen. Er rollt nicht einfach synchron mit dem Durchzug. Ein abrupter Stopp, dann liegt er für kurze Zeit bewegungslos an Ort und Stelle, rollt mal nach links, mal nach rechts, mal vor und mal zurück. Der Antrieb für sein Tun kann nicht die Zugluft sein. Ich will dem Rätsel auf den Grund gehen und nähere mich dem Staubball. Jööö! Das ist gar kein Staubball. Es ist eine Maus. Hat sich doch tatsächlich eine Maus in die Bahnhofsunterführung zu Rapperswil verirrt.

ILLUSTRATION: NICOLE VÖGELI

Es kommt ein Zug, dann der nächste. Für die Maus, so scheu wie sie ist, wird es brenzlig, denn nun kommt Betrieb auf. Viele Menschen strömen in die Unterführung. Die Maus macht sich so klein wie sie nur kann, duckt sich und schmiegt sich mäuschenstill ganz eng an die Wand. Doch es wird ihr zu viel, ihre Angst wird zu gross. Kopflos und panisch rennt sie los und sucht verzweifelt nach einem Versteck. Ihre Flucht bleibt nicht unbemerkt. Entzückte Gesichter, entzückte Rufe: Jööö, schau

mal, eine Maus. Und wieder: Jööö, schau mal, eine Maus. Gross und Klein und Jung und Alt haben ihre helle Freude an dem kleinen Fellknäuel. Allenthalben: Jööö, schau mal, eine Maus. Die Maus hat keine Ahnung davon, dass sie zum Liebling der Menschen avanciert und dass ihr weiss Gott niemand auch nur ein Härchen ihres weichen Fells krümmen will. Am liebsten würde sie sich im Boden verkriechen, denn in der Bahnhofsunterführung zu Rapperswil gibt es kein Versteck, wo sie sichere Zuflucht finden könnte. So verkriecht sie sich in heller Angst und Panik, mit pochendem Herzen, begleitet von entzückten Blicken und Rufen, die ihr noch mehr Angst machen, fürs Erste notdürftig hinter einem Abfalleimer, um bei passender Gelegenheit schleunigst das Weite zu suchen. Ja, wir Menschen erfreuen uns an den kleinen Dingen, nicht an den grossen.

URS HABEGGER, 66, verkauft Surprise in der Bahnhofs­ unterführung von Rapperswil. Die kleine Maus hat ihm gezeigt: Freude ist für die Menschen eine Quelle der Kraft.

Die Texte für diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und Stephan Pörtner erarbeitet. Die ­­Illustra­tion zur Kolumne entsteht in Zusammenarbeit mit der ­Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.


ILLUSTRATION: RAHEL NICOLE EISENRING

Jedenfalls: Lawinen, Zug- und Strom­ ausfälle, zitterndes Frieren, obdachlose Menschen in der Kälte, die Bilder von Geflüchteten, die zu leicht bekleidet bei harschem Wind und Schnee über Grenzen stapfen, wenn sie es denn bis dahin schaffen – das ist die bittere Seite des Schnees. Ich werde ihnen von schneeverrückten Schweizer*innen erzählen, die so Sachen sagten wie: «Es gibt kein schlechtes ­Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung!» Vom gelben Schnee werde ich erzählen und davon, wie es ist, Namen ins Weiss zu pieseln. Die Tage, an denen die Strassen voll sind mit einer flotschigen grauen Masse, Schnee der Grossstadt, nachdem die Autos und der graue Feb­ ruar ihm schwer zugesetzt haben, so kurz ­bevor der Frühling kommt.

Moumouni …

… im Schnee «Weiss. Im besten Fall, auf die anderen Fälle werde ich noch eingehen», werde ich sagen, wenn die Generation meiner Urenkel*innen von mir wissen will, wie Schnee ist. Freudig, denn ich werde schon viele Jahre auf diese Frage gewartet haben, werde ich mit einem kleinen Vor­ trag über die Geräuschlichkeit von Schnee beginnen. Als Erstes ist es die Stille, die auffällt, während man warme, trockene Heizungsluft in den spröden Nasen­ höhlen an den Nasenhaaren vorbeikratzen spürt, aus dem kalten Fensterglas schaut und sieht, wie sich die Flocken den Lärm aus der Luft stehlen und fallen. Schnee dämpft und verlangsamt. Bald wird der Zug nicht mehr fahren. Am Strand in Rio de Janeiro gibt es Sand, der genau gleich unter den nackten Füssen knirscht wie dicke Schuhe in Schnee. Krrrtz krrrtz krrtz – gibt es Rio eigentlich noch? Wollt ihr von meiner Zeit in Amsterdam, der gesunkenen Stadt, hören? Surprise 521/22

Dann werde ich aus dem ewig vereisten Kühlfach im Kühlschrank (denn manche Dinge ändern sich nie) Eis hervor­ schaben – ratz ratz – und die Kinners dürfen es anfassen: befühlen, wie kalt es ist. Und wenn ich nicht mal wieder geschmackspotenten Bärlauch im ­ Frierer habe, können sie die Eisfachernte sogar probieren, um zu erfahren, wie er geschmeckt hat, der Schnee. Ich werde ihnen beibringen, dass die ­Assoziationen mit Schnee kontextabhän­ gig sind. Schnee fühlt sich gut an im Team­spirit einer guten Schneeballschlacht, beim Bestaunen eines Waldes mit den schweren Ästen, der unendlichen Vielfalt der Flocken («jede Flocke ist anders, hab ich mal bei Galileo gesehn»), Eis an den Wimpern und Nasenhaaren. Ski- oder Snowboardfahren gehörte nie zu meinen Hobbys, und dadurch, dass ich von Après-Ski-Partys nur gehört und nie selbst einer beigewohnt habe, sind sie mein persönliches Grauen.

Einmal, werde ich ihnen anvertrauen, nachdem ich ihnen einen Schwur ­abverlangt habe, dass sie das niemals weitererzählen, habe ich meine Hose nicht rechtzeitig aufgekriegt, als ich draussen urinieren musste. Die Hände waren gefroren und mein Reissver­ schluss so kalt. Irgendwann unterlag ich dem Harndrang und hatte danach Todesangst, dass ich mir mit der nun nassen Hose eine böse Blasenentzündung und gar die Cholera holen würde. Und Schneeengel, was hat es je Schöneres in der Welt gegeben? In der guten Jacke und schneefester Hose (unbedingt in den Socken steckend, sonst hat man Suppe im noch so wasserdichten Schuh). «Urgrossmutter, Urgrossmamá!», werden sie sagen, «Schnee ist so cool!» (wobei ich nicht glaube, dass man dann noch «cool» sagt). «Ja, wortwört­ lich», werde ich antworten, «schade, dass ihr das nicht mehr miterlebt habt.»

FATIMA MOUMOUNI

hat in letzter Zeit so wenig Schnee gesehen, dass sie dachte, sie müsse sich langsam auf obiges Szenario vorbereiten. (Ohne eine Schwangerschaft andeuten zu wollen.) 7


Früher PR-Beraterin, heute Peer: Andrea Zwicknagl, 51, begleitet Menschen mit Psychosen bei ihnen zuhause. 8

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Enthospitalisierung Menschen mit Psychosen werden häufig gegen ihren Willen und unter Gewaltanwendung weggesperrt. Wie könnten sie auch anders betreut werden?

Der ganz normale Wahnsinn Sie fühlte sich fürs Kloster berufen, doch andere hielten ihre Hingabe für Wahn. Heute kämpft Andrea Zwicknagl für einen neuen Umgang mit Psychosen. TEXT ANDRES EBERHARD

Es war, als würde sie gerufen. Und Andrea Zwicknagl, damals 31, PR-Beraterin aus Hamburg, Grossraumbüro, WG-Leben, Freund*innen, Kneipen, hörte hin. Sie fuhr in eine abgelegene Burg, bezog ihr Zimmer in der alten Benediktinerinnen-Abtei – und schwieg. Ein monastisches Leben ganz für Gott, allein und doch in Gemeinschaft. Die Probezeit dauerte sechs Wochen. Am ersten Tag zeigte ihr die Novizenmeisterin das Haus, ein Gespräch pro Woche; falls sie mehr brauche, solle sie sich melden. Ansonsten: Fünf Gebete pro Tag, ein Gottesdienst, Psalmensingen. Schweigend nebenein­ ander essen, vormittags den Abwasch machen, nachmittags spazieren, lesen, schreiben. Die Ruhe, das Alleinsein, die Spiritualität, die Gesänge, all das gefiel Zwicknagl sehr. Sie lebte in ihrer eigenen Welt. Sie sah die Heilige Maria, die schwesterlich auf ihrer Bettkante sass und sie unterstützte. Und als ihr während einer Kommunion Brot und Wein gereicht wurden, hielt sie den Wein für das Blut Christi. Dinge zu sehen, die andere nicht sahen, war in diesem Umfeld ziemlich normal. Ihre Hingabe war gross, fast grenzenlos. Die Eingebung, Nonne zu werden, so sagt sie es rückblickend, sei «wie sich verlieben». Von aussen wirkte das anders. Die Schwestern sahen eine Frau, die nicht mehr schlief, die tagsüber Mühe hatte, den täglichen Routinen nachzukommen, die teilweise in unverständlichen Zusammenhängen sprach. Sie machten sich Sorgen. Und brachten sie gegen ihren Willen in die psychiatrische Klinik der Nachbarstadt. In der geschlossenen Anstalt gab man ihr Medikamente. Eben noch eine vielversprechende Aspirantin, galt Andrea Zwicknagl nun vor allem noch als eines: psychisch krank. Dabei hatte sie in ihrem alten Leben noch nicht einmal einen Hausarzt gehabt. «Das war für mich das Schwierigste», erzählt Zwicknagl in einem Spitalbüro in Interlaken. «Über Nacht wurden all die für mich so bedeutenden Erfahrungen neu interpretiert.» Was eben noch Spiritualität war, nannten die Ärzt*innen nun Hirnstoffwechsel-Störung. Das im Kloster übliche freie Assoziieren, ihre übersinnlichen Eingebungen wurden zu Symptomen einer Psychose umgedeutet. Und ihre Berufung? Nicht mehr als eine Flucht vor der bösen Welt da draussen. Aus Sinn wurde Unsinn. Der Schritt von der Grossstadt ins Kloster sei sehr gross gewesen, sagt Zwicknagl. «Es war, als würde ich in einem mit Surprise 521/22

FOTO RUBEN HOLLINGER

Höchstgeschwindigkeit fahrenden ICE auf 0 abbremsen.» Sie sieht, dass sie damals Hilfe brauchte. Aber die Einweisung schnitt nicht nur das Band zu dem Klosterleben, das ihr so viel bedeutete, durch. «Es nahm mir die Deutungshoheit über mein Leben.» Sie glaubt, dass Gespräche ihr mehr hätten helfen können als Medikamente. Es wäre, so sagt sie, einfach zu entwirren gewesen, was zu der Psychose geführt hatte: ein Familientrauma, das sie beschäftigte, sowie ihr Eifer im Kloster. Doch in der psychiatrischen Klinik suchte niemand den Dialog. Psychiater*innen gehen, so lernen sie es in der Ausbildung, nicht darauf ein, worüber eine Person in psychotischem Zustand spricht. Das ist ein Fehler, denkt Zwicknagl heute. Nach dem Gespräch im Spitalbüro geht Zwicknagl nach draussen, an der Sonne dreht sie sich eine Zigarette. Zwanzig Jahre nach ihrem «Kloster-Trip», wie sie die Zeit heute selbstironisch nennt, und nach weiteren psychotischen Schüben und Klinikaufenthalten kann Zwicknagl ihre Erfahrungen in Worte fassen. Sie kennt die Klinik mittlerweile aber nicht nur als Patientin, sondern auch als Mitarbeiterin. Als Peer hilft sie anderen Menschen in «veränderten Zuständen», wie sie es nennt. «Manchmal springen die Menschen darauf an, wenn sie merken, dass jemand am Tisch sitzt, der Ähnliches durchlebt hat», sagt sie. Am runden Tisch Die Peer-Weiterbildung war ein Wendepunkt im Leben der heute 51-Jährigen. Plötzlich waren die Erfahrungen, die ihr lange komplett nutzlos schienen, etwas wert. Als Zwicknagl die Ausschreibung für die anderthalbjährige Weiterbildung las, konnte sie es kaum glauben. Gesucht wurde jemand, der «Erfahrung mit psychischen Krisen» mitbringt. Am ersten Tag des Praktikums auf einer geschlossenen Station, das zum Lehrgang gehörte, postete sie ein Selfie auf Facebook: mit Stationsschlüssel und Namensschild in der Hand. Das Motiv hatte Symbolkraft: Sie konnte kommen und gehen, wann sie wollte. Für Zwicknagl war bisher das Gegenteil selbstverständlich gewesen. «Ich hatte wirklich die Seiten gewechselt», sagt sie. Hier im Berner Oberland passiert seit einigen Jahren etwas schweizweit Einzigartiges: Die Psychiatrie des Spitals verfolgt einen anderen Ansatz, wie Menschen in psychischen Krisen begegnet werden kann. Als Alternative zur stationären Einweisung 9


wird versucht, den Menschen in den eigenen vier Wänden respektive in deren eigenem Umfeld zu helfen. Die Psychiatrie des Spitals Interlaken deckt ein Gebiet mit 60 000 Menschen ab – von Gadmen bis Spiez, von Guttannen bis Brienz. Patient*innen gibt es quer durch die Gesellschaft: Tourist*innen mit Panikattacken auf dem Jungfraujoch, Landwirt*innen aus dem Bergdorf, urbanere Leute aus Interlaken oder Asylbewerber*innen aus dem Durchgangszentrum. Ruft eine Person mit einer akuten Psychose an, fahren zwei Mitarbeitende der mobilen psychiatrischen Krisenbegleitung noch am selben Tag zu ihr nachhause. Das zehnköpfige Team besteht aus geschulten Psycholog*innen, Psychiater*innen, Pflege- und Sozialmitarbeitenden sowie Peers wie Andrea Zwicknagl. An einem runden Tisch sprechen alle mit allen. Das Konzept nennt sich Open Dialogue und hat das Potenzial, den Umgang mit akuten Psychosen und Schizophrenie auf den Kopf zu stellen. Denn es könnten ethisch heikle Zwangseinweisungen verhindert, Integrationschancen erhöht, Angehörige gecoacht und Kosten gespart werden. Es bräuchte aber ein radikales Umgestalten der psychiatrischen Organisation (siehe Beitexte und Interview). Genügend Leerzeiten Heute lebt Zwicknagl ausgeglichener. Sie wohnt wieder in einer WG, aber in Bern statt in der Grossstadt Hamburg. Sie praktiziert noch immer ihre Religion, aber «alltagsgebunden», wie sie sagt. Sie arbeitet auf Abruf 15 bis 20 Prozent als Peer, daneben bezieht sie eine IV-Rente. So hat sie genügend Leerzeiten, um zu sich zu schauen. Ein ICE mit normaler Geschwindigkeit sozusagen. Ihre psychotischen und schizophrenen Zustände ist Zwicknagl zwar nicht los. Aber sie hat gelernt, mit den Besonderheiten ihrer Psyche umzugehen. Gemäss Open Dialogue sind Psychosen Reaktionen auf unerträgliche und ungelöste Lebensprobleme. Sie versuche, Konflikte und Spannungen wahrzunehmen und zu lösen, bevor ihre Psyche in den Sondermodus schaltet. «Meine Psyche hat die Fähigkeit, Dinge, mit denen sie im Normalbewusstsein nicht umgehen kann, auf einer anderen Ebene zu lösen.» Zwicknagl ist das, was man eine ANDREA Z WICKNAGL Aktivistin nennt, auch wenn sie sich an den Begriff gewöhnen müsse, wie sie sagt. Sie postet regelmässig in sozialen Medien, hält Vorträge an Konferenzen und gibt Workshops. Und kämpft dafür, Psychosen und Schizophrenie mit mehr Gesprächen und weniger Zwangsmassnahmen und Psychopharmaka zu begegnen. Zwangseinweisungen hat Zwicknagl selber mehrfach erlebt. Es sind keine schönen Bilder. Sie erinnert sich an ein vergittertes Polizeiauto und einen Fahrer mit dicken, gegen Bisse geschützten Handschuhen. Sie selber sei auf der Rückbank gesessen und habe leise fromme Lieder gesungen, so Zwicknagl. Psychiatrische Kliniken wiederum bezeichnet sie als «verrückte Orte mit verrückten Menschen», wobei sie das nicht einmal abwertend meint. «Es gibt nicht viele Orte auf dieser Welt, wo man noch verrückt sein darf.» Vielleicht ist genau das der Punkt: Auch die Welt ausserhalb der Klinikmauern ist nicht normal. Wir tun nur so, als ob.

«Es gibt nicht viele Orte auf dieser Welt, wo man noch verrückt sein darf.»

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Dialog statt Zwangsmassnahmen Das Beispiel Finnland zeigt, dass mit dem Konzept Open Dialogue mehr Menschen nach einer Psychose wieder arbeiten können. Open Dialogue ist eine Behandlungsmethode bei akuten Psychosen. Kern sind Netzwerktreffen an einem runden Tisch, an denen neben Patient*in und psychiatrischen Profis auch Angehörige, Freund*innen, Nachbar*innen oder Arbeitskolleg*innen teilnehmen – je nach Situation. Die Treffen finden in der Regel bei den Patient*innen zuhause, auf Wunsch auch im Spital oder an einem neutralen Ort statt. Ziel ist es, im Dialog alle Perspektiven anzuhören und ernst zu nehmen. Die Treffen werden bei Bedarf wiederholt. Die Gespräche selbst sollen bei den Betroffenen «anti-psychotisch» wirken und bestenfalls Zwangs­ einweisungen und -behandlungen verhindern. Aus­ serdem wird die Autonomie der Patient*innen gewahrt, weil nichts hinter ihrem Rücken passiert. Ziel der Methode ist auch eine Stärkung des persönlichen Netzwerks der Betroffenen. Open Dialogue sei keine Neuerfindung der Psychiatrie, sagt Sabrina Müller, leitende Psychologin an den Spitälern fmi in Interlaken. «Wir arbeiten mit denselben Werkzeugen.» Anders sei die Haltung gegenüber Betroffenen. Die klassische Psychologie rät davon ab, inhaltlich darauf einzugehen, was in einem psychotischen Zustand gesagt wird. «Auch wenn es manchmal wirr und unverständlich klingt, stecken dahinter oft wichtige Informationen zu möglichen Ursachen der Krise», so Müller. «Im Dialog versuchen wir gemeinsam, neue Worte dafür zu finden.» Dass Open Dialogue eine ernstzunehmende und effiziente Behandlungsmethode sein kann, zeigt das Beispiel Finnland. Dort wurde Open Dialogue in den 1980er-Jahren erfunden. In der Region Tornio arbeitet heute das gesamte psychiatrische System nach dieser Methode. Untersuchungen zeigten, dass es 75 Prozent der Menschen nach einer Psychose zurück an ihren Arbeitsplatz schafften – viel mehr als je zuvor. Die Weltgesundheitsorganisation hat Open Dialogue kürzlich als Best-Practice-Beispiel bezeichnet. Zwar verbreitet sich die Methode langsam auch in anderen Regionen der Welt. Für einen wirklichen Durchbruch bräuchte es aber eine neue Organisation – und damit auch Finanzierung – der psychiatrischen Versorgung hin zu mehr ambulanten Angeboten. EBA Surprise 521/22


«Die Schweiz hat eine Tradition zum fürsorglichen Zwang» Viele psychisch kranke Menschen würden gegen ihren Willen in Kliniken eingewiesen, kritisiert der Berner Professor Dirk Richter. Grund dafür seien finanzielle Fehlanreize.

Dirk Richter, die meisten psychisch kranken Menschen möchten lieber zuhause als in einer Klinik behandelt werden. Finden Sie das eine gute Idee? Dirk Richter: Unbedingt. Das würde auch den rechtlichen Vorgaben entsprechen: Die Schweiz hat die Behindertenrechtskonvention der UNO unterzeichnet. Damit soll verhindert werden, dass psychisch kranke Menschen von der Gesellschaft ausgeschlossen werden – was in geschlossenen Kliniken fast zwangsläufig passiert. In einer Untersuchung konnten wir feststellen, dass über 70 Prozent der schwer psychisch Kranken keine Arbeit haben und dass 60 Prozent nie an sozialen oder kulturellen Aktivitäten teilnehmen. Ich betone: nie. Das muss man sich einmal vorstellen.

FOTO: ZVG

In Heime gesperrt wie früher werden psychisch Kranke aber nicht mehr. Klar, die Zustände in betreuten Heimen sind heute viel besser. Fakt ist aber, dass psychisch kranke Menschen in Akutsituationen nach wie vor viel zu oft in geschlossene Anstalten eingewiesen werden. Das war nicht die Absicht. Ab den 1950er-Jahren gab es weltweit einen Trend zur Enthospitalisierung. Ziel war es, die Menschen aus den Spitälern und den Heimen zu entlassen.

Professor Dirk Richter, 60, ist ausgebildeter Pflegefachmann und promovierter Soziologe. Er arbeitet und forscht an der Berner Fachhochschule und bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. Als seine Arbeitsschwerpunkte bezeichnet er die psychiatrische Rehabilitation, die Epidemiologie und die Pflege. In mehreren wissenschaftlichen Artikeln beschäftigte er sich mit der Frage, wie die Wohnversorgung für Menschen mit psychischen Problemen am besten organisiert werden kann. Zuletzt setzte er sich mit der aktuellen Corona-Pandemie auseinander. In Aufsätzen beschrieb er den Umgang von Staaten mit Covid-19 im Vergleich zu vergangenen Epidemien und Pandemien. Zudem stellte er Hypothesen auf, die dabei helfen sollen, Long Covid besser zu verstehen. EBA

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Weil es günstiger war? Nicht nur. In den USA spielte das Geld sicher eine wichtige Rolle. In Europa weniger. Ziel war, die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Der moralische Impetus war also gut. Doch heute muss man sagen, dass dieser Versuch der Integration gescheitert ist. Was ist schiefgelaufen? Man war naiv und dachte, dass sich Integration in den Gemeinden quasi von alleine ergibt, wenn die Menschen aus den Heimen entlassen werden. Doch die Gesellschaft hatte sich stark verändert, war hochindividualisiert geworden, und die Bauern- oder Arbeitermilieus, wo man zueinander schaute, existierten nicht mehr. Zudem wurde wohl etwas zu stark auf die damals neuen Psychopharmaka vertraut. In den USA landeten viele psychisch Kranke in Pflegeheimen, Gefängnissen oder auf der Strasse. In Italien entwickelte sich ein neuer, privater Heimsektor, wo die Lebensbedingungen viel schlechter waren. Anderswo bildeten sich rund um psychiatrische Kliniken regelrechte ambulante Ghettos. Dort wohnten ausschliesslich Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diese kamen nur miteinander und mit Pflegepersonal in Kontakt. Sie lebten zwar ausserhalb der Mauern, waren aber immer noch von der «Normal-Gesellschaft» ausgeschlossen. Wie war die Situation in der Schweiz? Um derart dramatische Zustände kamen wir herum. Das hat damit zu tun, dass diese Enthospitalisierung langsamer voranging als anderswo. Italien zum Beispiel baute fast 80 Prozent seiner Klinikbetten ab, die Schweiz lediglich rund 20. Schleichend stellt sich nun ein Gegentrend ein. Die Zahl von stationären Betten für psychisch Kranke nimmt wieder zu. Es sind einfach keine Massen-Anstalten mehr wie früher, sondern spezifische betreute Wohnheime. Mancherorts wurde lediglich das Türschild ausgewechselt. Diese Entwicklung wird leider viel zu selten kritisch hinterfragt. Ist es eine Illusion, dass wir Inklusion erreichen, indem wir Kliniken schliessen? Nein. Die Enthospitalisierung war damals einfach falsch aufgegleist worden. Es wäre naiv zu glauben, wir könnten die Menschen einfach sich selbst überlassen, wenn wir die Heime schliessen. Es braucht dringend ambulante 11


Angebote. In der Schweiz gibt es heute viel zu viele stationäre Betten für psychisch kranke Menschen. Ausserdem kommt es im internationalen Vergleich zu sehr vielen fürsorglichen Zwangseinweisungen. Die Schweiz hat eine Tradition des fürsorglichen Zwangs, das zeigt ja auch das bekannte Beispiel der Verdingkinder.

Alternativen wie dem Home Treatment ist es jedoch schwierig, dass die Rechnung aufgeht. Zudem ist es ein Stück weit Einstellungssache: Viele Mitarbeitende tun sich schwer damit, Menschen in Krisen ausserhalb der Station zu betreuen. Dasselbe gilt für Angehörige. Diese sind erfahrungsgemäss eher zu Zwangsmassnahmen bereit.

Was wären Alternativen? Home Treatment, also die ambulante Behandlung zuhause. Ein Team, bestehend aus Fachärzt*in, Pfleger*in und eventuell Sozialarbeitender, besucht Betroffene bis zu zweimal täglich zuhause und versucht die Situation zu bewältigen, ohne dass es zu einer Einweisung kommt (siehe Text Seite 9). Es gibt natürlich Situationen, in denen das nicht funktioniert, etwa bei suizidalen Entwicklungen oder wenn Kinder im Haushalt sind und die Gefahr von Aggressionen besteht. Aber in vielen Fällen funktionieren solche systemischen Interventionen, wo sich alle gemeinsam an einen Tisch setzen, sehr gut.

Ist «ambulant vor stationär» im Gesundheitswesen nicht das Gebot der Stunde? In der Theorie ja. Es gibt viele Gründe, in der Psychiatrie genau diesen Weg einzuschlagen: Ambulante Behandlungen kommen den Präferenzen der Betroffenen entgegen, entsprechen den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention, verhindern, dass psychisch Kranke von der Gesellschaft ausgeschlossen werden und sind volkswirtschaftlich erst noch günstiger. Jedoch bestehen fast schon perverse Fehlanreize: Die Kantone subventionieren die stationären Kliniken, indem sie die Hälfte der Kosten übernehmen. Für ambulante Unterstützung geben aber viele so gut wie nichts aus. Es gibt Ausnahmen. Der Kanton Bern übernimmt gewisse Kosten von ambulanten Angeboten, zum Beispiel jene für den Weg zu den Patient*innen. Das wünsche ich mir möglichst überall.

Wo liegen die Hürden? Die sind primär finanzieller Art. Mit einem Klinikbett lässt sich in der Schweiz gutes Geld verdienen. Bei ambulanten

Zwangseinweisungen pro Tausend Einwohner*innen Schweiz

2,82

Österreich

2,27

Australien

TG BS

1,73

Deutschland

SG

1,55

Niederlande

VD

Finnland

1,51

GR

Norwegen

1,51

GL

LU BE

1,16

Schweden

TI

1,08

Grossbritannien

SO AG

0,98

Schottland

ZG

0,79

Griechenland

AR

0,73

Neuseeland

UR

Dänemark

OW

0,59

NW

0,55

Irland Portugal

JU VS

0,18

NE

0,15 0,5

0,72 0,72

AI

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

Im internationalen Vergleich gibt es nur in Österreich und Australien mehr Zwangseinweisungen als in der Schweiz. 12

1,25 1,19 1,12 1,00 0,93 0,90

BL

0,64

Belgien

0,0

SZ

1,22

Spanien

Italien

FR

1,40

Frankreich

2,18 2,06 2,05 1,92 1,90 1,86 1,80 1,73 1,71 1,71 1,68 1,66 1,66 1,60 1,60 1,48 1,48

SH GE

1,8

Schweiz

2,72

ZH

0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

Warum die Zahlen (hier im Jahr 2020) in den Kantonen so unterschiedlich hoch sind, ist nicht ganz klar. Surprise 521/22

QUELLEN: SCHWEIZERISCHES GESUNDHEITSOBSERVATORIUM (OBSAN), BMC PSYCHIATRY

International


Immer mehr Zwangseinweisungen Fachleute kritisieren einen zu laxen Umgang mit einem Entscheid, der Grundrechte tangiert.

15 982 Menschen wurden im Jahr 2020 in der Schweiz gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Klinik fürsorgerisch untergebracht. Das sind rund zehn Prozent mehr Zwangseinweisungen als noch im Jahr zuvor und total über 2000 mehr als im Vor-Corona-Jahr 2018 (siehe Grafik Seite 19). Der Trend zu mehr Zwangseinweisungen ist auch in anderen Ländern zu beobachten. Fachleute erklären das mit einer Zunahme von älteren, dementen Personen sowie mit der Pandemie. Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt, dass in der Schweiz relativ viele Zwangseinweisungen ausgesprochen werden: 1,8 pro 1000 Einwohner*innen. Das Wissenschaftsmagazin The Lancet hat 2019 die Daten verschiedener Länder ausgewertet. Dabei wiesen nur zwei der 19 untersuchten Länder einen höheren Wert auf: Österreich und Australien. Am anderen Ende der Skala wurden in Italien und Portugal rund zehnmal weniger Menschen gegen ihren Willen in eine Klinik eingewiesen. Generell kam es in eher reichen Ländern mit hoher Immigrationsrate tendenziell zu mehr Zwangseinweisungen. Traumatisierend und entwürdigend «Die Anzahl an Zwangseinweisungen muss massiv reduziert werden», fordert Caroline Gurtner von Pro Mente Sana, der Stiftung für psychische Gesundheit. Viele Betroffene würden den Freiheitsentzug, oft unter Polizeigewalt, als traumatisierend, entwürdigend, teilweise beschämend erleben. «Manche brauchen jahrelang, um diese Situationen aufzuarbeiten.» Die Pro Mente Sana arbeitet derzeit an einem Positionspapier zum Thema. Ambulante Angebote müssten ausgebaut und alle mit der Umsetzung zuständigen Stellen (Ärzt*innen, Polizei, KESB, Ambulanz) sensibilisiert werden. «Zwangseinweisungen sind ein extremer Akt gegen grundlegende Freiheitsrechte und sollten nur als Ultima Ratio eingesetzt werden.» In der Praxis aber würden Alternativen, wie vom Gesetz vorgeschrieben, zu wenig geprüft. Seit Jahren kritisieren auch Anwält*innen den zu laxen Umgang mit dem Gesetz. Ärzt*innen sollten nicht allein nach medizinisch-psychiatrischen Kriterien Grundrechte einschränken dürfen, argumentieren sie. Es brauche für sie entweder juristische Schulungen, ansonsten müssten beim Einweisungsentscheid Anwält*innen beigezogen werden. Warum in der Schweiz so viele Zwangseinweisungen angeordnet werden, ist nicht klar. Die Unterschiede lassen Surprise 521/22

sich auf jeden Fall nicht mit strengen oder lockeren rechtlichen Voraussetzungen für fürsorgerische Unterbringungen erklären, wie die Studie in The Lancet zeigt. Signifikant war aber der Zusammenhang zwischen der Anzahl verfügbarer Klinikbetten in einem Land und der Anzahl angeordneter Zwangseinweisungen. Heisst: Wo Betten für Psychiatriepatient*innen vorhanden waren, wurden sie eher genutzt. Fachleute wie der Berner Professor Dirk Richter fordern darum den Abbau psychiatrischer Spitalbetten zugunsten von mehr ambulanten Angeboten (siehe Interview Seite 11). Ganz erklärt werden können die grossen Unterschiede zwischen den Ländern damit jedoch nicht. Die Autor*innen vermuten, dass auch in der Studie nicht berücksichtigte kulturelle Faktoren eine Rolle spielen. Damit sind beispielsweise Anstrengungen der Zivilgesellschaft gemeint, Betroffene wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Zürich ist Schweizer Spitzenreiter Die Unterschiede bei der Häufigkeit von Zwangseinweisungen sind auch innerhalb der Schweiz signifikant. Spitzenreiter ist Zürich, viermal weniger Fälle verzeichnen Appenzell Innerrhoden und Neuenburg. Allerdings ist die Vergleichbarkeit begrenzt. Urbanere Regionen haben tendenziell höhere Werte: Erstens, weil Menschen mit psychischen Problemen eher in die Stadt ziehen, da sie die soziale Kontrolle auf dem Land nicht mehr ertragen. Und zweitens, weil es in urbanen Regionen mehr Angebote und Dienste gibt, womit Betroffene den Fachleuten eher auffallen. Dass aber Basel-Stadt (1,92 pro 1000 Einwohner*innen) einen deutlich niedrigeren Wert ausweist als Zürich (2,72), sehen Fachleute als Indiz dafür, dass die unterschiedliche rechtliche Praxis eben doch ein Grund für die Unterschiede sein könnte. In der Schweiz ist nämlich nicht einheitlich geregelt, wer Personen gegen ihren Willen einweisen darf. Neben der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) sind dies Ärzt*innen – in manchen Kantonen wie Basel-Stadt nur solche des zuständigen kantonalen Dienstes, in anderen wie Zürich sämtliche zugelassenen. Theoretisch kann dort ein Augenarzt eine auffällig gewordene Person einweisen. Aufgrund der grossen kantonalen Unterschiede bezeichnete das juristische Fachmagazin Plädoyer die hiesige Rechtspraxis als «hemdsärmelig». EBA 13


Seit Jahren unter Beschuss Ukraine In der Ukraine wütet der Krieg, Millionen sind auf der Flucht, die Solidarität

mit der Bevölkerung ist gross. Was dabei in Vergessenheit gerät: Im Osten des Landes sind blutige Konflikte für die Menschen schon seit Jahren zum Alltag geworden. TEXT KLAUS PETRUS

FOTOS KLAUS PETRUS UND ROLAND SCHMID

Während ich diese Zeilen schreibe – es ist Anfang März –, bin ich auf dem Weg an die ungarisch-ukrainische Grenze. Seit Putins Angriff auf die Ukraine am 24. Februar sind bereits weit über eine Million Menschen auf der Flucht: nach Polen, Moldawien, Rumänien, in die Slowakei und eben auch nach Ungarn. Viele sind in Panik, alle in Sorge: um sich selbst, um ihre Liebsten, um Verwandte und Bekannte, die verstreut in der ganzen Ukraine leben, um ihre Nation. Anteilnahme und Solidarität in anderen Ländern sind gross, ebenso das Entsetzen darüber, wie so etwas passieren konnte. Dabei herrscht in der Ukraine nicht erst seit diesem 24. Februar Krieg. Nach den Maidan-Protesten im November 2013 in Kyiv nahm Wladimir Putin im März 2014 die Halbinsel Krim ein und sicherte wenig später den prorussischen Separatisten im Donbas im Osten der Ukraine seine unbedingte Unterstützung zu. Daraufhin besetzten diese die Gebiete um Donetsk und Luhansk und riefen sie als unabhängige Volksrepubliken aus. Als Reaktion schickte die ukrainische Regierung ihr Militär in die Ostukraine. Der seit damals andauernde Krieg trieb 1,5 Millionen Menschen in die Flucht und forderte 13 000 Tote, unter ihnen 3300 Zivilist*innen – die Opfer seit diesem Februar nicht mitgezählt. Im Reden über den Krieg gehen meist die Menschen im Krieg vergessen. Oder sie werden zu einem stummen Kollektiv. Wie oft ist dieser Tage etwa von «den» Russen die Rede, wo man eigentlich einen Machtführer oder ein politisches Regime meint, das wieder einmal das Völkerrecht bricht? Zugehörigkeiten fallen leichter, wenn man die Menschen – als einzelne – aus dem Blick nimmt. Auch davon ist jetzt wieder zu hören: von einem Kampf zwischen «Ost» und «West», von einem Angriff auf «Europa». Dass damit keine geografische Zuordnung gemeint ist, sondern ein «wir» gegen «die anderen», ist unbestritten. Der britische Politiker Daniel Hannan schrieb jüngst in einer Kolumne: Schockierend an diesem Krieg sei, dass die Ukrainer*innen «uns so ähnlich sind». Seine Einsicht daraus: «Der Krieg kann auch uns treffen.» Und David Sakvarelidze, ehemaliger Sicherheitsbeauftragter der ukrainischen Regierung, meinte nach einem Raketenangriff der russi14

schen Armee gegenüber der BBC: «Hier werden Europäer*innen mit blauen Augen und blondem Haar getötet.» So befremdend derlei rassistische Aussagen sein mögen, natürlich sollen sie nicht davon abhalten, Stellung zu beziehen. Nur laufen Solidaritätsbekundungen, die auf einem «wir gegen sie» bauen, letztlich Gefahr, Kriegstreiber wie Putin in dem zu bestärken, was sie sowieso am besten beherrschen: im Spiel mit Feindbildern, die sich in den Köpfen der eigenen Leute einnisten und den anderen alles Menschliche nehmen sollen. So fällt Krieg leichter. Knoblauch und Krieg Als der Fotograf Roland Schmid und ich beschlossen, in die Ostukraine zu reisen, interessierte uns nicht so sehr das geopolitische Gemenge oder der immer wieder herbeizitierte «Krieg der Mentalitäten» zwischen dem «russischen Volk» und seinem «kleinen Bruder», der Ukraine. Wir wollten erfahren, was die Menschen umtreibt, ob Soldaten oder Zivile. Die Bilder, entstanden 2019 und 2020, stammen von beiden Seiten dieses Krieges ohne Ende: aus dem prorussischen Gebiet (Bilder Roland Schmid) und dem regierungskontrollierten Teil der Ukraine (Klaus Petrus). Hier wie dort sind wir Menschen begegnet, die – ungeachtet ihrer politischen Haltung – am Ende dieselben Sorgen haben: kaum Jobs für die Jungen, magere Renten für die Alten, dazu eine marode Infrastruktur mit kaputten Strassen und zerfallenen Häusern sowie Schüsse, Sprengsätze und Sirenen fast jeden Tag. Eine von ihnen ist Yuliya Vasilevna Horuzhevskaya. Als wir die damals 80-Jährige in Luhanske, einem kleinen Dorf nahe der Front, besuchten, tischte sie uns Knoblauchbrote auf. Sie erzählte aus dem Leben, von ihren Liebschaften und ihren Kartoffeln (angeblich die besten im ganzen Land), und meinte dann: «Mag diesen Krieg gewinnen, wer will, es ist mir egal. Hauptsache, er hört auf.»

Hintergründe im Podcast: Radiojournalist Simon Berginz befragt Klaus Petrus zum Ukraine-Krieg. surprise.ngo/talk Surprise 521/22


Bild oben (Klaus Petrus): Lehrerzimmer einer Schule in Marinka. Bild unten (Roland Schmid): Souvenirshop in Donetsk – Niemals werden Kriege nur auf Schlachtfeldern geführt, sie spielen sich immer auch in den Köpfen der Menschen ab. Dabei entstehen Feindbilder selten über Nacht, sie sind vielmehr das Produkt einer ausgefeilten Propaganda, die sich alteingesessene Vorurteile zunutze macht. Auch in der Ukraine werden sie fast nach Belieben aktiviert, zu allererst von Nationalist*innen und Kriegstreiber*innen, und zwar hüben wie drüben; sie legen immer wieder mal ein kleines Feuer, doch sie wollen den grossen Brand.

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Bild oben (Klaus Petrus): Verlassenes Haus in Katerinivka. Bild unten (Roland Schmid): Verlassenes Haus in Spartak – Eine halbe Million Menschen lebte entlang der heutigen Demarkationslinie in Dörfern und Kleinstädten. Wie viele es heute noch sind, acht Jahre nach Kriegsausbruch, weiss niemand genau. 80 000 vielleicht? Die meisten mussten damals fliehen, ihre Häuser stehen verlassen da, manche wurden geplündert. Und die, die geblieben sind, leben schon wieder in Angst und unter Beschuss.


Bild oben (Klaus Petrus): Schule in Marinka. Bild unten (Roland Schmid): Schule in Donetsk – «Gute und schlechte Ukrainer*innen» – Vorurteile auf beiden Seiten werden bis heute auch in die Schulen hineingetragen. Dazu kommt die Propaganda aus dem Fernsehen und Radio. Orte, wo sich die Kinder und Jugendlichen gemeinsam treffen und kennenlernen können, gibt es nicht. Das würde womöglich helfen, Vorurteile abzubauen. Die Schüler*innen in Marinka auf der westlichen Seite des Donbas haben sich längst an das Geräusch von Schüssen und Sirenen während des Unterrichts gewöhnt; derweil bekommen jene in Donetsk auf der östlichen Seite Uniformen für die jährliche Siegesparade.


UKRAINE

BELARUS

RUSSL AND

POLEN

A

REGION

KYI V

REGION

UKRAINE

LUHANSK RUMÄNIEN

Zivilist*innen und Soldaten auf beiden Seiten gab es Tote und Verletzte.

D

B

LUHANSK

KRAMATORSK

Spartak G war vor dem Krieg 2014 eine geschäftige Kleinstadt mit 5000 Einwohner*innen, einer grossen Sowchose und einer italienischen Konservenfabrik, in der Tomatenpaste produziert wurde. 2020 gab es dort noch 37 Haushalte.

REGION DONETSK

AVDIIVKA SPARTAK MARINKA

DONBAS F G C

E

H

DONETSK

Wegen des andauernden Beschusses durch die ukrainische Armee lebten zeitweise viele Familien in Luftschutzkellern aus dem Zweiten Weltkrieg ausserhalb der Trudovskyi-Kohlenmine in Petrovskyi H . Die Mine wurde wegen der heftigen Kämpfe geschlossen, viele Minenarbeiter verloren ihre Arbeit.

PETROVSKYI

RUSSLAND

von prorussischen Separatisten kontrolliertes Gebiet (Donbas)

MARIÚPOL

Demarkationslinie Grenze unter Kontrolle der ukrainischen Regierung Grenze unter Kontrolle prorussischer Separatisten

ASOWSCHES MEER 0

Chronik eines Krieges Nach Protesten auf dem Maidan-Platz in Kyiv A im November 2013 gegen den prorussischen Präsidenten Viktor Yanukovych und der Abspaltung der Halbinsel Krim kam es zu anhaltenden Unruhen auch in der Ostukraine. Im September 2014 wurde im Rahmen des Minsker Abkommens ein erster Waffenstillstand beschlossen, der bis heute aber immer wieder gebrochen wird – mit im Schnitt 300 000 Schusswechseln pro Jahr. Im April 2014 begann die ukrainische Armee ihren Einsatz in der Ostukraine und gewann die Industriestadt Kramatorsk B

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östlich von Donetsk zurück; es war dies der Start der Anti-Terror-Operation. Nach Absetzung von Viktor Yanukovych im April 2014 machten prorussische Separatisten in der Ostukraine mobil, besetzten die Regierungsgebäude in Donetsk C und Luhansk D und riefen nach einem Referendum noch im selben Monat zuerst die Volksrepublik Donetsk (DNR) aus, dann die Volksrepublik Luhansk (LNR). In beiden Fällen sprachen sich über 90 Prozent der Bevölkerung für die Autonomie ihrer Region aus. Im Mai wurde der prorussische Oligarch Petro Poroshenko mit 55 Prozent

KRIM

100 KM

Stimmen zum ukrainischen Präsidenten gewählt.

gebrochen, so etwa bei einem schweren Angriff im Juni 2015 auf die Stadt Marinka E

Die Demarkationslinie zum Donbas wurde im Zuge des zweiten Minsker Waffenstillstandsabkommens im Januar 2015 gezogen und ist ca. 450 Kilometer lang. Entlang der Frontlinie leben hüben wie drüben meist nur noch alte Leute, die keine Alternative haben. Man schätzt, dass noch 80 000 Menschen in dieser «Grauzone» leben, vor dem Krieg waren es Hundertausende.

unmittelbar an der damaligen Frontlinie. Immer mehr Menschen flohen daraufhin aus der sog. «Grauzone» in die grösseren Städte. Insgesamt sind bis Februrar 2022 1,5 Millionen Ukrainer*innen als Binnengeflüchtete registriert, davon 30 Prozent über 65 Jahre.

Die Waffenstillstandsabkommen von 2014 und 2015 (Minsk I und II) wurden mehrfach

2017 kam es wieder zu vermehrten Auseinandersetzungen zwischen der ukrainischen Armee und prorussischen Separatisten in der Kleinstadt Avdiivka F , die zwischen den Fronten liegt; die Bewohner*innen wurden evakuiert, unter

Bei der Präsidentschaftswahl 2019 wurde Poroshenko durch den Schauspieler und Komiker Volodymyr Zelensky abgelöst. Er gilt vielen als Hoffnungsträger für eine befriedete und stabile Ukraine, im Osten des Landes steht man seiner westlichen Haltung skeptisch gegenüber. Im April 2021 kam es zu den massivsten Truppenbewegungen der russischen Armee seit Ausbruch des Ukraine-Krieges 2014, über 90 000 russische Soldaten befanden sich an der Grenze zur Ukraine und führten Übungsmanöver aus. Im November wurde das Kontingent aufgestockt, woraufhin der US-amerikanische Präsident Joe Biden dem russischen Präsidenten Wladimir Putin mit wirtschaftlichen Sanktionen drohte. Im Februar 2022 anerkannte Putin die prorussischen Separatistenrepubliken Donetsk und Luhansk als unabhängige Staaten, entsendete Truppen in den Donbas und erklärte der gesamten Ukraine den Krieg.

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GRAFIK: BODARA GMBH

CHARKIW


Bild oben (Klaus Petrus): Vorratskeller eines Hauses in Katerinivka westlich des Donbas. Bild unten (Roland Schmid): Luftschutzkeller bei Donetsk – Sich parat halten für harte Zeiten, die immer da sind. Viele, die in den Dörfern entlang der beiden Seiten der Demaraktionslinie geblieben sind, haben Mühe, ihr Obst, Gemüse oder Eingemachtes auf den umliegenden Märkten zu verkaufen. Die meisten sind in die Städte gezogen. Oder sie müssen sich, wie Ljudmila Nikolaevna und Galina Vashnevna, seit Jahren in einem Luftschutzkeller aus dem Zweiten Weltkrieg verkriechen, die Angst ist ihre ständige Begleiterin. Als der Krieg kam, habe sich die ganze Welt für den Donbas interessiert, dann seien sie einfach vergessen worden – so hört man es auf beiden Seiten. Auch heute blicken alle auf die Ukraine. Doch was wird in ein paar Monaten sein?


Bild oben (Klaus Petrus): Oleksandr Ivanovich, 81, und seine Frau Valentina Pavlova, 69, wohnhaft in Stanitsa Luhanska, fünf Kilometer vom Separatistengebiet entfernt. Bild unten (Roland Schmid): Valentina, Oleksandr und Svetlana im Gemeindezentrum von Spartak – «Jeder Mensch hat nur ein Vaterland, und meines ist die Ukraine, denn hier ist unsere Tochter geboren», sagt Oleksandr, der nervös von einem Fuss auf den anderen tritt. Über Nacht sei die Tochter ergraut, aus Angst vor den Gewehren, flüstert seine Frau Valentina, heute wohne sie in Russland, und alles sei gut. Auf der anderen Seite der Demaraktionslinie leben Valentina, Oleksandr und Svetlana, die sich in einem Zelt aufwärmen, das heute als Gemeindezentrum von Spartak dient. Sie erhoffen sich eine Zukunft in der Russischen Föderation. «Dies hier war schon immer russisches Gebiet. Eines Tages wird der ganze Donbas zur Russischen Föderation gehören.»


Bild oben (Klaus Petrus): Bahnhof von Kramatorsk. Bild unten (Roland Schmid): Strassenszene in Donetsk – Im April 2014 fielen prorussische Separatisten in Kramatorsk ein, im Juli war die Stadt mit ihren 160 000 Einwohner*innen wieder in den Händen der ukrainischen Armee, im Oktober wurde sie provisorisches Zentrum der Region. Seither wurde in Kramatorsk mächtig investiert, auch von potenten Geldgeber*innen aus dem nur 70 Kilometer entfernten Donetsk. Diese befindet sich unter Kontrolle der international nicht anerkannten Volksrepublik Donetsk. Der nahegelegene Flughafen wurde 2014/15 zum Mittelpunkt der Kämpfe zwischen beiden Seiten. Die Versorgungslage der Zivilbevölkerung ist noch heute prekär, viele sind auf Hilfslieferungen angewiesen. Oder sie gehen in Richtung Westen. Bis vor Kurzem mochte man denken, Kramatorsk sei sicherer. Jetzt aber sind dort wieder Explosionen und Schüsse zu hören.


«Als Filmemacher bin ich auch Sozialarbeiter» Film «La Mif» erzählt die Geschichte von sieben Mädchen in einem Genfer Heim – und wie die

Leiterin mit Regeln und Hierarchien bricht. Ein Gespräch mit Regisseur Fred Baillif.

«La Mif» heisst «Die Familie» in Verlan – dem Slangfranzösisch, bei dem die Silben verdreht werden. Der Titel ist gut, denn er bündelt diesen eindrücklichen Film, der familiäre Beziehungen von hinten aufzäumt. «La Mif» erzählt vom Zusammenleben von Novinha, Audrey, Précieuse und vier weiteren heranwachsenden Frauen in einem Genfer Jugendheim. Nicht nur untereinander, sondern auch mit dem Personal erleben sie Nähe und Distanzmomente – vor allem in der Beziehung zu Direktorin Lora, die sich später gegen die eigene Institution stellt. Lange vor dem Kinostart, als «La Mif» gerade das Publikum am Zürcher Filmfestival ZFF begeisterte, sprach Surprise mit Regisseur Fred Baillif. Der einstige Basketballprofi ist selbst ausgebildeter Sozialarbeiter, fühlt sich im sozialkritischen Kino aber wohler als «im System». Fred Baillif, die Schauspielerinnen sind fast alle jugendliche Frauen, die im Film wie im Leben zusammen in einem Heim wohnten. Wie starten Sie ein solches Projekt? 22

Fred Baillif: Ganz am Anfang standen Interviews mit allen. Vor dem Dreh braucht es für mich eine gute Recherche – ich komme aus dem Dokumentarfilm, das kommt wohl daher. Nach den Gesprächen starteten wir Workshops, um die Figuren kennenzulernen. Ist «La Mif» eher fiktional oder dokumentarisch? Für mich ist klar: Es ist ein Spielfilm. In der Geschichte ist nichts aus dem echten Leben der Mädchen enthalten – ausser sie wollten was reinbringen, aber das war ihre Verantwortung. Ich versuche, da vorsichtig zu sein. Das Einzige, was den Film von anderen Spielfilmen unterscheidet: Die Schauspieler*innen spielen sehr authentisch, weil sie denselben Hintergrund wie ihre Figuren haben. Die erste und wichtigste Regel auf dem Set lautete: Sei du selbst! Versuche nie zu spielen – wenn du schauspielerst, wird es fake sein. Neben den Laien spielen aber drei Profi-Schauspieler in Nebenrollen mit – zwei davon sind im wirklichen Leben Sozialarbeiter. Surprise 521/22

FOTOS(1-3): JOSEPH AREDDY, FOTO(4): DAVID WAGNIÈRES

INTERVIEW BENJAMIN VON WYL


Auch Sie sind ausgebildeter Sozialarbeiter. Ja, ich habe genug Berufserfahrung gesammelt, um meine Geschichten mit dieser Perspektive aufladen zu können. In meinem Gefühl macht das diesen Film besonders interessant: die Nähe zu den Figuren, die in diesem Beruf arbeiten und mit den Widersprüchen kämpfen. Das stimmt. Ich hatte das Gefühl: Die Widersprüche lassen sich nicht lösen. Wirklich? Ja. Was würden Sie denn ändern? Eine Lösung ist eben komplett unmöglich. Jede Persönlichkeit ist so unterschiedlich – und trotzdem haben wir ein System, in das sich alle Jugendlichen einpassen müssen. Die Mittel fehlen für eine Lösung, die auf die Einzelnen eingeht. Also kommen wir mit starren Regeln. Und so funktioniert es einfach nicht. Das ist für mich Haupt-

Fred Baillif, 49, war Profi-Basketballer und Sozialarbeiter, bevor er sich als Autodidakt und Produktionsassistent selber das Filmen beibrachte. «La Mif» ist sein dritter Spielfilm und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Hauptpreis der Berlinale. Baillif ist bei Genf aufgewachsen und der Region bis heute verbunden.

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thema des Films: dass das System so sehr auf Sicherheit und Schutz ausgerichtet ist, dass die Zuneigung zu kurz kommt. Die Jugendschutzbehörden dürfen nicht vergessen, dass Schutz für sich alleine wenig Wert hat – und dass Schutz auch mehr Bildung, mehr künstlerische Projekte, mehr Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung bedeutet. Dass es darum geht, jungen Menschen zu Selbstvertrauen und Selbstwert zu verhelfen. Manche, die im System arbeiten – Leute, die ich kenne –, setzen die Sicherheit prioritär. Ich glaube, die Liebe muss an erster Stelle stehen. Auch in «La Mif» scheitern die Sozialarbeiter*innen immer wieder daran, professionell und liebend zugleich zu sein. Ist die Kombination eine solche Herausforderung? Der grösste Widerspruch im System ist nach meiner Erfahrung, dass Zuneigung gar nicht erlaubt ist. Während meines Studiums wurde ständig über das Einhalten professioneller Distanz gesprochen. Die Distanz zu halten und gleichzeitig für die Leute da zu sein, ist unmöglich. Für mich war es das jedenfalls. In meinem ersten Job als Sozialarbeiter gehörte es dazu, die Kids in einer Zelle einzusperren. Diese Erfahrungen aus einem Jugendgefängnis waren ein wesentlicher Grund dafür, dass ich heute nicht mehr im Beruf arbeite – jedenfalls nicht mehr innerhalb des Systems. Denn ich bin überzeugt, dass ich als Filmemacher auch Sozialarbeiter bin. Ist es trotzdem möglich, innerhalb des Systems so zu arbeiten, dass es gut ist für die Jugendlichen? 23


Es ist möglich. Aber die, die es tun, sind ständig mit Hierarchien konfrontiert, mit den Ansprüchen von Vorständen und der Politik, all den Sachen, die im Film vorkommen. Alles Gezeigte passiert wirklich. Also ist die Heimdirektorin Lora, die mit dem System bricht, für Sie eine Heldin? Ja doch! Was dachten Sie denn? Dass die Figur ambivalenter ist und man nicht wirklich sagen kann, ob sie das Richtige tut – doch verschiedene Interpretationen sind wohl kein schlechtes Zeichen. Als Sozialarbeiter, der sich als ausserhalb des Systems versteht, welche Verantwortung brachte dies gegenüber Ihren Schauspielerinnen mit sich? Alles, was im Film passiert und gesagt wird, haben wir vorbesprochen. Speziell, wenn es heikel war. Wenn sie das Geplante gut fanden, haben wir es gemacht. Wenn nicht, machten wir was anderes. Sie waren überrascht, wie oft ich fragte, ob alles ok ist und ob sie weitermachen wollen. Natürlich waren die beiden Sozialarbeiter da. Und Claudia Grob, die Lora spielt, kennt die Mädchen sehr gut, weil sie auch in Wirklichkeit mit ihnen arbeitete. So konnten wir immer, wenn es emotional wurde, pausieren, besprechen und erklären. Beim Drehen machten wir sehr lange Takes, und ich flüsterte Sachen wie: Wie würdest du in dieser Situation privat reagieren? Was hältst du davon? Wir orientierten uns an ihren Reaktionen. Ausser den beiden, die Justine und Précieuse spielen, lebten zuvor alle im selben Heim. Dort, wo ich einst Praktikant war.

«Viele von ihnen glauben bis heute nicht an ihre Fähigkeiten und ihr Talent.» FRED BAILLIF

Haben alle Jugendlichen aus der Institution mitgemacht? Nein, das Fürsorgesystem verweigerte einigen die Erlaubnis – weil sie zu jung seien und es gefährdend für sie sein könne. Das machte mich wütend, ich wollte, dass sie alle Teil des Projekts sind. Die Hauptrolle musste ich deswegen umbesetzen. Welche Bedeutung hat die Phase nach dem Release für die Schaupielerinnen? Das Zurich Film Festival markierte den Punkt, an dem sie merkten, dass es kein Bullshit ist. Vorher glaubten sie mir nicht, dass wir einen echten Film machen. Als er dann einen Preis an der Berlinale gewann, war das unglaublich für mich – den Mädchen bedeutete es wenig. Aber in Zürich hatten sie Spass auf dem Teppich, und der Film gefiel dem Publikum – sie erhielten wunderbare Rückmeldun24

gen. Jetzt verstehen sie: Das, was sie schufen, hat einen Wert. Viele von ihnen glauben bis heute nicht an ihre Fähigkeiten und ihr Talent. Sie haben den Film ohne gesicherte Finanzierung gedreht und erst im Nachhinein Fördergelder bekommen. Ist die Filmförderung etwas Weiteres, das Sie ändern würden, wenn Sie könnten? Ja, denn es gibt viele Arten, wie ein Film entstehen kann. Bei mir ist es essenziell, dass es keine geschriebenen Dialoge gibt und die Besetzung sich einbringt. Vieles kommt von ihr. Das Bundesamt für Kultur sollte ein Gefäss für solche Projekte aufbauen. Haben Sie ein Beispiel für eine Idee, die von den Schauspielerinnen kam? Es gibt die Figur Justine, gespielt von der Tochter meines Kameramanns. Damit das Heim voller aussieht, brauchten wir eine zusätzliche Person. Dass sie eigene Szenen hat, war nicht geplant. Ich sagte ihr einfach, sie solle sich eine eigene Geschichte zurechtlegen, damit sie für sich weiss, warum sie dort ist. An einem Tag entschieden wir spontan, mit ihr zu drehen. Also haben wir die Szene gedreht, in der sie Précieuse erzählt, warum sie im Heim ist. Sie erzählte ihre Geschichte, das ganze Set war am Weinen. Wow. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Dieser Dialog ist der stärkste im Film. Wir drehten eine zweite Szene, in der ihre Eltern – also auch mein Kameramann – auftreten. Ich könnte auch nie Texte schreiben, die so gut sind wie die, die etwa Novinha improvisiert. Natürlich will ich Erfolg und gute Filme machen – gleichzeitig ist der Ur-Antrieb meiner Arbeit, Menschen wie diese Mädchen zu unterstützen. Ihnen helfen, Selbstvertrauen aufzubauen und eine intensive Erfahrung zu ermöglichen. Wissen Sie bereits, mit wem Sie bei Ihrem nächsten Film arbeiten wollen? Gegenwärtig arbeite ich mit Sozialarbeiterinnen, die in Genf Migrant*innen unterstützen. Es sind alles Frauen mit eigener Migrationserfahrung. Es gibt Leute, die behaupten, dass Kunst das Gegenteil von Sozialarbeit sei, dass alles mit gesellschaftlichem Mehrwert qualitativ schlecht sei. Was entgegnen Sie? Dass ich genau weiss, was ich tue. Ich bewundere Ken Loach, Mike Leigh und anderes sozialkritisches Kino aus Grossbritannien. Für mich ist «The Full Monty» der beste Film aller Zeiten. Er ist lustig, sozialkritisch, gut gespielt und simpel. Diese Filme haben es an den elitären Festivals oft schwer. Doch ich glaube an gutes Independent-Kino, das auch viele Menschen mögen. Denn wenn ein Film wichtige Themen behandelt, muss er von vielen verstanden werden.

«La Mif», Regie: Fred Baillif, CH 2021, 112 Min. Läuft seit 17. März im Kino. Surprise 521/22


FOTO: AURÉLIA MARINE

sen. Denn neben ungleich verteilten Fördergeldern ist auch sexualisierte Gewalt ein Problem. Diese reicht von körperlichen und verbalen Übergriffen, wie etwa beleidigenden und herablassenden Sprüchen, bis hin zu sexueller Nötigung und Vergewaltigung. Mit öffentlichen Podiumsdiskussionen und Workshops möchte SWAN ein breites Publikum für dieses Thema sensibilisieren. Neu gibt es eine #MeToo-Online-Plattform, auf der Betroffene ihre Erfahrungen anonym teilen können. Anschliessend werden sie auf Instagram veröffentlicht. «Mit dieser Plattform möchten wir aufzeigen, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein ganzes Arbeitsumfeld, das sexualisierte Gewalt und Übergriffe überhaupt erst ermöglicht», sagt Gabriel Baur. «Unsere Kritik richtet sich nicht an Individuen, sondern auf strukturelle Verhältnisse.» Es brauche mehr Daten – in der Schweiz ist bis heute wenig systematisches Wissen zu den Geschlechterverhältnissen im Kulturbereich vorhanden.

Produzentin, Regisseurin und Mitgründerin von SWAN: Gabriel Baur.

«Unsere Kritik richtet sich auf strukturelle Verhältnisse» Filmbranche In der Schweiz werden Regisseurinnen

weniger gefördert. Das will das Swiss Women’s Audiovisual Network ändern. TEXT GIULIA BERNARDI

Rund 40 Millionen Franken. Um so viel höher als für Regisseurinnen ist die Summe der Förderbeiträge, die Regisseure in der Schweiz zwischen 2013 und 2014 für ihre Projekte erhielten. Diese Daten resultierten aus einer Studie, die unter anderem vom Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz im Jahr 2015 initiiert wurde. Die Gründung von Swiss Women’s Audiovisual Network (SWAN) im gleichen Jahr war eine direkte Reaktion auf diesen Missstand. «Die Gleichstellung der Geschlechter ist in der Schweizer Verfassung verankert und sollte auch in der audiovisuellen Branche realisiert werden», sagt Gabriel Baur, Produzentin, Regisseurin und Mitgründerin von SWAN. Entsprechend setzt sich der Verein für eine egalitäre Finanzierung, adäquate Karrierechancen und bessere Arbeitsbedingungen ein. Darauf zielt etwa das schweiz­ weit erste digitale Berufsverzeichnis, das SWAN 2021 lanciert hat. Dieses soll Produzentinnen, Regisseurinnen und Schauspielerinnen dabei unterstützen, sichtbarer zu werden und sich besser vernetzen zu können. Mit solchen Massnahmen möchte SWAN aber nicht nur einen individuellen, sondern auch einen strukturellen Wandel anstosSurprise 521/22

Die Atmosphäre infrage stellen Sexualisierte Gewalt in der Filmbranche wird auch im Dokumentarfilm «The Case You» von Alison Kuhn thematisiert. Sechs Schauspielerinnen zeichnen das grenzüberschreitende Verhalten nach, das sie während eines Castings erlebten. Auf der Theaterbühne der Filmuniversität Babelsberg in Potsdam stellen sie die Vorfälle minutiös nach, bringen Markierungen auf dem Boden an, mit denen sie rekonstruieren, wo sie und die Kamera platziert wurden, in die sie ihre Texte sprechen sollten. Der Erzählung jeder Protagonistin liegt die anhaltende Normalisierung sexualisierter Gewalt zugrunde. Diese Normalisierung wird durch einen Mechanismus begünstigt, der seit einigen Jahren «Gaslighting» genannt wird. Dabei wird durch emotionale Manipulation die Wahrnehmung der Opfer infrage gestellt. Sexualisierte Gewalt wird dann oft nicht anerkannt, sondern auf die persönliche Befindlichkeit der Opfer zurückgeführt, die «zu emotional» oder «zu sensibel» reagiert hätten. Dass in «The Case You» die Schauspielerinnen, während sie angeschrien oder ungefragt am Körper berührt werden, nicht reagieren, sich nicht wehren können, ist die Folge von Gaslighting. Die Tatsache, dass an den Übergriffen nicht nur der Regisseur, sondern auch die anwesenden Produzent*innen beteiligt waren, verdeutlicht, wie tief diese Wahrnehmungsmuster verankert sind und selbst Frauen zu Komplizinnen werden lassen. Auch sie äusserten herablassende Bemerkungen oder sahen schweigend zu, ohne zu intervenieren. «The Case You» verdeutlicht, dass es nicht darum geht, beteiligte Einzelpersonen öffentlich zu beschuldigen, sondern die gesamte Atmosphäre infrage zu stellen, die diese Art von Umgang miteinander überhaupt ermöglicht. Letztlich wurden auch Passagen aus dem Material des Castings ohne das Wissen der Schauspielerinnen veröffentlicht – ein weiterer Machtmissbrauch. Dagegen gingen sie rechtlich vor. Im Mittelpunkt der juristischen Prozesse standen bisher aber nicht die körperlichen und verbalen Übergriffe, sondern die Persönlichkeitsrechtsverletzungen. Denn diese sind einfacher zu beweisen.

«The Case You», Regie: Alison Kuhn, Dokumentarfilm, D 2021, 80 Min. Läuft seit 10. März im Kino. Screening am 19. März, 15 Uhr, im Kosmos in Zürich. Anschliessend Panel «#MeToo – Chancing the Power Dynamics» und Launch der Online-Plattform von SWAN. 25


Winterthur Bilderbücher – illustriert und inszeniert, Ausstellung, So, 6. März bis So, 23. Oktober, Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Do, 10 bis 20 Uhr, Gewerbemuseum Winterthur, Kirchplatz 14. gewerbemuseum.ch

Damit ein Bilderbuch seine Wirkung voll entfalten kann, braucht es neben ausdrucksstarken Illustrationen noch einiges mehr: zum Beispiel eine passende Erzählform und eine nachvollziehbare Abfolge der Bilder. Oder die Materialität des Buches selbst, damit man es auch gerne in die Hand nimmt. Den Gestaltungsmöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. Die Ausstellung rückt diesen Schaffensprozess in den Mittelpunkt und ermöglicht darüber hinaus einen Einblick in die Werkstätten von Schweizer Illustrator*innen. Einigen von ihnen kann sogar bei Live-Events über die Schulter geschaut werden. Ergänzt wird die Schau durch ein vielfältiges Rahmenprogramm, das unter anderem Workshops für Erwachsene und Familien umfasst. MBE

Bern «Shaved Town», Tanz und Theater, Do, 24., bis Sa, 26. März, jeweils 20.30 Uhr, So, 27. März, 19 Uhr, Tojo Theater Reitschule Bern, Neubrückstrasse 8. tojo.ch

Shaved Town ist ein Städtchen irgendwo am Ende der Welt. Doch bald zeigt sich: Die Kontrolle durch den Staat und durch grosse Konzerne reicht selbst bis in diesen abgelegenen Winkel. Und fast scheint es, als würden sich die Bewohner*innen dieser Überwachung bereitwillig unterwerfen, während sie ihrem monotonen

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Alltag nachgehen. Aber ein düsteres Geheimnis lastet über dem Ort. Die bedrohliche Szenerie wird verstärkt durch eine sphärisch-enigmatische Musik, die Valentin Oppermann, einer der Darsteller*innen, für dieses Stück komponiert hat. Die 16. Produktion der unabhängigen Theater- und Tanzkompanie Pink Mama Theatre mit Basis in Bern verspricht einen politisch-gesellschaftlichen Tanztheaterthriller, der keine einfachen Antworten liefert, sondern das Publikum zum Weiterdenken anregen will. MBE

Zürich «The Future is Blinking. Frühe Studiofotografie aus West- und Zentralafrika», Fr, 18. März bis So, 3. Juli, Di bis So, 10 bis 17 Uhr, Mi, 10 bis 20 Uhr, Museum Rietberg, Gablerstrasse 15. rietberg.ch Als sich ab dem 19. Jahrhundert das Medium Fotografie auf der ganzen Welt verbreitete, stiess diese neue Kunstgattung an der Küste Westund Zentralafrikas auf besonders grosses Interesse. Zwischen Dakar und Luanda entwickelte sich eine

selbstbestimmte Fotokultur. Junge Männer der städtischen Elite nutzten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die Kamera als Mittel zur Selbstbestimmung, Selbstdarstellung und Identitätsbildung. In Freiluftstudios entstanden Porträts von Menschen, die sich mit Accessoires, Dekors oder Stoffen auf einer Bühne inszenieren konnten. Die Ausstellung zeigt rund hundert Originalabzüge. Die Bilder grenzen sich deutlich von der kolonialen Fotografie des globalen Nordens ab, deren Ziel es war, exotische Stereotypen zu bestätigen. Die Ausstellung regt vor diesem Hintergrund an, das eigene Afrikabild zu hinterfragen. Gleichzeitig findet im Rieterpark die Freiluftausstellung zum CAP Prize 2020 und 2021 statt, die zeitgenössische afrikanische Fotografie zeigt. MBE

Basel «The Rite of Spring – von Igor Strawinsky», Tanz, Do, 24., bis Sa, 26. März, jeweils 20 Uhr, So, 27. März, 19 Uhr, Mo, 28. März, 20 Uhr, Kaserne Basel, ­Klybeckstrasse 1b. kaserne-basel.ch In der Ballettmusik «The Rite of Spring» von Igor Strawinsky wird dem Frühlingsgott eine junge Frau geopfert, damit die Natur zu neuem Leben erwachen kann. Die Regisseurin Antje Schupp konzentriert sich auf die Figur der Frau, die zum Wohle der Allgemeinheit stirbt. Schupp verbindet für die Auftritte in der Kaserne Basel Tanz mit Performance und Filmkunst. Welche Opfer nimmt eine Gesellschaft in Kauf? Haben die Opfer eine Wahl? Und wie ist es um das Verhältnis des Menschen zur Natur bestellt, die sich vielleicht mit keinem Ritual oder Opfer mehr milde stimmen

lässt? Das 1913 uraufgeführte Stück erhält durch die Inszenierung von Schupp nach zwei Jahren entbehrungsreicher Pandemie eine überraschende Relevanz. MBE

Aarau «Und dann fing das Leben an», Theater, Fr, 18. März, Di, 22. März, 20 Uhr, Alte Reithalle, Apfelhausenweg 20. buehne-aarau.ch «Und dann fing das Leben an», Fotoausstellung, bis So, 29. Mai, Di, Mi, Fr, 11 bis 18 Uhr, Do, 11 bis 20 Uhr, Sa und So, 11 bis 17 Uhr, Stadtmuseum Aarau, Schlossplatz 23. stadtmuseum.ch

Mutter, Tochter und Enkelin einer türkischen Einwanderungsfamilie treffen sich zum Nachmittagstee und blättern gemeinsam in einem Fotoalbum. Jede der drei Generationen verbindet mit dem Neuanfang in der Schweiz andere Erlebnisse und Erinnerungen. Die drei Frauen schlüpfen auf dem Sofa in unterschiedliche Rollen, erwecken so Ereignisse zum Leben und erzählen damit eine türkisch-schweizerische Einwanderungsgeschichte. Das von Ursina Greuel inszenierte Theaterstück basiert auf einer fotogra­ fischen Recherche und auf Interviews der Fotografin Ayse Yavas und der Ethnologin Gaby Fierz. Deren gleichnamige Fotoausstellung ist bis Mai im Stadtmuseum Aarau zu sehen. MBE

Solidarität jetzt!

Der Krieg in der Ukraine bringt Leid über die Zivilbevölkerung und treibt Millionen in die Flucht. Es droht eine humanitäre Katastrophe in Europa. Vielen Menschen ist deshalb gerade nicht nach Kulturgenuss zumute. Wer selber aktiv werden möchte, kann eines der vielen Hilfswerke unterstützen, die Spenden für die Nothilfe sammeln. So zum Beispiel Caritas Schweiz: Sie unterstützt mobile Teams der Caritas Ukraine vor Ort, die – wo dies wegen der Kriegshandlungen noch möglich ist – Nahrungsmittelpakete, Heizbriketts, Medik­ amente oder warme Kleidung verteilen. Und in den Nachbarländern leistet sie Hilfe bei der Aufnahme, Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten. Spenden und Infos zur huma­nitären Hilfe der Caritas Schweiz unter: caritas.ch MBE

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BILD(1): ANETE MELECE, ATLANTIS VERLAG, BILD(2): PATRYCJA PLANIK, BILD(3): AYSE YAVAS

Veranstaltungen


Worte Nr. 321» heisst es auf der Lehne, plus eine Verdankung der Hersteller-­ Genossenschaft. Nicht ganz klar ist, worin die Tat besteht. Bänke, selbst solche an durchaus un­ attraktiven Standorten wie diesem, bei dem der Blick nicht in die Ferne ­schweifen, ­sondern höchstens mit dem Lift nach oben fahren kann, laden doch viel mehr zu Worten als zu Taten ein. Auf Bänken lassen sich gut Gespräche führen, Texte lesen (dabei handelt es sich streng genommen um Wörter) oder Gedanken spinnen. Zum Beispiel dazu, was wohl die anderen 320 Taten waren, die statt Worten in die Welt ­gebracht wurden.

Tour de Suisse

Pörtner in Muri bei Bern Surprise-Standorte: Marktplatz Einwohner*innen: 12 811 Sozialhilfequote: 2,8 Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 17,5 Anzahl Vereine: 88

Vielleicht war hier ja wirklich einmal ein Marktplatz, auf dem die Bauersleute aus der Umgebung ihre Waren feilboten, nicht nur die in der nahen Hauptstadt Bern so beliebten Zwiebeln, sondern allerlei Früchte und Gemüse oder gar Hühner und Geissen. Ein buntes Treiben wird da geherrscht haben, Stimmen, ­Farben und Gerüche. So mag es einst gewesen sein, heute ist es nicht mehr so. Ganz in Gegenteil. Der Platz liegt verlassen im Niesel­regen, grau der Steinbelag des Bodens, grau die zusammengestapelten Tische, grau die Fassaden der ­Gebäude, grau der Himmel. Fast ausgestorben wirkt es. Zu Fuss ist hier niemand unterwegs, nur ein Mann raucht vor dem Eingang der ­Arztpraxen.

dem Auto angesteuert wird. Darunter ­leidet natürlich die Bewegung. Wer diese vermisst, kann sich im Dance Studio ­austoben. «Contemporary Floor Work» heisst ein Tanzstil, der leicht auch für einen Bodenbelag gehalten werden könnte, ein anderer nennt sich «Lyrical Jazz». Ob dabei zu Jazzmusik mit dem Oberkörper gewippt und dazu geraucht wird? Neben dem Lift steht eine Fotozelle, beliebt bei Halbwüchsigen, ­sowie ein gelbes Campingbüsslein mit Surfbrett auf dem Dach und dem ­Nummernschild «Happy». Gegen Geld wippt es eine Weile hin und her, ob zum Rhythmus von «Lyrical Jazz» oder eher zu Surfsound, lässt sich nicht feststellen, da niemand eine Münze einwirft.

Der heutige Marktplatz befindet sich ­unter der Erde, in Form einer Grossverteilerfiliale, die hauptsächlich mit

Einen Stock weiter oben, dort wo der Eingang zum Lebensmittelgeschäft ist, steht eine kleine Bank: «Taten statt

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Die Verschnarchtheit dieses Marktplatzes, der bestimmt auch belebtere Zeiten kennt, wird unterstrichen durch ein hier ansässiges Schnarchtherapie-Zentrum. Solche sollte es viel mehr geben. Wer schon einmal eine Nacht in einer Berghütte oder einem Massenlager verbracht hat, kennt und fürchtet die unvermeidlichen Schnarcher*innen, die jeglichen Schlaf verunmöglichen. Lieber verbringt man die Nacht auf einer Parkbank in einem ­Parkhaus vor einem Lift. Jene, die nicht mehr gut hören, vielleicht geschädigt vom lauten Schnarchen, ­finden Abhilfe im Hörakustik-Zentrum: «Besser hören, besser verstehen und mehr». Auch der Coiffeursalon heisst «Haar und Mehr», und zum Beweis, dass dies kein leeres Versprechen ist, werden die Mehrs auf einem Aushang definiert. Ein mittelalterlicher Mann trägt drei Packungen Windeln davon. Gewiss wurde ihm der Auftrag per Handy erteilt, er möge doch in der Mittagspause schnell welche besorgen. Auf einem altertümlichen Marktplatz hätte er diese kaum gefunden.

STEPHAN PÖRTNER

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist. 27


IND 0.– S AB 50 ABEI! SIE D

Die 25 positiven Firmen Unsere Vision ist eine solidarische und vielfältige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung. Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstützen Sie Menschen in prekären Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die Eigenständigkeit. Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fällt jenes Unternehmen heraus, das am längsten dabei ist.

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA Das Programm

Wie viele Surprise-Hefte müssten Sie verkaufen, um davon in Würde leben zu können? Hätten Sie die Kraft?

Wussten Sie, dass einige unserer Verkäufer*innen fast ausschliesslich vom Heftverkauf leben und keine Sozialleistungen vom Staat beziehen? Das fordert sehr viel Kraft, Selbstvertrauen sowie konstantes Engagement. Und es verdient besondere Förderung. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewählten Verkäufer*innen zusätzliche Unterstützung. Sie sind mit Krankentaggeld und Ferien sozial abgesichert und erhalten ein Nahverkehrsabonnement. Bei Problemen im Alltag begleiten wir sie intensiv.

Eine von vielen Geschichten 01

Michael Lüthi Gartengestaltung, Rubigen

02

Gemeinnützige Frauen Aarau

03

Kaiser Software GmbH, Bern

04

Cornelia Metz, Sozialarbeiterin, Chur

05

AnyWeb AG, Zürich

06

Ref. Kirche, Ittigen

07

Farner’s Agrarhandel, Oberstammheim

08

BODYALARM – time for a massage

09

Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden

10

WBG Siedlung Baumgarten, Bern

11

unterwegs GmbH, Aarau

12

Hedi Hauswirth Privatpflege Oetwil a.S.

13

Fäh & Stalder GmbH, Muttenz

14

Praxis C. Widmer, Wettingen

15

EVA näht: www.naehgut.ch

16

Büro Dudler, Raum- und Verkehrsplanung, Biel

17

Evang. Frauenhilfe BL, frauenhilfe-bl.ch

18

Lebensraum Interlaken GmbH, Interlaken

19

Automation Partner AG, Rheinau

20

Infopower GmbH, Zürich

21

Arbeitssicherheit Zehnder, Zürich

22

Barth Real AG, Zürich

23

Be Shaping the Future AG

24

Maya-Recordings, Oberstammheim

25

doppelrahm GmbH, Zürich

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden? Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei. Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewünschter Namenseintrag Sie erhalten von uns eine Bestätigung. Kontakt: Caroline Walpen Team Marketing, Fundraising & Kommunikation T +41 61 564 90 53 I marketing@surprise.ngo

Ricardo Da Costa verliess 2003 GuineaBissau, wo seine Familie immer noch lebt. Der Mechaniker arbeitete zuerst als Bauarbeiter in Portugal und Italien. 2013 kam er in die Schweiz. Wenige Tage nach seiner Ankunft wurden ihm alle Wertsachen gestohlen und er stand er ohne Papiere da. Auf der Gasse lernte er einen Strassenmagazin-Verkäufer kennen und verkauft seither auch. «Ich bin froh, bei Surprise zu sein», erzählt Ricardo. «Manchmal komme ich traurig ins Büro und gehe mit einem Lächeln auf dem Gesicht wieder raus.» SurPlus ist für ihn eine grosse Unterstützung: Das ÖV-Abo ermöglicht Mobilität beim Heftverkauf und bei Schwierigkeiten stehen ihm die Mitarbeitenden mit Rat und Tat bei.

Weitere SurPlus-Geschichten lesen sie unter: surprise.ngo/surplus

Unterstützen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende Derzeit unterstützt Surprise 21 Verkäufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

Unterstützungsmöglichkeiten: · 1 Jahr: 6000 Franken · ½ Jahr: 3000 Franken · ¼ Jahr: 1500 Franken · 1 Monat: 500 Franken · oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

Spendenkonto: PC 12-551455-3 IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90 info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!


Wir alle sind Surprise #519: Moumouni ... landet fast in Lörrach

#515: Wir müssen reden

Ein Kompliment für den gut geschriebenen Artikel.

«Bravourös»

G. CANTAGALLO, ohne Ort

Benno Fricker hat unsere noch sehr jungen Sekundarschüler*innen mit seiner Lebensgeschichte und seinen hervorragend altersgerecht vorgetragenen Erläuterungen tief beeindruckt und ihnen die Augen geöffnet für ein Basel, das sie bis dahin nicht kannten. Den besten Beweis dafür hat ein Schüler auf dem Heimweg erbracht. Er kam zu mir und sagte: «Bis jetzt habe ich leichtfertig schnell einmal jemanden als Penner beschimpft. Ab heute werde ich dieses Wort nie mehr ve­rwen­den.» Genau das war mein Ziel. Benno konnte den Schüler*innen anschaulich aufzeigen, dass man auch mit einem guten Schulabschluss und einer guten Ausbildung aus der Bahn geraten und in finanzielle Schwierigkeiten kommen kann. Für mich war es der zweite Soziale Stadtrundgang, nachdem ich im Dezember bereits einen mit Lilian Senn erleben durfte. Beide haben mich beeindruckt durch ihre Offenheit und Nahbarkeit. Ich bin überzeugt, dass ein solcher Stadtrundgang allen Teilnehmenden die Augen öffnet und zum Nachdenken anregt.

Ich kaufe Surprise schon seit vielen Jahren und finde in (fast) jedem Heft mindestens einen Artikel, den ich super spannend finde und in dem ich Dinge lerne, von denen ich sonst nie höre. Bei der Ausgabe Nr. 515 war ich ehrlich gesagt skeptisch. Ich dachte mir, ach du meine Güte, das wird langatmig. Nun habe ich den ruhigeren Januar dazu genutzt, das Heft ganz zu lesen und bin begeistert von dieser Nummer. Spätestens seit Corona wissen wir, wie schwierig es ist, mit Andersdenkenden konstruktiv zu diskutieren, und ihr habt das im Heft bravourös gelöst.

L . REINHARD, SEKUNDARSCHULE L AUFENTAL, Laufen

N. ERNST, Meilen

#Stadtrundgang Basel

«Die Augen geöffnet»

Impressum Herausgeber Surprise, Münzgasse 16 CH-4051 Basel Geschäftsstelle Basel T +41 61 564 90 90 Mo–Fr 9–12 Uhr info@surprise.ngo, surprise.ngo Regionalstelle Zürich Kanzleistrasse 107, 8004 Zürich T +41 44 242 72 11 M+41 79 636 46 12 Regionalstelle Bern Scheibenstrasse 41, 3014 Bern T +41 31 332 53 93 M+41 79 389 78 02 Soziale Stadtrundgänge Basel: T +41 61 564 90 40 rundgangbs@surprise.ngo Bern: T +41 31 558 53 91 rundgangbe@surprise.ngo Zürich: T +41 44 242 72 14 rundgangzh@surprise.ngo Anzeigenverkauf Stefan Hostettler, 1to1 Media T +41 43 321 28 78 M+41 79 797 94 10 anzeigen@surprise.ngo Redaktion Verantwortlich für diese Ausgabe: Lea Stuber (lea) Klaus Petrus (kp), Sara Winter Sayilir (win), Diana Frei (dif) Reporter*innen: Andres Eberhard (eba), Anina Ritscher (arr) T +41 61 564 90 70 F +41 61 564 90 99 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

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Ständige Mitarbeit Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Rahel Nicole Eisenring, Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer Mitarbeitende dieser Ausgabe Giulia Bernardi, Urs Habegger, Ruben Hollinger, Roland Schmid, Nicole Vögeli, Benjamin von Wyl Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Geneh­ migung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt. Gestaltung und Bildredaktion Bodara GmbH, Büro für Gebrauchsgrafik Druck AVD Goldach Papier Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSC®, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach

Ich möchte Surprise abonnieren 25 Ausgaben zum Preis von CHF 189.– (Europa: CHF 229.–) Verpackung und Versand bieten Strassen­verkäufer*innen ein zusätzliches Einkommen Gönner-Abo für CHF 260.– Geschenkabonnement für: Vorname, Name Strasse PLZ, Ort

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Bitte heraustrennen und schicken an: Surprise, Münzgasse 16, CH-4051 Basel, info@surprise.ngo

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FOTO: KLAUS PETRUS

Surprise-Porträt

«Mein Leben ist ein Roadmovie» «An meine früheste Kindheit kann ich mich nicht erinnern, ich wuchs bei einer Pflegefamilie auf, meine Schwester und mein Bruder wurden anderswo untergebracht. Meine Pflegemutter war eine gute, ich habe sie ‹Grossmami› genannt. Als ich mit sieben eingeschult wurde, kam ich mit meinen Geschwistern zurück zu den Eltern. Damals hatten wir so etwas wie ein Familienleben. An den Kindergarten und die Schule denke ich nur ungern zu­ rück, das war dramatisch und traumatisch für mich. Depressi­ onen, Ängste und Hilflosigkeit bestimmten mein junges Leben. Am schlimmsten war, dass ich mehrmals im Jahr für Wochen ins Spital musste, zur Behandlung diverser Geburtsgebrechen. Meine Kindheitserinnerungen bestehen nur aus Spritzen, Narkosen und Operationen. Die Ärzt*innen hatten Probleme, mich ruhigzustellen. Ich erinnere mich gut an diese Angst in mir und das Gefühl, ich müsse unbedingt weg. Diese Fluchtge­ danken sollten mich ein Leben lang begleiten. Nach der Schule ging ich auf die Dolmetscherschule, ich machte Sprachaufenthalte in England und Italien. Dann traf ich meine spätere Frau, sie überredete mich, zu ihrer Familie nach Mexiko zu ziehen. Nach einiger Zeit musste ich zurück, ich wollte meine C-Bewilligung nicht aufs Spiel setzen. Sie kam später nach, wurde schwanger. So musste ich die Schule abbrechen und Arbeit suchen. Es kamen harte Jahre, ich hatte teilweise zwei Jobs aufs Mal. Den einen tagsüber als Lagerist, den anderen als Nachtportier. Auch für die Familie war das eine Belastung, wir hatten inzwi­ schen zwei Söhne. Ich dachte immer: Wenn du nur fleissig bist, hast du auch Arbeit und kannst deine Familie durchbringen. Denkste! Ich verlor den Job. Kam hinzu, dass ich Herzprobleme hatte. So musste ich kürzertreten. Mit den Existenzängsten kamen die Depressionen wieder. Ein schlimmer Zustand, man hält nichts mehr von sich selbst, will nur noch eins: sterben. Trotzdem habe ich mich immer wieder aufgerafft und versucht, einer Arbeit nachzugehen und für meine Kinder zu sorgen. Unsere Ehe hielt der Belastung aber nicht stand, wir liessen uns scheiden. Meine Ex-Frau und ich versuchten, unsere Kinder zu ihrer Familie nach Mexiko zu bringen. Zwar konnten sie dort auf eine Privatschule und waren umsorgt, trotzdem war die Trennung für mich schlimm. Ich hatte damals zwar Arbeit, eine Freundin, eine Wohnung. Und doch fühlte ich mich verloren – noch immer war ich der Ausländer, der Italiener, der Fremde. Dann verlor ich wieder 30

Malfino Croce, 60, singt im Surprise Strassenchor und kämpft immer wieder gegen Fluchtgedanken an.

einmal den Job, die Depressionen nahmen zu, ich hatte keinen Halt mehr. So stieg ich in mein Auto und fuhr einfach auf und davon. So begann mein Roadmovie. Ein Jahr war ich unterwegs. Ich schlief in meinem weissen Kombi, im Wald, in Klöstern, suchte mir Arbeit, manchmal musste ich mir Essen und Benzin steh­ len. Natürlich hatte ich ein schlechtes Gewissen. In dieser Zeit traf ich aber auch Menschen, die mir vertrauten und für die ich nicht der Ausländer war – das tat mir gut. Mit der Zeit wurde ich polizeilich gesucht, da wusste ich: Jetzt muss ich zurück und wieder vernünftig werden. Zum Glück fand ich rasch Arbeit, sodass ich wieder für die Kinder – sie waren inzwischen aus Mexiko zurück – sorgen konnte. Mehr kann ich zu dieser Lebensphase nicht sagen, ich muss selber noch einen Weg finden, um das Ganze einzuordnen. Ich glaube, was ich als ‹Roadmovie› bezeichne, ist ein Muster und hat viel damit zu tun, dass ich flüchten will, wenn ich ent­ täuscht werde, Ängste spüre oder wenn schwere Entschei­ dungen anstehen. Diese Fluchtgedanken hatte ich schon als Kind. Damals konnte ich nicht fliehen, als Erwachsener schon. Aber das soll keine Ausrede sein. Heute versuche ich, in diesen Situationen zwei Schritte zurückzutreten, weitere Kurz­ schlusshandlungen zu vermeiden – was nicht immer klappt – und möglichst keinen Mist mehr zu bauen.» Aufgezeichnet von KL AUS PETRUS Surprise 521/22


TITO

VOM OBDACHLOSEN ZUM STADTFÜHRER Eine Podcastserie von Surprise in fünf Teilen Episode 1

Episode 4

ABSTURZ

KOMPLIMENT

Episode 2

Episode 5

AUFSTIEG

PREMIERE

Episode 3

CHEFIN

JETZT N ÖRE REINH

Auf Spotify, Apple Podcasts und www.surprise.ngo/tito

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Kultur Kultur

Solidaritätsgeste Solidaritätsgeste

STRASSENSTRASSENCHOR CHOR

CAFÉ CAFÉ SURPRISE SURPRISE

Lebensfreude Lebensfreude Entlastung Entlastung Sozialwerke Sozialwerke

BEGLEITUNG BEGLEITUNG UND UND BERATUNG BERATUNG

Unterstützung Unterstützung

Job Job

STRASSENSTRASSENMAGAZIN MAGAZIN Information Information

SURPRISE WIRKT SURPRISE WIRKT

ZugehörigkeitsZugehörigkeitsgefühl gefühl EntwicklungsEntwicklungsmöglichkeiten möglichkeiten

STRASSENSTRASSENFUSSBALL FUSSBALL

Expertenrolle Expertenrolle SOZIALE SOZIALE STADTRUNDSTADTRUNDGÄNGE GÄNGE PerspektivenPerspektivenwechsel wechsel

Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. Surprise unterstützt seit 1998 sozial benachteiligte Menschen in der Schweiz. Unser Angebot wirkt in doppelter Hinsicht – auf den armutsbetroffenen Menschen surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 und auf die Gesellschaft. Wir arbeiten nicht gewinnorientiert, finanzieren uns ohne staatliche Gelder und sind auf Spenden und Fördergelder angewiesen. Spenden auch Sie. surprise.ngo/spenden | Spendenkonto: PC 12-551455-3 | IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3

Erlebnis Erlebnis


Café Surprise – eine Tasse Solidarität Zwei bezahlen, eine spendieren. BETEILIGTE CAFÉS IN AARAU Rest. Schützenhaus, Aarenaustr. 1 | Rest. Sevilla, Kirchgasse 4 IN ARLESHEIM Café Einzigartig, Ermittagestrasse 2 IN BACHENBÜLACH Kafi Linde, Bachstr. 10 IN BASEL Bäckerei KULT, Riehentorstr. 18 & Elsässerstr. 43 | BackwarenOutlet, Güterstr. 120 | Bioladen Feigenbaum, Wielandplatz 8 Bohemia, Dornacherstr. 255 | Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | Flore, Klybeckstr. 5 | frühling, Klybeckstr. 69 | Haltestelle, Gempenstr. 5 | FAZ Gundeli, Dornacherstr. 192 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreff Kleinhüningen, Kleinhüningerstr. 205 | Quartiertreff Lola, Lothringerstr. 63 Les Gareçons to go, Bad. Bahnhof | L‘Ultimo Bacio, Güterstr. 199 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12Café Spalentor, Missionsstr. 1a | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | Shöp, Gärtnerstr. 46 | Tellplatz 3, Tellplatz 3 | Treffpunkt Breite, Zürcherstr. 149 Wirth‘s Huus, Colmarerstr. 10 IN BERN Äss-Bar, Länggassstr. 26 & Marktgasse 19 | Burgunderbar, Speichergasse 15 | Generationenhaus, Bahnhofplatz 2 | Hallers brasserie, Hallerstr. 33 | Café Kairo, Dammweg 43 | MARTA, Kramgasse 8 | MondiaL, Eymattstr. 2b | Tscharni, Waldmannstr. 17a | Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa, Lorrainestr. 23 Luna Llena, Scheibenstr. 39 | Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 | Dreigänger, Waldeggstr. 27 | Löscher, Viktoriastr. 70 | Sous le Pont, Neubrückstr. 8 Rösterei, Güterstr. 6 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Zentrum 44, Scheibenstr. 44 | Café Paulus, Freiestr. 20 Becanto, Bethlehemstrasse 183 | Phil’s Coffee to go, Standstr. 34 IN BIEL Äss-Bar, Rue du Marché 27 | Inizio, Freiestrasse 2 | Treffpunkt Perron bleu, Florastrasse 32 IN BURGDORF Bohnenrad, Bahnhofplatz & Kronenplatz | Specht, Hofstatt 5 IN CHUR Café Arcas, Ob. Gasse 17 | Calanda, Grabenstr. 19 | Café Caluori, Postgasse 2 | Gansplatz, Goldgasse 22 | Giacometti, Giacomettistr. 32 | Kaffee Klatsch, Gäuggelistr. 1 | Loë, Loestr. 161 | Merz, Bahnhofstr. 22 | Punctum Apérobar, Rabengasse 6 Rätushof, Bahnhofstr. 14 | Sushi Restaurant Nayan, Rabengasse 7 | Café Zschaler, Ob. Gasse 31 IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstr. 3a IN FRAUENFELD Be You Café, Lindenstr. 8 IN LENZBURG Chlistadt Kafi, Aavorstadt 40 | feines Kleines, Rathausgasse 18 IN LIESTAL Bistro im Jurtensommer, Rheinstr. 20b IN LUZERN Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Meyer Kulturbeiz & Mairübe, Bundesplatz 3 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Quai4-Markt, Baselstr. 66 & Alpenquai 4 | Rest. Quai4, Alpenquai 4 | Bistro Quai4, Sempacherstr. 10 | Pastarazzi, Hirschengraben 13 | Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Sommerbad Volière, Inseli Park | Rest. Brünig, Industriestr. 3 | Arlecchino, Habsburgerstr. 23 IN MÜNCHENSTEIN Bücher- und Musikbörse, Emil-Frey-Str. 159 IN NIEDERDORF Märtkaffi am Fritigmärt IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestr. 47 IN RAPPERSWIL Café good, Marktgasse 11 IN SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN WIL Caritas Markt, Ob. Bahnhofstr. 27 IN WINTERTHUR Bistro Dimensione, Neustadtgasse 25 | Bistro Sein, Industriestr. 1 IN ZUG Bauhütte, Kirchenstrasse 9 Podium 41, Chamerstr. 41 IN ZÜRICH Café Noir, Neugasse 33 | Café Zähringer, Zähringerplatz 11 | Cevi Zürich, Sihlstr. 33 | das GLEIS, Zollstr. 121 | Kiosk Sihlhölzlipark, Manessestrasse 51 | Quartiertr. Enge, Gablerstr. 20 | Quartierzentr. Schütze, Heinrichstr. 238 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 jenseits im Viadukt, Viaduktstr. 65 | Freud, Schaffhauserstr. 118 | Kumo6, Bucheggplatz 4a | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistr. 76 | Zum guten Heinrich Bistro, Birmensdorferstr. 431

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise


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